Published January 1, 2022 | Version v1
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Sozialisationsinstanzen in der musikalischen Talententwicklung. Eine vergleichende Untersuchung über Werdegänge von Musikstudierenden in China und der Schweiz

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Contributors

  • 1. Hochschule Luzern
  • 2. Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Description

Abstract Dissertation Annatina Kull

In der gegenwärtigen Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass für die Entfaltung musikalischer Potenziale neben Lernprozessen und intrapersonalen Faktoren diverse Umweltfaktoren ausschlaggebend sind. Es ist jedoch wenig erforscht, inwiefern kultur- und länderspezifische Gegebenheiten die musikalische Talententwicklung prägen. Dieser Frage kommt insofern Relevanz zu, als im Zuge der Globalisierung mit ihrer interkulturellen Mobilität zahlreiche angehende Musikerinnen und Musiker aus Ostasien ihr Studium in Europa absolvieren. Vor diesem Hintergrund untersucht die Dissertation die vorhochschulischen Werdegänge chinesischer und schweizerischer Musikstudierender im Hinblick auf Einflüsse von Sozialisationsinstanzen, Ausbildungs- und Förderstrukturen sowie kulturspezifischer Werthaltungen und Talentkonzeptionen. Das Erkenntnisinteresse liegt darin, das Verständnis für musikbezogene Entwicklungswege in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu erweitern. Überdies zielt die Arbeit darauf ab, durch die Beleuchtung zuträglicher wie auch hinderlicher Umweltfaktoren Orientierungen für eine bestmögliche Unterstützung und Talentförderung junger Instrumentalistinnen und Instrumentalisten zu leisten.

 

Für die empirische Untersuchung wurden je 18 Instrumentalmusikstudierende in China und der Schweiz interviewt, die im jeweiligen Land aufgewachsen sind und zum Befragungszeitpunkt im Studiengang Konzertfach im Bereich der Kunstmusik europäischer Tradition inskribiert waren. Es wurden problemzentrierte, biografisch angelegte Interviews geführt, die mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Hinsichtlich des methodischen Vorgehens fanden die aus der kulturvergleichenden und multilingualen Anlage der Studie resultierenden Herausforderungen besondere Berücksichtigung.

 

Die empirischen Ergebnisse dokumentieren im interkulturellen Vergleich Muster von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Des Weiteren belegt die Dissertation interindividuelle Abweichungen und verdeutlicht damit die Einzigartigkeit und Komplexität musikbezogener Biografien. Die Parallelen zwischen der chinesischen und schweizerischen Untersuchungsgruppe untermauern die Relevanz einer ideellen, organisatorischen und finanziellen Unterstützung durch die Eltern, ebenso einer fachlich adäquaten und mental bestärkenden Förderung durch Instrumentallehrende. Darüber hinaus zeigen sich gewichtige Einflüsse von weiteren Personen, auditiven und audiovisuellen Medien sowie diversen Förderangeboten. Die Talentkonzeptionen der meisten Befragten in beiden Ländern stimmen insofern überein, als dass sie Umweltfaktoren, intrapersonale Faktoren und das Üben gegenüber der Veranlagung priorisieren.

 

Die zwischen der chinesischen und schweizerischen Untersuchungsgruppe festgestellten Gegensätzlichkeiten sind primär auf die ungleich kompetitiven Schul- und Tertiärsysteme wie auch auf die differierenden musikbezogenen Förderangebote in China und der Schweiz zurückzuführen. Ferner sind kulturbedingte Werte und weitere gesellschaftliche Rahmenbedingungen als Hintergründe für die stärker durch pragmatische Überlegungen und Fremdbestimmung geprägten Werdegänge der chinesischen Befragten zu sehen. In dieser Untersuchungsgruppe stand die Intention eines Instrumentalmusikstudiums oftmals bereits im Kindesalter fest und führte zu einer frühen und intensiven Fokussierung auf die musikalische Talententwicklung. Demgegenüber verliefen die musikbezogenen Entwicklungswege der schweizerischen Interviewten weniger zielgerichtet, und es standen eher im Freizeitbereich verortete Musiziererfahrungen mit Peers im Zentrum. Maßgebliche Unterschiede im Hinblick auf Bezugspersonen betreffen in erster Linie elterliche und geschwisterliche Einflüsse.

 

Die Studie generiert insbesondere durch den interkulturellen Vergleich aufschlussreiche Erkenntnisse, aus denen theoretische wie auch praktische Implikationen abgeleitet werden.

 

Abstract in englischer Sprache

There is widespread agreement in current research that the development of musical talent is influenced by learning processes and intrapersonal factors as well as various environmental factors. However, only limited research has been done on how culture- and country-specific conditions affect this development. This issue is particularly relevant in the context of globalisation and intercultural mobility in which many prospective musicians from East Asia are studying in Europe. Against this background, the dissertation examines the pre-university biographies of Chinese and Swiss master’s music students with regard to the influences of socialisation agents, education and support structures, culture-specific values and concepts of talent. The study intends to broaden the understanding of music-related pathways in different cultural contexts. By illuminating both favourable and hindering environmental factors, this research aims to provide guidance on how to best support and promote the talents of young instrumentalists.

 

For the empirical investigation, interviews were conducted with 36 instrumental music students in China and Switzerland, who had grown up in the respective country and were enrolled in master’s performance programmes in art music of European tradition at the time of inquiry. The problem-centred, biographically oriented interviews were evaluated using thematic qualitative content analysis. The research procedure carefully took into account the challenges resulting from the cross-cultural and multilingual design of the study.

 

In the intercultural comparison, the empirical findings document patterns of similarities and differences. The dissertation also shows inter-individual disparities and thus illustrates the uniqueness and complexity of music-related biographies. The parallels between the Chinese and Swiss sample groups underline the relevance of ideational, organisational and financial support from parents, as well as adequate professional guidance and encouragement from instrumental teachers. In addition, the influence of other persons, audio(-visual) media, and various support programmes, is decisive. The concepts of talent of most respondents in both countries correspond in that they prioritise environmental factors, intrapersonal factors, and practice over predisposition.

 

The differences found between the Chinese and Swiss sample groups mainly relate to differences in music-related support programmes and in the competitiveness of school and tertiary education systems in China and Switzerland. In addition, culture-specific values and other societal factors can be seen as explanations for the more pragmatic and less self-determined biographies of the Chinese participants. In this sample group, the intention to study instrumental music was often determined in childhood, leading to an early and intensive focus on musical talent development. In contrast, the music-related pathways of the Swiss interviewees were less goal-directed, and music-making with peers in leisure time was more central. Notable differences with regard to influential persons primarily concern parents and siblings.

 

The study’s intercultural aspect generates insightful findings from which theoretical and practical implications are derived.

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