Uebe-Coaching: ein polyfunktionales Modell für die Musikschule: Version 2

Finden sich in Ihrer Klasse Schülerinnen und Schüler im Kindesalter, die zuhause nicht oder nur wenig auf ihrem Instrument spielen? Vielleicht spüren auch Sie ab und zu einen Zeitdruck, weil die Lektionsdauer (zu) kurz bemessen ist und Sie sich nicht sicher sind, ob die Hausaufgaben von den Kindern zuhause noch nachvollzogen werden können?

Diese Fragestellungen beschreiben häufige problematische Situationen des Musikunterrichts. Kinder sind aus ganz unterschiedlichen Gründen oft nicht in der Lage, zuhause einen geregelten Übeprozess aufzunehmen und weiterzuführen. Bestimmte Kinder können einen Übeprozesses erst aufnehmen, wenn jemand mit ihnen spielt und übt. Wünschen Sie sich für Ihre Schülerinnen und Schüler in der Vorbereitung für Vorspiele oder zu spezifischen Themen wie etwa der Einführung des Pedalspiels beim Klavier oder der Einführung neuer Rhythmen bessere Unterstützungsstrukturen?

Für solche Situationen wurde das Modell ‚Uebe-Coaching’ entwickelt. Das Modell ist sehr einfach anzuwenden; um den individuellen Bedürfnissen und Gegebenheiten im Unterricht gerecht zu werden, basiert es auf wenigen feststehenden Strukturelementen. Für ein Uebe-Coaching brauchen Sie lediglich eine/n Ihrer jugendliche/n Schüler/innen zu finden, der/die bereit ist, während eines Semesters einmal pro Woche für etwa 30 Minuten mit dem Kind zu
üben. Diese/r Jugendliche ist Coach des Kindes und gleichzeitig Ihr/e Assistent/in, denn Sie stellen das Coaching-Paar aus Schüler/innen Ihrer Klasse zusammen, führen und unterstützen es. Das Coaching findet zuhause beim Kind statt, denn das Musizieren soll in der Familie mehr ‚Raum’ erhalten, zudem
stösst damit das Coaching bei den Eltern des Kindes auf grössere Akzeptanz. Aus Gründen der Vorbildfunktion ist die Gleichgeschlechtlichkeit des Coaching-Paares von Vorteil. In unserem Praxis-Test wurden Jungen jedoch mit grossem Erfolg auch von Mädchen gecoacht. Als Lehrperson benötigen Sie in jedem Fall das Einverständnis aller Beteiligten.

Sie können dem jugendlichen Coach gezielte Aufträge erteilen; vielleicht genügt Ihnen aber einfach die Gewissheit, dass das Kind zuhause im Verlaufe der Woche nochmals mit jemandem spielt. Sie bestimmen über die Inhalte des Coachings, am besten nach Absprache mit dem Coach, weil Sie ihm damit Ihr Vertrauen signalisieren. Für Jugendliche bedeutet dieser Job als Coach eine spannende Herausforderung, ermöglichen doch solche weitgehend autonome Lernfelder entscheidende Entwicklungsschritte. Sie eignen sich dabei wichtige Schlüsselkompetenzen an, die in der Erwachsenenwelt von Bedeutung sein werden. Jugendliche lernen durch Lehren, sie testen und verbessern dabei ihre
Kompetenzen im Bewusstsein, nicht die Lehrperson mit entsprechenden Kompetenzen und Verantwortung zu sein. Möglicherweise werden Sie beim Coach Qualitäten entdecken können, die Ihnen bis anhin nicht aufgefallen waren. Sie sollten deshalb Ihre Auswahl nicht auf Jugendliche mit überdurchschnittlichen
musikalischen Qualitäten beschränken. Entscheidend bei den Jugendlichen ist ihre Nähe zum Kind, was sie zu idealen Lernpartner/innen für Kinder macht.

Im gesamten Verlauf des Coachings ist eine klare und ausreichende Kommunikation wichtig. Finden Sie in Ihrer Führung des Coaching-Paares eine gute Mischung aus Vertrauen und Unterstützung, wird das Coaching für alle Beteiligten zu einem Erfolg werden. Die Kinder werden motivierter sein, was
auch von deren Eltern sehr schnell wahrgenommen wird. Für die Jugendlichen erhält der Musikunterricht eine neue Dimension, die sie bisher möglicherweise etwas vermissten. Vielleicht entdecken Sie bei Ihren jugendlichen Schüler/innen überraschende Assistent/innen-Qualitäten, die auch bei anderen Gelegenheiten gerne unter Beweis gestellt werden. Sie werden sich trotz etwas Mehraufwand durch die Assistenz des Coachs entlastet fühlen und mit der Veränderung des Unterrichtssettings in Richtung Teamworking wird für alle Beteiligten eine neue, identifikationsstiftende Qualität entstehen.

Eine ausführliche Beschreibung des Modells ‚Uebe-Coaching’ und dessen lernpsychologischen Aspekten finden Sie in der folgenden Anleitung. Um Ihnen authentische Praxiserfahrungen zu vermitteln, wurde eine Vielzahl von Zitaten der am Praxistest Beteiligten (Kinder, Eltern der Kinder, Coachs, Lehrpersonen) einbezogen.