Published April 3, 2024 | Version 1.0
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Negative Emissionen: Eine neue Phase der Klimapolitik zur Reduktion der globalen Erwärmung auf 1 °C über vorindustriellem Niveau.

Description

Summary: Der neue Synthesebericht des Weltklimarates projiziert, dass es kaum noch gelingen dürfte, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Kipppunkten zeigen zudem, dass unumkehrbare Veränderungen des Erdsystems mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden, wenn der bereits heute erreichte atmosphäri­sche CO2-Gehalt nicht wieder auf ein niedrigeres Niveau zurückgeführt wird. Mengenmäßig ist eine Absenkung der atmosphärischen CO2-Konzentration von heute rund 424 ppm auf 350 ppm nötig. Der Wert von 350 ppm würde gegenüber dem vorindustriellen Wert von 280 ppm einer Erwärmung um ca. 1°C entsprechen.

Politisch festgelegte Zielmarken sollten an den Fortschritt naturwissenschaftlicher Erkennt­nisse angepasst werden. Es sollten jährlich internationale Festlegungen und konkrete Schritte in Richtung auf dieses 1°C-Ziel unternommen werden. Dies wäre eine neue Phase in der Klimapolitik, in der neben dem prioritären Ziel der Vermeidung jeglicher Treibhaus­gasemissionen das sekundäre Ziel der raschen Erreichung negativer Emissionen vor 2050 als zweiter Ast der weltweiten Klimastrategie hinzuträte. Dieses sekundäre Ziel darf – auch in finanzieller Hinsicht – auf keinen Fall die zu verstärkenden Anstrengungen zur Emissions­minderung beeinträchtigen. Während der Staat die Rahmenbedingungen zu setzen hat, müssen bei der Finanzierung negativer Emissionen auch nichtstaatliche Akteure eine wich­tige Rolle spielen.

Die Ansätze der CO2-Entnahme und -Einlagerung (Sequestrierung) in naher Zukunft in der nötigen Größenordnung hochzuskalieren, ist ein ambitioniertes, aber nicht utopisches Ziel. Pflanzenbasierte CO2-Entnahmen werden eine wichtige Rolle spielen, aber nicht das Volu­men bewältigen können, welches nötig ist. Die preisgünstige Verfügbarkeit von erneuerba­ren Energien an vielen Orten der Welt ermöglicht zunehmend den Einsatz von technologi­schen Ansätzen, trotz ihres hohen Energiebedarfs. Neben klimaethischen Aspekten (mit Konsequenzen für die Finanzierbarkeit dieses Ansatzes) stehen in diesem Beitrag die physi­kalische und technische Umsetzbarkeit zur Diskussion. Die dauerhafte Einlagerung von CO2 im geologischen Untergrund gilt als vergleichsweise sicher und es sind genügend Kapazitä­ten vorhanden, z. B. in porösen Formationen. Am sichersten ist die Einlagerung in den For­mationen, in denen das CO2 mineralisiert. Als Technologien für das Einfangen des Gases kommen vor allem Direct Air Capture (DAC) und – mit Einschränkungen – Bioenergy Car­bon Capture and Sequestration (BECCS) in Frage. Daneben könnten z. B. beschleunigte Ver­witterung und Aufforstung (auch ohne BECCS) und die Kohlenstoffanreicherung in Böden oder Mooren substantielle Beiträge liefern. Auch die Biodiversitätskrise erfordert große Flä­chen für den Artenschutz, die gleichzeitig zur biologischen CO2-Entnahme genutzt werden können.

Das deutsche Kohlendioxid-Speicherungsgesetz ist in dieser neuen Phase der Klimapolitik nicht mehr zeitgemäß, denn es verbietet den Transport und die Einlagerung von CO2.

Zitationsvorschlag/Suggested citation: Tremmel, J., Steinberger, B., Linow, S., Breyer, C., Gerhards, C., Voll­mer, D., Zens, J., Fichter, C., Masurenko, C. (2024). Negative Emissionen: Eine neue Phase der Klimapolitik zur Reduktion der globalen Erwärmung auf 1°C über vorindustriellem Niveau. Diskussionsbeiträge der Scientists for Future, 15, 1–43. doi: 10.5281/zenodo.10828229

Abstract

The Intergovernmental Panel on Climate Change's new synthesis report projects that it is unlikely that it will be possible to limit global warming to 1.5°C. The latest scientific findings on tipping points also show that irreversible changes to the Earth system are highly likely to occur if the atmospheric CO₂ content already reached today is not reduced to a lower level. In terms of quantity, a reduction in the atmospheric CO₂ concentration from today's around 424 ppm to 350 ppm is necessary. The value of 350 ppm would correspond to a warming of around 1°C compared to the pre-industrial value of 280 ppm.

Politically determined targets should be adapted to the progress of scientific knowledge. International determinations and concrete steps towards this1°C target should be taken annually. This would be a new phase in climate policy in which, in addition to the primary goal of avoiding all greenhouse gas emissions, the secondary goal of quickly achieving nega­tive emissions before 2050 would be added as a second branch of the global climate strat­egy. This secondary goal must under no circumstances – including from a financial perspec­tive – affect the efforts to reduce emissions which need to be reinforced. While the state must set the framework conditions, non-state actors also have an important role to play in financing negative emissions.

Scaling up the CO2 extraction and storage (sequestration) approaches to the necessary scale in the near future is an ambitious but not utopian goal. Plant-based CO2 extractions will play an important role but cannot handle the volume required. The inexpensive availa­bility of renewable energies in many places around the world increasingly enables the use of tech­nological approaches despite their high energy requirements. In addition to climate-ethical aspects (with consequences for the financial viability of this approach), the physical and technical feasibility are discussed in this article. The permanent storage of CO₂ in the geo­logical subsoil is considered comparatively safe and there is sufficient capacity, e.g. in po­rous formations. The safest option is to store it in the formations in which the CO₂ miner­ali­zes. Technologies for capturing the gas include especially direct air capture (DAC) and – with limitations – bioenergy carbon capture and sequestration (BECCS). In addition, accel­erated weathering and afforestation (even without BECCS) and carbon accumulation in soils or moors could make substantial contributions. The biodiversity crisis also requires large areas for species protection that can also be used for biological CO2 removal. The German Carbon Dioxide Storage Act is no longer up to date in this new phase of climate policy because it prohibits the transport and storage of CO₂.

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Diskussionsbeiträge_S4F_15_Negative_Emissionen_-_Tremmel_et_al._2024_1.0.pdf