«Ausländer müssen sich doch nur integrieren» – Zur Konstruktion von Heterogenität und symbolischen Grenzen in Berufsschulen
Creators
Description
Die Überwindung von nationalstaatlichen Grenzen spielt nicht nur zum eigentlichen Migrationszeitpunkt eine Rolle. Migrantinnen und
Migranten sind häufig auch danach mit sozialen Hürden in der Einwanderungsgesellschaft konfrontiert, die sich an Benachteiligungen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Gesundheits- und Bildungswesen oder bei der Erlangung eines rechtlichen und politischen Status festmachen lassen (Achermann & Gass, 2003). Die Migrationsforschung beschäftigt sich deshalb seit langem mit den eingeschränkten Zugängen zu gesellschaftlich relevanten Gütern, Ressourcen oder Positionen und den damit einhergehenden eingeschränkten Lebenschancen. Untersucht wird dabei, wie sich soziale Ungleichheit für verschiedene Migrantengruppen strukturell präsentiert oder vielleicht bereits überwunden ist (Bolzman et al., 2003; Juhasz & Mey, 2003). In der Schweizer Berufsbildung sind Jugendliche, die selbst oder deren Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien eingewandert sind, in Übergangsausbildungen, zweijährigen EBA- im Vergleich zu drei- oder vierjährigen EFZ-Ausbildungen, sowie in Berufen mit geringerem schulischen Anspruchsniveau stark übervertreten (Bergman et al., 2011). Dies hat u. a. auch etwas mit Diskriminierung auf dem Lehrstellenmarkt durch die Lehrbetriebe zu tun (Imdorf, 2010). Doch wie werden solche strukturellen Benachteiligungen eigentlich im Lebensalltag von Individuen aufgegriffen, gedeutet, legitimiert, reproduziert oder vielleicht auch bekämpft? Diese Fragen sind Gegenstand dieses Kapitels mit Blick auf die Berufsschule, insbesondere auf den Umgang von Lehrpersonen mit ethnischer und religiöser Heterogenität ihrer Schülerschaft. Individuelle oder kollektive Akteure sind mit ihren
alltäglichen Kommunikations-, Bewertungs- und Interaktionsschemen an der (Re-)Produktion von Ungleichheiten beteiligt – sie legitimieren, unterlaufen, oder bekämpfen auf ihre Art und Weise die manifesten sozialen Ungleichheiten, die sich auf sozialstruktureller Ebene beobachten und beschreiben lassen (Neckel & Sutterlüty, 2008). Diese lebensweltlichen Ungleichheitsmechanismen werden hier als symbolische Grenzen verstanden, d. h. als alltägliche Klassifikationen zwischen einem «Wir» und «den Anderen» (Lamont & Molnar, 2002). Symbolische Grenzen können sich sehr subtil äussern; Forderungen wie: «Ausländer müssen sich ja nur integrieren, wenn sie akzeptiert werden wollen», machen dabei nicht nur einen Unterschied zwischen «Ausländern»1 und «Schweizern», sondern auch Aussagen über das Kriterium der Zugehörigkeit. Symbolische Grenzen sind deshalb selten neutral, sondern gehen mit sozialen Auf- und Abwertungen einher, wobei Anerkennung beziehungsweise Missachtung (Honneth, 2003) wiederum auch zum Gegenstand von Verhandlungen werden können. Viele Strömungen der Migrations- und Integrationsforschung legen den Fokus auf die kulturellen Differenzen der Migrantinnen und
Migranten und schauen, ob sie sich «kulturell angepasst» haben oder «integriert sind». In diesem Beitrag interessiert hingegen, ob solche Bewertungskriterien an gesellschaftlicher Relevanz verloren haben oder nicht. Im Zentrum stehen also die Fragen, wo ethno-nationale Grenzlinien zwischen einem «Wir» und «den Anderen» verlaufen und welche Narrative zu ihrer Rechtfertigung oder ihrer Infragestellung herangezogen werden (Duemmler, 2015). Diese Narrative stützen sich häufig auf das Postulat der «kulturellen Differenz» (Dahinden, 2014). Es handelt sich dabei um mehr als einen Perspektivenwechsel. Mit dem Fokus auf symbolische Grenzziehungen werden jene Ansätze kritisiert, die dazu tendieren, kulturelle Differenzen zu essentialisieren und zu homogenisieren und als Erklärungsfaktor für die unterschiedlichsten sozialen Phänomene heranzuziehen (Dahinden, 2014). Der Grenzziehungsansatz (Alba, 2005; Korteweg & Yudakul, 2009; Lamont & Molnar, 2002) versteht sich als Revision der klassischen Integrations- und Assimilationstheorien, welche die kulturelle Anpassungsleistung der Einwanderer als das wichtigste Kriterium für ihre Aufnahme in die 1 Unterscheidungen wie «Ausländer/Schweizer» wurden im Berufsschulalltag verwendet und werden hier nicht als analytische Kategorien aufgegriffen, sondern um zu zeigen, wo entlang alltägliche Grenzen verlaufen. Einwanderungsgesellschaft formulieren (Duemmler & Dahinden, 2016). Der Grenzziehungsansatz fokussiert auf die Offenheit oder Geschlossenheit der Aufnahmegesellschaft und ihrer Institutionen selbst, in dem Fall hier auf die Berufsschule und die Lehrpersonen. Im Folgenden wird der theoretische Ansatz der symbolischen (und sozialen) Grenzziehungen skizziert. anschliessend wird das methodische Vorgehen der Studie in Schweizer Berufsschulen dargelegt, wobei vor allem der Umgang mit ethnischer und religiöser Heterogenität im Kontext der Schweizer Einwanderungsgesellschaft interessiert. Im Anschluss daran werden die zentralen Ergebnisse präsentiert, die sich auf die Analyse von Beobachtungen in der Berufsschule und Leitfadeninterviews mit Lehrpersonen stützt. Zum Schluss werden die Ergebnisse unter einer symbolischen Grenzziehungsperspektive diskutiert, die Konsequenzen für eine heterogene Schülerschaft aufgezeigt und einige Empfehlungen
für den Umgang mit Heterogenität gegeben.
Files
Duemmler_2019.pdf
Files
(1.7 MB)
Name | Size | Download all |
---|---|---|
md5:308fe475bfe5e84df43174f66b9a21e6
|
1.7 MB | Preview Download |