Published May 23, 2022 | Version 3
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Die Versorgung chronischer Wunden durch das österreichische Gesundheitssystem – eine Übersicht

  • 1. Ludwig Boltzmann Research Group Senescence and Healing of Wounds
  • 2. University of Vienna

Description

Kurzfassung

Eine Wunde ist der Integritätsverlust der Haut als Barriere zwischen der Umwelt und dem Körper. Die meisten Wunden, wie z.B. einfache Schnittwunden oder Schürfungen, heilen innerhalb weniger Wochen spontan ab. Es gibt jedoch Wunden, die nur durch andauernde medizinische Behandlung geheilt werden können, und auch solche, wo trotz intensiver Bemühungen der Wundverschluss nicht möglich, bzw. nicht das primäre Ziel ist. Es wird in diesem Zusammenhang von chronischen Wunden gesprochen. Zu den besonders häufigen Ursachen dieser schwer- und nichtheilenden Wunden zählen die chronische venöse Insuffizienz, Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Druckwunden durch Bettlägerigkeit, komplexe Operationswunden, sowie bestimmte Tumoren. Der Heilungsverlauf kann zusätzlich durch Infektionen beeinträchtigt werden.

Chronische Wunden verursachen schwerwiegende Einbußen gesundheitsbezogener Lebensqualität durch mögliche Folgen wie Schmerzen, Mobilitätsverlust, Stigmatisierung durch Wundgeruch und Flüssigkeit, und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Internationale Studien gehen von einer Prävalenzspanne von zwischen 2 und 50 pro 1000 Personen aus. Wichtiger als diese absoluten Werte ist die Beobachtung einer rapiden Zunahme, die für England auf 11% pro Jahr beziffert wurde. Einerseits sind die Risikofaktoren an einer chronischen Wunde zu leiden stark altersassoziiert - das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren - wodurch sich mit der Bevölkerungsalterung ein natürlicher Zuwachstrend ergibt. Andererseits nehmen chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Adipositas zu, die auch vermehrt Menschen im erwerbsfähigen Alter betreffen. Zur Prävalenz in Österreich gibt es keine wissenschaftlich publizierten Statistiken. Es ist aber davon auszugehen, dass die Situation ähnlich den in diesen Studien genannten Werten sein dürfte. 

International nimmt die Aufmerksamkeit für chronische Wunden seit 1990 stetig zu: in der Forschung, klinischen Praxis sowie Gesundheitspolitik - wie anhand von Fach- und populären Veröffentlichungen nachvollziehbar. In Österreich erfährt das Thema ab 2010 vermehrt Beachtung. Den Antrieb gab zum einen die Pflegegemeinschaft, welche ihr Selbstverständnis weiterentwickelte und mobilisierte. Zum anderen positionierte sich die Medizinprodukteindustrie. Beide Akteur:innen gingen eine Allianz ein. Seit der Novellierung des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes von 2016 ist die Pflegetätigkeit Wundmanagement gesetzlich verankert und wurde in Folge auch in den österreichischen Strukturplan Gesundheit aufgenommen. Die Versorgung chronischer Wunden ist ein Querschnittsthema. Unterschiedliche medizinische Berufe und mehrere ärztliche Disziplinen sind daran beteiligt, da zugrunde liegende Erkrankungen therapiert werden müssen und auch die Wundbehandlung selbst unterschiedliche diagnostische Tests und Schritte verlangt. Die für Behandlung notwendige interdisziplinäre und interprofessionelle Koordination ist nicht institutionell verankert und findet auf informeller Basis statt.

In der Praxis sowie der Gesundheitsplanung fällt die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden vor Allem in die Primär- und ambulante Fachversorgung. Die Behandlung ist voraussetzungsvoll, nicht nur wegen den spezialisierten Fachkenntnissen. Ein Verbandswechsel kann gut mehr als eine halbe Stunde in Anspruch nehmen und ist u.U. mehrmals die Woche nötig. Auch müssen Behandlungsräumlichkeiten zwischen den Konsultationen desinfiziert werden. Für kleine Ordinationen der Allgemeinmedizin kann dies eine logistische Herausforderung sein. In der ambulanten Fachversorgung gibt es in Österreich einige auf chronische Wunden spezialisierte Spitalsambulatorien und Facharztordinationen. Ob diese in ihrer geographischen Verteilung und ihrer Kapazität den Behandlungsbedarf optimal abdecken, kann in diesem Bericht nicht beurteilt werden, da entsprechende Statistiken fehlen. Ein Hinweis, dass die öffentliche Versorgung in diesem Gebiet nicht optimal ist, liefert die Existenz eines Marktes für Dienstleistungen freiberuflicher Gesundheits- und Krankenpflegender mit Weiterbildung Wundmanagement. Sie versorgen Patient*innen u.A. durch Hausbesuche. Diese Dienstleistungen sind privat zu bezahlen und stellen eine finanzielle Belastung für die Betroffenen dar. Dennoch werden sie rege genutzt. Hinsichtlich einer aktiven Rolle von chronischen Wund-Patient*innen - beziehungsweise Patient*innen mit einer Grunderkrankung, die ein Risiko für chronische Wunden darstellt – und ihren Angehörigen ist festzuhalten, dass wenig bis keine Gesundheitsinformationen verfügbar sind, die sie für Prävention sowie die Beteiligung an der eigenen Behandlung verwendet werden könnten.

Verbandstoffe und andere Heilbeihilfen sind für die Wundbehandlung unerlässlich. Sie werden durch die Sozialversicherungen vergütet, insofern sie in den sogenannten OST-Vertrag aufgenommen worden sind. Der OST-Vertrag vereint Aspekte des Kostenmanagements, der Qualitätssicherung und der Materialbeschaffung. Die Interessen der Sozialversicherungen, der Verbandsstoffbranche und der medizinischen Praxis treffen dort aufeinander - was zu kontroversen Diskussionen zu der Anzahl der in den Katalog aufgenommener Produkte führen kann. Die Fehlversorgung mit Verbandstoffen ist laut Professionisten eine häufige Tatsache, da Patient*innen z.T. auf Bestellungen warten müssen, oder mit zu viel Material versorgt werden. Es gibt große Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Chronische Wunden verursachen direkte – wie die medizinische Behandlung – und indirekte Kosten, - wie  den Verlust an Einkommen und Lebensqualität für die Patient*innen und unterstützenden Angehörigen. Für Österreich gibt es keine entsprechende Kostenschätzungen. Die Leistungstarife sind jedoch bekannt. Sie variieren stark zwischen dem intra- und extramuralen Bereich. In Letzterem gibt es aktuell große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Für eine Kostenschätzung fehlen jedoch die Fallzahlen. Auch die indirekten Kosten werden de facto nicht erfasst.

Es gibt keinen nationalen Qualitätsstandard im Bereich der Wundversorgung. Es kann aber auf bestehende Leitlinien aus dem deutschsprachigen Raum zugegriffen werden; diese bedürfen jedoch einer Aktualisierung, da ihre Gültigkeit abgelaufen ist. Medizinische Einrichtungen setzen derzeit hausinterne Leitfäden ein. Es gibt keine Standardisierung über institutionelle Grenzen hinaus. Ebenso gibt es mehrere Anbieter von Fort- und Weiterbildungen im Bereich Wundmanagement, deren Lernziele und Evidenzbasis nicht harmonisiert sind. Aus der Praxis wird berichtet, dass es die Behandlungsqualität nicht immer ausreichend ist, was mit einer unzureichenden Qualitätssicherung erklärt wird.

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