Published January 1, 2014 | Version v1
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Niederschwelliger Zugang zum Musikunterricht: Chancen der Zusammenarbeit von Musikschule und Jugendkulturzentrum

  • 1. Hochschule Luzern
  • 2. (Autor/in)

Description

Musikmachen erfreut sich unter Jugendlichen in der Schweiz grosser Beliebtheit. Gemäss einer aktuellen Studie (Willemse et al. 2012) musiziert knapp ein Drittel der Heranwachsenden zwischen 12 und 19 Jahren täglich oder mehrmals pro Woche. Auffallend ist der Unterschied zwischen Jugendlichen mit Schweizer Wurzeln und Gleichaltrigen mit Migrationshintergrund: Während bei diesen 20 Prozent selbst Musik machen, sind es bei jenen 34 Prozent. Noch grössere Differenzen ergeben sich bezüglich sozioökonomischem Status. Dieser Befund deckt sich mit früheren, nicht quantifizierten Feststellungen zur Reichweite von Musikschulen in Deutschland, die nur bestimmte (bildungsnahe) Schichten ansprechen (Görtz 1998, 57). Andererseits sind von soziokulturellen Animatoren und Animatorinnen betriebene Jugendzentren «zum Treffpunkt für materiell benachteiligte bzw. für bildungsbenachteiligte Jugendliche» geworden; sie werden überdurchschnittlich oft von Jugendlichen mit Migrationshinter-grund besucht (Hill 2004c, 336), wobei Musik als wichtiges Instrument der Sinnaneignung und Orien-tierungsfindung dient (Freund 1998, 517).


Das Entwicklungsprojekt «Niederschwelliger Zugang zum Musikunterricht» schuf deshalb eine Schnittstelle zwischen einem Jugendkulturzentrum (industrie45 Zug) und einer Musikschule (Musik-schule Zug). Ziel des Projekts war es, sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche der Sekundarstufe I in einem zweisemestrigen Programm zum eigenen Musizieren und zum regelmässigen Besuch von Musikunterricht hinzuführen. Auf Workshops zu verschiedenen popmusikalischen Themen folgte ein Bandworkshop, der in einem Auftritt beim lokalen Rockfestival gipfelte.


Die mit dem Projekt verknüpfte Begleitforschung der Hochschule Luzern fragte sowohl nach Spezi-fika der Vermittlungsprozesse wie auch nach den Gelingensbedingungen und umfasste Interviews mit den beteiligten Jugendlichen, dem Projektleiter und den Stakeholdern sowie Beobachtungen während der Workshops. Dabei bestätigten sich Befunde über die Bedeutung des Lernens mit und von Peers (Lebler 2008) und über geschlechtsabhängige Differenzen im Erarbeiten von eigenen Songs (Abramo 2011), die beim untersuchten Projekt allerdings teilweise durch Alterseffekte überlagert wurden. Bezüglich Motivation scheint nicht so sehr das gespielte Repertoire entscheidend – ist Rock- und Popmusik doch schon seit längerem auch Thema des schulischen Musikunterrichts (Jost 2010) –, sondern der Aspekt der «Authentizität», der Bezug zur «Real-World-Music» (Väkevä 2009), mithin die Einbindung in eine «Szene», zu der der Auftritt am lokalen Rockfestival die Initiation war. Als demotivierend empfanden einige Jugendliche die mangelnde Verbindlichkeit ihrer Peers und die unterschiedlichen Voraussetzungen, die jedoch durch die Workshops teilweise ausgeglichen werden konnten.


Da die Musikschule Zug sozial abgestufte Tarife kennt, waren finanzielle Hürden nicht entscheidend für den Verzicht auf die Nutzung des Musikschulangebots. Die Forschung zeigte, dass die Schwellen weniger äusserlicher Natur waren, sondern vielmehr im jeweiligen Selbstverständnis der Institutionen gründen. Während die musikalische Aktivität im Jugendzentrum eher dem Bereich der «Community
Music» (Elliott 2012; Higgins 2012) angehört, wo das integrative Element von grosser Bedeutung und die musikalische Qualität sekundär ist, versteht sich die Musikschule als Bildungseinrichtung, in der formales Lernen mit entsprechendem Üben im Zentrum steht.


Wenn Musikschulen zu «Zentren gesellschaftlicher Musikalisierung» (Schmidt & Gerland 2007) werden sollen, braucht es eine Öffnung gegenüber neuen Vermittlungsformen, Repertoires und institutio-nellen Partnern. Für Jugendzentren hingegen bleibt zu überlegen, wie sie von Verbindlichkeit und Qualitätsbewusstsein der Musikschulen profitieren können. Die Chance, dass sich die verschiedenen Akteure in der Musikvermittlung dereinst näher kommen und verbindliche «Bündnisse für Bildung» (VdM 2012) in «lokalen Bildungslandschaften» (Mack 2012) eingehen, liegt «in der wechselseitigen Anerkennung ihres Differenzverhältnisses und in der Kooperation ‹auf gleicher Augenhöhe›» (Josties 2007, 74).

Notes

+ zhb_1163507 + Reihe: Forschungsbericht der Hochschule Luzern - Musik, 9

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