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Published November 29, 2018 | Version v1
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Schnappschüsse und das Urheberrecht

  • 1. Plazi

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Gastkommentar in the Neue Zürcher Zeitung

Neue Zürcher Zeitung, Zuschriften P.11, Donnerstag, 29. November 2018

TRIBÜNE

Schnappschüsse und das Urheberrecht

In der laufenden Revision des Urheberrechtsgesetzes ist vorgesehen, sämtliche Fotografien unter rechtlichen Schutz zu stellen. Jede fotografische Aufnahme, von Profis oder Amateuren gemacht, jeder Schnappschuss mit einem Mobiltelefon, jedes Röntgenbild, jedes computertomografische Bild und jede wissenschaftliche Illustration, die auf fototechnischem Wege erstellt wurde, gilt dabei als Fotografie. Einzige Einschränkung ist, dass ein dreidimensionales Objekt abgebildet werden muss. Damit sollen Fotokopien von der Regelung ausgenommen werden.

Begründet wird diese Neuerung mit dem Wunsch, die professionellen Fotografinnen und Fotografen gegen die unbewilligte Nutzung ihrer Fotos zu schützen. Dieses Anliegen mag berechtigt sein, aber die vorgeschlagene Regelung schiesst weit über dieses Ziel hinaus. Sie definiert nicht eine schützenswerte Leistung von Berufsleuten, sondern erklärt jede Betätigung des Auslösers eines Mobiltelefons zur rechtlich relevanten Handlung.Auch wer versehentlich den Auslöser drückt, hätte ein geschütztes Objekt geschaffen.

Befürworter des Fotoschutzes weisen darauf hin, dass es eine solche Bestimmung auch in Deutschland gebe. Das ist oberflächlich betrachtet richtig. Die betreffende Regelung stammt aber aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts, also aus einer Zeit, als Fotografieren noch ein zeitlich und technisch aufwendiges und kompliziertes Unterfangen war. Damals war vielleicht noch klar, welche Leistung da geschützt wurde. Heute weiss das auch in Deutschland niemand mehr.

Klar ist aber, welches die Folgen einer solchen Regelung wären: Museen, Archive, Dokumentarstellen und viele andere solche Einrichtungen müssten ihre Fotosammlungen für die Öffentlichkeit unzugänglich machen. Da es ihnen nur mit unverhältnismässigem Aufwand oder überhaupt nicht möglich wäre, die Fotografinnen und Fotografen der bei ihnen vorhandenen Bilder ausfindig zu machen und deren Einwilligung zur weiteren Nutzung zu erhalten, müssten sie auf die Verwendung dieser Fotos verzichten. Das gälte nicht nur für die grossen Fotosammlungen, sondern auch für jede thematische Fotodokumentation, für jedes Ortsmuseum, für jedes Vereinsarchiv.

Besonders gravierend wäre die Neuerung aber für die wissenschaftliche Forschung. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nicht nur beschrieben, sondern visualisiert werden müssen. Bilder sagen mehr als tausend Worte, wie eine auch für die Wissenschaft gültige Redewendung besagt. Die Verwendung von Bildern in der wissenschaftlichen Forschung steigt daher rasant an. Das kann aber nur so lange funktionieren, als diese Bilder auch frei zugänglich und nicht hinter Bezahlschranken versteckt sind.

Die weltweite Forderung nach «Open Access» zu Forschungsergebnissen, die auch von der schweizerischen Wissenschaftspolitik mitgetragen wird, bezieht sich daher nicht nur auf Texte, sondern auch auf Fotos, Grafiken und andere Illustrationen. Nur mit einem freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und den darin enthaltenen Bildern ist die Nutzung vorhandener Erkenntnisse für die weitere Forschung und Innovation gesichert.

Jede Foto, die von einem Fotografen oder einer Fotografin bewusst gestaltet wird, ist heute als Werk des Urheberrechts geschützt. Die Idee, zusätzlich auch noch jede noch so banale Foto zu schützen, ist einfach absurd. Ein solcher Rundumschlag kann auch nicht mit dem Schutz professioneller Fotografinnen und Fotografen begründet werden, denn er nützt dieser Berufsgruppe kaum. Aber er richtet riesigen Schaden an, weil er einerseits unser ganzes fotografisches Erbe der Öffentlichkeit entzieht und andererseits den Einbezug von Bildern in die wissenschaftliche Forschung behindert oder auch ganz verhindert.

 

Donat Agosti ist Präsident von Plazi, einer Organisation, welche die öffentliche Zugänglichmachung digitalisierter taxonomischer Literatur sowie von wissenschaftlicher Literatur anderer Bereiche fördern möchte.

 

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