Neue US-Sanktionen erschüttern die syrische Wirtschaft

Nach neun Jahren Krieg liegt Syriens Wirtschaft am Boden. Doch nun lassen neue Sanktionen der USA die Währung noch weiter einbrechen und die Preise in die Höhe schiessen. Der Wiederaufbau des zerstörten Landes wird damit noch schwieriger werden.

Christian Weisflog
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Der Wert der syrischen Währung hat sich in den vergangenen Tagen halbiert, und die Lebenskosten der Bevölkerung werden sich nochmals spürbar verteuern. Hunger macht sich breit – selbst in Regionen, wo längst kein Krieg mehr herrscht, wie in diesem Flüchtlingslager in Hasakeh.

Der Wert der syrischen Währung hat sich in den vergangenen Tagen halbiert, und die Lebenskosten der Bevölkerung werden sich nochmals spürbar verteuern. Hunger macht sich breit – selbst in Regionen, wo längst kein Krieg mehr herrscht, wie in diesem Flüchtlingslager in Hasakeh.

Delil Souleiman /AFP

Noch ist der sogenannte Caesar Act nicht in Kraft. Doch diese Woche wird der amerikanische Präsident die umfangreichen neuen Sanktionen gegen Syrien aktivieren. Kongressmitglieder beider Parteien forderten vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung eine rigorose Umsetzung der Strafmassnahmen. Es gehe um eine Botschaft an das syrische Regime und seine Unterstützer, dass Bashar al-Asad ein Outcast bleibe: «Er wird nie wieder ein legitimer Leader sein.»

Allein die Angst vor den Sanktionen liess die syrische Währung in den vergangenen Tagen weiter fallen. Noch vor wenigen Tagen bezahlten Wechselstuben für einen Dollar etwa 2000 syrische Pfund, jetzt steht der Kurs bei 3000. Der Wert der Währung hat sich somit halbiert, und die Lebenskosten der leidgeprüften syrischen Bevölkerung werden sich nochmals spürbar verteuern. Hunger macht sich breit, selbst in Regionen, wo längst kein Krieg mehr herrscht.

Libanon reisst Syrien mit in die Krise

Die neuen Sanktionen sind aber nur ein Grund für den Währungszerfall, der sich bereits seit Monaten beschleunigt. Vor dem Krieg betrug der Wechselkurs 1 zu 47, doch schon im Januar wurde der Dollar auf dem Schwarzmarkt für etwa 900 Pfund gehandelt. Als Folge haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. 30 000 Pfund kostet inzwischen ein Kilo Pistazienkekse. Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn eines syrischen Beamten liegt bei 50 000 Pfund. «Syrische Süssigkeiten sind jetzt in Deutschland billiger», schreibt der syrische Journalist Danny Makki.

Primär gibt es für die verschärfte Wirtschaftskrise drei Ursachen: die harten amerikanischen Sanktionen gegen Iran, der libanesische Staatsbankrott und die Corona-Pandemie. Teheran gilt als wichtigster Geldgeber des Asad-Regimes. Wie gross Irans Finanzhilfen sind, ist nicht klar, Schätzungen reichen von 30 bis 105 Milliarden Dollar in den ersten sieben Kriegsjahren. Aufgrund der US-Sanktionen schrumpfte die iranische Wirtschaft 2019 aber um über 7 Prozent. Durch die tiefen Erdölpreise und die Corona-Krise wird sich die Rezession dieses Jahr wohl noch verschärfen. Folglich muss Teheran auch in Syrien sparen.

Der Hauptgrund für die rasante Talfahrt der syrischen Währung dürfte aber die Krise in Libanon sein. «Libanon ist das Fenster des syrischen Regimes zur Welt», sagt der syrische Wirtschaftsjournalist Mohammed Bassiki im Gespräch. Regimetreue Unternehmer gründeten dort Firmen und legten ihre Milliarden in libanesischen Banken an. Darüber wickelten sie für Damaskus den Import von wichtigen Produkten wie Erdöl ab, um die internationalen Sanktionen zu umgehen, sagt Bassiki. 2019 etwa vervierfachte sich in Libanon der Import von Diesel. Ein beträchtlicher Teil davon war für den Reexport nach Syrien bestimmt.

Im Herbst allerdings kollabierte das libanesische Finanzsystem. Die Banken hatten die Spareinlagen ihrer Kunden vor allem in hochverzinste libanesische Staatsanleihen gesteckt. Als die Bürger sich weigerten, höhere Steuern zu bezahlen, und im ganzen Land auf die Strasse gingen, ging der hochverschuldete Staat bankrott. Das Schneeballsystem der Banken fiel zusammen, viele Finanzinstitute zahlten den Kunden ihre Dollarguthaben nicht mehr aus. Damit brach auch der Nachschub von Gütern und Devisen nach Syrien ein.

Infolge des rasanten Zerfalls der Währung sind heute für ein paar Süssigkeiten schnell einige tausend syrische Pfund fällig.

Infolge des rasanten Zerfalls der Währung sind heute für ein paar Süssigkeiten schnell einige tausend syrische Pfund fällig.

Khalil Ashaw / Reuters

«Alle syrischen Geschäfte wurden über Libanon abgewickelt. Wir zählen momentan jedes Pfund», sagte ein syrischer Geschäftsmann bereits im November der «Financial Times». Aber nicht nur die syrische Elite leidet unter der libanesischen Krise. Auch die 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in Libanon sind betroffen. Bis vor kurzem schickten sie regelmässig Geld an ihre Verwandten zu Hause. Knapp ein Fünftel der gesamten Rücküberweisungen stammte aus Libanon. Doch in der Wirtschaftskrise haben nun auch viele Flüchtlinge ihre Arbeit verloren.

Gegen die Hoffnung auf Wiederaufbau

Die neuen amerikanischen Sanktionen werden den wirtschaftlichen Druck weiter verschärfen. Nicht nur auf Unternehmen in Syrien, sondern auch in Libanon und anderen Ländern, die mit dem Regime in Damaskus geschäften. «Das Neue am Caesar Act sind vor allem die sekundären Sanktionen gegenüber ausländischen Unternehmen», erklärt Philippe Reich, Sanktionsexperte bei Baker McKenzie.

Die Strafmassnahmen können auch ausländische Personen treffen, die eine «signifikante Transaktion» mit Vertretern der syrischen Regierung eingehen oder mit russischen oder iranischen Rüstungsfirmen kooperieren, die regimetreue Kämpfer oder Söldner in Syrien unterstützen. «Die Begriffe in dem Gesetz sind bewusst breit und vage gefasst, damit man keine Rechtssicherheit hat», erklärt Reich.

Die Sanktionen treffen nicht nur den syrischen Militärkomplex. Auch ausländische Personen, die Damaskus helfen, seine Erdölindustrie zu unterhalten oder zerstörte Städte wieder aufzubauen, müssen künftig mit amerikanischen Strafmassnahmen rechnen. Auch grosse russische Erdölfirmen und andere international tätige Unternehmen müssen sich also genau überlegen, ob sie sich in Syrien engagieren wollen.

«Ziel der Sanktionen ist, dass niemand mehr etwas anfasst, was irgendwie mit Syrien zu tun haben könnte», sagt Heiko Wimmen von der renommierten Denkfabrik International Crisis Group. «Zum anderen ist es ein ganz klares Signal, dass auf absehbare Zeit keine Investitionen für den Wiederaufbau kommen werden. Sei es aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, China oder sonst woher.»

«Caesar» ist der Deckname eines syrischen Militärfotografen, der mit rund 30 000 Fotos von in syrischen Gefängnissen zu Tode gefolterten Häftlingen ausser Landes geflohen war. Die syrische Opposition hofft nun, dass das nach ihm benannte Sanktionsgesetz hilft, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und zu Konzessionen zu zwingen. «Im Kern geht es darum, Bashar al-Asad an den Verhandlungstisch zu zwingen», meint Bassiki.

Der Caesar Act stellt die Aufhebung der Sanktionen in Aussicht, wenn eine Reihe konkreter Forderungen erfüllt ist. So soll das Regime die Luftangriffe auf Zivilisten beenden, politische Gefangene freilassen, die sichere Rückkehr der Flüchtlinge garantieren und Kriegsverbrecher bestrafen. Ob die Sanktionen das Regime beeindrucken werden, ist aber fraglich. Zwar setzt die Wirtschaftskrise dem Regime zu. Vermutlich auch, um seine Kassen zu füllen, enteignete Asad kürzlich seinen milliardenschweren Cousin Rami Makhluf. Am Donnerstag ersetzte der syrische Präsident seinen Regierungschef.

Doch Bassiki glaubt nicht, dass sich Asad durch die Sanktionen erweichen lässt. Das Regime werde Wege finden, mit den Einschränkungen zu leben, während das Leid der Bevölkerung zunehmen werde. «Die syrische Führung betreibt eine geschickte Propaganda», sagt Bassiki. «Die Sanktionen treffen euch, also unterstützt mich», so laute Asads Botschaft an das eigene Volk. Auch die Haltung gegenüber der Opposition sei klar: «Ihr werdet am Verhandlungstisch nicht gewinnen, was ihr im Krieg verloren habt.»

Der syrische Machthaber Bashar al-Asad hat mit Gewalt seine Macht verteidigt, doch er herrscht über ein zerstörtes Land, dessen Wirtschaft am Boden liegt.

Der syrische Machthaber Bashar al-Asad hat mit Gewalt seine Macht verteidigt, doch er herrscht über ein zerstörtes Land, dessen Wirtschaft am Boden liegt.

Yamam Al Shaar / Reuters
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