Published October 15, 2012 | Version v1
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Rezension: Jan Keupp, Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 33.) Ostfildern, Thorbecke 2010

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Die Heidelberger Habilitationsschrift will die historischen Bedingungen von Körper, Kleidung und Selbst im Mittelalter genauer fassen und rückt in kulturhistorischer Perspektive das Gewand und das Individuum in den Mittelpunkt. Untersucht werden vergleichend verschiedenste Quellen: Literarische Spottschriften, satirische und didaktische Werke, theologische Abhandlungen, aber auch normatives Schriftgut. Untersuchungsraum ist vornehmlich das hoch- und spätmittelalterliche Reichsgebiet. Keupp rückt beispielsweise die städtischen Kleiderordnungen in ein neues Licht und verbindet moralische wie religiöse Argumente mit ökonomischen Überlegungen. Kleiderordnungen werden nicht mehr als sozialdistinktive Maßnahmen bewertet, sondern in starker Abgrenzung zur älteren Forschung als ökonomisch und vor allem ethisch-religiöse Regulative gelesen. Dies ist vordergründig überzeugend. Allerdings müsste der Beweis der vielfältigen – ja geradezu individualistisch anmutenden – Deviations- und Distinktionsmöglichkeiten innerhalb dieser regional und chronologisch variierenden normativen Rahmen noch an Gerichtsakten überprüft werden.

Tiefgründig ist die Analyse der Streitigkeiten zwischen cluniazensischen Gemeinschaften und Zisterziensern, vorneweg die Äußerungen Bernhard von Clairvaux’, um die richtige Mönchskleidung. Die Stärke der Arbeit liegt im breit angelegten Vergleich und in der Bearbeitung zahlreicher gedruckter Quellen. Leider geraten durch diese Fülle der spezifisch historische Wandel zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert und die historische Kontextualisierung der einzelnen Quellen häufig aus dem Blickfeld. Die Anwendung von sozialwissenschaftlichen Theorien und Theoremen gibt der Arbeit eine breit abgestützte Basis. Sie überzeugt durch spannende Gegenwartsbezüge. Mode und Kleidung sind und waren „Möglichkeitsinstanzen“ und „Überzeugungssignale“ und somit facettenreiche Zeichenträger. Das ist zwar nicht alles neu, aber in der Verbindung der Diskurse und unterschiedlichen Quellenarten sehr gut dargestellt. Ältere deterministische Thesen zu Kleidung und zu disziplinierenden Kleiderkonventionen sind nun endgültig vom Tisch, und die zukünftige Forschung ist gefordert, die vorliegenden Resultate am konkreten ungedruckten Material zu überprüfen.

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10.1524/hzhz.2012.0497 (DOI)