Anforderungen an die Transparenz einer Zinsberechnungsklausel bei einem Annuitätsdarlehen und an die rückwirkende Neuberechnung von Schuldzinsen
Leitsatz
1. Zur Frage, welche Anforderungen eine kundenbelastende Zinsberechnungsklausel bei Annuitätsdarlehen erfüllen muß, um dem Transparenzgebot zu genügen (Fortführung von BGH, 1988-11-24, III ZR 188/87, BGHZ 106, 42; BGH, 1990-07-10, XI ZR 275/89, BGHZ 112, 115 und BGH, 1991-10-15, XI ZR 192/90, BGHZ 116, 1).
2. Die rückwirkende Neuberechnung der Schuldzinsen eines Annuitätsdarlehens mit intransparenter Zinsberechnungsklausel hat unter taggenauer Berücksichtigung des Tilgungsanteils aller Leistungsraten anhand des vereinbarten Nominalzinssatzes nach der banküblichen linearen, erzielbare unterjährige Zinseszinsen nicht berücksichtigenden Berechnungsmethode zu erfolgen.













vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 29. April 1991, 7 O 4039/90





Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Toussaint, 8. Auflage 2017, § 246 BGB
Fortführung BGH 11. Zivilsenat, 10. Juli 1990, XI ZR 275/89
Fortführung BGH 3. Zivilsenat, 24. November 1988, III ZR 188/87
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Schlußurteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. Mai 1994 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Zinsberechnungsklausel und über die Neuabrechnung bereits getilgter Darlehen.
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In den Jahren 1977 bis 1984 nahm der Kläger, damals geschäftsführender Gesellschafter einer Großhandels-GmbH, im eigenen Namen 22 Annuitätsdarlehen bei der beklagten Sparkasse über insgesamt 5.866.072 DM zu unterschiedlichen Zinssätzen und Auszahlungskursen für Grundstücksgeschäfte auf. Die Formularschuldscheine enthalten u.a. folgende Bestimmungen:
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"2. Verzinsung
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Für das/die Darlehen sind vom Tage der Auszahlung an Zinsen in der von der SPARKASSE jeweils festgesetzten Höhe zu zahlen. Änderungen des Zinssatzes werden dem/den Darlehnsnehmer(n) unter Einhaltung einer Frist von 3 Tagen mitgeteilt. Die Zinsen werden nach Endvalutierung nach dem Stand des Kapitals am Schluß des vergangenen x Kalenderjahres ... Kalendervierteljahres im voraus berechnet und sind mit den Leistungsraten zu zahlen. ...
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3. Festzinssatz
...
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4. Rückzahlung
- 7
4.1. Annuitätsdarlehen
- 8
Das/Die Darlehen ist/sind in x monatlichen ... vierteljährlichen Raten zuzüglich der durch fortschreitende Tilgung ersparten Zinsen zu tilgen. ..."
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Der Kläger hält die Bestimmung Nr. 2 Abs. 2 Satz 1, aufgrund derer die Beklagte die monatlichen Tilgungsleistungen bei der Zinsberechnung bis zum Ende eines jeden Jahres unberücksichtigt gelassen hat, für unwirksam. Er verlangt rückwirkende Neuberechnung der Schuldzinsen unter taggenauer Berücksichtigung aller Tilgungsleistungen und Erstattung der überzahlten Zinsbeträge.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch rechtskräftiges Teilurteil zurückgewiesen, soweit der Kläger die Vornahme der Neuabrechnung durch die Beklagte begehrte. Nachdem er die Zinsen mit Hilfe des Sachverständigen Prof. B. selbst neu berechnet hatte, hat es seinem Antrag auf Erstattung überzahlter Zinsen in Höhe von 152.353,97 DM nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. mit Ausnahme eines Betrags von 65,49 DM stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat einen Bereicherungsanspruch des Klägers wegen überzahlter Schuldzinsen für gegeben erachtet und dazu ausgeführt:
- 13
Die Zinsberechnungsklausel in Nr. 2 der Formularschuldscheine sei intransparent und deshalb wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG nichtig (§ 6 Abs. 1 AGBG). Ihre zinserhöhende Wirkung, die sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut ergebe, werde durch die räumliche Trennung und die mangelnde sachliche Verknüpfung der Zinsberechnungs- und der Tilgungsklausel (Nr. 4.1.) verschleiert. Erst bei Zusammenschau beider Klauseln erschließe sich die Abweichung von dem Grundsatz, daß für getilgte Darlehensbeträge keine Zinsen zu zahlen seien. Daß der Kläger als Geschäftsführer einer GmbH die Bedeutung der Zinsberechnungsklausel habe nachvollziehen können, sei unerheblich. Es komme nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners, sondern auf die eines Durchschnittskunden an. Eine andere Beurteilung könne nur bei Kaufleuten in Erwägung gezogen werden; der Kläger sei indes nicht Kaufmann gewesen.
- 14
Die Unwirksamkeit der Zinsberechnungsklausel mache eine rückwirkende Neuberechnung der Schuldzinsen nach dem jeweiligen Kapitalstand nach Eingang einer Leistungsrate erforderlich. Wie die Neuberechnung zu erfolgen habe, sei streitig. Die bankübliche lineare Methode anhand des vereinbarten Jahresnominalzinssatzes führe zu einer den Nominalzins übersteigenden Effektivverzinsung, weil sie die bei unterjährigen Zinszahlungen vom Darlehensgeber erzielbaren unterjährigen Zinseszinsen unberücksichtigt lasse. Die finanzmathematisch exakte Methode vermeide dieses Ergebnis, indem sie aus dem Jahresnominalzinssatz einen monatlichen Nominalzinssatz errechne. Zu folgen sei der vom Sachverständigen Dr. W. angewandten finanzmathematisch exakten Methode. Tilgungs- und Zinsverrechnung seien in den Bedingungen der Beklagten wirtschaftlich und rechtlich zu einem einheitlichen Paket verknüpft. Die Unwirksamkeit der auf den Jahresstichtag bezogenen Tilgungsverrechnung habe zur Folge, daß nunmehr das jeweilige Monatsende maßgeblicher Berechnungsstichtag auch für die Zinsen sei. Diese seien deshalb mit einem monatlichen Nominalzinssatz zu ermitteln, der nach der finanzmathematisch exakten Methode aus dem jährlichen Nominalzins errechnet sei.
II.
- 15
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Zutreffend ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, die Zinsberechnungsklausel in Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 der Formularschuldscheine sei intransparent und deshalb wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG nichtig (§ 6 Abs. 1 AGBG).
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a) Die Transparenz der von der Beklagten verwendeten Klausel ist anhand der Durchschnittserwartungen und -erkenntnismöglichkeiten von Privatpersonen zu beurteilen, die nicht über besondere Finanzierungserfahrungen verfügen. Daß der konkrete Vertragspartner weitergehende Kenntnisse und Verständnismöglichkeiten hat, bleibt außer Betracht (BGHZ 106, 42, 49; 112, 115, 119; 116, 1, 7; Senatsurteil vom 11. Februar 1992 - XI ZR 151/91, WM 1992, 395, 396). Es ist deshalb, anders als die Revision meint, ohne Belang, daß der Kläger Geschäftsführer einer GmbH war und in den Jahren 1977 bis 1984 22 Kredite über insgesamt fast 6 Millionen DM im eigenen Namen aufgenommen hat. Etwas anderes könnte gemäß § 24 Satz 1 AGBG nur dann gelten, wenn der Kläger Kaufmann gewesen wäre und die Darlehensverträge im Betrieb seines Handelsgewerbes geschlossen hätte (vgl. BGHZ 112, 115, 118 f.; Senatsurteil vom 11. Februar 1992 aaO). Das ist indes nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall.
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b) Für einen Durchschnittskunden ist die Zinsberechnungsklausel intransparent. Es wird nicht hinreichend deutlich, daß sie in Verbindung mit der Tilgungsklausel in Nr. 4.1. zur Weiterverzinsung bereits getilgter Darlehensbeträge führt.
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Die angesprochenen Klauseln stehen in zwei räumlich getrennten und gesondert bezifferten AGB-Absätzen. Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 legt je nach Wahl die Zinsberechnung nach dem Kapitalstand am Schluß des Vorjahres oder des vergangenen Quartals fest. Erst in Nr. 4.1. wird dann bestimmt, daß das Darlehen je nach Wahl in monatlichen oder aber in vierteljährlichen Raten zu tilgen ist. Einen inneren Zusammenhang zwischen beiden Klauseln herzustellen und die zinserhöhende Wirkung zu erkennen, wenn nicht vierteljährlich, nachträglich zu erbringende Leistungsraten und Verzinsung des Kapitals nach dem Stand am Schluß des vergangenen Quartals vereinbart werden, bleibt Aufgabe des Kunden. Damit ist der Durchschnittskunde überfordert (vgl. BGHZ 106, 42, 50; 112, 115, 120 f.).
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Entgegen der Ansicht der Revision ändert der Umstand, daß Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, die Zinsen würden "im voraus" berechnet, daran nichts. Die Weiterverzinsung bereits getilgter Schuldbeträge, die der Erwartung des Durchschnittskunden in besonderem Maße widerspricht (BGHZ 106, 42, 50; 112, 115, 120), wird dadurch mangels einer Verzahnung der Zinsberechnungs- und der Tilgungsklausel nicht - wie erforderlich (Senatsurteil vom 10. Dezember 1991 - XI ZR 119/91, WM 1992, 218, 219) - augenfällig.
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2. Die danach notwendige rückwirkende Neuberechnung der Schuldzinsen durch das Berufungsgericht im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. ist von Rechtsfehlern beeinflußt. Die von Dr. W. vertretene finanzmathematisch exakte Berechnungsmethode und die seinem Gutachten zugrundeliegende Zinsberechnungsformel beruhen auf rechtlich nicht haltbaren Prämissen.
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a) Grundlage der von ihm befürworteten Zinsberechnungsformel ist das Postulat, eine von § 608 BGB abweichende Zinsfälligkeitsabrede dürfe keine Verteuerung des Kredits bewirken. Korrekt sei nur eine Berechnungsweise, die dazu führe, daß der Effektivzinssatz den in den Formularschuldscheinen angegebenen Zinssatz nicht überschreite. In seinem Gutachten (S. 3; s. auch Wehrt ZBB 1994, 161, 164) heißt es insoweit ausdrücklich, die Berechnung der unterjährigen Leistungspflichten nach der finanzmathematisch exakten Methode beseitige den Unterschied zwischen Nominal- und Effektivzinssätzen. Der jährliche Nominalzinssatz entspreche dem jährlichen Effektivzinssatz, ebenso wie der monatliche Nominalzinssatz dem monatlichen Effektivzinssatz entspreche.
- 23
Die Gleichsetzung von Effektiv- und Nominalzinssatz, die der Senat bereits in seinem Urteil vom 5. Oktober 1993 (XI ZR 35/93, WM 1993, 2001, 2003) abgelehnt hat, ist mit dem Willen der Kreditvertragsparteien ersichtlich unvereinbar. Sie haben für die Nutzung des Darlehenskapitals außer Zinsen jeweils ein Disagio in unterschiedlicher Höhe vereinbart. Dieses führt ebenso wie die Vereinbarung unterjähriger Leistungsraten zu einer den festgelegten Zinssatz übersteigenden Effektivverzinsung. Die in den Formularschuldscheinen genannten Zinssätze sind danach Nominal- und keine Effektivzinssätze. Es ist deshalb fehlerhaft, wenn Dr. W., wie geschehen, die festgelegten Jahresnominalzinssätze bei der Ermittlung des Zinsanteils der vereinbarten monatlichen Leistungsraten als Effektivzinssätze behandelt.
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b) Die vom Sachverständigen Dr. W. für richtig gehaltene Zinsberechnungsformel, die unterjährige Zinseszinsen berücksichtigt, beruht, wie er selbst ausführt, auf einem "Denken in überlinearen Zusammenhängen", das "dem menschlichen Gehirn eher fremd ist" (Gutachten S. 9). Nichts spricht dafür, daß diese verkehrsunübliche Berechnungsmethode gleichwohl dem Willen der Parteien entsprechen könnte.
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c) Zu Recht beanstandet die Revision ferner, daß die Berechnung der von der Beklagten erzielbaren unterjährigen Zinseszinsen durch Dr. W. auf einer nicht haltbaren tatsächlichen Annahme beruht. Er geht bei seiner Abrechnung davon aus, der Zins für die Wiederanlage der unterjährig erhaltenen Zinsbeträge durch die Beklagte entspreche stets dem Vertragszins. Davon kann indes keine Rede sein. Wenn ein Darlehensvertrag in einer Hochzinsphase abgeschlossen wurde, hat die Beklagte in einer nachfolgenden Niedrigzinsphase nicht die Möglichkeit, die monatlich erhaltenen Zinsbeträge zum Vertragszins wieder anzulegen.
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d) Das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. ist danach, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, keine brauchbare Grundlage für die notwendige rückwirkende Neuberechnung der Schuldzinsen.
III.
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Das Privatgutachten des Sachverständigen Prof. B., auf dem die Bezifferung der Klageforderung beruht, ist ebenfalls fehlerbehaftet. Dem Gutachten liegt ausweislich Ziffer 1.3 die Prämisse zugrunde, jede vom Kläger erbrachte monatliche Leistungsrate habe in voller Höhe zur Verminderung der Darlehensschuld geführt. Dies trifft bei Annuitätsdarlehen nicht zu (Senatsurteil vom 5. Oktober 1993 - XI ZR 35/93, WM 1993, 2001 f.). Die gleichbleibend hohen monatlichen Leistungsraten setzen sich, wie insbesondere Ziffer 4.1. der Formularschuldscheine zu entnehmen ist, aus einem - kontinuierlich abnehmenden - Zins- und einem - ständig steigenden - Tilgungsanteil zusammen. Nur der jeweilige Tilgungsanteil vermindert die Darlehensschuld. Die Klageforderung ist deshalb in einem noch zu ermittelnden Umfang übersetzt.
IV.
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Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Neuberechnung der Schuldzinsen hat unter taggenauer Berücksichtigung aller Tilgungsleistungen anhand des vereinbarten Jahresnominalzinssatzes nach der banküblichen linearen, erzielbare unterjährige Zinseszinsen nicht berücksichtigenden Berechnungsmethode zu erfolgen.
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