Wirksamkeit formularvertraglicher Globalabtretungen ohne ausdrückliche oder mit ermessensabhängiger Freigaberegelung - Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung
Leitsatz
Aus der fiduziarischen Rechtsnatur von Sicherungsverträgen über nichtakzessorische Sicherheiten folgt auch ohne ausdrückliche Regelung die Pflicht der Sicherungsnehmer, Sicherheiten freizugeben, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt werden. Eine formularvertragliche Globalabtretung ist auch dann wirksam, wenn sie keine ausdrückliche oder eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigaberegelung enthält (Aufgabe der seit BGH, 1989-11-29, VIII ZR 228/88, BGHZ 109, 240ff ständigen Rechtsprechung).
Orientierungssatz
Weitere Zitierungen: Aufgabe BGH, 1992-03-19, IX ZR 166/91, BGHZ 117, 374; BGH, 1994-01-13, IX ZR 2/93, BGHZ 124, 371; BGH, 1994-01-13, IX ZR 79/93, BGHZ 124, 380; BGH, 1994-02-09, VIII ZR 176/92, BGHZ 125, 83; BGH, 1991-04-18, IX ZR 149/90, WM IV 1991, 1237; BGH, 1991-06-19, VIII ZR 244/90, WM IV 1991, 1499; BGH, 1992-11-25, VIII ZR 176/91, WM IV 1993, 213; BGH, 1993-12-08, VIII ZR 166/93, WM IV 1994, 104; BGH, 1994-04-28, IX ZR 248/93, WM IV 1994, 1161; BGH, 1995-05-11, IX ZR 170/94, WM IV 1995, 1394 und BGH, 1995-11-09, IX ZR 179/94, WM IV 1995, 2173.














vorgehend LG Bielefeld, 25. Februar 1994, 11 O 209/93




Walther Schmidt-Lademann, LM AGBG § 6 Nr 27 (9/1996) (Anmerkung)
... mehrHerberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Lapp/Salamon, 8. Auflage 2017, § 306 BGB
● Lapp/Salamon, 8. Auflage 2017, § 307 BGB
● Rosch, 8. Auflage 2017, § 398 BGB
Aufgabe BGH 9. Zivilsenat, 11. Mai 1995, IX ZR 170/94
Aufgabe BGH 9. Zivilsenat, 28. April 1994, IX ZR 248/93
Aufgabe BGH 8. Zivilsenat, 9. Februar 1994, VIII ZR 176/92
Aufgabe BGH 9. Zivilsenat, 13. Januar 1994, IX ZR 2/93
... mehr
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. November 1994 aufgehoben und das Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld vom 25. Februar 1994 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 131.505,17 DM nebst 4% Zinsen von 106.698,61 DM seit dem 13. April 1993 sowie von weiteren 24.806,56 DM seit dem 2. November 1993 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage unter Zurückweisung der Berufung des Klägers abgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 46% und die Beklagte 54% zu tragen. Die Kosten der Rechtsmittelinstanzen fallen dem Kläger zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer Globalabtretung.
- 2
Die beklagte Sparkasse gewährte der H. GmbH (künftig: Gemeinschuldnerin), deren Konkursverwalter der Kläger ist, Kredit im Rahmen von 300.000 DM. Als Sicherheiten dienten drei Höchstbetragsbürgschaften über insgesamt 110.000 DM zuzüglich Zinsen sowie die formularmäßige Globalabtretung vom 10. Januar 1990. In dieser heißt es u.a.:
- 3
Nr. 1 a ...
- 4
"Der Mindestbetrag der abgetretenen Forderungen, bei dessen Unterschreitung sich der Zedent gemäß Nr. 5.1. dieses Vertrages zur Abtretung weiterer Forderungen verpflichtet, soll 300.000 DM, i.W. dreihunderttausend DM, betragen. Die abgetretenen Forderungen dürfen diesen Betrag nicht länger als 2 Wochen unterschreiten. Wird er während der Dauer von 1 Monat ununterbrochen überschritten, kann die Sparkasse gem. Nr. 8 dieses Vertrages Forderungen freigeben."
Nr. 8
- 5
"Sobald die Sparkasse wegen aller ihrer Ansprüche gegen den Kreditnehmer befriedigt ist, ist sie verpflichtet, ihre Rechte aus der Forderungsabtretung freizugeben. Sie ist hierzu schon vorher bereit, sobald und soweit sie diese Rechte nach ihrem billigen Ermessen zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht mehr benötigt. Das gilt insbesondere, wenn und soweit der im Rahmen vorsichtiger Beleihungsgrundsätze von der Sparkasse festgesetzte Deckungswert der abgetretenen Forderungen, wie in Nr. 1 a) bestimmt, überschritten wird."
- 6
Am 29. Juni 1990 fiel die Gemeinschuldnerin in Konkurs. Aufgrund einer mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung zog der Kläger die von der Gemeinschuldnerin abgetretenen Forderungen ein und stellte die Erlöse der Beklagten als Zessionarin zur Verfügung. Diese verrechnete die Summe mit ihrer Kreditforderung und entließ die Bürgen im Dezember 1991 nach Zahlung von insgesamt 70.347,12 DM aus ihren Verpflichtungen.
- 7
Der Kläger ist der Ansicht, die Globalabtretung sei unwirksam, da die ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel eine Übersicherung der Beklagten nicht ausschließe.
- 8
Das Landgericht hat seiner Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Herausgabe der Forderungserlöse über 243.120,24 DM nur in Höhe von 151.271,17 DM zuzüglich Zinsen stattgegeben und im übrigen mit Rücksicht auf die Freigabe der Bürgschaften wegen Wegfalls der Bereicherung abgewiesen.
- 9
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung weiterer 75.830,93 DM zuzüglich Zinsen zu verurteilen. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage begehrt, soweit sie zur Zahlung von mehr als 131.505,17 DM zuzüglich Zinsen verurteilt worden ist. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZIP 1995, 140 ff. veröffentlicht ist, hat das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 224.769,89 DM zuzüglich Zinsen verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren zweitinstanzlichen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
- 10
Die Revision ist begründet; sie führt zur antragsgemäßen Abänderung des landgerichtlichen Urteils.
I.
- 11
Das Berufungsgericht hat einen Bereicherungsanspruch der Gemeinschuldnerin in Höhe von 224.769,89 DM zuzüglich Zinsen für gegeben erachtet und dazu im wesentlichen ausgeführt:
- 12
Die Erlöse aus den abgetretenen Forderungen der Gemeinschuldnerin habe die Beklagte rechtsgrundlos erhalten. Die Globalabtretung vom 10. Januar 1990 sei unwirksam. Durch die Vereinbarung, daß der Kläger die abgetretenen Forderungen einziehen und die Erlöse an die Beklagte abführen solle, sei ein Rechtsgrund nicht geschaffen worden. Auf den Wegfall der Bereicherung infolge Freigabe der Bürgschaften könne die Beklagte sich nicht berufen; ihr Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit der Globalabtretung sei nicht schutzwürdig, da sie deren Unwirksamkeit als Verwenderin des Abtretungsformulars allein zu vertreten habe.
II.
- 13
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand; der Gemeinschuldnerin steht ein Bereicherungsanspruch auf Herausgabe der Erlöse aus den abgetretenen Forderungen nicht zu.
- 14
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, eine Globalabtretung ohne qualifizierte Freigabeklausel sei unwirksam, steht allerdings mit der bisherigen neueren Rechtsprechung des VIII. und IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs im Einklang.
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a) Danach benachteiligt eine formularvertragliche Globalabtretung den Sicherungsgeber nur dann nicht unangemessen (§ 9 Abs. 1 AGBG), wenn darin eine konkrete Deckungsgrenze bestimmt ist, bei deren nicht nur vorübergehender Überschreitung der Sicherungsnehmer zur Freigabe der überschießenden Deckung verpflichtet ist. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, konkrete Deckungsgrenze einerseits oder ausdrückliche ermessensunabhängig ausgestaltete Freigabepflicht andererseits, so wird die Globalabtretung insgesamt als unwirksam angesehen (BGHZ 109, 240, 245 ff.; 117, 374, 377 ff.; 124, 371, 374 ff.; 124, 380, 385 ff.; 125, 83, 87 sowie Urteile vom 18. April 1991 - IX ZR 149/90, WM 1991, 1273, 1278, vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 244/90, WM 1991, 1499, 1500, vom 25. November 1992 - VIII ZR 176/91, WM 1993, 213, 216, vom 8. Dezember 1993 - VIII ZR 166/93, WM 1994, 104, 105, vom 28. April 1994 - IX ZR 248/93, WM 1994, 1161, 1162, vom 11. Mai 1995 - IX ZR 170/94, WM 1995, 1394 f. und vom 9. November 1995 - IX ZR 179/94, WM 1995, 2173, 2174 f.).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Globalabtretung vom 10. Januar 1990 zwar hinsichtlich der Deckungsgrenze; Nr. 1 a des Formularvertrages legt diese entsprechend dem eingeräumten Kreditrahmen auf 300.000 DM konkret fest. Die Pflicht zur Freigabe überschießender Deckung ist in Nr. 8 Satz 2 aber nicht ermessensunabhängig ausgestaltet. Die Globalabtretung wäre deshalb nach bisheriger Rechtsprechung des VIII. und IX. Zivilsenats insgesamt unwirksam (vgl. BGH, Urteile vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 244/90, WM 1991, 1499, 1500 f. und vom 9. November 1995 - IX ZR 179/94, WM 1995, 2173, 2176).
- 17
2. Dieser Rechtsprechung kann jedoch nicht gefolgt werden.
- 18
a) Sie hat im Schrifttum aus verschiedenen Gründen ganz überwiegend Kritik erfahren (Hansjörg Weber JZ 1990, 493, 494; ders. WM 1994, 1549, 1553 ff.; Manfred Wolf, in: Verbraucherkredit, AGB-Gesetz und Kreditwirtschaft (Bankrechtstag 1990) S. 85 f.; Wolf/Ungeheuer JZ 1995, 176, 184 f.; Rehbein JR 1991, 325, 326; Neuhof NJW 1993, 2840 ff.; ders. 1994, 1763, 1765 ff.; ders. NJW 1995, 937, 939; ders. NJW 1995, 1068, 1070; Nobbe WuB I F 4. - 5.94; ders. ZIP 1996, 657, 661 ff.; Rellermeyer WM 1994, 1009 ff. und 1053 ff.; Bruchner, in: Sicherheitenfreigabe und Unternehmenssanierung (Bankrechtstag 1994) S. 35 ff.; Früh DB 1994, 1860, 1861 ff.; Herget BuB Rdn. 4/721; Serick ZIP 1995, 789, 792 ff.; ders. BB 1995, 2013, 2017 ff.; ders. WM 1995, 2017, 2021 ff.; ders. in Festschrift für Trinkner S. 407, 415 ff.; Schlaus AnwBl 1995, 417, 418; Pfeiffer WM 1995, 1565, 1568 ff.; Klanten Sparkasse 1995, 439, 444; Vetter WiB 1995, 986, 989 ff.; Schwennicke WiB 1996, 131; Richrath, Die Übersicherungsproblematik bei nichtakzessorischen Kreditsicherheiten Diss. Bayreuth 1995 S. 133 ff.; Claussen, Bank- und Börsenrecht Rdn. 178; s. auch Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG 7. Aufl. Anh. §§ 9 - 11 Rdn. 658). Auch das Oberlandesgericht Hamm (31. Zivilsenat) ist ihr nicht gefolgt (OLG Hamm WM 1994, 1840, 1842, 1844 und WM 1995, 129, 132).
- 19
b) Nur eine Mindermeinung in der Literatur stimmt ihr zu (Bülow ZBB 1992, 29, 30 ff.; Göbel, Übersicherung und Freigabeklauseln in vorformulierten Kreditsicherungsverträgen S. 159 ff.; Ganter 1994, 257, 259 ff.; grundsätzlich Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung 3. Aufl. S. 165 ff.; dies. WiB 1994, 497 ff.; Tiedtke EWiR 1996, 339, 340; teilweise auch Wiegand/Brunner NJW 1995, 2513, 2516 ff.).
- 20
c) Der erkennende Senat hat bereits mehrfach angedeutet (insbesondere Senatsurteile vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93, WM 1994, 1283, 1284 und 17. Januar 1995 - XI ZR 192/93, BGHZ 128, 295, 298), daß er der genannten Rechtsprechung nicht zu folgen vermag. Begründet hat er seine abweichende Ansicht im Anfragebeschluß vom 23. Januar 1996 in vorliegender Sache (WM 1996, 476, 478 ff.) sowie in dem vom 16. April 1996 (XI ZR 234/95, WM 1996, 902, 903 ff.), der sich mit dem Erfordernis einer - hier vorhandenen - konkreten Deckungsgrenze befaßt.
- 21
d) Auf den Anfragebeschluß in vorliegender Sache haben der VIII. und IX. Zivilsenat mitgeteilt, sie hielten an ihrer Rechtsauffassung, daß eine formularvertragliche Globalabtretung ohne ausdrückliche und ermessensunabhängig ausgestaltete Regelung der Verpflichtung des Sicherungsnehmers zur Freigabe überschießender Deckung insgesamt unwirksam sei, nicht fest. Der VII. Zivilsenat hat bestätigt, seine Urteile vom 26. April 1990 (VII ZR 334/89, WM 1990, 1326 f.) und vom 6. Dezember 1990 (VII ZR 334/89, WM 1991, 276) beruhten nicht auf dieser Rechtsauffassung. Der erkennende Senat ist daher nicht gehindert zu entscheiden, daß eine formularmäßige Globalabtretung auch ohne ausdrückliche und ermessensunabhängig ausgestaltete Freigaberegelung wirksam ist.
- 22
3. Maßgebend für diese Entscheidung ist die Erwägung, daß eine (Teil-)Freigabepflicht des Sicherungsnehmers in Sicherungsabreden über nichtakzessorische Sicherheiten immanent enthalten ist (a), es eine Rechtsvorschrift, die eine ausdrückliche Regelung dieser Pflicht vorschreibt, nicht gibt (b) und die Gesamtnichtigkeit formularvertraglicher Globalabtretungen ohne ausdrückliche ermessensunabhängig ausgestaltete Freigaberegelung mit § 6 AGBG unvereinbar ist (c).
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a) Sicherungsabtretungen sind ebenso wie Sicherungsübereignungen und Sicherungsgrundschulden nichtakzessorische fiduziarische Sicherheiten. Jeder Vertrag über die Bestellung einer derartigen Sicherheit begründet auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein Treuhandverhältnis (allg. Meinung, vgl. statt aller: Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung 3. Aufl. S. 128 f., 188 f.; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht Rdn. 6.293; Palandt/Heinrichs, BGB 55. Aufl. § 398 Rdn. 20). Die fiduziarische Rechtsnatur des Sicherungsvertrages wird nicht beseitigt, wenn die Teilfreigabe von Sicherheiten danach vom billigen Ermessen des Sicherungsnehmers abhängig ist.
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aa) Aus der Treuhandnatur des Sicherungsvertrages folgt auch ohne ausdrückliche Regelung die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit zurückzugewähren, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt wird. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn die gesicherte Forderung insgesamt erloschen ist, sondern - beschränkt auf den überschießenden Teil des Sicherungsgutes - schon dann, wenn und soweit eine endgültige Übersicherung eingetreten ist. Dann ist das weitere Verbleiben der überschießenden Deckung beim Sicherungsnehmer durch den Sicherungszweck nicht mehr gerechtfertigt und dieser zur Teilfreigabe verpflichtet (st.Rspr.; vgl. BGHZ 110, 241, 246; BGH, Urteil vom 30. Mai 1960 - VII ZR 257/59, WM 1960, 855, 856 f.; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1989 - V ZR 53/88, WM 1990, 423, 424). Die Existenz einer solchen vertragsimmanenten (Teil-)Freigabepflicht ohne ausdrückliche Regelung erkennt auch der IX. Zivilsenat an (BGHZ 124, 371, 374 ff.; 124, 380, 385 f., für Singular- und Sicherungsübereignungen von Sachgesamtheiten).
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bb) Nichts spricht dafür, daß bei Globalabtretungen oder Sicherungsübereignungen von Warenlagern eine vertragsimmanente Freigabepflicht nicht besteht. Diese folgt, wie dargelegt, aus der fiduziarischen Rechtsnatur des Sicherungsvertrages. Ob Gegenstand des Vertrages eine Singular- oder eine revolvierende Globalsicherheit ist, ist für dessen Rechtsnatur ohne Bedeutung.
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cc) Welcher Teil des Sicherungsgutes freizugeben ist, ist bei einem Individualvertrag unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach billigem Ermessen zu bestimmen. Eine individualvertragliche Regelung, daß der Sicherungsnehmer Sicherungsgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben hat, sobald und soweit er diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt, hätte daher nur deklaratorische Wirkung. Bei einem Formularvertrag ist dies nicht anders.
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b) Ob Vertragsparteien eine aus der Rechtsnatur des Vertrages ohne weiteres folgende Verpflichtung ausdrücklich regeln, steht in ihrem Belieben. Das ergibt sich aus dem Prinzip der Vertragsfreiheit und dem darauf beruhenden Recht, die mehr oder minder große Regelungsdichte eines Vertrages zu bestimmen. Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen vertraglichen Freigaberegelung könnte deshalb nur dann anerkannt werden, wenn es dafür zwingende rechtliche Gründe gäbe. Solche werden indes weder aufgezeigt noch sind sie ersichtlich.
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aa) Eine ausdrückliche Freigaberegelung erleichtert die Feststellung einer Übersicherung in keiner Weise (Wolf/Ungeheuer JZ 1995, 176, 184). Auch zur Durchsetzung des Freigabeanspruchs oder zur Vermeidung von Streitigkeiten ist eine ausdrückliche Freigaberegelung weder erforderlich noch vermag sie dazu nennenswert beizutragen. Die Freigabepflicht, die fiduziarischen Sicherungsverträgen immanent ist, schützt den Sicherungsgeber genauso effektiv wie eine ausdrückliche Freigabeklausel.
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bb) Eine Rechtsnorm, die eine ausdrückliche Regelung der Freigabepflicht gleichwohl vorschreibt, ist nicht ersichtlich.
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(1) § 9 Abs. 1 AGBG scheidet insoweit von vornherein aus. Nach § 8 AGBG gelten die §§ 9 - 11 AGBG nur für Allgemeine Geschäftsbedingungen, "durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden." Gemeint sind damit nach dem Zweck des § 8 AGBG, die Modifizierung von Vorschriften anderer Gesetze zu verhindern (Begründung des Entwurfs des AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S. 22; BGHZ 93, 358, 360), Rechtsvorschriften außerhalb der §§ 9 - 11 AGBG. Eine Globalabtretung ohne ausdrückliche deklaratorische Freigaberegelung verändert die Rechtslage indes nicht.
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(2) Auch das Transparenzgebot greift nicht ein. Es will verhindern, daß Rechte und Pflichten durch unklar oder schwerverständlich gefaßte Klauseln verschleiert oder für den Vertragspartner schwer durchschaubar werden (vgl. BGHZ 106, 259, 264; 118, 126, 131). Dagegen verlangt es nicht, aus dem Gesetz oder aus der Rechtsnatur eines Vertrages folgende Rechte ausdrücklich zu regeln oder den Vertragspartner darüber zu belehren (Rellermeyer WM 1994, 1053, 1056 f.). Dadurch, daß die vertragsimmanente Freigabeverpflichtung nicht ausdrücklich geregelt wird, wird die Rechtslage weder verschleiert noch für den Sicherungsgeber - bei einer Globalabtretung in aller Regel ein vollkaufmännisches Unternehmen - schwer durchschaubar.
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(3) Auch § 138 Abs. 1 BGB fordert eine ausdrückliche Regelung der Freigabepflicht nicht. Er gilt auch für Individualverträge. Das Recht, die mehr oder minder große Regelungsdichte eines Vertrages zu bestimmen, ist - wie dargelegt - wesentlicher Bestandteil des Prinzips der Vertragsfreiheit. Daß ein vollkaufmännisches Unternehmen und ein Kreditinstitut gleichwohl durch § 138 Abs. 1 BGB gehindert sein sollten, individualvertraglich eine Globalabtretung wirksam zu vereinbaren, ohne die Freigabepflicht ausdrücklich zu regeln, läßt sich schwerlich vertreten. Bei einem Formularvertrag gilt nichts anderes.
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c) Erst recht leuchtet es nicht ein, daß das Fehlen einer deklaratorischen Regelung die Unwirksamkeit einer formularvertraglich vereinbarten revolvierenden Globalsicherheit insgesamt zur Folge haben soll. Eine Rechtsnorm, die eine solche Rechtsfolge rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich.
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aa) Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AGBG führt grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrages, sondern nur zu der der unangemessenen Klausel (§ 6 Abs. 1 AGBG). An deren Stelle treten die gesetzlichen Vorschriften (§ 6 Abs. 2 AGBG). Die Lücke, die im Falle der Unwirksamkeit einer unangemessenen Freigabeklausel entsteht, wird durch den aus dem Sicherungsvertrag folgenden Freigabeanspruch geschlossen (BGHZ 124, 380, 389 f., für Singularsicherungsübereignung; BGHZ 130, 59 ff. = WM 1995, 1219, 1221, für Singularabtretung).
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bb) Die Berücksichtigung dieses Freigabeanspruchs läuft nicht auf eine geltungserhaltende Reduktion einer unangemessenen Freigaberegelung auf den eben noch zulässigen Inhalt hinaus. Rechte und Pflichten, die sich im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung aus der Natur eines bestimmten Vertrages ergeben, stehen ihrem Rechtscharakter nach dem vertragsergänzenden dispositiven Gesetz gleich, das nach § 6 Abs. 2 AGBG an die Stelle einer fehlenden oder unwirksamen Klausel tritt. Eine durch die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel entstandene Vertragslücke ist deshalb im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen, wenn dispositive gesetzliche Regelungen, die die Lücke schließen könnten, fehlen (BGHZ 90, 69, 74 ff.; 120, 108, 122).
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Der IX. Zivilsenat hat dementsprechend entschieden, bei formularmäßigen Sicherungsübereignungen von Sachgesamtheiten führe der Ausschluß oder die Einschränkung der Freigabepflicht grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit der Sicherungsübereignung insgesamt. Die Unwirksamkeit einer Freigabeklausel erfasse den gesamten Vertrag vielmehr nur dann, wenn es eine unzumutbare Härte (§ 6 Abs. 3 AGBG) darstellen würde, eine Vertragspartei daran festzuhalten (BGHZ 124, 371, 376). Bei formularmäßigen Globalabtretungen kann nichts anderes gelten.
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cc) Die eng auszulegende Ausnahme des § 6 Abs. 3 AGBG, auf den der IX. Zivilsenat die Totalnichtigkeit solcher Verträge zu stützen versucht hat (Urteil vom 9. November 1995 - IX ZR 179/94, WM 1995, 2173, 2174), greift nicht ein.
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Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob das Festhalten am Vertrag für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte wäre, ist nicht der des Vertragsschlusses, sondern der der Geltendmachung von Rechten aus dem Vertrag, hier der Globalabtretung (BGHZ 130, 115 ff. = WM 1995, 1264, 1266 m.w.Nachw.). In diesem Zeitpunkt stellt der Fortbestand der Globalabtretung mit dem nach § 6 Abs. 2 AGBG aus dem Sicherungsvertrag ergänzten Freigabeanspruch insbesondere für Gemeinschuldner keine unzumutbare Härte dar. Ob die Erlöse aus abgetretenen Forderungen dem Zessionar unter Verrechnung auf die gesicherten Ansprüche verbleiben oder aber an den Konkursverwalter herauszugeben sind, ist für Gemeinschuldner von minderem Interesse. Das gilt besonders, wenn Gemeinschuldnerin - wie hier - eine GmbH ist, die durch die Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst wird (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG).
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Die Nichtigkeit der formularmäßigen Globalabtretung würde ausschließlich den (ungesicherten) Gläubigern der Gemeinschuldnerin zugute kommen. Deren Schutz bezwecken indes § 6 Abs. 3 und § 9 Abs. 1 AGBG nicht, auch nicht mittelbar (Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93, WM 1994, 1283, 1284). In § 9 Abs. 1 AGBG wird ausdrücklich nur auf die unangemessene Benachteiligung des "Vertragspartners des Verwenders", nicht aber irgendwelcher Dritter abgestellt. In § 6 Abs. 3 AGBG wird eine unzumutbare Härte gerade für eine "Vertragspartei" vorausgesetzt.
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dd) Die Nichtigkeit der Globalabtretung läßt sich schließlich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, eine ausdrückliche ermessensunabhängige Ausgestaltung der Freigabepflicht sei - anders als bei Sicherheiten mit im wesentlichen festen Bestand - bei revolvierenden Globalsicherheiten erforderlich, um damit für den Sicherungsgeber verbundene besonders nachteilige Wirkungen auszugleichen; ohne eine solche Regelung stelle eine Globalabtretung selbst eine unbillige Benachteiligung des Schuldners im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG dar (vgl. BGHZ 124, 371, 376 f.; 124, 380, 386 f.).
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Nach dem klaren Wortlaut des § 9 Abs. 1 AGBG sind "Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen" unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigaberegelung läßt sich von anderen Klauseln einer Globalabtretung genauso problemlos trennen wie etwa eine ermessensabhängig ausgestaltete Freigabeklausel in einem Formularvertrag über die Sicherungsübereignung einer Sachgesamtheit mit festem Bestand. Die Globalabtretung hat verfügungsrechtlichen Charakter, die Freigabeverpflichtung ist rein schuldrechtlicher Natur. Nichts spricht dafür, daß sie eine einheitliche, unteilbare Bestimmung i.S. von § 9 Abs. 1 AGBG bildeten.
- 42
4. Die Globalabtretung vom 10. Januar 1990 ist danach nicht unwirksam. Daß in Nr. 8 Satz 2 des Formularvertrages nur die Bereitschaft, nicht aber die Verpflichtung der Beklagten erklärt ist, nach billigem Ermessen nicht mehr benötigte Sicherheiten freizugeben, führt allenfalls zur Unwirksamkeit der Freigaberegelung, nicht aber der Globalabtretung insgesamt (§ 6 Abs. 1 AGBG). An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt nach § 6 Abs. 2 AGBG die aus der Rechtsnatur des Sicherungsvertrages folgende Freigabepflicht.
- 43
Die Beklagte hat die Erlöse aus den abgetretenen Forderungen somit nicht ohne Rechtsgrund erlangt. Der Gemeinschuldnerin steht ein Bereicherungsanspruch deshalb nicht zu.
III.
- 44
Auf die Revision der Beklagten war das Berufungsurteil daher abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit darüber nicht durch Urteil des Landgerichts rechtskräftig entschieden ist.
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