Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand: Sicherstellung der Mandatsübernahme durch beigeordneten Rechtsanwalt
Orientierungssatz
Nach der Gewährung der Prozeßkostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Berufungsinstanz muß sich der erstinstanzliche Anwalt umgehend mit dem beigeordneten Rechtsanwalt in Verbindung setzen, um sicherzustellen, daß dieser das Mandat übernimmt, die zu beachtenden Fristen überwacht und das Rechtsmittel einlegt. Er darf sich im Hinblick auf die ihn selbst treffende Pflicht zur Förderung des Verfahrens nicht darauf verlassen, daß der beigeordnete Rechtsanwalt vom Oberlandesgericht benachrichtigt und sich von sich aus an ihn oder die Prozeßpartei wenden würden.
vorgehend LG Bonn, 18. Juni 1993, 10 O 66/93
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 6. Dezember 1993 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Beschwerdewert: 5.130 DM
Gründe
I.
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1. Durch Urteil des Landgerichts B. vom 18. Juni 1993 - der Beklagten zugestellt am 28. Juni 1993 - wurde die Beklagte zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 5.130 DM nebst Zinsen verurteilt. Durch ein Fax des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten - eingegangen beim Oberlandesgericht K. am 28. Juli 1993 - stellte diese Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die Berufungsinstanz und Beiordnung eines beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalts. Am 14. Oktober 1993 bewilligte das Oberlandesgericht Prozeßkostenhilfe und ordnete der Beklagten Rechtsanwalt S. aus K. bei. Der Beschluß wurde dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 19. Oktober 1993 formlos zugestellt. Dieser übersandte der Beklagten eine Abschrift.
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Gegen das landgerichtliche Urteil hat die Beklagte durch Rechtsanwalt S. am 15. November 1993 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat sie ausgeführt:
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Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte sei davon ausgegangen, daß der für die Berufungsinstanz beigeordnete Rechtsanwalt durch das Oberlandesgericht K. benachrichtigt werde, und habe darauf gewartet, daß sich dieser dann mit ihm in Verbindung setzen und die Handakten anfordern werde. Als dies nach über zweieinhalb Wochen noch nicht geschehen sei, habe er die Anschrift des beigeordneten Rechtsanwalts S. aus dem Anwaltsverzeichnis ermittelt und ihn am 11. November 1993 in einem Telefax-Schreiben auf seine Beiordnung hingewiesen. Die Beklagte meint, das ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Hindernis sei unter diesen Umständen frühestens am 12. November 1993 weggefallen.
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Ihr tatsächliches Vorbringen hat die Beklagte durch eidesstattliche Versicherungen der Rechtsanwälte Sch. und S. glaubhaft gemacht.
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2. Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zurückgewiesen und zugleich ihre Berufung als unzulässig verworfen. Es hat ein Verschulden des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten darin gesehen, daß dieser nach Zustellung des Prozeßkostenhilfebewilligungsbeschlusses untätig blieb und nicht dafür sorgte, daß die Beklagte den ihr beigeordneten Rechtsanwalt S. mit der Erstellung eines fristgemäßen Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Einlegung der Berufung beauftragte.
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Mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts verfolgt die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag weiter. Sie ist der Meinung, daß unter den gegebenen Umständen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten überspannt worden seien.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 519 b Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO). Sie ist jedoch nicht begründet.
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1. Die Beklagte hat die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO versäumt. Ihr Wiedereinsetzungsantrag vom 15. November 1993 ist verspätet.
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Die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO begann mit dem Tag, an dem das der Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis weggefallen war (§ 234 Abs. 2 ZPO). Hier lag das Hindernis in der Mittellosigkeit der Beklagten. Dieses Hindernis entfällt grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe (vgl. BGH, Beschluß vom 2. Oktober 1985 - IVb ZB 62/85, VersR 1986, 40, 41; BGH, Beschluß vom 14. November 1990 - XII ZB 141/90, BGHR § 233 ZPO, Verschulden 8 m.w.Nachw. = FamRZ 1991, 425). Die Wiedereinsetzungsfrist hat danach hier mit dem Ablauf des 19. Oktober 1993 begonnen, als der Beschluß des Oberlandesgerichts vom 14. Oktober 1993 über die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt S. dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zugestellt wurde, was verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist (§ 176 ZPO; vgl. Stein/Jonas/Schumann ZPO, 20. Aufl. § 176 Rdn. 3, 5 und 12).
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2. Das Berufungsgericht hat der Beklagten die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO zu Recht versagt. Sie hat diese Frist nicht unverschuldet versäumt (§ 233 ZPO).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der vorinstanzliche Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Mandats verpflichtet, dafür zu sorgen, daß der Prozeßbevollmächtigte der nächsten Instanz das Rechtsmittel rechtzeitig einlegen kann (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1988 - II ZR 243/88, BGHR § 233 ZPO Rechtsmittelauftrag 5). Nach der Beseitigung des in der Mittellosigkeit der Beklagten liegenden Hindernisses mußte sich der erstinstanzliche Anwalt umgehend mit dem durch den Beschluß des Oberlandesgerichts vom 14. Oktober 1993 beigeordneten Rechtsanwalt S. in Verbindung setzen. Wie das Oberlandesgericht zutreffend hervorgehoben hat, durfte er sich im Hinblick auf die ihn selbst treffende Pflicht zur Förderung des Verfahrens nicht darauf verlassen, daß der beigeordnete Rechtsanwalt vom Oberlandesgericht benachrichtigt und sich von sich aus an ihn oder an die Beklagte wenden würde. Es oblag dem erstinstanzlichen Anwalt, rechtzeitig vor Ablauf der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO Verbindung mit dem beigeordneten Rechtsanwalt aufzunehmen, um sicherzustellen, daß dieser das Mandat übernahm, die zu beachtenden Fristen überwachte und das Rechtsmittel fristgerecht einlegte (vgl. BGH, Beschluß vom 14. November 1990 aaO). Diese Verpflichtungen entfielen auch nicht durch die bloße Zusendung einer Abschrift des Beschlusses über die Gewährung der Prozeßkostenhilfe an die Beklagte. Das Verschulden des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten ist der Beklagten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
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