Anfrage an Zivilsenate des Bundesgerichtshofes zur Frage der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einer formularmäßigen Globalabtretung mangels Festlegung einer Deckungsobergrenze
Orientierungssatz
1. An den VII., VIII., und IX. Zivilsenat wird gemäß GVG § 132 Abs 3 folgende Anfrage gerichtet:
Wird an der Rechtsauffassung festgehalten, daß eine Globalabtretung ohne ausdrückliche Festlegung einer Deckungsgrenze nach BGB § 138 Abs 1 nichtig bzw nach AGBG § 9 Abs 1 unwirksam ist?
2. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes vertritt in ständiger Rechtsprechung (vergleiche BGH, 1989-11-29, VIII ZR 228/88, BGHZ 109, 240) die Auffassung, daß eine formularmäßige Globalabtretung nach AGBG § 9 Abs 1 unwirksam sei, wenn sie keine auf eine konkrete Deckungsgrenze abstellende Freigabeklausel enthalte.
3. Der IX. Zivilsenat (vergleiche BGH, 1994-01-13, IX ZR 2/93, BGHZ 124, 371) hat sich dieser Auffassung angeschlossen und sie auf die formularmäßige Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselndem Bestand erstreckt.
4. Der VII. Zivilsenat (vergleiche BGH, 1990-12-06, VII ZR 334/89, WM IV 1991, 276) hat ohne eigene Begründung formularmäßige Globalabtretungen als sittenwidrig im Sinne des BGB § 138 Abs 1 angesehen.
5. Der XI. Zivilsenat möchte der genannten Rechtsprechung nicht folgen. Er hält bereits im Rahmen des AGBG § 9 Abs 1 formularvertraglich vereinbarte Globalabtretungen auch ohne eine sogenannte qualifizierte Freigabeklausel für wirksam (vergleiche BGH, 1995-01-17, XI ZR 192/93, BGHZ 128, 295). Gleiches muß nach der Ansicht des XI. Zivilsenates erst recht für den Anwendungsbereich des BGB § 138 Abs 1 gelten.







vorgehend LG Kaiserslautern, 12. August 1994, 3 O 980/93
nachgehend BGH 7. Zivilsenat, 10. Oktober 1996, XI ZR 234/95, ..., Beschluss

Manfred Wolf, LM BGB § 138 (Aa) Nr 51b (11/1996) (Anmerkung)


Andreas Imping, WiB 1996, 1014-1015 (Anmerkung)
... mehrHerberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Pfeiffer, 8. Auflage 2017, § 242 BGB
Vergleiche BGH 9. Zivilsenat, 13. Januar 1994, IX ZR 2/93
Vergleiche BGH 7. Zivilsenat, 6. Dezember 1990, VII ZR 334/89
Vergleiche BGH 8. Zivilsenat, 29. November 1989, VIII ZR 228/88
Tenor
An den VII., VIII. und IX. Zivilsenat wird gemäß § 132 Abs. 3 GVG folgende Anfrage gerichtet:
Wird an der Rechtsauffassung festgehalten, daß eine Globalabtretung ohne ausdrückliche Festlegung einer Deckungsgrenze nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig (VII. Zivilsenat) bzw. nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam (VIII. und IX. Zivilsenat) ist?
Gründe
I.
- 1
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer Globalabtretung.
- 2
Die beklagte Bank gewährte einem unter der Firma "G. B. Rohrleitungsbau und Schweißtechnik" auftretenden G. B. im Jahre 1974 einen Betriebsmittelkredit. Zur Sicherung trat B. ihr mit Vertrag vom 20. August 1974 alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen Drittschuldner mit den Anfangsbuchstaben A bis W ab, blieb aber aufgrund einer widerruflichen Einziehungsermächtigung berechtigt, die Forderungen im eigenen Namen einzuziehen. In dem vorgedruckten Vertragstext heißt es u.a.:
- 3
Nr. 4 Abs. 1:
- 4
"Unterschreiten die abgetretenen Forderungen insgesamt einen Mindestbetrag von 100.000,-- DM ..., so ist der Schuldner verpflichtet, seine gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen einen weiteren Personenkreis abzutreten oder nach Wahl der Bank andere Sicherheiten zu bestellen."
- 5
Nr. 6 Abs. 2:
- 6
"Sobald die abgetretenen Forderungen die Forderungen der Bank gegen den Schuldner um mehr als ... % übersteigen, wird die Bank dem Schuldner auf dessen Verlangen nach ihrer Wahl Forderungen bis zur Höhe des Mehrbetrages zurückübertragen."
- 7
Der in Nr. 6 Abs. 2 des Vertragsformulars für die Eintragung eines Prozentsatzes vorgesehene Leerraum ist in dem Vertrag vom 20. August 1974 unausgefüllt geblieben. Die unter Nr. 13 des Vertrages für anwendbar erklärten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthielten in der damals geltenden Fassung unter Nr. 19 Abs. 7 folgende Bestimmung:
- 8
"Die Bank ist verpflichtet, auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach ihrer Wahl freizugeben, soweit der Wert des Sicherungsgutes die vereinbarte Deckungsgrenze nicht nur vorübergehend überschreitet. Ist keine Deckungsgrenze vereinbart, so hat die Bank auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben, soweit sie diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt."
- 9
Im Januar 1984 pfändete das Finanzamt L. die gegenwärtigen und künftigen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen des G. B. gegen die V. GmbH in H. Die V. GmbH zahlte daraufhin einen Restbetrag aus einer Rechnung des G. B. vom 10. Juni 1981 in Höhe von 20.975,62 DM an das klagende Land.
- 10
Im Mai 1989 verlangte die Beklagte unter Berufung auf die Globalabtretung des G. B. vom 20. August 1974 sowie auf einen weiteren Globalabtretungsvertrag, den sie im März 1982 mit der B. Industrieanlagen GmbH abgeschlossen hatte, vom Kläger die Herausgabe des empfangenen Betrages. Das Finanzamt L. erkannte den Anspruch mit Schreiben vom 21. September 1989 dem Grunde nach an und überwies 20.329,27 DM an die Beklagte.
- 11
Der Kläger verlangt Rückzahlung dieses Betrages mit der Begründung, die Globalabtretungen seien unwirksam, er habe daher ohne Rechtsgrundlage an die Beklagte gezahlt. Landgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die - zugelassene - Revision der Beklagten.
II.
- 12
1. Der streitige Bereicherungsanspruch hängt von der Unwirksamkeit der formularmäßigen Globalabtretung des G. B. vom 20. August 1974 ab. Auf den Globalabtretungsvertrag der B. Industrieanlagen GmbH kommt es nicht an, weil dieser Kundenforderungen der GmbH und nicht des G. B. betraf.
- 13
Wäre die Globalabtretung vom 20. August 1974 wirksam, so müßte der Revision stattgegeben werden. Wäre sie dagegen nichtig, so wäre die Revision zurückzuweisen. In diesem Fall käme es auf die vom Berufungsgericht erörterte Frage der Wirksamkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts L. nicht an, weil auch bei deren Unwirksamkeit jedenfalls der Beklagten kein Anspruch gegen das klagende Land auf Herausgabe des eingezogenen Betrages zugestanden hätte. Auch das Schreiben des Finanzamts L. vom 21. September 1989 könnte der Revision in diesem Fall nicht zum Erfolg verhelfen, weil das darin enthaltene Anerkenntnis nach der rechtsfehlerfreien Auslegung des Berufungsgerichts keinen Verzicht auf damals noch nicht bekannte Einwände gegen den Anspruch der Beklagten enthielt und die im folgenden zu erörternden Urteile des VII., VIII. und IX. Zivilsenats, auf deren Grundlage die Globalabtretung vom 20. August 1974 als unwirksam angesehen werden könnte, erst später ergangen sind.
- 14
2. Die formularmäßige Globalabtretung vom 20. August 1974 fällt nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes, weil dieses erst am 1. April 1977 in Kraft getreten ist (§ 28 Abs. 1, § 30 AGBG). Auch § 9 AGBG findet hier keine Anwendung, weil dem Berufungsgericht darin beizutreten ist, daß der Globalabtretungsvertrag nicht zu den in § 28 Abs. 2 AGBG aufgeführten Vertragstypen gehört, und weil eine entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 2 AGBG auf dort nicht genannte Verträge angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht gerechtfertigt wäre (Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., § 28 Rdn. 6 m.w.Nachw.; offen gelassen in BGHZ 98, 303, 314).
- 15
3. Die genannte Globalabtretung ist stattdessen an § 138 BGB sowie an § 242 BGB, der vor dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes auf die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen anzuwenden war, zu messen. Der bei der Prüfung nach § 242 BGB anzulegende Maßstab kann jedoch kein anderer als der sich aus § 9 Abs. 1 AGBG ergebende sein. Beide Vorschriften stellen ausdrücklich auf Treu und Glauben ab. Der Senat hat deshalb auch die von anderen Senaten des Bundesgerichtshofs auf § 9 Abs. 1 AGBG gestützte Inhaltskontrolle von Globalabtretungen zu berücksichtigen.
- 16
4. Auf die Frage der Wirksamkeit der in Nr. 20 der AGB der Beklagten enthaltenen Verwertungsregelung kommt es für die Beurteilung der Globalabtretung im ganzen nicht an (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 1995 - XI ZR 10/95 = WM 1996, 251, 252 m.w.Nachw.).
III.
- 17
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vertritt seit seiner Grundsatzentscheidung vom 29. November 1989 (BGHZ 109, 240) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, eine formularmäßige Globalabtretung sei nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam, wenn sie keine auf eine konkrete Deckungsgrenze abstellende Freigabeklausel enthalte. Eine Klausel, die den Sicherungsnehmer lediglich verpflichtet, Sicherheiten "nach billigem Ermessen freizugeben, soweit diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt" werden, wird von ihm nicht als ausreichend angesehen (aaO S. 245 f.). Der IX. Zivilsenat hat sich dieser Auffassung angeschlossen und sie auf die formularmäßige Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselndem Bestand erstreckt (vgl. die Nachweise im Senatsbeschluß vom 23. Januar 1996 - XI ZR 257/94 = WM 1996, 476, 477 = ZIP 1996, 542, 543). Der VII. Zivilsenat hat ohne eigene Begründung unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des VIII. Zivilsenats formularmäßige Globalabtretungen in zwei Fällen als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB angesehen (Urteile vom 26. April 1990 - VII ZR 39/89 = WM 1990, 1326, 1327 und vom 6. Dezember 1990 - VII ZR 334/89 = WM 1991, 276).
- 18
Der XI. Zivilsenat möchte der genannten Rechtsprechung nicht folgen. Er hält bereits im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGBG, wie er in mehreren obiter dicta angedeutet (insbesondere Senatsurteile vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1283, 1284 und vom 17. Januar 1995 - XI ZR 192/93 = BGHZ 128, 295, 298) sowie in seinem Anfrage-Beschluß an den VIII. und IX. Zivilsenat vom 23. Januar 1996 (aaO) - für den hier nicht vorliegenden Fall einer konkreten Deckungsgrenze ohne ermessensunabhängige Freigabepflicht - bekräftigt hat, formularvertraglich vereinbarte Globalabtretungen auch ohne sogenannte qualifizierte Freigabeklausel für wirksam. Gleiches muß nach der Ansicht des XI. Zivilsenats erst recht für den Anwendungsbereich des § 138 Abs. 1 BGB gelten. An einer dieser Rechtsauffassung entsprechenden Entscheidung sieht er sich jedoch durch die genannten Entscheidungen gehindert. Dies ist der Grund für die auf § 132 Abs. 3 GVG beruhende Anfrage.
- 19
1. Der VIII. Zivilsenat sieht - ebenso wie der IX. - in einer revolvierenden Globalsicherheit ohne konkrete Deckungsgrenze eine unangemessene Benachteiligung des Sicherungsgebers im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG. Die Benachteiligung liegt nach seiner Ansicht in den Schwierigkeiten, denen der Sicherungsgeber ausgesetzt sein kann, wenn er ohne feste Deckungsgrenze die Freigabe der Sicherheiten durchsetzen will. Dann drohe die Gefahr, daß wegen der Frage der Bewertung der Sicherheiten und der Frage, welche angemessene Übersicherung der Sicherungsnehmer beanspruchen könne, "ein zeitraubender und - durch unerläßliche Hinzuziehung von Sachverständigen - kostenaufwendiger Streit" darüber entstehe, ob und in welchem Umfang die Sicherheiten noch benötigt werden. Dieser Argumentation, die nur von einer Minderheit in der Literatur geteilt wird (vgl. die Nachweise im Senatsbeschluß vom 23. Januar 1996 - XI ZR 257/94 = WM 1996, 476, 478), vermag der XI. Zivilsenat vor allem deshalb nicht zu folgen, weil eine strikte (Teil-)Freigabeverpflichtung des Sicherungsnehmers jeder Sicherungsabrede über eine nichtakzessorische Sicherheit immanent ist (a) und es weder eine Rechtspflicht noch überzeugende Gründe für die Festlegung einer konkreten Deckungsgrenze gibt (b), eine solche den Sicherungsgeber vielmehr ungünstiger stellt, als er ohne sie stehen würde (c).
- 20
a) Jede Sicherungsabtretung begründet ein Treuhandverhältnis zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer. Aus diesem ergibt sich auch ohne ausdrückliche Regelung die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit nicht erst bei endgültiger Erledigung des Sicherungszwecks zurückzugewähren, sondern schon bei nicht nur vorübergehender Überdeckung denjenigen Teil des Sicherungsgutes freizugeben, der nicht mehr benötigt wird (vgl. dazu näher Senatsbeschluß vom 23. Januar 1996 aaO S. 479; s. auch BGHZ 124, 371, 374 ff.; 124, 380, 385 f.). Welcher Teil dies ist, ist bei einem Individualvertrag unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 242 BGB). Eine individualvertragliche Regelung, daß der Sicherungsgeber auf Verlangen des Sicherungsnehmers Sicherungsgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben hat, soweit er diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt, hätte daher nur deklaratorische Wirkung. Bei einem Formularvertrag ist dies nicht anders.
- 21
b) Ob Vertragsparteien eine aus der Rechtsnatur des Vertrages ohne weiteres folgende Verpflichtung ausdrücklich und konkret festlegen, steht in ihrem Belieben. Das ergibt sich aus dem Prinzip der Vertragsfreiheit und dem darauf beruhenden Recht, die mehr oder minder große Regelungsdichte eines Vertrages zu bestimmen (vgl. Senatsbeschluß vom 23. Januar 1993 aaO S. 479). Die Notwendigkeit der Festlegung einer konkreten Deckungsgrenze könnte deshalb nur dann anerkannt werden, wenn es dafür zwingende rechtliche Gründe gäbe. Solche Gründe werden indes weder vom VIII. Zivilsenat aufgezeigt noch sind sie ersichtlich.
- 22
aa) Das Argument des VIII. Zivilsenats, ohne konkret festgelegte Deckungsgrenze drohe ein zeitraubender und durch die unerläßliche Hinzuziehung von Sachverständigen kostenaufwendiger Streit darüber, welche angemessene Überdeckung die Bank beanspruchen könne, widerspricht den Erfahrungen der Praxis (Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1284; OLG Hamm WM 1994, 1840, 1842; Früh DB 1994, 1860, 1861 f.; Neuhof NJW 1994, 1705, 1707). Gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten zwischen Sicherungsgebern und Kreditinstituten über die Freigabe nicht benötigter Deckung sind vor der Grundsatzentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 29. November 1989 nicht bekannt geworden und gibt es auch danach praktisch nicht. Daß das Fehlen einer Deckungsgrenze die Hinzuziehung eines Sachverständigen notwendig mache, kann im übrigen schon deshalb nicht zutreffen, weil eine solche Grenze im Einzelfall ohne sachverständige Hilfe sogar in Abweichung von der tatrichterlichen Entscheidung durch das Revisionsgericht festgelegt worden ist (vgl. z.B. das Urteil des VIII. Zivilsenats in BGHZ 120, 300, 302 f.).
- 23
bb) Auch der Hinweis des VII. Zivilsenats (Urteil vom 26. April 1990 - VII ZR 39/89 = WM 1990, 1326, 1327), das Fehlen einer ausdrücklich geregelten Deckungsgrenze in einem Globalabtretungsvertrag sei gleichbedeutend mit der Zulassung einer Übersicherung "in beliebiger Höhe" trifft nicht zu. Stellt ein solcher Vertrag etwa - wie hier - auf das billige Ermessen des Sicherungsnehmers ab, so wird der Sicherungsgeber dadurch nicht der Willkür des Sicherungsnehmers ausgeliefert, sondern hat im Falle der Übersicherung einen nach § 315 BGB durchsetzbaren Anspruch auf Sicherheitenfreigabe in angemessenem Umfang.
- 24
cc) Eine solche auf das billige Ermessen abstellende und damit ebenso wie § 9 Abs. 1 AGBG maßgeblich an Treu und Glauben orientierte Freigabeklausel gleichwohl als unangemessene treuwidrige oder gar als sittenwidrige Regelung zu verwerfen, kann nicht überzeugen. Das gilt besonders, da die in Nr. 19 Abs. 7 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthaltene Freigabeklausel, wie dargelegt, der Rechtslage entspricht, die aufgrund des Treuhandcharakters von Sicherungsabtretungen ohnehin besteht. Bei Individualverträgen ist dies ebenso anerkannt wie bei formularmäßigen Sicherungsabtretungen mehrerer einzelner Forderungen oder bei kumulativen formularmäßigen Bestellungen mehrerer unterschiedlicher Sicherheiten (vgl. Urteile des IX. Zivilsenats vom 28. April 1994 - IX ZR 248/93 = WM 1994, 1161, 1162 und vom 9. November 1995 - IX ZR 255/94 = WM 1995, 2173, 2176). Daß bei Globalabtretungen etwas anderes gelten soll und das Fehlen einer festen Deckungsgrenze die materielle Rechtsstellung des Sicherungsgebers verschlechtert, ist nicht einzusehen.
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c) Vielmehr ist im Gegenteil die Forderung nach einer konkreten Deckungsgrenze, durch die die Durchsetzung des Freigabeanspruchs des Sicherungsgebers nicht wirklich erleichtert wird, geeignet, den Sicherungsgeber schlechter zu stellen, als er ohne eine solche Grenze stehen würde. Die nach Ansicht des VIII. und IX. Zivilsenats erforderliche Deckungsgrenze muß festlegen, um welchen Prozentsatz die als Sicherheit abgetretenen Forderungen des Sicherungsgebers gegen Dritte den Betrag seiner Verbindlichkeiten gegenüber dem Sicherungsnehmer übersteigen dürfen. Dabei kann grundsätzlich entweder auf den Nennwert der abgetretenen Forderungen oder auf deren realisierbaren Wert abgestellt werden (BGHZ 120, 300, 304; BGH, Urteil vom 25. November 1992 - VIII ZR 176/91 = WM 1993, 213, 216 m.w.Nachw.).
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aa) Wird auf den realisierbaren Wert abgestellt, so steht der Sicherungsgeber, der eine Freigabe überschüssiger Sicherheiten erreichen will, vor der schwierigen Frage der Bewertung der abgetretenen Forderungen. Diese Schwierigkeit kann ihm nicht durch vertragliche Regelungen zur näheren Bestimmung des realisierbaren Wertes der Forderungen abgenommen werden. Die Werthaltigkeit unbekannter künftiger Forderungen läßt sich nämlich - wie der Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 1995 (XI ZR 8/94 = WM 1995, 1264, 1267; zur Veröffentlichung in BGHZ 130, 115 bestimmt) näher dargelegt hat, ohne seitens des VII., VIII. oder IX. Zivilsenats Widerspruch gefunden zu haben - im voraus nicht bestimmen. Die Situation des Sicherungsgebers erfährt somit durch eine auf den realisierbaren Wert der abgetretenen Forderungen abstellende Deckungsgrenze keine spürbare Verbesserung.
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bb) Wird bei der vertraglichen Festlegung einer Deckungsgrenze dagegen auf den Nennwert der abgetretenen Forderungen abgestellt, so führt die gebotene Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Sicherungsnehmers dazu, daß in der Regel auch eine recht erhebliche Überschreitung des Betrags der zu sichernden Verbindlichkeiten als angemessen hingenommen werden muß. So hat der VIII. Zivilsenat in einem Urteil vom 8. Oktober 1986 (BGHZ 98, 303, 317 f. m.w.Nachw.) mit Recht eine "Überdeckung" von 50% als angemessen angesehen und darauf hingewiesen, daß für den Wert von Sicherheiten nicht der Nennbetrag, sondern der bei der Verwertung realisierbare Erlös maßgebend sei und daß dieser bei Sicherungszessionen nicht selten weit unter dem Nennwert liegen werde; zur Sicherung abgetretene Forderungen seien, insbesondere wenn eine Einziehungsermächtigung vorliege, an sich schon ein schwaches Sicherungsmittel; das zeige sich besonders bei einer Globalzession, die unterschiedslos alle Forderungen des Zedenten ohne Rücksicht auf deren Liquidität oder die Bonität der Schuldner erfasse. Dem ist zuzustimmen. Der XI. Zivilsenat hat deshalb in seinem Urteil vom 21. November 1995 (XI ZR 255/94 = WM 1996, 56, 57) im konkreten Einzelfall eine "Überdeckung" von 100% gebilligt.
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Zu berücksichtigen ist ferner, daß Verträge über Globalabtretungen in der Regel für lange Zeiträume geschlossen werden und sich gerade im ungünstigsten künftig denkbaren Fall, nämlich in einer ernsten Krise des Sicherungsgebers, bewähren sollen. Da Kundenforderungen eines in Schwierigkeiten geratenen Unternehmens erfahrungsgemäß besonders häufig Einwendungen der Schuldner ausgesetzt sind (BGHZ 98, 303, 317 m.w.Nachw.), muß eine für die gesamte Laufzeit eines Globalabtretungsvertrages im voraus festgelegte, am Nennwert der abgetretenen Forderungen ausgerichtete Deckungsgrenze, wenn sie dem berechtigten Sicherungsbedürfnis des Kreditgebers gerecht werden soll, besonders hoch ausfallen.
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Bei einer Freigabeklausel, die ohne eine solche starre Deckungsgrenze allein auf das billige Ermessen des Kreditgebers abstellt, wäre dagegen jeweils die konkrete Situation maßgeblich, in der ein Freigabeverlangen gestellt wird. Hier wird in aller Regel eine geringere Überdeckung des Kredits erforderlich sein als sie im Rahmen einer auch alle künftig denkbaren Risiken abdeckenden vertraglichen Deckungsgrenze festzulegen wäre. Regelmäßig wird daher eine für alle künftigen Fälle im voraus vertraglich festgelegte starre Deckungsgrenze für den Sicherungsgeber ungünstiger sein als eine Regelung, die auf das im jeweiligen konkreten Fall auszuübende billige Ermessen des Sicherungsnehmers abstellt (Rehbein JR 1991, 325, 326).
- 30
2. Diese Überlegungen schließen bereits die Anwendung des § 9 Abs. 1 AGBG auf Globalabtretungen ohne ausdrücklich geregelte konkrete Deckungsgrenze aus. Erst recht verbieten die Besonderheiten des § 138 Abs. 1 BGB, Globalabtretungen ohne solche Deckungsgrenze mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit zu belegen.
- 31
a) Der VII. Zivilsenat hat in seinen Entscheidungen vom 26. April und 6. Dezember 1990 (je aaO) das Sittenwidrigkeitsurteil nach § 138 Abs. 1 BGB im wesentlichen mit einer Bezugnahme auf das Grundsatzurteil des VIII. Zivilsenats vom 29. November 1989 (aaO) begründet. Der VIII. Zivilsenat hatte jedoch in dem genannten Erkenntnis nur über die Anwendung des § 9 Abs. 1 AGBG und nicht auch über die des § 138 Abs. 1 BGB entschieden. Die Frage, warum auf eine Globalabtretung ohne ausdrücklich geregelte feste Deckungsgrenze außer § 9 Abs. 1 AGBG auch § 138 Abs. 1 BGB anwendbar sein soll, wird in den Entscheidungsgründen der beiden genannten Urteile des VII. Zivilsenats nicht angesprochen, obwohl beide Vorschriften sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen erheblich unterscheiden und der VIII. Zivilsenat bereits in einem Urteil vom 20. März 1985 (BGHZ 94, 105, 112) darauf hingewiesen hatte, daß bei einer Übersicherung die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AGBG eher zu bejahen sein dürften als eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB (ebenso danach in BGHZ 120, 300, 303).
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b) Die Auffassung des VII. Zivilsenats stößt schon deshalb auf Bedenken, weil § 9 AGBG einerseits und § 138 BGB andererseits eine Prüfung aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln erfordern. Während die Wirksamkeitskontrolle von AGB-Klauseln nach § 9 AGBG in einer überindividuell generalisierenden, typisierenden und von den konkreten Umständen des Einzelfalles absehenden Betrachtungsweise zu geschehen hat (BGHZ 98, 303, 308; 110, 241, 244; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen aaO § 9 Rdn. 78 m.w.Nachw.), geht es bei § 138 Abs. 1 BGB um die Frage, ob ein individuell bestimmtes Rechtsgeschäft unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles gegen die guten Sitten verstößt (BGHZ 86, 82, 88; 107, 92, 97; ebenso BGH, Urteil vom 7. März 1974 - VII ZR 110/72 = WM 1974, 389, 390; jeweils m.w.Nachw.). Dieser Unterschied würde einer schematischen Übernahme der vom VIII. Zivilsenat für den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 AGBG entwickelten Grundsätze in die Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB selbst dann entgegenstehen, wenn diese Grundsätze inhaltlich zutreffend wären (Klanten Sparkasse 1995, 439, 441).
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c) Es kommt hinzu, daß die Wirksamkeitsschranke des § 138 Abs. 1 BGB bereits im objektiven Bereich erheblich höher liegt als die des § 9 Abs. 1 AGBG (Brandner aaO Rdn. 32; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 9 Rdn. 16). Während § 9 Abs. 1 AGBG nur eine den Geboten von Treu und Glauben zuwiderlaufende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners voraussetzt, verlangt § 138 Abs. 1 AGBG einen Verstoß gegen die guten Sitten und damit eine grobe Interessenbeeinträchtigung von erheblicher Stärke (Wolf aaO).
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Von einer solchen groben Interessenbeeinträchtigung kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Dadurch, daß die Beklagte sich verpflichtet hatte, nicht mehr benötigte Sicherungsgegenstände auf Verlangen des Kunden nach billigem Ermessen freizugeben, waren die berechtigten Interessen des Kunden hinreichend gewahrt. Ist aber die Freigabeverpflichtung ihrem Inhalt nach nicht sittenwidrig, so kann die konkrete Ausformung der vertraglichen Regelung einen Sittenverstoß nicht begründen. Der Gedanke, alle wesentlichen Vertragspflichten detailliert schriftlich niederlegen zu müssen, ist unserer Sittenordnung fremd.
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Dabei fällt zusätzlich ins Gewicht, daß die Festlegung einer konkreten Deckungsgrenze für den Sicherungsgeber, wie oben (unter III. 1. c) gezeigt wurde, keine ins Gewicht fallenden Vorteile, sondern unter Umständen sogar erhebliche Nachteile mit sich gebracht hätte. Der Verzicht auf eine solche Deckungsgrenze kann daher den objektiven Tatbestand eines Sittenverstoßes im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB noch weniger erfüllen als den des § 9 Abs. 1 AGBG.
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Das gilt erst recht, wenn man sich die Lage des Sicherungsnehmers verdeutlicht. Stützt man nämlich die Pflicht zur Festlegung einer Deckungsgrenze mit dem VIII. Zivilsenat auf die Schwierigkeiten des Sicherungsgebers bei der Feststellung einer konkreten Übersicherung, so kann man dem Sicherungsnehmer schwerlich vorwerfen, daß er sich in sittenwidriger Weise nicht selbst bereits bei Abschluß des Sicherungsvertrages - also unter Umständen viele Jahre vor Eintritt einer potentiellen Übersicherung - dieser Mühe durch Festlegung der dann als maßgeblich zu erachtenden Bewertungskriterien unterzogen hat. Die Schwierigkeiten sind für ihn in diesem frühen Zeitpunkt nicht geringer, sondern erheblich größer.
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Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Eingriff in die Vertragsfreiheit, der in einer von Rechts wegen erzwungenen Aufnahme einer Deckungsgrenze in Globalabtretungsverträge läge, bei § 138 Abs. 1 BGB noch sehr viel weiter ginge als bei § 9 Abs. 1 AGBG. Wenn nämlich eine Deckungsgrenze in Globalabtretungsverträgen als zum Schutz des Sicherungsgebers so dringend erforderlich angesehen würde, daß ihr Fehlen den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen könnte, so dürfte dieses Unwerturteil schwerlich davon abhängen, ob die Globalabtretung individualvertraglich oder in einem Formularvertrag mit AGB-Charakter vereinbart wurde (Nobbe WuB I F4. - 5.94, S. 1028, 1030). Die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB müßte daher zu einer umfassenden, über den Bereich der allgemeinen Geschäftsbedingungen hinausgehenden Einschränkung der Vertragsfreiheit führen. Ein so weitgehender Eingriff in den Bereich der Privatautonomie wäre aber in keinem Fall zu rechtfertigen (vgl. Senatsbeschluß vom 23. Januar 1996 aaO S. 479; Ganter ZIP 1994, 257, 259). Das gilt umso mehr, als ein erhebliches Interesse der durch stille Globalzessionen mit Einziehungsermächtigung in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht wesentlich beeinträchtigten Sicherungsgeber an einer Teilfreigabe nicht ersichtlich ist, Teilfreigabeverlangen daher in der Praxis nur sehr selten vorkommen und die bisherige Rechtsprechung über die Unwirksamkeit revolvierender Globalsicherheiten ohne qualifizierte Freigabeklausel deshalb in aller Regel nicht den Sicherungsgebern, sondern nur deren ungesicherten Gläubigern zugute gekommen ist (vgl. Senatsurteil vom 10. Mai 1994 aaO S. 1284).
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d) Der Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB enthält ferner im Gegensatz zu dem des § 9 Abs. 1 AGBG ein subjektives Element. Daran hat der Bundesgerichtshof entgegen kritischen Stimmen im Schrifttum (vgl. MünchKomm-Mayer-Maly, 3. Aufl. § 138 Rdn. 111 ff. m.w.Nachw.) jedenfalls in Fällen, in denen nicht bereits der objektive Tatbestand des Rechtsgeschäfts einen krassen Verstoß gegen grundlegende Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung enthielt, immer festgehalten (vgl. aus jüngerer Zeit z.B. BGHZ 106, 269, 272; 107, 92, 97; 120, 272, 276; 125, 218, 227, 228; Senatsurteil vom 1. Februar 1994 - XI ZR 105/93 = WM 1994, 455, 457; BGH, Urteil vom 29. März 1995 - IV ZR 207/94 = NJW 1995, 2284; jeweils m.w.Nachw.). Die den objektiven Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB erfüllende Ausgestaltung des Rechtsgeschäfts muß daher auch in subjektiver Hinsicht ein vorwerfbares Verhalten darstellen. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, wie das vorwerfbare Verhalten im einzelnen zu umschreiben ist, ob etwa eine verwerfliche Gesinnung erforderlich ist (so z.B. BGHZ 125, 218, 227) oder ob die Kenntnis und darüber hinaus auch die grob fahrlässige Unkenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände genügen kann (vgl. z.B. BGHZ 20, 43, 52; 120, 272, 276).
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Im vorliegenden Fall kann der Beklagten die Ausgestaltung des Globalzessionsvertrags bereits deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil sie sich in diesem Vertrag der Verpflichtung zur Freigabe nicht mehr benötigter Sicherheiten nach billigem Ermessen unterworfen hatte und die Aufnahme einer Deckungsgrenze in den Vertrag dem Sicherungsgeber - wie oben (unter III. 1. c) dargelegt - keine ins Gewicht fallenden Vorteile, unter Umständen sogar erhebliche Nachteile, gebracht hätte. Darüber hinaus ist es aber auch deshalb nicht vertretbar, der Beklagten die Ausgestaltung ihrer Freigabeklausel als sittenwidrig vorzuwerfen, weil Globalzessionen mit Einziehungsermächtigung für den Sicherungsgeber bei Abschluß des vorliegenden Vertrages vom 20. August 1974 allgemein auch dann für zulässig gehalten wurden, wenn sie keine qualifizierte Freigabeklausel enthielten. Erst fünf Monate vor Abschluß des Vertrages hatte der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Sittenwidrigkeit einer Globalabtretung u.a. mit dem Argument verneint, daß der Sicherungsnehmer, eine Sparkasse, sich bereit erklärt habe, "die ihr als Sicherheit dienenden Rechte freizugeben, sobald und soweit sie sie zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht benötigt" (BGH, Urteil vom 7. März 1974 - VII ZR 110/72 = WM 1974, 389, 390).
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