Umfang der Darlegungs- und Substantiierungspflicht des klagenden Überschußgläubigers zum Kontokorrentsaldo; Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen Schadensersatzansprüchen des Hauptschuldners aus positiver Vertragsverletzung bei formularmäßigem Verzicht des Bürgen auf Aufrechenbarkeitseinrede
Leitsatz
1. Verlangt der Kläger den Kontokorrentsaldo, ohne ein Anerkenntnis des Beklagten darzutun, so muß er die der Saldoberechnung zugrundeliegenden gegenseitigen Ansprüche und Leistungen so substantiiert darlegen, daß dem Gericht eine vollständige rechnerische und rechtliche Überprüfung möglich ist. Dazu genügt (zunächst) die Darlegung des Saldos in einem bestimmten Zeitpunkt und danach etwa eingetretener Änderungen. Näheres Vorbringen zu den im Saldo zusammengefaßten gegenseitigen Ansprüchen und Leistungen ist erst dann und insoweit geboten, als der Beklagte den Saldo bestreitet.
2. Ein formularmäßiger Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Aufrechenbarkeit umfaßt nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung. Dieser Einwand steht dem verbürgten Anspruch insoweit entgegen, als dem Hauptschuldner ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung bei der Verwertung von Sicherungsgut gegen den Gläubiger zusteht.
Orientierungssatz
Zitierungen zu Leitsatz 1: Fortführung BGH, 1967-11-02, II ZR 46/65, BGHZ 49, 24 und BGH, 1983-05-05, III ZR 187/81, WM IV 1983, 704.














vorgehend LG Hannover, 23. Mai 1989, 14 O 502/88
Anschluss KG Berlin 12. Zivilsenat, 18. Dezember 2003, 12 U 54/02
Vergleiche BGH 11. Zivilsenat, 18. Dezember 2001, XI ZR 360/00
Anschluß OLG Köln 19. Zivilsenat, 18. August 1997, 19 U 100/96
Vergleiche OLG Oldenburg (Oldenburg) 13. Zivilsenat, 21. April 1995, 13 W 15/95



Wolfgang GöÅmann, WuB I F 1 a Bürgschaft 3.92 (Anmerkung)

Fortführung BGH 2. Zivilsenat, 2. November 1967, II ZR 46/65
Tatbestand
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Die klagende Bank nimmt den Beklagten als Bürgen für Forderungen gegen die R.-GmbH in Anspruch.
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Die R.-GmbH, deren Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte war, unterhielt bei der Klägerin zwei Konten, ein debitorisch geführtes Girokonto und ein Sonderkonto. Auf letzterem nahm sie einen Kredit über 50.000 DM in Anspruch, der ab Oktober 1984 in vierteljährlichen Raten von 5.000 DM zu tilgen war. Als Sicherheiten dienten der Klägerin eine betragsmäßig unbeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaft des Beklagten, eine Höchstbetragsbürgschaft seiner früheren Ehefrau und das sicherungsübereignete Inventar der R.-GmbH.
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Am 30. April 1986 fand zwischen den Parteien eine Besprechung über die Rückführung der Schuldsalden statt, die sich nach Angabe der Klägerin damals auf 56.157,74 DM (Girokonto) und 20.000 DM (Sonderkonto) beliefen. Als die Rückführung in der gesetzten Frist unterblieb, kündigte die Klägerin die Geschäftsbeziehung, verwertete die Höchstbetragsbürgschaft sowie das sicherungsübereignete Inventar und verrechnete die Verwertungserlöse nach Abzug der Kosten mit ihren Forderungen gegen die R.-GmbH.
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Mit der Klage nimmt sie den Beklagten auf Ausgleich ihrer Restforderungen in Anspruch, die sie einschließlich der bis zum 30. Juni 1989 aufgelaufenen Zinsen auf insgesamt 59.690,51 DM beziffert. Bei der Berechnung dieses Betrages ist die Klägerin von den vorgenannten Salden per 30. April 1986 ausgegangen und hat sodann deren Veränderung durch Last- und Gutschriften, zu denen sie im einzelnen näher vorgetragen hat, berücksichtigt. Die Klägerin hat behauptet, in der Besprechung vom 30. April 1986 habe der Beklagte die Salden vom gleichen Tage anerkannt und deren frühestmögliche Rückführung zugesagt.
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Der Beklagte hat vorgetragen: "Die Errechnung der Klageforderung (sei) nicht zu beanstanden." Die Abgabe von Saldoanerkenntnissen am 30. April 1986 werde bestritten. Der Klageforderung stehe entgegen, daß die Klägerin das Sicherungsgut rücksichtslos weit unter dem Zeitwert von 150.000 DM verschleudert habe.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat eine substantiierte Darlegung der Klägerin zur Hauptschuld der R.-GmbH vermißt und dazu ausgeführt:
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Bei dem Girokonto der Hauptschuldnerin habe es sich um ein Kontokorrentkonto im Sinne des § 355 HGB gehandelt. Zur Darlegung seines Anspruchs auf den Kontokorrentsaldo habe der Kläger zwei Möglichkeiten. Entweder er lege einen bestätigten Rechnungsabschluß und nur die danach eingetretenen Änderungen des Saldos im einzelnen dar; oder aber er trage alle dem Saldo zugrundeliegenden gegenseitigen Forderungen so vor, daß eine lückenlose rechnerische Überprüfung der eingeklagten Saldoforderung möglich sei. Das Vorbringen der Klägerin genüge keiner der Alternativen. Die Entwicklung des Girokontos bis zum 30. April 1986 habe die Klägerin nicht näher dargetan, und für einen bestätigten Rechnungsabschluß per 30. April 1986 sei ihr Tatsachenvortrag nicht ausreichend.
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Diese Erwägungen träfen auch für die Forderung aus dem Kreditsonderkonto zu, wenn es sich bei diesem ebenfalls um ein Kontokorrentkonto gehandelt habe. Sei dies nicht der Fall, so sei das Vorbringen der Klägerin gleichwohl unsubstantiiert. Es fehle die Darlegung, welcher Kreditbetrag der Hauptschuldnerin zu welchem Zeitpunkt ausgezahlt worden sei und welche Tilgungsleistungen diese erbracht habe.
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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substantiierung der Klageforderung überspannt und das unstreitige Vorbringen der Klägerin nicht ausgeschöpft.
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1. Die Forderung aus dem Giroverhältnis ist, anders als das Berufungsgericht gemeint hat, substantiiert dargetan.
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a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsurteils. Er entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 49, 24, 26f.; BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 - III ZR 187/81, WM 1983, 704, 705). Danach kann sich ein Kläger bei der Geltendmachung des Überschusses nach § 355 Abs. 3 HGB darauf beschränken, das letzte Saldoanerkenntnis und etwaige danach eingetretene Änderungen des Saldos substantiiert darzutun. Kann oder will der Kläger diesen Weg nicht gehen, etwa weil es zu einem bestätigten Rechnungsabschluß nicht gekommen oder ein solcher nicht zu beweisen ist, so muß er auf die in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen zurückgreifen und dazu vortragen. Dabei reicht es, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, nicht aus, daß der Kläger nur die Aktivposten darlegt und es dem Beklagten überläßt, die Passivposten darzutun. Der Kläger hat vielmehr unter Einschluß aller von ihm akzeptierten Passivposten so vorzutragen, daß das Gericht die eingeklagte Saldoforderung rechnerisch nachvollziehen und überprüfen kann.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senats BGHZ 105, 263, 265. Wenn es dort heißt, der Gläubiger des Überschusses habe die Aktivposten zu begründen, der Gegner die Passivposten, so sind damit, wie insbesondere auch der dort angezogenen Entscheidung des II. Zivilsenats vom 27. Juni 1988 - II ZR 283/87 (WM 1988, 1298, 1299) - zu entnehmen ist, nur die streitigen Posten gemeint.
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b) Nicht gefolgt werden kann aber der Ansicht des Berufungsgerichts, gemessen an diesen Grundsätzen habe die Klägerin ihrer Darlegungslast nicht genügt. Dabei kann offenbleiben, ob nicht schon die Behauptung der Klägerin, in der Besprechung vom 30. April 1986 habe der Beklagte die Salden vom gleichen Tage anerkannt und deren frühestmögliche Rückführung zugesagt, zur substantiierten Darlegung eines bestätigten Rechnungsabschlusses ausreicht. Denn jedenfalls hat die Klägerin ihre Forderung aus dem Giroverhältnis schlüssig vorgetragen.
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Ein solcher Vortrag erfordert nicht stets eine gesonderte Darlegung jeder einzelnen in das Kontokorrent eingestellten Forderung vom Beginn des Kontokorrentverhältnisses an. Der Gläubiger kann sich vielmehr, insbesondere wenn der Kontokorrentsaldo für einen bestimmten Zeitpunkt vorprozessual nicht streitig war, (zunächst) auf die Darlegung dieses Saldos und der danach etwa noch eingetretenen Änderungen beschränken. Näheres Vorbringen zu den einzelnen im Saldo zusammengefaßten gegenseitigen Forderungen ist erst dann und insoweit geboten, als der Beklagte den Saldo - global oder unter Angabe von Einzelheiten - bestreitet. Erst dadurch wird der Vortrag des Klägers zum Saldo nämlich unklar und läßt den Schluß auf die Entstehung des geltend gemachten Anspruchs nicht mehr zu.
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Dies hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Seine Auffassung, es sei Sache der Klägerin gewesen, die Entwicklung des Girokontos bis zum 30. April 1986 näher darzutun, träfe nur dann zu, wenn der Beklagte den Vortrag der Klägerin, das Konto habe am 30. April 1986 einen Saldo von 56.157,74 DM zu ihren Gunsten aufgewiesen, bestritten hätte. Das ist indes nicht der Fall. Der Beklagte hat diesen Saldo vielmehr während des gesamten Rechtsstreits nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil erklärt, die Errechnung der Klageforderung sei nicht zu beanstanden. Angesichts dessen war Vorbringen der Klägerin zu den einzelnen im Saldo per 30. April 1986 zusammengefaßten Forderungen nicht erforderlich.
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2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht auch die Substantiierung des Anspruchs über 20.000 DM aus dem Kreditsonderkonto außer Zweifel. Da das Berufungsgericht Feststellungen zu einer Kontokorrentabrede insoweit nicht getroffen hat, ist zugunsten der Klägerin von einem Tilgungsdarlehen auszugehen. Zu diesem hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, das in vierteljährlichen Raten von 5.000 DM zu tilgende Darlehen über 50.000 DM habe am 26. Oktober 1984 voll, am 20. Juni 1985 mit 35.000 DM und am 30. April 1986 noch mit 20.000 DM valutiert. Daraus ergibt sich, daß die Klägerin das Darlehen voll ausgezahlt und die Hauptschuldnerin die bis zum 30. April 1986 fällig gewordenen Tilgungsraten erbracht hat. Dies reicht unter Berücksichtigung der Fälligstellung der Restschuld zur substantiierten Darlegung des Anspruchs der Klägerin aus § 607 BGB aus. Eines Vortrags zum genauen Zeitpunkt der Darlehensauszahlung an die Hauptschuldnerin, den das Berufungsgericht vermißt, bedurfte es nicht, zumal die Zurverfügungstellung der Darlehensvaluta durch die Klägerin unstreitig ist.
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III. Die Klage hätte somit nicht als unsubstantiiert abgewiesen werden dürfen. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
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Zu einer Entscheidung in der Sache war der Senat nicht in der Lage, da das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - zum Einwand des Beklagten, die Klägerin habe das von der Hauptschuldnerin übereignete Sicherungsgut rücksichtslos weit unter Wert verschleudert, keine Feststellungen getroffen hat. Dieser Einwand ist, soweit der substantiierte Tatsachenvortrag des Beklagten reicht, erheblich. Zwar hat der Beklagte in der formularmäßigen Bürgschaftserklärung auf die Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 Abs. 2 BGB) wirksam verzichtet. Dieser Verzicht umfaßt aber unter Berücksichtigung des Umstands, daß das von der Klägerin verwendete Bürgschaftsformular nach § 5 AGBG im Zweifel zu ihren Lasten auszulegen ist, nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB. Dieser Einwand steht dem Anspruch der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin und damit gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB auch der Klageforderung entgegen, wenn und soweit der R.-GmbH ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung bei der Verwertung des sicherungsübereigneten Inventars gegen die Klägerin zusteht. Das ist der Fall, wenn die Klägerin ihre Pflicht, die Interessen der R.-GmbH bei der Verwertung des Sicherungsgutes angemessen zu berücksichtigen, schuldhaft verletzt hat und dieser dadurch ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1966 - VIII ZR 50/66, WM 1966, 756; BGH, Urteil vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85, WM 1987, 853, 856; BGH, Urteil vom 24. März 1988 - IX ZR 114/87, WM 1988, 987, 992). Dazu wird das Berufungsgericht nunmehr die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
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