Frage der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht eines Erben, der einen Darlehensgeber zum Verzicht auf ein einer Firma des Erblassers gewährtes Darlehen bewegt
Orientierungssatz
1. Zur Frage, ob der Erbe, der einen Vermächtnisnehmer dazu bewegt, auf das einer Einzelfirma des Erblasser gewährte Darlehen zu verzichten, weil die Erbschaft wegen des ansonsten drohenden Nachlaßkonkurses ausgeschlagen werden müsse, seine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt hat, weil er den Darlehensgeber nicht auf die Möglichkeit einer Stundung hingewiesen hat, die möglicherweise (hier nicht entschieden) deswegen in Betracht kam, weil die vererbte Einzelfirma mit weiteren vier Firmen wirtschaftlich eng verflochten war und eine Ausschlagung der Erbschaft - wegen schwerwiegender Nachteile durch den Nachlaßkonkurs für die Firmengruppe - nicht in Betracht kam.
vorgehend LG Aurich, 28. November 1984, 2 O 456/84
Tatbestand
- 1
Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Stiefsohn, als Alleinerben ihres am 11. August 1982 verstorbenen Ehemannes auf Rückzahlung eines Darlehens über 140.000 DM in Anspruch.
- 2
Der Erblasser, der der Klägerin nach gegenseitigem Erbverzicht Vermächtnisse ausgesetzt hat, war Alleininhaber der Einzelfirma G. W. Internationale Spedition-Möbelfachspedition und je zur Hälfte Mitinhaber der beiden Firmen W. Internationale Speditionsgesellschaft mbH und W. Möbelfachspedition GmbH, die zur anderen Hälfte dem Beklagten gehörten. Dieser war außerdem Alleininhaber der Firmen G. W. GmbH und L. Speditions- und Lagereigesellschaft mbH.
- 3
Am 29. September 1982 suchten der Beklagte sowie der Steuerberater F. und dessen Mitarbeiter T. die Klägerin auf und wiesen auf die schwierige finanzielle Situation der Einzelfirma des Erblassers hin, die praktisch konkursreif sei: Es entspreche wirtschaftlicher Vernunft, wenn der Beklagte das Erbe ausschlage, auch wenn ein Nachlaßkonkurs dann wahrscheinlich unausweichlich werde. Der Beklagte wolle aber mit Rücksicht auf die Familienehre das Erbe antreten, wenn die Klägerin auf ihre Vermächtnisansprüche und das der Einzelfirma des Erblassers gewährte Darlehen über 140.000 DM verzichte. Die Klägerin erklärte sich einverstanden und schlug unmittelbar im Anschluß an die Unterredung, bei der die Möglichkeit einer Stundung des Darlehens nicht in Betracht gezogen wurde, vor einem Notar die Vermächtnisse aus und verzichtete auf das Darlehen.
- 4
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte könne sich auf den verzicht nicht berufen, da ihr wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zustehe. Bei der Unterredung am 29. September 1982 sei sie über die finanzielle Situation der Einzelfirma des Erblassers falsch und über die ihr unbekannte wirtschaftliche Lage der anderen Firmen der Firmengruppe W. nicht unterrichtet worden.
- 5
Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die auf Zahlung von 140.000 DM nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 5. November 1987 - III ZR 233/86, BGHR BGB vor § 1/Verschulden bei Vertragsschluß - Aufklärungspflicht 12). Dieses hat der Klage unter Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung nunmehr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
- 6
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I.
- 7
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagte habe die Klägerin aufgrund einer Schadensersatzpflicht aus Verschulden bei Vertragsschluß so zu stellen, als wenn sie auf ihren Darlehensanspruch gegen den Nachlaß nicht verzichtet hätte. Er habe eine vorvertragliche Aufklärungspflicht fahrlässig verletzt, da er nicht auf die Möglichkeit einer Stundung des Darlehensanspruchs hingewiesen habe. Eine Stundung hätte für die Fortführung der Firmengruppe W., die aus der Einzelfirma des Erblassers, den beiden Firmen des Beklagten und den beiden gemeinsam betriebenen Gesellschaften bestanden habe, ausgereicht. Die Übernahme einer im Verhältnis zu den Vermögenswerten der Firmengruppe vergleichsweise unbedeutenden Verbindlichkeit von 140.000 DM habe für die Firmengruppe, die als Ganzes wirtschaftlich gesund sei, kein Risiko bedeutet.
II.
- 8
Diese Beurteilung hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 9
1. Die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Stundung des Darlehensanspruchs hätte für die Fortführung der Firmengruppe genügt, beruht auf der Annahme, die rechtlich selbständigen Firmen des Erblassers und des Beklagten sowie die gemeinsam betriebenen Gesellschaften seien wirtschaftlich Teile einer einheitlichen Firmengruppe, sie seien so eng verflochten, daß ein Nachlaßkonkurs für die eigenen oder die gemeinsam mit dem Erblasser betriebenen Firmen des Beklagten so schwerwiegende Nachteile gehabt hätte, daß er eine Ausschlagung der Erbschaft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ernsthaft in Erwägung ziehen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1987 - III ZR 233/86, Urteilsumdruck S. 9). Waren solche Nachteile mangels enger wirtschaftlicher Verflechtung der Firmen nicht zu befürchten, hätte das Berufungsgericht für die Frage, ob eine Stundung der Darlehensforderung ausgereicht hätte, nicht auf die wirtschaftliche Lage der fünf Firmen zusammen, sondern nur auf den Nachlaß abstellen müssen. Dieser war indes nach dem unter Sachverständigenbeweis gestellten Vorbringen des Beklagten, von dem mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts für die Revisionsinstanz auszugehen ist, mit mehr als 500.000 DM so überschuldet, daß eine bloße Stundung der Darlehensforderung den Konkurs nicht abgewendet, sondern nur hinausgezögert hätte.
- 10
2. Die Existenz einer wirtschaftlich eng verflochtenen Firmengruppe hat das Berufungsgericht aufgrund der organisatorischen (räumlichen und personellen) Zusammenfassung der Firmen, der in den Bilanzen ausgewiesenen Verbindlichkeiten zwischen den Firmen und der Übertragung des Fuhrparks von der Einzelfirma des Erblassers auf eine gemeinsam mit dem Beklagten betriebene Gesellschaft angenommen. Diese Feststellung hält den Verfahrensrügen der Revision nicht stand.
- 11
Die organisatorische und personelle Zusammenfassung der fünf verschiedenen Firmen hat das Berufungsgericht zu Unrecht als unstreitig behandelt. Der Beklagte hatte sie bestritten. Die in den Bilanzen ausgewiesenen Verbindlichkeiten zwischen den einzelnen Firmen resultieren nach dem in der Revisionsinstanz als richtig zu unterstellenden Vorbringen des Beklagten aus Geschäften, bei denen wie unter fremden Betrieben verfahren worden sei. Für eine wirtschaftlich eng verflochtene einheitliche Firmengruppe ergibt sich daraus nichts.
- 12
Die Übertragung des Fuhrparks von der Einzelfirma des Erblassers auf die gemeinsam mit dem Beklagten betriebene Firma W. Internationale Speditionsgesellschaft mbH mag zwar für eine enge wirtschaftliche Verflechtung dieser beiden Firmen sprechen. Für die Annahme einer einheitlichen Firmengruppe unter Einschluß der dem Beklagten allein gehörenden Firmen reicht die Übertragung aber nicht aus.
- 13
Erst recht begründet sie nicht die Annahme, die beiden Firmen des Beklagten und die beiden von ihm gemeinsam mit dem Erblasser betriebenen Gesellschaften seien mit dessen Einzelfirma so eng verflochten gewesen, daß der Beklagte eine Ausschlagung der Erbschaft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ernsthaft habe in Erwägung ziehen können. Für eine solche Verflechtung, auf die es wesentlich ankommt, hat das Berufungsgericht auch sonst keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die von ihm im Anschluß an die Aussage des Zeugen F. angesprochenen Vorteile einer Firmengruppe betreffen nur die Einzelfirma und die vom Erblasser und Beklagten gemeinsam betriebenen Gesellschaften, nicht aber die Firmen des Beklagten. Eine Prüfung der zu erwartenden konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen einer Erbausschlagung auf die beiden Firmen des Beklagten und die beiden von ihm und dem Erblasser gemeinsam betriebenen Firmen fehlt. Für die Revisionsinstanz ist deshalb von dem Vorbringen des Beklagten auszugehen, ein durch die Erbausschlagung bedingter Nachlaßkonkurs hätte, abgesehen davon, daß Darlehensforderungen des Beklagten und seiner Firma nicht hätten realisiert werden können, die beiden ihm gehörenden Firmen nicht berührt und auf die gemeinsam mit dem Erblasser betriebenen Firmen keine wirtschaftlich erheblichen Auswirkungen gehabt. Ausgehend davon kam eine Ausschlagung der Erbschaft durch den Beklagten aus wirtschaftlichen Gründen entgegen der Annahme des Berufungsgerichts durchaus ernsthaft in Betracht.
III.
- 14
Auf die Revision des Beklagten war das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat dabei von der Befugnis des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
- 15
Für die Beurteilung der Frage, ob zur Überwindung wirtschaftlicher Schwierigkeiten statt des Verzichts eine Stundung des Darlehensanspruchs der Klägerin voraussichtlich ausgereicht hätte, wird das Berufungsgericht auf die wirtschaftliche Situation des Nachlasses bzw. einer eng verflochtenen Firmengruppe W., falls eine solche bestanden haben sollte, am 29. September 1982 abzustellen haben. Diese Situation wird ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens kaum geklärt und die erforderliche Prognose, ob eine Stundung ausgereicht hätte, ohne ein solches kaum gestellt werden können. Dabei dürfen wirtschaftliche Daten, auch solche, die sich aus am 29. September 1982 noch nicht vorliegenden Bilanzen ergeben, nur insoweit berücksichtigt werden, als der Beklagte sie kannte oder kennen mußte oder sie sich für ihn bereits abzeichneten.
Permalink
-
Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.juris.de/perma?d=KORE605279016