Interventionswirkung der Streitverkündung: Einwand der unrichtigen Entscheidung des Vorprozesses im Rechtsstreit des streitverkündeten Dritten gegen den Gegner der Hauptpartei des Vorprozesses
Leitsatz
1. Die Interventionswirkung der Streitverkündung bindet das Gericht nur in einem Rechtsstreit zwischen dem Dritten, dem der Streit verkündet war, und der Partei, die den Streit verkündet hatte. Gegenüber dem früheren Prozeßgegner der streitverkündenden Partei kann der Dritte ohne Einschränkungen einwenden, der Vorprozeß sei falsch entschieden worden.







vorgehend LG München II, 21. Juni 1988, 4 O 3266/87
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung, daß dem Beklagten keine Ersatzansprüche gegen ihn zustehen.
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Im Januar 1984 ließ der Beklagte, der sich damals in spanischer Untersuchungshaft befand, dem Kläger 110.000 DM übermitteln und beauftragte ihn, das Geld zinsgünstig anzulegen. Der Kläger schloß daraufhin für den Beklagten mit dem Geschäftsmann G. F. in M. am 1. Februar 1984 einen Treuhandvertrag. Darin heißt es u.a., daß R. K. (Beklagter), vertreten durch J. Z. (Kläger), die 110.000 DM bei G. F. "deponiere" und dieser das Geld für K. treuhänderisch verwalten werde.
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1985 betrieb die M. GmbH (im folgenden: M.) gegen den Kläger aus einem vollstreckbaren Titel über 68.177,95 DM nebst Zinsen und Kosten die Zwangsvollstreckung. Durch Beschluß des Amtsgerichts Gelnhausen vom 10. Mai 1985 ließ M. die angebliche Forderung des Klägers gegen F. "auf Auszahlung eines zur treuhänderischen Verwaltung übernommenen Geldbetrages von ca. 100.000 DM einschließlich der künftig fällig werdenden Ansprüche aus gleichem Rechtsgrund" pfänden und sich an Zahlungs Statt zum Nennwert überweisen. Da F. nicht zahlte, erhob M. im August 1985 vor dem Landgericht München I Klage. In diesem Rechtsstreit (Vorprozeß I) verkündete F. dem jetzigen Beklagten durch Zustellung an dessen damaligen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., den Streit. Rechtsanwalt H. lehnte mit Schriftsatz vom 20. September 1985 einen Beitritt des Beklagten ab. Am 24. September 1985 erging gegen F. ein Versäumnisurteil. Im Oktober 1985 trat der Kläger als Streithelfer zur Unterstützung F. bei und legte gegen das Versäumnisurteil vom 24. September 1985 Einspruch ein, den er kurz darauf zurücknahm. Den von F. selbst am 8. September 1986 eingelegten Einspruch gegen das Versäumnisurteil verwarf das Landgericht München I durch Urteil vom 18. August 1987 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Seine Berufung wies das Oberlandesgericht München durch Urteil vom 14. März 1989 zurück. Zugleich wies das Oberlandesgericht die Nebenintervention des Beklagten zurück. - F. zahlte zur Abwendung der Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil am 18. Januar 1986 an M. 152.159,74 DM.
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Im Oktober 1985 erhob der Beklagte durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., gegen F. und M. beim Landgericht München I (Hauptinterventions-)Klage (Vorprozeß II) auf Zahlung des bei F. hinterlegten Betrages nebst Zinsen. Das Landgericht München wies durch Urteil vom 21. Oktober 1986 die Klage gegen M. als unzulässig ab, da die Hauptintervention unzulässig sei, und gab ihr gegen F. statt. Auf die Berufung F. hob das Oberlandesgericht München durch Urteil vom 28. April 1987 das Urteil des Landgerichts auf und wies wegen der Interventionswirkung der Streitverkündung im Erstprozeß die Klage auch gegen F. ab. - Der Kläger, dem der Beklagte als Kläger des Vorprozesses II am 4. März 1987 wegen etwaiger Ansprüche auf Schadloshaltung den Streit verkündet hatte, trat dem Streitverkündenden am 9. Juli 1987 bei und legte gleichzeitig gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 28. April 1987 Revision ein. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verwarf diese Revision durch Beschluß vom 29. März 1988 - IX ZR 204/87 - wegen Versäumung der Einlegungsfrist als unzulässig.
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Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger die Feststellung, daß er nicht verpflichtet sei, dem Beklagten den Schaden zu ersetzen, der diesem daraus entstehen könne, daß er von G. F. den mit Vereinbarung vom 1. Februar 1984 treuhänderisch hinterlegten Geldbetrag von 110.000 DM möglicherweise nicht herausverlangen kann.
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Der Beklagte hält der Klage entgegen, der Kläger habe es unterlassen, die ihm - dem Beklagten - drohenden Gefahren aus der von M. erhobenen Klage durch die ihm im Rahmen der Nebenintervention gegebenen Möglichkeiten abzuwenden, und sich deshalb schadensersatzpflichtig gemacht.
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Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet.
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I. 1. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Kläger dem Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet. Er habe eine nachvertragliche Pflicht aus dem mit dem Beklagten über die Anlegung von dessen Geldern Ende Januar 1984 geschlossenen Vertrag verletzt, indem er es unterlassen habe, im Vorprozeß I gegen F. als Nebenintervenient für Klageabweisung zu sorgen. Er habe den in diesem Rechtsstreit von ihm eingelegten Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts München I nicht zurücknehmen dürfen. Der Einspruch sei auch erfolgversprechend gewesen, da statt der von M. gepfändeten und in dem Vorprozeß I geltend gemachten Forderung des Klägers gegen F. nur eine Forderung des Beklagten gegen F. bestanden habe.
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2. Diese Auffassung begegnet durchgreifenden Bedenken.
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Es kann offen bleiben, ob den Kläger trotz weisungsgemäßer Ausführung des ihm erteilten Auftrages nachvertragliche Fürsorgepflichten trafen. Unter den gegebenen Umständen hat er solche Pflichten jedenfalls nicht verletzt.
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Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß bereits die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich zu der hier maßgeblichen Zeit - rund 20 Monate nach der Auftragserteilung - immer noch in ausländischer Untersuchungshaft befunden, in dem Vortrag der Parteien keine Stütze findet. Jedenfalls war der Beklagte nicht schutzbedürftig, da ihm rechtzeitig durch F. der Streit verkündet worden war und er durch seinen Prozeßbevollmächtigten ausdrücklich einen Beitritt abgelehnt hatte. Er hat wenig später - noch vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen das im Vorprozeß I ergangene Versäumnisurteil - seine Rechte durch Einreichung der Hauptinterventionsklage im Vorprozeß II verfolgt. Das alles war dem Kläger, der bei dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten beschäftigt war, bekannt. Es war unter diesen Umständen nicht seine Sache, die Prozeßtaktik des anwaltlich vertretenen Beklagten auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen und etwaige Fehler durch eigene Maßnahmen auf eigenes Kostenrisiko auszugleichen. Wenn er trotzdem nach Erlaß des Versäumnisurteils im Vorprozeß I dem Rechtsstreit als Nebenintervenient beitrat und Einspruch gegen dieses Urteil einlegte, so geschah dies ersichtlich zur Wahrung seiner eigenen Interessen (Schutz gegen etwaige gegen ihn gerichtete spätere Ansprüche des Beklagten). Da er dem Beklagten gegenüber nicht zur Einlegung des Einspruchs verpflichtet war, stand es ihm frei, diesen Rechtsbehelf jederzeit zurückzunehmen.
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3. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß im Falle der vom Kläger begehrten Feststellung der Beklagte entschädigungslos eine Schuld des Klägers gegenüber M. begleichen müßte. Dabei geht es offenbar davon aus, daß durch die von F. zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 24. September 1985 geleistete Zahlung die Schuld des Klägers gegenüber M. getilgt und der Kläger damit auf Kosten des Beklagten bereichert wäre.
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Das ist aber bei Zugrundelegung des im vorliegenden Rechtsstreit unstreitigen Sachverhalts nicht der Fall. Durch die Zahlung F. an M. hat der Kläger nichts erlangt, seine gegenüber M. bestehende Schuld ist dadurch nicht erloschen. Dem Beklagten stehen - was das Berufungsgericht übersehen hat - Bereicherungsansprüche gegenüber M. zu. Das Berufungsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß kein pfändbarer Anspruch des Klägers gegen F. bestand, da der Treuhandvertrag zwischen F. und dem Beklagten zustande gekommen ist, Ansprüche hieraus mithin nur dem Beklagten zustanden. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, mit dem der angebliche Anspruch des Klägers gepfändet und überwiesen wurde, war deshalb ohne Wirkung und ging ins Leere. Die wirkungslose Pfändung gewährte M. als Vollstreckungsgläubigerin nicht die Befugnis, die Forderung beim Drittschuldner F. einzuziehen. Das Verhältnis des Beklagten als wahrem Gläubiger zu seinem Schuldner wurde damit nicht berührt, sein Anspruch auf Rückzahlung des Treuguts stand weiterhin dem Beklagten zu (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1986 - VII ZR 211/85, NJW 1986, 2430).
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Im vorliegenden Fall ist der Beklagte als wahrer Forderungsberechtigter allerdings daran gehindert, seinen Anspruch weiterhin gegenüber seinem Schuldner F. geltend zu machen, weil dieser ihm im Vorprozeß I, in dem F. von M. als Drittschuldner auf Zahlung in Anspruch genommen wurde, den Streit verkündet hatte und der Beklagte deshalb nicht mehr geltend machen kann, F. habe nicht an M. zahlen dürfen. Das hat das Oberlandesgericht München im Vorprozeß II durch Urteil vom 28. April 1987 rechtskräftig entschieden. Die Streitverkündung im Vorprozeß I hat aber nicht bewirkt, daß mit der Leistung des Drittschuldners F. an M. die Schuld des Klägers gegenüber M. getilgt wurde. Die Interventionswirkung ist auf den Dritten, dem der Streit verkündet wurde, und die Hauptpartei (den Streitverkündenden) beschränkt, d.h. sie erstreckt sich nicht auf den Gegner (vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl. § 68 Rdn. 4; Wieczorek ZPO 2. Aufl. § 68 Anm. A 2d; Zöller/Vollkommer ZPO 15. Aufl. § 68 Rdn. 6). Ihre Wirkung besteht im vorliegenden Fall lediglich darin, daß der Beklagte in einem Rechtsstreit gegenüber F. nicht mehr die Herausgabe des Treuguts geltend machen kann. Eine Bindungswirkung zugunsten der M. besteht dagegen nicht. Der Beklagte ist, wie in dem Fall, in dem der wahre Gläubiger die vom Drittschuldner aufgrund eines wirkungslosen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Pfändungsgläubiger geleistete Zahlung genehmigt, nicht gehindert, Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Pfändungsgläubiger geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1986 aaO).
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III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Da die Voraussetzungen des § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gegeben sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden und auf die Berufung des Klägers seinem Feststellungsbegehren entsprechen.
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