Urkundenbeweis: Räumliche Plazierung der Unterschrift in der Privaturkunde; Urkundeneigenschaft von Ablichtungen
Leitsatz
1. Ein links neben dem Urkundentext stehender Namenszug ("Nebenschrift") ist keine Unterschrift iSd ZPO §§ 416 und 440 Abs 2. Diese Vorschriften sind insoweit auch nicht entsprechend anwendbar (im Anschluß an BGH, 1990-11-20, XI ZR 107/89, BGHZ 113, 48).
2. Die Ablichtung einer Urkunde ist als solche keine Urkunde im Sinne der ZPO §§ 415ff.
Orientierungssatz
1. Zitierung zu Leitsatz 2: Festhaltung BGH, 1979-11-16, V ZR 93/77, NJW 1980, 1047.

















vorgehend LG Hildesheim, 8. Dezember 1988, 4 O 281/87
Vergleiche BFH 10. Senat, 10. September 2003, X B 132/02
Abgrenzung OLG Köln 2. Zivilsenat, 5. November 1999, 2 Wx 37/99
So auch OLG Frankfurt 16. Zivilsenat, 31. August 1995, 16 U 111/94
Anschluß OLG Düsseldorf 18. Zivilsenat, 17. Februar 1994, 18 U 154/93


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Junker, 8. Auflage 2017, § 126 BGB
Festhaltung BGH 5. Zivilsenat, 16. November 1979, V ZR 93/77
Tatbestand
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Der Beklagte gewährte der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Klägerin in den Jahren 1984 und 1985 eine Vielzahl hochverzinslicher Darlehen mit kurzen Laufzeiten. In Zusammenhang damit kam es zu zahlreichen Zahlungsvorgängen zwischen den Parteien, die teils unstreitig und teilweise umstritten sind. In einer notariellen Urkunde vom August 1985 erkannte die Klägerin gegenüber dem Beklagten eine Schuld von 47.903,65 DM an und unterwarf sich insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung.
- 2
Die Klägerin hält sämtliche vom Beklagten gegebenen Darlehen wegen Zinswuchers für nichtig und ist der Ansicht, daß sich für sie unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung aus der Verrechnung der Zahlungen der Parteien ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten ergebe.
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Die Klägerin hatte in erster Instanz beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 81.835 DM nebst Zinsen und zur Herausgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses vom August 1985 zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nachdem die Klägerin in der Berufungsinstanz ihren Zahlungsantrag auf 99.799,46 DM nebst Zinsen erhöht hatte, hat das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung von 25.499,46 DM nebst Zinsen sowie zur Herausgabe der Schuldanerkenntnisurkunde verurteilt und die weitergehende Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer 18.300 DM nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
I.
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Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 331, 557 ZPO, vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGH aaO S. 82).
- 5
Die Revision führt, soweit sie das Berufungsurteil angreift, zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
II.
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Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß dem Beklagten Zinsansprüche aus den der Klägerin gewährten Darlehen wegen Zinswuchers nicht zustehen; es hat die tatsächlich erbrachten Zahlungen und Leistungen des Beklagten den Rückzahlungen der Klägerin gegenübergestellt und dabei einen Überschuß zugunsten der Klägerin in Höhe des im Berufungsurteil ausgeurteilten Betrages ermittelt.
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Der jetzt noch streitige Teil der Klageforderung in Höhe von 18.300 DM betrifft angebliche Barzahlungen, die der Beklagte am 26. November 1984 (1.000 DM), am 12. Februar 1985 (1.000 DM), am 15. März 1985 (1.000 DM), am 3. April 1985 (1.000 DM), am 16. April 1985 (300 DM), am 29. April 1985 (1.000 DM) und am 28. Mai 1985 (13.000 DM) an die Klägerin geleistet haben will und die das Berufungsgericht zu seinen Gunsten berücksichtigt hat. Zur Begründung seiner Entscheidung in diesem Punkt führt das Berufungsgericht im wesentlichen aus:
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Von der Leistung der genannten Barzahlungen durch den Beklagten müsse nach den vorgelegten Unterlagen ausgegangen werden. Die Beweislast dafür, daß der Beklagte diese Beträge nicht ausgezahlt habe, treffe die Klägerin. So sei die Zahlung vom 26. November 1984 durch eine Quittung belegt; ungeachtet der Tatsache, daß auf dieser Quittung die Unterschrift links neben dem Text stehe und das verwendete Quittungsblatt oben abgerissen zu sein scheine, sei nicht auszuschließen, daß die Klägerin am 26. November 1984 tatsächlich 1.000 DM vom Beklagten erhalten habe. Die Zahlungen vom 11. (richtig: 12.) Februar, vom 15. März, vom 3. April, vom 17. (richtig: 16.) April und vom 29. April 1985 habe die Klägerin durch eine schriftliche Erklärung vom 29. April 1985 bestätigt; auch insoweit sei es nicht möglich, die Feststellung zu treffen, daß die Klägerin die Beträge nicht erhalten habe. Den Erhalt von 13.000 DM am 28. Mai 1985 habe die Klägerin ebenfalls schriftlich bestätigt. Diese Quittung biete zwar insofern ein merkwürdiges Bild, als die Summe von 13.000 DM erst nachträglich handschriftlich und nicht wie der übrige Text mit Schreibmaschine geschrieben sei und der Text ursprünglich nur dazu habe dienen sollen, Gebühren des Beklagten in Höhe von 100 DM festzuschreiben. Das ändere jedoch nichts daran, daß nach dem nunmehr vorliegenden Gesamttext die Klägerin den Erhalt der 13.000 DM bestätigt habe. Die Klägerin habe keine geeigneten Beweismittel anbieten können, mit denen sie hätte belegen können, die 13.000 DM entgegen der von ihr unterschriebenen Urkunde nicht erhalten zu haben.
III.
- 9
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den drei vom Beklagten vorgelegten Unterlagen zu Unrecht die Wirkung zuerkannt, die Beweislast hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Zahlungen zu Lasten der Klägerin umzukehren. Es ist dabei ersichtlich - ohne die Vorschriften ausdrücklich zu erwähnen - von den Regeln der §§ 416, 440 Abs. 2 ZPO über die Beweiskraft von Privaturkunden ausgegangen. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften liegen jedoch bei keiner der drei Unterlagen vor.
- 10
1. Die angebliche Quittung der Klägerin vom 26. November 1984 erfüllt, wie die Revision mit Recht rügt, schon deshalb nicht die Voraussetzungen der §§ 416, 440 Abs. 2 ZPO, weil es an einer Unterschrift fehlt. Der Namenszug der Klägerin am oberen Rand des Blattes links neben dem Quittungstext ist keine Unterschrift im Sinne dieser Vorschriften. Die Schrift, um deren Echtheit es geht, steht nicht, wie in § 440 Abs. 2 ZPO ausdrücklich gefordert, "über der Unterschrift". Eine Auslegung dahin, die Echtheitsvermutung gelte auch für einen rechts neben dem Namenszug stehenden Text, ist nicht möglich. Eine solche Ausdehnung der Echtheitsvermutung kann auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung, etwa durch analoge Anwendung des § 440 Abs. 2 ZPO, erfolgen.
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Der erkennende Senat hat für einen am oberen Rand eines Überweisungsformulars oberhalb des Textes stehenden Namenszug sowohl die unmittelbare als auch die entsprechende Anwendung der Echtheitsvermutung des § 440 Abs. 2 ZPO abgelehnt und dabei darauf abgestellt, daß die "Oberschrift" ungeachtet des vorgedruckten Zusatzes "Unterschrift für den nachstehenden Auftrag" jedenfalls die einer Unterschrift zukommende Funktion, den Urkundentext räumlich und zeitlich abzuschließen, nicht erfüllen konnte (BGHZ 113, 48, 51 f. m.w.Nachw.). Für einen links neben dem Text stehenden Namenszug kann nichts anderes gelten (Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, 50. Aufl. ZPO § 416 Anm. 1 B; Förschler in Münchener Kommentar, 2. Aufl. BGB § 126 Rdn. 17). Das gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als hier der Namenszug der Klägerin nicht auf ein durchgestaltetes Formular mit vorgedrucktem Hinweis auf den Erklärungstext im Unterschriftsfeld gesetzt wurde. Hier ist die "Nebenschrift" nicht einmal vom äußeren Erscheinungsbild her geeignet, die Übernahme der Verantwortung für den rechts daneben stehenden Text zu dokumentieren.
- 12
2. Von der angeblichen Erklärung der Klägerin vom 29. April 1985 hat der Beklagte nur eine Ablichtung vorgelegt. Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 28. Februar 1989 bestritten, eine solche Urkunde im Original unterschrieben zu haben, und Manipulationen mit Hilfe von Unterschriftsfotokopien behauptet. Die Originalurkunde hat der Beklagte trotz entsprechender Aufforderung durch das Berufungsgericht nicht vorgelegt.
- 13
Die Ablichtung einer Urkunde ist als solche keine Urkunde im Sinne der §§ 415 ff. ZPO (BGH, Urteil vom 16. November 1979 - V ZR 93/77 = NJW 1980, 1047, 1048; Stephan in Zöller, 17. Aufl. ZPO vor § 415 Rdn. 2; a.M. unter unzutreffendem Hinweis auf BGH MDR 1976, 304 - = BGHZ 65, 300 - Hartmann aaO Übers. § 415 Anm. 1). Der Urkundenbeweis kann bei einer Privaturkunde ausschließlich durch Vorlegung der Urschrift nach § 420 ZPO angetreten werden (BGH, Urteile vom 16. November 1979 aaO und vom 20. Januar 1986 - II ZR 56/85 = WM 1986, 400, 401; Stephan aaO § 420 Rdn. 1; Hartmann aaO § 420 Anm. 2). Das Berufungsgericht durfte daher, wie die Revision mit Recht rügt, nicht von einer Beweislast der Klägerin für die Nichtzahlung der hier interessierenden Beträge ausgehen. Es war vielmehr Sache des Beklagten, dem die Beweisregel des § 416 ZPO nicht zugute kam, vollen Beweis für die von ihm behaupteten Barzahlungen an die Klägerin zu erbringen.
- 14
3. Die erheblichen Mängel, mit denen die angebliche Quittung der Klägerin vom 28. Mai 1985 behaftet ist, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Wenn das Berufungsgericht gleichwohl die Beweislast für die Nichtzahlung der 13.000 DM bei der Klägerin gesehen hat, so ist es ersichtlich auch hier von der formellen Beweiskraft ausgegangen, die ordnungsgemäßen Privaturkunden nach den §§ 416, 440 Abs. 2 ZPO zukommt. Dabei hat es jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, übersehen, daß mit Mängeln behaftete Urkunden nach § 419 ZPO keine formelle Beweiskraft entfalten und der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen (BGH, Urteil vom 25. März 1987 - IVa ZR 224/85 = NJW 1988, 60, 62 m.w.Nachw.; Urteil vom 11. Mai 1989 - III ZR 2/88 = NJW-RR 1989, 1323, 1324).
IV.
- 15
Das Berufungsurteil mußte daher, soweit es mit der Revision angegriffen worden ist, aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands und in freier Würdigung der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen zu prüfen haben, ob die von ihm behaupteten Barzahlungen an die Klägerin als bewiesen angesehen werden können. Bei der Würdigung der Unterlagen wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, daß es hinsichtlich einer anderen vom Beklagten vorgelegten angeblichen Quittung sogar den positiven Nachweis einer Fälschung als erbracht angesehen hat.
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