Teilurteil bei gegenläufiger Klage und Widerklage auf Auszahlungseinwilligung eines hinterlegten Betrags
Leitsatz
1. Im Falle eines gegenläufigen Begehrens auf Einwilligung in die Auszahlung eines hinterlegten Betrags ist ein Teilurteil über die Klage oder die Widerklage unzulässig.








vorgehend LG Hannover, 10. Oktober 1989, 15 O 191/89
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Freigabe eines hinterlegten Betrags; die Kläger verlangen außerdem die Erstattung eines Zinsausfallschadens.
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Die Kläger haben als Steuerberater gegen den Beklagten zu 3) offene Gebührenforderungen, die in einer notariellen Urkunde mit 39.296,90 DM zuzüglich Zinsen tituliert worden sind. Da der Beklagte zu 3) nicht zahlte (er gab am 6. Oktober 1987 die eidesstattliche Versicherung ab), erwirkten die Kläger einen Anfang April 1987 zugestellten Beschluß, mit dem sie einen Darlehensrückzahlungsanspruch des Beklagten zu 3) gegen R. pfänden und sich zur Einziehung überweisen ließen.
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Daraufhin meldete sich für den Beklagten zu 3) der Zeuge Rechtsanwalt W. Mit Schreiben vom 21. April 1987 wies er die Kläger darauf hin, daß "sämtliche Forderungen seines Mandanten ... bereits anderweitig abgetreten" seien, und benannte dann später als Abtretungsempfänger die Beklagten zu 1) und 2), die Söhne des Beklagten zu 3). Nachdem bis dahin der Beklagte zu 3) von R. Zinsen und Tilgung eingefordert hatte, begehrten nunmehr die Beklagten zu 1) und 2) von R. Zahlung. R. hinterlegte am 16. Februar 1988 den noch offenen Rückzahlungsbetrag.
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Zum Nachweis ihrer Abtretungsbehauptung hatten die Beklagten sich erstinstanzlich auf eine vom Beklagten zu 3) geschriebene und unterschriebene formularmäßige Abtretungserklärung mit Datum "27.01.1983" berufen (die Jahreszahl - so die Beklagten - müsse richtig "1984" lauten), die von den Beklagten zu 1) und 2) angenommen worden sei. Demgegenüber hatten die Kläger unter Beweisantritt behauptet, die Abtretungserklärung sei rückdatiert, die Beklagten zu 1) und 2) hätten die Abtretung (die Erklärung befand sich bei den Akten des Beklagten zu 3)) auch nicht angenommen; der Beklagte versuche im übrigen nur, sein Vermögen, wie in anderen unbestrittenen Fällen auch, dem Gläubigerzugriff zu entziehen, indem er die Beklagten zu 1) und 2) als Strohmänner fungieren lasse.
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Das Landgericht hat die Beklagten zu 1) und 2) verurteilt, in die Auszahlung des hinterlegten Betrags in Höhe von 39.832,10 DM einzuwilligen, und im übrigen die Klage abgewiesen.
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Die Beklagten haben in der Berufungsinstanz ihren Vortrag wie folgt geändert: Die Abtretung zwischen dem Beklagten zu 3) einerseits und den Beklagten zu 1) und 2) andererseits sei bereits am 24. Dezember 1983 mündlich vereinbart worden. Der Beklagte zu 3) habe dann am 27. Januar 1984 die Abtretungserklärung schriftlich fixiert; einer ausdrücklichen Annahmeerklärung habe es insoweit nicht mehr bedurft.
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Nachdem die Beklagten während des Berufungsverfahrens die Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrags an die Kläger im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung erklärt hatten und der entsprechende Betrag ausgezahlt worden war, haben die Beklagten zu 1) und 2) Widerklage erhoben, mit der sie die erneute Hinterlegung des ausgezahlten Betrags und anschließende Einwilligung in die Auszahlung an sich begehrten.
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Das Berufungsgericht hat mit Teilurteil vom 24. Oktober 1990 die Berufung der Kläger zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
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Durch weiteres Teilurteil vom 13. Februar 1991 hat es der Widerklage insoweit stattgegeben, als erneute Hinterlegung begehrt worden ist, und die Entscheidung über den Rest der Widerklage dem Schlußurteil vorbehalten.
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Gegen beide Teilurteile haben die Kläger Revision eingelegt. Sie verfolgen ihre Klaganträge weiter und begehren Abweisung des in der Revisionsinstanz anhängigen Teils der Widerklage.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Teilurteile und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat in seinem Teilurteil vom 24. Oktober 1990 einen Anspruch der Kläger gegen die Beklagten aus unerlaubter Handlung und aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Beklagten zu 1) und 2) verneint und hat dabei aufgrund der Aussage des Zeugen W. seiner Beurteilung eine nicht näher bestimmte Abtretung in der Zeit zwischen Januar 1984 und Oktober 1986 zugrundegelegt.
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Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht ist von einem nicht vorgetragenen Sachverhalt ausgegangen, hat einen erheblichen Beweisantritt mit unrichtiger Begründung übergangen und Tatsachenstoff unvollständig gewürdigt.
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1. Indem das Berufungsgericht eine Abtretungsvereinbarung in der Zeit nach dem 24. Dezember 1983 angenommen hat, hat es seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrundegelegt, den die Beklagten nicht vorgetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1990 - V ZR 241/88 - WM 1990, 1090). Die Beklagten haben nämlich in der Berufungsinstanz ihren erstinstanzlichen Vortrag aufgegeben und - von den Klägern bestritten - eine Abtretungsvereinbarung vom 24. Dezember 1983 unter Beweisantritt behauptet. Die Abtretungserklärung vom "27.01.1983" ist danach nur noch eine schriftliche Fixierung für die Akten des Beklagten zu 3), in denen sie im Oktober 1986 vorgefunden wurde, ohne eigene rechtsgeschäftliche Bedeutung, da die Abtretungsvereinbarung bereits am 24. Dezember 1983 abgeschlossen war und jetzt nur noch dokumentiert werden sollte. Die Beklagten betonen deshalb auch, daß es bezüglich der Erklärung vom "27.01.1983" keiner Annahme bedurft hätte.
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Das Berufungsgericht hätte deshalb der bestrittenen Behauptung der Beklagten über eine Abtretung am 24. Dezember 1983 in einer Beweisaufnahme nachgehen müssen und sich nicht auf das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen W. stützen dürfen. Soweit die Beklagten im Widerspruch zu ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sich dieses Ergebnis zu eigen gemacht haben sollten, bleibt zu prüfen, ob die Angaben, insbesondere zur Annahme des Abtretungsangebots ausreichen: Der Zeuge hat den Beklagten zu 1) als über die Abtretung "informiert" bezeichnet und sich in bezug auf den Beklagten zu 2) "bedeckt" gehalten.
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2. Die Kläger haben sich zum Beweis ihrer Behauptung, die schriftliche Abtretungserklärung vom "27. Januar 1983" sei zurückdatiert, auf ein Sachverständigengutachten berufen. Wenn diese Behauptung sich als richtig erweist, ist sie als Indiztatsache für die Würdigung des Vortrags der Beklagten und gegebenenfalls für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen auch dann von Bedeutung, wenn die Abtretungserklärung entsprechend dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten nur zur Dokumentation einer am 24. Dezember 1983 zustande gekommenen Abtretungsvereinbarung gedacht war.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann von den Klägern nicht verlangt werden, daß sie darlegen, ob und wie ein Schriftsachverständiger im konkreten Fall die Altersbestimmung vornehmen kann. Die aufgestellte Behauptung entzieht sich jedenfalls nicht von vornherein einer sachverständigen Beurteilung (vgl. Lothar Michel, Gerichtliche Schriftvergleichung, 1982, insbesondere S. 27 ff. und 154 ff.).
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3. Die Aussage des Zeugen W. ist vom Berufungsgericht "trotz gewisser Umstände", die gegen sie sprechen könnten, als glaubhaft angesehen worden. Welche Umstände gemeint sind, ist nicht dargelegt. Ohne umfassende Auseinandersetzung mit dem gesamten Akteninhalt, insbesondere mit den vom Landgericht im erstinstanzlichen Urteil im einzelnen erörterten - für eine Abfassung der Abtretungsurkunde erst nach Pfändung sprechenden - Indizien, ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
II.
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Das Berufungsgericht hat in seinem Teilurteil vom 13. Februar 1991 der Widerklage auf der Grundlage des § 717 Abs. 2 ZPO teilweise stattgegeben.
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Das hält rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand.
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1. Bereits die Annahme des Berufungsgerichts, die Widerklage sei - allein - auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützt gewesen, ist unzutreffend. Die Widerklage bezeichnete die Anspruchsgrundlage nicht. Der angekündigte Antrag richtete sich auf Rückgewähr des von der Hinterlegungsstelle an die Kläger ausgezahlten Betrages an die Beklagten zu 1) und 2), nur hilfsweise auf "Freigabe" dieses Betrages und Einwilligung in die Auszahlung an die Beklagten zu 1) und 2). Zur Begründung war vorgetragen, daß die Beklagten zu 1) und 2) nach ihrer Verurteilung durch das Landgericht und nach Sicherheitsleistung der Kläger durch schriftliche Erklärung am 30. November 1989 in die Auszahlung des ausgeurteilten Betrages an die Kläger eingewilligt hätten und daraufhin die Auszahlung durch die Hinterlegungsstelle erfolgt sei. Dieser Vortrag und der angekündigte Antrag, den das Berufungsgericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen hatte, sprach eher für eine Bereicherungsklage und ließ Ansprüche aus § 717 Abs. 2 ZPO fernliegend erscheinen.
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2. § 717 Abs. 2 ZPO setzt eine Vollstreckung oder "eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung" voraus. Die Vorschrift ist demgemäß unanwendbar, wenn - wie hier - die Leistung erfolgte, obwohl eine Vollstreckung nicht drohte (BGH, Urteil vom 22. Juni 1976 - X ZR 44/74 - NJW 1976, 2162, 2163). Das Berufungsgericht hat offenbar übersehen, daß das landgerichtliche Urteil hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zu 1) und 2) in die Einwilligung zur Auszahlung nicht vorläufig vollstreckbar war. Die Vollstreckung richtet sich in diesen Fällen nicht nach §§ 887, 888 ZPO, sondern nach § 894 ZPO. Die Einwilligungserklärung war deshalb vor Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung nicht abgegeben, eine (vorläufige) Vollstreckung in den hinterlegten Betrag vor diesem Zeitpunkt kam nicht in Betracht (Zöller/Stöber, ZPO 17. Aufl. § 894 Rdn. 4). Daß die Beklagten zu 1) und 2) bei Abgabe ihrer Einwilligungserklärung möglicherweise irrtümlich glaubten, die Vollstreckung drohe, vermag die Gefährdungshaftung nach § 717 Abs. 2 ZPO nicht auszulösen.
III.
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Für die erneute Verhandlung und Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß Klage und Widerklage einer Erledigung durch Teilurteile nicht zugänglich sind.
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Ein Teilurteil darf nur dann erlassen werden, wenn es durch das über den Rest ergehende Schlußurteil unter keinen Umständen mehr berührt werden kann, wenn die Teilentscheidung unabhängig davon ist, wie der Streit über den Rest ausgeht, wenn also die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1986 - IVb ZR 88/85 - NJW 1987, 441 m.Nachw.). Es ist somit nicht zulässig, im Falle eines denselben Gegenstand betreffenden gegenläufigen Verlangens auf Einwilligung in die Auszahlung eines hinterlegten Betrags wegen ungerechtfertigter Bereicherung des jeweiligen Gegners durch Teilurteil der Klage oder der Widerklage ganz oder teilweise stattzugeben. Mit einer Verurteilung auf die Klage zur Einwilligung in die Auszahlung wäre eine entsprechende Verurteilung auf die Widerklage durch Schlußurteil nicht zu vereinbaren (vgl. BGH aaO; BGHZ 107, 236, 242, 244; BGH, Urteil vom 11. April 1990 - XII ZR 32/89 - NJW 1991, 570, 571; Urteil vom 10. Oktober 1991 - III ZR 93/90 - NJW 1992, 511 m.w.Nachw.; Zöller/Vollkommer, 17. Aufl., § 301 ZPO Rdn. 2 und 7; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 50. Aufl., § 301 ZPO Anm. 2).
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