Kriterien der Transparenzprüfung von AGB im abstrakten Kontrollverfahren: Gesamtklauselwerk und sonstiges Verhalten des Verwenders
Leitsatz
Orientierungssatz
1. Hier: Transparenzprüfung der Verzinsungsklausel in Bausparbedingungen.
2. Zitierungen: vergleiche BGH, 1988-11-24, III ZR 188/87, BGHZ 106, 42; BGH, 1989-01-17, XI ZR 54/88, BGHZ 106, 259; BGH, 1990-07-10, XI ZR 275/89, BGHZ 112, 115; BGH, 1990-09-19, VIII ZR 239/89, BGHZ 112, 204, 212; BGH, 1991-07-09, XI ZR 72/90, WM IV 1991, 1452 und BGH, 1991-10-15, XI ZR 192/90.
















vorgehend LG Karlsruhe 10. Zivilkammer, 20. November 1989, 10 O 116/89


Barbara Grunewald, LM AGBG § 9 (Bl) Nr 39 (3/1992) (Anmerkung)

Vergleiche BGH 11. Zivilsenat, 9. Juli 1991, XI ZR 72/90
Vergleiche BGH 8. Zivilsenat, 19. September 1990, VIII ZR 239/89
Vergleiche BGH 11. Zivilsenat, 10. Juli 1990, XI ZR 275/89
Vergleiche BGH 11. Zivilsenat, 17. Januar 1989, XI ZR 54/88
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Tatbestand
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Die Klägerin ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung Verbraucherinteressen vertritt. Die Beklagte, eine Landesbausparkasse, verwendet in § 6 Abs. 2 ihrer Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) folgende Klausel:
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Die Verzinsung beginnt für Sparzahlungen (§ 5), die bis zum 15. eines Monats eingegangen sind, mit dem nächsten, sonst mit dem übernächsten Monatsersten.
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Die dagegen gerichtete Unterlassungsklage nach § 13 AGBG ist vom Landgericht abgewiesen worden. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Beklagten die Verwendung der Klausel untersagt; das Berufungsurteil ist in WM 1990, 1867 abgedruckt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Zurückweisung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts.
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1. Nicht zu folgen ist der Revision allerdings, soweit sie sich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht die umstrittene Zinsregelung der ABB überhaupt der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterworfen hat. Der erkennende Senat ist bereits in seinem Urteil vom 9. Juli 1991 (XI ZR 72/90 = WM 1991, 1452, 1454 zu II. 2. a) der von der Revision vertretenen Auslegung des § 8 AGBG entgegengetreten und hat ausgeführt, die Besonderheiten, die sich aus der Rechtsnatur des Bausparvertrags und der Spezialkontrolle der ABB gemäß §§ 3, 8, 9 BSpKG ergäben, rechtfertigten keine Einschränkung der Kontrollfähigkeit nach § 8 AGBG. Daran ist festzuhalten.
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2. Mit Recht hat das Berufungsgericht die umstrittene Klausel nicht schon an § 9 Abs. 2 Satz 1 AGBG scheitern lassen. Auch insoweit stimmt das Berufungsurteil mit der Entscheidung des erkennenden Senats vom 9. Juli 1991 überein, die sich mit einer gleichlautenden Zinsregelung in den ABB einer anderen Landesbausparkasse beschäftigt und einen materiellen Verstoß verneint hat, weil die Verzinsung nicht zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Darlehensregelung gehört, sondern der freien Vereinbarung der Vertragspartner unterliegt (aaO zu II. 2. b).
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3. Das Berufungsgericht hat die Klausel jedoch gemäß § 9 Abs. 1 AGBG für nichtig erachtet und in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen das Transparenzgebot (vgl. BGHZ 106, 42, 49; 106, 259, 264; 112, 115) bejaht.
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Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsurteil ist insoweit mit der - allerdings erst später ergangenen - Senatsentscheidung vom 9. Juli 1991 (aaO zu II. 2. c) nicht zu vereinbaren. Wie dort bereits ausgeführt ist, bringt die Klausel in einem einzigen, überschaubaren Satz eindeutig zum Ausdruck, daß die versprochene Verzinsung der Sparzahlungen jeweils nicht sofort, sondern erst später, an genau bezeichneten Stichtagen beginnt; eine noch klarere Formulierung läßt sich schwer vorstellen. Das verkennt auch das Berufungsgericht nicht, sondern räumt ausdrücklich ein, die Klausel sei - isoliert betrachtet - nicht unklar formuliert und verschleiere den Beginn des Zinslaufs nicht.
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Das Berufungsgericht meint jedoch, die umstrittene Klausel dürfe nicht isoliert betrachtet werden, sondern sei vielmehr in den Zusammenhang des Gesamtklauselwerks zu stellen und "vor dem Hintergrund des gesamten Vertragsverhaltens des ABB-Verwenders zu begreifen", die Verständnismöglichkeiten des Durchschnittskunden würden "ganz wesentlich auch durch das Vertragsausführungsverhalten der Bausparkasse als Klauselverwender mitbestimmt". Nach Auffassung des Berufungsgerichts verleiten die sonstigen ABB-Regelungen über Kosten und Gebühren den Kunden zu der falschen Schlußfolgerung, weitergehende (versteckte) Gebühren in Form von Wertstellungsgewinnen fielen nicht an. Es werde verschleiert, daß der Bausparer, wenn er - der Werbung der Beklagten folgend - zielgerichtete Einzahlungen zu den Stichtagen für die Bewertungszahlen (30. Juni und 31. Dezember) leiste oder die Beklagte zur Einziehung der Bausparbeiträge zum Monatsersten ermächtige, erhebliche Nachteile gegenüber einer zinsoptimalen vorfälligen Zahlung zum 15. eines Monats erleide.
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Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand; auf diese Weise läßt sich eine gegen § 9 Abs. 1 AGBG verstoßende Intransparenz der streitigen Klausel und damit ein Verwendungsverbot gemäß § 13 AGBG nicht begründen.
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a) Soweit das Berufungsgericht auf das "Vertragsausführungsverhalten" der Bausparkasse abstellt, widerspricht die angefochtene Entscheidung dem Grundsatz, daß zur Beurteilung der Wirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung nur Umstände herangezogen werden können, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits vorlagen, nicht aber das spätere Verhalten der Parteien bei der Vertragsabwicklung.
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b) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht das Berufungsurteil nur insoweit, als es die Transparenzprüfung der Einzelklausel nicht isoliert vornehmen, sondern in den Zusammenhang des Gesamtklauselwerks stellen will. Bei der Prüfung nach § 9 Abs. 1 AGBG muß auch der Inhalt anderer, mit der beanstandeten Klausel zu einer Einheit verbundenen Formularbedingungen und ihr Zusammenwirken berücksichtigt werden (Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 - XI ZR 192/90, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, zu II. 4. m.w.Nachw.). So hat der erkennende Senat in seinem Urteil BGHZ 106, 259, 265 darin, daß in einem Faltblatt mit Gebühren- und Wertstellungsregelungen die Ausführung von Überweisungsaufträgen als "kostenlos" bezeichnet wurde, eine Verschleierung der Zinsbelastung des Kunden durch die - im gleichen Faltblatt getroffene - Wertstellungsregelung bei Überweisungen gesehen. Eine vergleichbare Wirkung kann hier jedoch anderen Regelungen der ABB nicht beigemessen werden. Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht erwähnten §§ 4, 19 und 30 ABB enthalten Gebührenregelungen für den Vertragsabschluß und für besondere, nicht im regelmäßigen Ablauf des Bausparvertrags liegende Dienstleistungen. Diese Regelungen sind nicht geeignet, das Verständnis der Sparzinsregelung in § 6 Abs. 2 ABB zu erschweren und ihre für den Kunden nachteiligen Wirkungen zu verschleiern.
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c) Abzulehnen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der Beurteilung der Transparenz einer AGB-Klausel im Verfahren nach § 13 AGBG müsse auch das sonstige Verhalten des Verwenders vor und bei Vertragsabschluß, insbesondere auch der Inhalt seiner Werbung, berücksichtigt werden. Diese Auffassung findet in dem - vom Berufungsgericht zitierten - Senatsurteil BGHZ 106, 259 und in der sonstigen BGH-Rechtsprechung keine Stütze, sondern widerspricht ihr. Bei der abstrakten Wirksamkeitsprüfung nach § 13 AGBG müssen Sachverhaltsmerkmale, die nicht Bestandteil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind, grundsätzlich außer Betracht bleiben (BGHZ 112, 204, 212). Deshalb ist eine intransparente AGB-Klausel ohne Rücksicht auf außerhalb der AGB gegebene Zusatzinformationen im Verfahren nach § 13 AGBG uneingeschränkt zu verbieten (Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 aaO). Andererseits können hier bei einer Klausel, deren kundenbelastende Wirkung in den ABB hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, außerhalb der ABB liegende Umstände nicht zu einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AGBG führen und ein Verwendungsverbot nach § 13 AGBG nicht rechtfertigen. Das sonstige Verhalten des Verwenders, insbesondere auch die Art seiner Werbung, mag eine Anwendung des § 3 AGBG rechtfertigen, Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß oder aus positiver Vertragsverletzung begründen oder wettbewerbsrechtliche Folgen haben. Im Verfahren nach § 13 AGBG kommt es darauf nicht an (vgl. Wissmann WuB I C 4.-1.91 und Sparkasse 1991, 426, 427; Taupitz EWiR § 9 AGBG - 14/90, 1043).
- 14
4. Das Berufungsgericht hat schließlich im Rahmen der Prüfung des § 9 Abs. 1 AGBG die Klauselgestaltung "bezogen auf das Gesamtwerk des Vertrages und auf das Verhalten der beklagten Bausparkasse" auch als materiell unangemessen und als Verstoß gegen Treu und Glauben bewertet. Auch insoweit widerspricht das Berufungsurteil der inzwischen ergangenen Senatsentscheidung vom 9. Juli 1991: Danach liegt in der Verzögerung des Zinsbeginns um einen Zeitraum von jeweils bis zu 1 1/2 Monaten zwar eine Benachteiligung des Bausparers. Sie verstößt aber, wenn sie ihm hinreichend deutlich erkennbar gemacht wird, materiell nicht gegen Treu und Glauben, sondern findet - ebenso wie der relativ niedrige Nominalzins - ihre Rechtfertigung in der Besonderheit des Bausparvertrags, daß der Bausparer mit seinen Zahlungen in der Sparphase nicht so sehr eine möglichst hochverzinsliche Kapitalanlage erstrebt, sondern in erster Linie das Recht erwerben will, nach der Zuteilung von der Bausparkasse ein Baudarlehen zu erhalten, dessen günstige Zinskonditionen die Zinsnachteile in der Sparphase ausgleichen (aaO zu II. 2. b).
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