Formularmäßige Zweckerklärung hinsichtlich einer Grundschuld: Wirksamkeit einer Einbeziehung von Schulden des Ehegatten des Grundstückseigentümers
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich sind formularmäßige Zweckerklärungen für Grundschulden, die den Sicherungszweck über den durch den Anlaß des Geschäfts bestimmten Rahmen hinaus in einem nicht zu erwartenden Ausmaß erweitern, überraschend iSd AGBG § 3.
2. Wird in einer solchen Zweckbestimmungserklärung der Sicherungszweck der Grundschuld auch auf Verbindlichkeiten des Ehegatten bezogen, kann jedoch nicht ohne weiteres von der Unwirksamkeit dieser Vereinbarung ausgegangen werden. Es ist vielmehr zu beachten, wann und mit welchem Anlaß es zu der Vereinbarung kam. Wenn die - erweiterte - Zweckbestimmungserklärung zu einem Zeitpunkt erfolgte, der fast 10 Jahre nach der Bestellung der Grundschuld und die ihren Anlaß bildenden Gewährung eines Baudarlehens lag, so daß die Parteien übereinstimmend davon ausgehen mußten, daß die neue Zweckerklärung einer Erweiterung des ursprünglichen Sicherungszwecks diente, kann allenfalls in der Überschreitung des durch die ursprüngliche Sicherungsabrede gesetzten Rahmens (hier: durch Einbeziehung aller künftigen Forderungen gegen den Ehemann) eine Überraschungsklausel gesehen werden.



vorgehend LG Bielefeld, 14. Dezember 1990, 4 O 273/90
Anschluß OLG Oldenburg (Oldenburg) 4. Zivilsenat, 3. März 1993, 4 U 63/92

Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren notariellen Grundschuldbestellungsurkunde. Sie ist Eigentümerin des Grundbesitzes N. Straße .. in Gü., der seit 1968 u.a. mit einer Grundschuld in Höhe von 320.000 DM zugunsten der Beklagten belastet ist. Nach einer zwischen den Parteien am 5. Januar 1978 getroffenen Sicherungsabrede sollte die Grundschuld der Sicherung sämtlicher bestehender und künftiger Ansprüche der Beklagten gegen die Klägerin und ihren Ehemann, Sch., dienen. Dieser betrieb seit 1975 ein Bauunternehmen als Einzelkaufmann. Im April 1980 wurde das Unternehmen unter dem Namen G. GmbH im Handelsregister eingetragen. Das Unternehmen nahm ebenfalls Kredite der Beklagten in Anspruch, für die der Ehemann der Klägerin die Bürgschaft übernahm. 1986 wurde das Unternehmen insolvent.
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Am 21. November 1986 kündigte die Beklagte sämtliche der Klägerin gewährten Darlehen. Daraufhin kam es im Februar 1987 zwischen den Parteien zu schriftlichen Vereinbarungen über die Neuordnung aller von der Beklagten gewährten Kredite. Sämtliche Verbindlichkeiten, auch die der G. GmbH, wurden zu einem Tilgungsdarlehen in Höhe von 800.000 DM zusammengefaßt. Zur Sicherung sollte u.a. die oben genannte Grundschuld dienen.
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Die Beklagte kündigte den Kredit mit Schreiben vom 1. Juni 1988 mit der Begründung, die Klägerin habe ihre sich aus den neuen Verträgen ergebenden Verpflichtungen nicht erfüllt. Wegen eines Teilbetrages von 100.000 DM betreibt sie aus der oben genannten Grundschuld die Zwangsvollstreckung.
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Die Klägerin behauptet: Die Verträge vom Februar 1987 und die Kündigung der Beklagten seien unwirksam, da sie in der fraglichen Zeit geschäftsunfähig gewesen sei. Darüber hinaus seien die Verträge vom Februar 1987 unter Verstoß gegen das Verbot des Abschlusses von Darlehensgeschäften im Reisegewerbe zustande gekommen. Die Zweckerklärung vom 5. Januar 1978 sei wegen Verstoßes gegen das AGBG jedenfalls insoweit unwirksam, als sie die Vereinbarung enthalte, daß die Grundschuld auch der Sicherung der Verbindlichkeiten ihres Ehemannes dienen solle.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klage sei begründet, weil die Beklagte gegen die Klägerin keinen fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch habe. Die Kündigung der Vereinbarungen vom Februar 1987 durch die Beklagte mit Schreiben vom 1. Juni 1988 sei nicht wirksam, da diese Vereinbarungen wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage angepaßt werden müßten. Die Parteien hätten sich hinsichtlich einer wesentlichen Voraussetzung dieses Vertragswerks in einem beiderseitigen Irrtum befunden. Beide Parteien seien beim Abschluß dieser Vereinbarungen fälschlich davon ausgegangen, daß die im November 1986 ausgesprochene erste Kündigung der Kredite zu Recht erfolgt sei. Dieser Irrtum sei für den Abschluß der Verträge vom Februar 1987 bestimmend gewesen.
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In Wirklichkeit sei die Beklagte jedoch nicht berechtigt gewesen, die Grundschuld wegen der Verbindlichkeiten des Ehemanns der Klägerin zu kündigen, da die Grundschuld entgegen dem Wortlaut der Sicherungsabrede vom 5. Januar 1978 für die Verbindlichkeiten des Ehemannes nicht gehaftet habe. Die entsprechende Klausel sei wegen Verstoßes gegen § 3 AGBG nicht Vertragsbestandteil geworden. Die Erweiterung der Sicherungsabrede auf die bestehenden und künftigen bedingten und befristeten Verbindlichkeiten des Ehemannes der Klägerin sei überraschend, da sie eine Regelung enthalte, mit der die Klägerin nach den Umständen vernünftigerweise nicht habe rechnen müssen. Wäre den Parteien vor Abschluß der Verträge vom Februar 1987 bewußt gewesen, daß die Kündigung vom November 1986 unberechtigt gewesen sei, hätten sie eine neue vertragliche Regelung bezüglich der hier umstrittenen Grundschuld nicht für erforderlich gehalten. Die Anpassung der Verträge müsse dazu führen, daß ihre Regelungen hinsichtlich der umstrittenen Grundschuld unberücksichtigt bleiben. Die Frage, ob die Verträge vom Februar 1987 aus anderen Gründen unwirksam seien, könne daher in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Revision rügt mit Recht, daß die Unterstellung des Berufungsgerichts, beide Parteien seien bei Abschluß der Vereinbarungen vom Februar 1987 fälschlich von der Wirksamkeit der Kreditkündigung vom 21. November 1986 ausgegangen, keine Grundlage im Vortrag der Parteien findet. Das Urteil beruht insoweit auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO.
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Die Auslegung und rechtliche Würdigung des Parteivorbringens unterliegt der freien Nachprüfung des Revisionsgerichts (BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - VIII ZR 231/90, WM 1991, 1591, 1593). Auch aus dem Gesamtzusammenhang des Vorbringens der Parteien läßt sich hier nicht entnehmen, daß die übereinstimmend als gegeben angesehene Wirksamkeit der Kreditkündigung vom 21. November 1986 von ihnen als wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarungen vom Februar 1987 betrachtet wurde. Das Grundstück der Klägerin war nicht nur mit der am 13. Mai 1968 bestellten Grundschuld über 320.000 DM belastet. Weitere Grundschulden waren am 28. November 1969 über 50.000 DM und im August 1985 sowie im März 1986 über je 100.000 DM bestellt worden. Am 14. August 1985 war der Klägerin ein Festdarlehen über 200.000 DM bis zum 30. August 1987 bewilligt worden, das nach dem von ihr lediglich mit Nichtwissen bestrittenen Vortrag der Beklagten in voller Höhe der G. GmbH zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem mit Beschluß vom 21. Oktober 1986 die Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die G. GmbH mangels Masse abgelehnt worden war, war jedenfalls die rechtzeitige Rückzahlung dieses tilgungsfreien Darlehens in Frage gestellt, zumal mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der G. GmbH nicht nur die Einkünfte des Ehemannes für die Bestreitung des Lebensunterhalts entfielen, sondern dessen Inanspruchnahme aus den für die Verbindlichkeiten der GmbH übernommenen Bürgschaften bevorstand. Die Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung des Anwesens sollten nach den vertraglichen Vereinbarungen vorzugsweise zur Bedienung des im Jahre 1968 gewährten Baudarlehens verwendet werden. Daß dieses Darlehen bis zur Kündigung am 21. November 1986 ordnungsgemäß abgewickelt worden ist, ändert deshalb nichts an der Tatsache, daß die Parteien die vertraglichen Beziehungen der veränderten wirtschaftlichen Situation anpassen mußten.
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Bereits dieser Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz stellt einen erheblichen Verfahrensfehler dar (BGH, Urteil vom 19. Januar 1990 - V ZR 241/88 = WM 1990, 1090, 1091). Es kann deshalb unentschieden bleiben, ob ein etwaiger Irrtum beider Parteien über die Wirksamkeit der vorausgegangenen Kündigung unter Berücksichtigung der Gesamtsituation ein hinreichender Grund wäre, die Vereinbarungen vom Februar 1987 nach § 242 BGB in der Weise "anzupassen", daß sie ersatzlos entfallen.
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b) Im übrigen entbehrt auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Kündigung vom 21. November 1986 sei unwirksam, bisher einer tragfähigen Grundlage.
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aa) Seine Auffassung, die Grundschuld über 320.000 DM sichere nur das der Klägerin im Jahre 1968 eingeräumte Baudarlehen, weil die erweiterte Zweckerklärung vom 5. Januar 1978 gegen § 3 AGBG verstoße, schöpft den Parteivortrag nicht aus.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 109, 197, 201 m.w.Nachw.; Senatsurteil vom 18. Februar 1992 - XI ZR 126/91, WM 1992, 563), sind formularmäßige Zweckerklärungen für Grundschulden, die den Sicherungszweck über den durch den Anlaß des Geschäfts bestimmten Rahmen hinaus in einem nicht zu erwartenden Ausmaß erweitern, überraschend im Sinne des § 3 AGBG. Das Berufungsgericht hat allein auf die Erweiterung des Sicherungszweckes auf Schulden des Ehemannes der Klägerin abgestellt, ohne sich mit dem Anlaß auseinanderzusetzen, der zu der Zweckerklärung vom 5. Januar 1978 führte. Die Bestellung der Grundschuld und die ihren Anlaß bildende Darlehensgewährung an die Klägerin lagen zu diesem Zeitpunkt fast 10 Jahre zurück. Beide Parteien gehen deshalb zutreffend davon aus, daß die neue Zweckerklärung einer Erweiterung des ursprünglichen Sicherungszweckes diente. Nach dem Vortrag der Klägerin sollte die vom Ehemann übernommene Bürgschaft für das - ohnehin durch die Grundschuld gesicherte - Baudarlehen nachträglich abgesichert werden. Die Beklagte hat demgegenüber auf die Sinnlosigkeit einer derartigen gegenseitigen Unterlegung mehrerer Sicherheiten hingewiesen und behauptet, Anlaß sei die Sicherung ihrer per 31. Dezember 1977 auf über 110.000 DM angewachsenen Forderungen gegen den Ehemann aus dem Betrieb des von ihm damals noch als Einzelfirma betriebenen Baugeschäfts gewesen. Falls die Klägerin auf die beabsichtigte Erweiterung der ursprünglichen Zweckabrede hingewiesen worden ist, so könnte allenfalls eine Überschreitung des dadurch gesetzten Rahmens durch die Einbeziehung aller künftigen Forderungen der Beklagten gegen den Ehemann der Klägerin überraschend gewesen sein.
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bb) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht bei der Frage, ob die Kündigung der der Klägerin selbst gewährten Kredite wirksam war, allein auf die ordnungsgemäße Bedienung der Darlehen abgestellt, ohne zu erwägen, daß der ein Jahr später fällige Festgeldkredit aus den laufenden Einkünften der Klägerin und ihres Ehemannes voraussichtlich nicht getilgt werden konnte und die Bürgschaften, die der Ehemann auch für die der Klägerin eingeräumten Darlehen übernommen hatte, sich nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der G. GmbH als wertlos darstellten.
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