Anforderungen an Unterschrift unter Anwaltsschriftsatz; Vertrauen auf zukünftige Anerkennung einer bislang anerkannten Unterschrift; Auslegung eines nicht als solchen bezeichneten Rechtsmittelantrags
Leitsatz
1. Zur Frage, welchen Anforderungen ein Schriftzug genügen muß, um als Unterschrift anerkannt werden zu können.
Orientierungssatz
1. Da die Unterschrift lediglich sicherstellen soll, daß das Schriftstück auch vom Unterzeichner stammt, reicht es aus, daß ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen läßt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen; der Namenszug kann flüchtig geschrieben sein und braucht weder die einzelnen Buchstaben klar erkennen zu lassen noch im ganzen lesbar zu sein. Bei der Prüfung, ob eine Unterschrift vorliegt, kann eine dem Schriftzug beigefügte vollständige Namenswiedergabe in Maschinen- oder Stempelschrift zur Deutung vergleichend herangezogen werden (vergleiche BGH, 1990-06-21, I ZB 6/90, BGHR ZPO § 130 Nr 6 - Unterschrift 4).
2. Zum Verstoß gegen eine faire Verfahrensgestaltung, wenn das Gericht den vorliegenden Schriftsatz nicht als ordnungsgemäße Unterschrift anerkennt, obwohl diese Art der Unterzeichnung vorher in anderen Verfahren nie beanstandet worden ist (Anschluß BVerfG, 1988-04-26, 1 BvR 669/87, BVerfGE, 78, 123).
3. Bewertet das Gericht einen Schriftsatz nur als Gegenvorstellung, weil darin das Anliegen einer Überprüfung durch die höhere Instanz nicht klar genug zum Ausdruck komme, verstößt es damit gegen den Auslegungsgrundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (Anschluß BGH, 1988-11-08, VI ZR 117/88).












vorgehend LG Düsseldorf, 29. November 1990, 3 O 191/89
Vergleiche BGH 9. Zivilsenat, 23. Oktober 2003, IX ZB 369/02
Fortführung BGH 12. Zivilsenat, 24. November 1999, XII ZR 94/98
Vergleiche BFH 10. Senat, 23. Juni 1999, X R 113/96
Vergleiche Hessisches Finanzgericht 11. Senat, 24. August 1995, 11 K 5112/91
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Anschluß BGH 6. Zivilsenat, 8. November 1988, VI ZR 117/88
Anschluß BVerfG 1. Senat, 26. April 1988, 1 BvR 669/87, ...
Gründe
I.
- 1
An dieser Stelle ist im Original der Schriftzug abgebildet.
- 2
Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluß vom 10. April 1991 als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht ordnungsgemäß unterschrieben worden sei: Das daruntergesetzte handschriftliche Gebilde lasse weder einzelne Buchstaben erkennen, noch werde seine Entstehung aus den ursprünglichen Schriftzeichen des Anwaltsnamens deutlich, der unmittelbar darüber maschinenschriftlich angegeben sei; die senkrechten und waagerechten Linien des Schriftgebildes ließen einen individuellen und unverwechselbaren Charakter vermissen.
- 3
Der Beschluß ist am 25. April 1991 zugestellt worden.
- 4
Mit einem am 7. Mai 1991 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 6. Mai 1991 hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten die Aufhebung des die Berufung verwerfenden Beschlusses beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die - von seinem amtlich bestellten Vertreter stammende - Unterschrift sei zwar stilisiert, stelle trotzdem aber eine höchstpersönliche Kennung des unterzeichnenden Rechtsanwalts G. dar; in Verbindung mit dem ausgedruckten Namen sei es sogar möglich, vom Bild her den Namenszug zu identifizieren.
- 5
Das Berufungsgericht hat den Schriftsatz vom 6. Mai 1991 als unstatthafte Gegenvorstellung gewertet und durch Beschluß vom 7. Mai 1991 eine Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses abgelehnt.
- 6
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Begründung: Der Schriftsatz vom 6. Mai 1991 stelle keine unstatthafte Gegenvorstellung, sondern eine zulässige sofortige Beschwerde dar. Deshalb habe das Berufungsgericht darüber nicht entscheiden dürfen; zuständig sei vielmehr das im Rechtszug höhere Gericht. Der Beschluß des Berufungsgerichts vom 7. Mai 1991 sei somit greifbar gesetzeswidrig und notfalls vom Bundesgerichtshof als Beschwerdegericht aufzuheben.
II.
- 7
1. Gegen den Beschluß vom 10. April 1991, mit dem das Oberlandesgericht die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen hat, war gemäß §§ 519 b Abs. 2, 547 ZPO die sofortige Beschwerde nach § 577 ZPO gegeben.
- 8
Dieses Rechtsmittel hat der Beklagte durch den Schriftsatz vom 6. Mai 1991 form- und fristgerecht eingelegt. Die Auslegung als sofortige Beschwerde ergibt sich, auch wenn der Schriftsatz das Wort "Beschwerde" nicht enthält und den Beklagten nicht ausdrücklich als Beschwerdeführer bezeichnet, eindeutig aus dem Inhalt: Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten greift in dem Schriftsatz die Begründung des Beschlusses über die Berufungsverwerfung an und beantragt ausdrücklich seine Aufhebung. Dazu war aber das Oberlandesgericht aufgrund von Gegenvorstellungen nicht befugt (§ 577 Abs. 3 ZPO), sondern nur der Bundesgerichtshof als Beschwerdegericht. Das verkennt auch das Berufungsgericht nicht. Wenn es trotzdem den Schriftsatz, weil darin das Anliegen einer Überprüfung durch die höhere Instanz nicht klar genug zum Ausdruck komme, nur als Gegenvorstellung bewertet, so verstößt es damit gegen den Auslegungsgrundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Urteil vom 8. November 1988 - VI ZR 117/88 = BGHR ZPO vor § 1/Rechtsmittel - Beschwer 5 m.w.Nachw.).
- 9
2. Die sofortige Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 10. April 1991 und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Einer vorherigen Aufhebung auch des Beschlusses vom 7. Mai 1991 bedarf es nicht.
- 10
Ob die Berufungsbegründungsschrift den §§ 519 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO entsprechend ordnungsgemäß unterschrieben worden ist, hat das Revisionsgericht ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts von Amts wegen selbständig zu prüfen (BGH, Urteil vom 9. November 1988 - I ZR 149/87 = BGHR ZPO § 130 Nr. 6 - Unterschrift 3). Für das Verfahren der sofortigen Beschwerde gilt nichts anderes.
- 11
Da die Unterschrift lediglich sicherstellen soll, daß das Schriftstück auch vom Unterzeichner stammt, reicht es aus, daß ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen läßt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen; der Namenszug kann flüchtig geschrieben sein und braucht weder die einzelnen Buchstaben klar erkennen zu lassen noch im ganzen lesbar zu sein (BGH, Beschluß vom 21. Juni 1990 - I ZB 6/90 = BGHR ZPO § 130 Nr. 6 - Unterschrift 4). Bei der Prüfung, ob eine Unterschrift vorliegt, kann eine dem Schriftzug beigefügte vollständige Namenswiedergabe in Maschinen- oder Stempelschrift zur Deutung vergleichend herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluß vom 21. Juni 1990 aaO).
- 12
Der vorliegende Schriftzug unter der Berufungsbegründung des Beklagten genügt noch den Anforderungen an eine Unterschrift. Sein Beginn läßt sich bei Kenntnis des - in dem unmittelbar daneben befindlichen Stempelabdruck mitgeteilten - Namens als eine stark vereinfachte Form des großen Anfangsbuchstabens G deuten. Der Schriftzug geht danach in eine längere waagerechte Linie über, die nur leicht gewellt ist. Sieht man auch diesen Teil des Schriftzugs in Verbindung mit dem Namen, so ergibt sich: Beim Namen des unterzeichnenden Anwalts G. folgen dem Anfangsbuchstaben G noch insgesamt sechs weitere Buchstaben, die sich alle außer dem zweiten (h) im Schriftbild auf das Mittelband beschränken, also keine Ober- und Unterlängen aufweisen (m, n, o, a). Eine derartige Buchstabenfolge unterliegt bei Unterschriften häufig einem Abschleifungsprozeß, dessen Ergebnis schließlich nur noch eine durchgehende Wellen- oder Fadenlinie ist. Der diese Linie kreuzende Abstrich markiert hier den einzigen Buchstaben, der durch eine Oberlänge aus der Buchstabenfolge des Namens herausragt (h). Dem Gesamtschriftzug kann ein individuell stilisierter, unverwechselbarer Charakter nicht abgesprochen werden. Die Länge der auslaufenden Fadenlinie macht deutlich, daß es sich nicht nur um ein abgekürztes Handzeichen, sondern um eine vollständige Unterschrift handelt.
- 13
Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht auch gegen seine Pflicht zur fairen Verfahrensgestaltung verstoßen hat, wenn es den vorliegenden Schriftzug nicht als ordnungsgemäße Unterschrift anerkannte, obwohl diese Art der Unterzeichnung vorher in anderen Verfahren nie beanstandet worden war (vgl. BVerfGE 78, 123, 126 = NJW 1988, 2787).
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