Rechtsweg für Rückzahlungsanspruch gegen eine Bank der früheren DDR im Transferrubel-Zahlungsverkehr; Wirkungen der Übersendung einer Verhandlungsniederschrift mit vollständigem Beschlußtext
Leitsatz
1. Für Klagen einer Bank der früheren DDR auf Rückzahlung von Beträgen, die im sogenannten Transferrubel-Zahlungsverkehr gutgeschrieben und in Deutsche Mark umgestellt wurden, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.
Orientierungssatz
1. Die Übersendung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, die den vollen Wortlaut des gerichtlichen Beschlusses enthält, stellt keine Zustellung des Beschlusses dar. Eine Beschwerde kann jedoch bereits vor Zustellung des Beschlusses eingelegt werden.










vorgehend LG Berlin, 19. Oktober 1992, 93 O 3/93
Gründe
I.
- 1
Die klagende Bank nimmt die Beklagte wegen angeblich zu Unrecht geleisteter Zahlungen auf Rückzahlung sowie auf Freigabe treuhänderisch hinterlegter Beträge in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
- 2
Die Beklagte unterhielt bei der Klägerin seit dem 29. Juni 1990 ein laufendes Konto. Sie lieferte Computer in die damalige Sowjetunion und erhielt den Gegenwert verschiedener Lieferungen von der Klägerin zunächst in sogenannten transferablen Rubeln gutgeschrieben. Die Gutschriften wurden sodann zum Kurs von 1 : 2,34 in Deutsche Mark umgestellt.
- 3
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, an dem Transferrubel-Zahlungsverkehr teilzunehmen. Im Vorfeld des vorliegenden Rechtsstreits trafen sie Vereinbarungen, auf deren Grundlage die Beklagte verschiedene Beträge auf ein gemeinsames Treuhandkonto bei der D. Bank überwies.
- 4
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung ihres Anspruchs auf Auszahlung des auf dem Treuhandkonto befindlichen Betrags von 19.276.341,60 DM nebst Zinsen sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 251.584,65 DM nebst Zinsen. Sie hat die Erhöhung ihres Zahlungsantrags auf 44.628.826,39 DM angekündigt.
- 5
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat unter anderem geltend gemacht, für die Klage sei nicht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, sondern die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gegeben.
- 6
Das Landgericht hat mit Beschluß vom 19. Oktober 1992 die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten bejaht. Das Kammergericht hat die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten mit Beschluß vom 21. Mai 1993 zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten.
II.
- 7
Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist auf Grund der Zulassung durch das Kammergericht nach § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG, § 577 ZPO statthaft. Die Frist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist gewahrt. Das Erfordernis eines neuen selbständigen Beschwerdegrundes nach § 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften des § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GVG über die Zulassungsbeschwerde hier nicht anwendbar (BGH, Beschluß vom 12. November 1992 - V ZB 22/92 = WM 1993, 30, 31 m.w.Nachw.; zum Abdruck in BGHZ 120, 198 bestimmt).
III.
- 8
In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
- 9
1. Die von der Klägerin erhobenen Bedenken gegen die Zulässigkeit der ersten Beschwerde sind allerdings unbegründet. Zwar ist die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landgerichts vom 19. Oktober 1992 erst am 11. Februar 1993 eingelegt worden. Die Frist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO war indessen zu diesem Zeitpunkt nicht verstrichen, weil sie mangels Zustellung des landgerichtlichen Beschlusses noch nicht in Lauf gesetzt worden war. Die formlose Übersendung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Landgerichts vom 19. Oktober 1992, die den vollen Wortlaut des landgerichtlichen Beschlusses enthält, an den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten stellt keine Zustellung des Beschlusses dar (MünchKomm ZPO-Braun § 577 Rdn. 3). Entgegen der Ansicht der Klägerin konnte die Beschwerde auch bereits vor Zustellung des Beschlusses eingelegt werden (MünchKomm ZPO-Braun aaO).
- 10
2. Die weitere sofortige Beschwerde konnte jedoch deshalb keinen Erfolg haben, weil das Landgericht, wie das Kammergericht zutreffend erkannt hat, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten mit Recht bejaht hat.
- 11
a) Nach § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Der Verwaltungsrechtsweg ist dagegen nach der Grundsatzvorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit sie nicht durch Bundesgesetze einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
- 12
Die Beantwortung der Frage, ob eine Streitigkeit dem bürgerlichen Recht oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt (GmS-OGB BGHZ 97, 312, 313 f.; GmS-OGB BGHZ 102, 280, 283; GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286, jeweils m.w.Nachw.). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann im Einzelfall allerdings auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen (GmS-OGB BGHZ 108, 284, 286). Das setzt jedoch voraus, daß beide Beteiligten Träger hoheitlicher Gewalt und die das Streitverhältnis beherrschenden Rechtsnormen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
- 13
b) Im vorliegenden Fall ist die Klägerin in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und die Beklagte in der der Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert. Bei beiden Parteien handelt es sich somit - auch nach dem Recht der zu der hier interessierenden Zeit noch bestehenden früheren DDR - um juristische Personen des Privatrechts. Das schließt die Zuordnung ihres Rechtsstreits zum öffentlichen Recht aus, es sei denn, die Klägerin wäre als mit Hoheitsbefugnissen beliehenes Unternehmen gegenüber der Beklagten tätig geworden.
- 14
Davon kann indessen nicht ausgegangen werden. Die Klägerin stand auf der Grundlage eines Kontovertrags und ihrer darin in Bezug genommenen allgemeinen Geschäftsbedingungen mit der Beklagten in laufender Geschäftsverbindung und führte für sie das Inkasso bei Außenhandelsgeschäften durch. Dabei traten beide Parteien einander auf der Ebene der Gleichordnung gegenüber.
- 15
Der Umstand, daß die Befugnis der Klägerin zur Teilnahme am zwischenstaatlichen Zahlungs- und Verrechnungsverkehr auf einer amtlichen Anordnung des Präsidenten der Staatsbank der früheren DDR vom 6. Dezember 1984 (GBl. DDR I, 449) beruhte, ändert daran nichts. Diese Anordnung enthielt keine Beleihung mit hoheitlichen Befugnissen, sondern lediglich die obrigkeitliche Zulassung zur bankmäßigen Geschäftstätigkeit im Bereich des Außenwirtschaftsverkehrs (Haußner in DtZ 1993, 80, 81 läßt diese Frage offen). § 1 Satz 1 der genannten Anordnung, wonach die Klägerin und eine weitere Bank "als für Währungs- und Devisenbeziehungen der Deutschen Demokratischen Republik zugelassene Kreditinstitute die sich aus den devisenrechtlichen Bestimmungen ergebenden Aufgaben im Rahmen ihrer Zuständigkeit" wahrnahmen, besagt nichts anderes. Der Sache nach ging es dabei nur darum, die betroffenen Banken hinsichtlich der Einzelheiten ihrer bankgeschäftlichen Tätigkeit an das Devisenrecht der früheren DDR zu binden.
- 16
Darin, daß die §§ 58, 59 der vom Ministerrat der früheren DDR veröffentlichten "Allgemeine Bedingungen für die Warenlieferungen zwischen den Organisationen der Mitgliedsländer des RGW 1968/1988 (ALB/RGW 1968/1988)" (GBl. DDR 1989 II, 41) das von der Klägerin im Auftrag der Beklagten angewandte Verfahren des Inkassos mit Nachakzept (sogenanntes Sofortbezahlungsverfahren) näher regelten und dabei der Klägerin auch bestimmte Prüfungspflichten auferlegten, lag ebenfalls keine Beleihung der Klägerin mit hoheitlichen Befugnissen. Nach § 59 Abs. 2 ALB/RGW 1968/1988 hatte die Klägerin lediglich zu prüfen, ob bestimmte vom Auftraggeber vorzulegende Dokumente vorhanden waren sowie inhaltlich und ziffernmäßig übereinstimmten, nicht dagegen selbständig über die Berechtigung des Auftraggebers zur Tätigung von Exportgeschäften oder zur Teilnahme am Transferrubel-Zahlungsverkehr zu entscheiden. Bei dieser Prüfungspflicht handelte es sich für die Klägerin nicht um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse gegenüber Dritten, sondern letztlich nur darum, sich Gewißheit über die Voraussetzungen zu verschaffen, unter denen sie bestimmte Bankgeschäfte für ihre Kunden durchführen durfte.
- 17
Auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die staatliche Regelung des Transferrubel-Zahlungsverkehrs und dabei vor allem die Festsetzung des Umrechnungskurses - insbesondere seit dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der früheren DDR am 1. Juli 1990 - Subventionscharakter hatte (vgl. dazu einerseits Wewel ZfZ 1991, 274, 275 und Haußner DtZ 1993, 80 ff. sowie andererseits Budde/Flüh ZIP 1992, 369, 374 f.), kommt es nicht an. Auch wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, so hätte nur die Zulassung der Interessenten zu den begünstigten Außenhandelsgeschäften, nicht aber die bankmäßige Durchführung des damit verbundenen Zahlungsverkehrs durch die Klägerin den Charakter der Ausübung hoheitlicher Befugnisse (sogenannte Zweistufentheorie; vgl. BVerwGE 1, 308, 310; BGHZ 61, 296, 299; 92, 94, 95; Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 1232 m.w.Nachw.; Haußner aaO S. 81).
- 18
c) Das Inkasso der Transferrubel-Beträge durch die Klägerin sowie die Auszahlung des Gegenwerts in Deutsche Mark an die Beklagte geschah somit in einem dem bürgerlichen Recht unterworfenen Verhältnis der Gleichordnung im bankgeschäftlichen Verkehr. Daraus folgt, daß auch für die von der Klägerin behaupteten Rückzahlungsansprüche der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Der Umstand, daß es für die Begründetheit dieser Rückzahlungsansprüche auf die nach öffentlichem Recht zu beurteilende Frage nach der Berechtigung der Beklagten zur Teilnahme am Transferrubel-Zahlungsverkehr ankommen kann, ändert daran nichts. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG hat das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Ist ein Rechtsstreit - wie hier - nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, als bürgerlichrechtlich einzustufen, so kann der Umstand, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auch auf öffentlich-rechtliche Vorfragen ankommt, die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten nicht in Frage stellen.
Permalink
-
Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.juris.de/perma?d=KORE300799300