Rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme des im Innenverhältnis freigestellten Gesamtschuldners einer Darlehensverpflichtung
Leitsatz
1. Ein Darlehensgläubiger handelt in der Regel nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er einen Gesamtschuldner ohne Rücksicht darauf in Anspruch nimmt, daß der andere Gesamtschuldner diesen im Innenverhältnis von der Verbindlichkeit freigestellt hat.















vorgehend LG Berlin, 6. Januar 1988, 26 O 70/87




Ingo Koller, WuB IV A 421 BGB 1.91 (Anmerkung)
Tatbestand
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Die Kläger nehmen den Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 50.000 DM in Anspruch, das ihm und ihrem Sohn L. aufgrund eines schriftlichen Darlehensvertrages vom Mai 1984 gewährt wurde. Dieser Vertrag hat folgenden Wortlaut:
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Darlehensvertrag
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zwischen Herrn H.-K. M. für H. u. E. M. (Kurhotel C.) K. 3, O.
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und a) Herrn Dipl.-Ing. P. T. M. 2a, B. 28
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b) Herrn Dipl.-Ing. L. M. R. 8a, B. 45
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je zu 1/2
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1.) Der Darlehensgeber stellt den Darlehensnehmern einen Betrag von DM 50.000,- zur Verfügung. Die erste a conto Zahlung in Höhe von DM 30.000,- erfolgt am 29.05.1984
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Die zweite a conto Zahlung in Höhe von DM 20.000,- erfolgt am 20.06.1984.
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2.) Das Darlehen ist zuzüglich der vereinbarten Zinsen am 29.05.1985 zurückzuzahlen.
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3.) Für die Laufzeit wird ein Zinssatz in Höhe von 7% vereinbart.
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4.) Weitere Sicherheiten werden nicht geboten.
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Der Beklagte und L. M. waren seinerzeit Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die sich mit dem Erwerb, dem Umbau und der Weiterveräußerung von Wohngebäuden befaßte.
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Der Beklagte macht u.a. geltend, daß in einer notariell beurkundeten Vereinbarung vom 1. Oktober 1985 im Namen der Kläger wirksam auf die Darlehensforderung gegen ihn verzichtet worden sei. Hilfsweise rechnet der Beklagte mit restlichen Honoraransprüchen in Höhe von 146.234 DM auf, die ihm nach seiner Auffassung gegen die Kläger aus einem mit ihnen abgeschlossenen Architektenvertrag noch zustehen.
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Die Kläger machen geltend, daß die notarielle Vereinbarung vom 1. Oktober 1985 nicht wirksam in ihrem Namen abgeschlossen worden sei. Außerdem behaupten sie, daß dem Beklagten eine Gegenforderung aus dem Architektenvertrag nicht mehr zustehe, da er auf etwaige restliche Honoraransprüche bereits in einer notariell beurkundeten Vereinbarung mit L. M. vom 6. Juli 1984 verzichtet habe. Schließlich bestreiten sie die Höhe der Gegenforderung.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet.
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1. Das Berufungsgericht ist von einem wirksamen Darlehensvertrag mit den Klägern ausgegangen, aus dem der Beklagte als Gesamtschuldner in vollem Umfang hafte. Es hat jedoch angenommen, daß die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Kläger rechtsmißbräuchlich sei, und hierzu ausgeführt:
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In der notariell beurkundeten Vereinbarung zwischen L. M. und dem Beklagten vom 6. Juli 1984 habe der Beklagte ausdrücklich auf weitere Honoraransprüche gegen die Kläger verzichtet. Darin sei entgegen der Auffassung des Landgerichts kein rechtlich nicht möglicher Erlaßvertrag zugunsten Dritter, sondern eine rechtlich zulässige Vereinbarung zu sehen, den fraglichen Anspruch gegen Dritte nicht mehr geltend zu machen (pactum de non petendo). Dieser Teil der Vereinbarung könne jedoch nicht isoliert von den übrigen Regelungen des notariellen Vertrages vom 6. Juli 1984 gesehen werden. Aus dem Gesamtzusammenhang müsse gefolgert werden, daß sich der Beklagte zu diesem Verzicht u.a. nur im Hinblick auf die ihm von L. M. gewährte Freistellung von Rückzahlungsansprüchen wegen des von den Klägern gewährten Darlehens bereitgefunden habe. Diese Verpflichtung binde zwar nur L. M.. Die Kläger würden aber rechtsmißbräuchlich handeln, wenn sie aus dieser nicht von ihnen selbst, sondern von ihrem Sohn L. M. mit dem Beklagten abgeschlossenen Vereinbarung zwar einerseits den für sie vorteilhaften Verzicht des Beklagten auf seine restlichen Honoraransprüche für sich in Anspruch nehmen, aber andererseits nicht die für sie nachteilige Freistellungsvereinbarung gegen sich gelten lassen würden. Die Freiheit der Kläger, das Darlehen beliebig von jedem der Gesamtschuldner fordern zu können, sei deshalb nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) beschränkt.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß Darlehensgeber die Kläger waren und der Beklagte aus dem Darlehensvertrag vom Mai 1984 in Höhe der vollen Darlehenssumme als Gesamtschuldner verpflichtet wurde. Seine Auffassung, daß der im Darlehensvertrag enthaltene Zusatz bei den Darlehensnehmern "je zu 1/2" dem nicht entgegensteht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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b) Die Inanspruchnahme des Beklagten durch die Kläger kann unter den gegebenen Umständen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als rechtsmißbräuchlich angesehen werden.
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Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Gläubiger grundsätzlich frei wählen kann, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nehmen will, und daß er im allgemeinen keine Rücksicht darauf zu nehmen braucht, welcher Gesamtschuldner im Innenverhältnis ausgleichspflichtig ist. Unter besonderen Umständen kann allerdings das Vorgehen des Gläubigers gegen einen bestimmten Gesamtschuldner rechtsmißbräuchlich sein (BGH, Urteil vom 30. Januar 1967 - III ZR 248/64, WM 1967, 397, 398; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1982 - V ZR 244/81, NJW 1983, 1423, 1424; BGH, Beschluß vom 22. Mai 1984 - III ZR 75/83, WM 1984, 906). In der Regel ist einem Gesamtschuldner der Einwand versagt, der Gläubiger hätte sich durch rechtzeitigen Zugriff bei dem im Innenverhältnis verpflichteten Gesamtschuldner befriedigen können und müssen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Gläubiger arglistig handelt, wenn also sein Vorgehen im Hinblick auf besondere Umstände des Falles sich als Mißbrauch des Rechts darstellen würde, die Leistung nach Belieben von jedem Schuldner zu fordern (BGH WM 1967, 397/398). Als rechtsmißbräuchlich wäre das Verhalten des Gläubigers dann anzusehen, wenn er sich nur deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern halten und ihm das Regreßrisiko aufbürden würde, weil er aus mißbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten (BGH WM 1984, 906).
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c) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die vom Berufungsgericht hervorgehobenen Umstände lassen die Geltendmachung des Darlehensrückzahlungsanspruches gegen den Beklagten nicht rechtsmißbräuchlich erscheinen.
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aa) Der notarielle Vertrag zwischen dem Beklagten und L. M. vom 6. Juli 1984 diente nach der einleitenden Zweckerklärung der Auseinandersetzung "über das gemeinsame Vermögen" nach Beendigung der Zusammenarbeit. Was Forderungen und Verbindlichkeiten angeht, so enthält der Vertrag insbesondere folgende Regelungen: Der Beklagte verzichtete über insoweit bereits erhaltene Zahlungen hinaus auf weitere Honoraransprüche für Architektenleistungen, die er für das Bauvorhaben der Kläger erbracht hatte. L. M. stellte ihn von allen Gewährleistungsansprüchen der Kläger und Dritter aus diesem Bauvorhaben frei. Hinsichtlich der Verbindlichkeiten stellte L. M. den Beklagten von im einzelnen bezeichneten Bürgschaftsverpflichtungen, von Bankschulden sowie von der hier streitigen Darlehensverpflichtung frei.
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bb) Durch den genannten Vertrag wurden Rechte und Pflichten der Kläger auch nicht mittelbar begründet. Es handelt sich ausschließlich um interne Regelungen zwischen dem Beklagten und L. M.. Der vom Berufungsgericht als entscheidend angesehene Zusammenhang zwischen dem Verzicht des Beklagten auf die Geltendmachung seiner restlichen Honorarforderung gegen die Kläger und der dem Beklagten von L. M. gewährten Freistellung von Rückzahlungsansprüchen wegen des hier umstrittenen Darlehens wird von den Klägern bestritten. Diese Frage kann jedoch auf sich beruhen. Auch wenn man mit dem Berufungsgericht einen entsprechenden Zusammenhang annimmt, so bedeutet das nicht, daß die Kläger die zwischen dem Beklagten und ihrem Sohn L. M. im Innenverhältnis getroffene Freistellungsvereinbarung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch gegen sich gelten lassen müßten. Die Freistellungsvereinbarung hat nur zur Folge, daß L. M. im Innenverhältnis allein haftet und daß der Beklagte im Falle der Inanspruchnahme durch die Kläger von L. M. in vollem Umfang - und nicht nur zur Hälfte - Ausgleich verlangen kann. Es verstößt im vorliegenden Fall nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Beklagte nach der Inanspruchnahme durch die Kläger auf den Rückgriff gegen L. M. angewiesen bleibt. Außergewöhnliche Umstände i.S. der unter b) dargelegten Rechtsprechung, die das Verhalten der Kläger als mißbilligenswert erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor.
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Der weitere vom Beklagten unwidersprochen vorgetragene Umstand, daß mit dem Darlehen der Kläger ausschließlich Verbindlichkeiten des L. M. bzw. der mit seinem Bruder H.-K. M. geführten Gesellschaften getilgt worden seien, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Verwendung der Darlehensbeträge spielt für die ausschließlich nach dem Darlehensvertrag zu beurteilende Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten keine Rolle. Wenn der Beklagte der Ansicht war, daß die Rückzahlung des Darlehens im Hinblick auf seine Verwendung eine familieninterne Angelegenheit der Familie M. sei, hätte er auf einer Freistellungsvereinbarung unmittelbar mit den Klägern bestehen müssen.
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3. Der Senat kann eine Entscheidung in der Sache selbst nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht treffen. Das Berufungsgericht hat unentschieden gelassen, ob dem Rückzahlungsverlangen der Kläger die in Ziffer 9 des notariellen Vertrages vom 1. Oktober 1985 enthaltene allgemeine Ausgleichsklausel entgegensteht. Da über die Frage des Zustandekommens dieses Vertrages - insbesondere seine Wirksamkeit (auch) gegenüber den Klägern - Streit besteht und das Berufungsgericht hierzu bisher keine Feststellungen getroffen hat, ist auch für eine Auslegung der Klausel durch den erkennenden Senat kein Raum. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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