Widerruf einer in der Privatwohnung unterzeichneten, vom Sohn als Kreditnehmer veranlaßten Sicherungszweckerklärung nach HWiG; Wirksamkeit formularmäßiger Haftungserweiterung durch Unterzeichnung eines besonderen Hinweisformulars
Leitsatz
HWiG § 1 (juris: HTürGG) ist nicht anwendbar, wenn ein Kreditnehmer seine Mutter in ihrer Wohnung veranlaßt, eine Sicherungszweckerklärung zugunsten der ihm Kredit gewährenden Bank zu unterschreiben (im Anschluß an BGH, 1993-03-09, XI ZR 179/92, WM IV 1993, 683).
2. Eine formularmäßige Zweckerklärung, die den Sicherungszweck über den durch den Anlaß bestimmten Rahmen hinaus auf sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Sicherungsnehmers gegen einen Dritten erweitert, bleibt überraschend, auch wenn vom Sicherungsgeber eine zusätzliche Formularerklärung unterschrieben wird, die auf die Zweckerweiterung hinweist; es bedarf eines individuellen Hinweises, der die Gewähr dafür bietet, daß der Sicherungsgeber sich der vollen Tragweite seiner Erklärung bewußt wird.















vorgehend LG München I, 10. Dezember 1993, 10 O 19754/93
Anschluß OLG Koblenz 3. Zivilsenat, 6. Februar 2001, 3 U 316/00
Abgrenzung BGH 11. Zivilsenat, 17. September 1996, XI ZR 164/95





... mehrHerberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Lapp/Salamon, 8. Auflage 2017, § 305c BGB
● Reischl, 8. Auflage 2017, § 1191 BGB
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. August 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde vom 20. Oktober 1978. Die Klägerin hatte damals an ihrem Wohngrundstück in M. eine Grundschuld von 190.000 DM bestellt, und zwar zugunsten der Beklagten, einer Hypothekenbank, zur Sicherung eines Darlehens. Nachdem dieses Darlehen vollständig getilgt war, kam es 1986 zu Verhandlungen der Beklagten mit dem Sohn der - damals schon 78 Jahre alten - Klägerin über eine neue Sicherungszweckvereinbarung. Der Sohn schuldete der Beklagten über 1 Million DM; gemeinsam mit seiner Ehefrau schloß er mit der Beklagten zwei zusätzliche Darlehensverträge ab: am 21./23. Mai 1986 über 180.000 DM (Darlehen 001) und am 11./19. September 1986 über 250.000 DM (Darlehen 002). Am 11. September 1986 übersandte die Beklagte den Darlehensnehmern unter Hinweis auf die "Hypo-Baufinanzierung in Höhe von 250.000 DM" eine neue Zweckerklärung für die Grundschuld sowie eine Zusatzerklärung und bat, diese Unterlagen möglichst schnell unterschrieben wieder einzureichen. Der Sohn legte beide Erklärungen am 22. September 1986 der Klägerin in ihrer Wohnung vor. Nach Einsetzen des Datums unterschrieb sie das gedruckte Zweckerklärungsformular und die maschinenschriftliche Zusatzerklärung, die folgenden Wortlaut hatte:
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"Ich habe Ihnen gegenüber am 22.09.86 die Zweckerklärung sowie Abtretungs- und Verpfändungserklärung unterschrieben und bin von Ihnen gleichzeitig darauf hingewiesen worden, daß die von mir zugunsten
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a) Frau Ma. H. b) Dr. R. H. c) I. H.
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als Hauptschuldner gestellte Sicherheit nicht nur für die gegenwärtigen Forderungen Ihrer Bank gegen den Hauptschuldner, sondern für sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung mit Ihrer Bank in dem in der Zweck- sowie Abtretungs- und Verpfändungserklärung näher bezeichneten Umfang herangezogen werden kann.
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Ich bin weiter darüber belehrt worden, daß mir daraus unter Umständen die Gefahr des ganzen oder teilweisen Verlustes des Eigentums am Grundstück erwachsen kann, wenn Ihre Bank gezwungen ist, bei Verzug des Hauptschuldners die Sicherheit zu verwerten."
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Später trat die Beklagte einen Grundschuldteilbetrag von 32.500 DM an eine Bausparkasse ab. In Höhe des Restbetrags von 157.500 DM nebst Zinsen ließ sie sich 1993 eine notarielle Vollstreckungsklausel erteilen; daraus betreibt sie die Zwangsvollstreckung in das Wohngrundstück der Klägerin. Diese hält die Sicherungszweckerklärung vom 22. September 1986 für unwirksam. Ihre Vollstreckungsabwehrklage ist vom Landgericht abgewiesen worden. Dagegen hat die Klägerin ohne Erfolg Berufung eingelegt. Mit der Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Zur Begründung der Klageabweisung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Sicherungsabrede sei uneingeschränkt wirksam:
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Die Voraussetzungen eines Widerrufsrechts nach § 1 HWiG lägen nicht vor, auch wenn die Klägerin im Bereich ihrer Privatwohnung von ihrem Sohn zur Abgabe der Zweckerklärung vom 22. September 1986 bestimmt worden sei. Das Haustürwiderrufsgesetz habe nicht die Aufgabe, die nächsten Verwandten untereinander vor Mißbräuchen zu schützen.
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Eine Anfechtung nach § 123 BGB scheitere daran, daß eine arglistige Täuschung der Klägerin durch ihren Sohn jedenfalls der Beklagten nicht zuzurechnen sei. Der Sohn habe bei der Beschaffung der Zweckbestimmungserklärung im eigenen Interesse gehandelt und nicht als Verhandlungsgehilfe der Bank.
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Die erweiterte, sämtliche Forderungen der Beklagten umfassende Sicherungszweckerklärung sei auch nicht nach § 3 AGBG unwirksam; der Überraschungscharakter entfalle aufgrund der maschinenschriftlichen Zusatzerklärung.
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Auch § 138 Abs. 1 BGB greife nicht durch; es sei weder eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke noch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Verpflichtung und Leistungsfähigkeit der Klägerin zu erkennen.
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Danach könne die Vollstreckungsgegenklage nur Erfolg haben, wenn überhaupt keine Forderung der Beklagten mehr gegen den Sohn und seine Frau bestehe; diesen Beweis habe die Klägerin nicht erbracht.
II.
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Die Begründung des Berufungsurteils hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Die Voraussetzungen der §§ 123, 138 BGB hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint. Auch die Revision erhebt dagegen keine Einwendungen.
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2. Ohne Erfolg bleibt der Widerruf der Klägerin nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Der erkennende Senat hat zwar kürzlich in einem anderen Verfahren ausdrücklich entschieden, daß eine Sicherungsabrede in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt (Urteil vom 26. September 1995 - XI ZR 199/94, zur Veröffentlichung bestimmt). Nach gefestigter BGH-Rechtsprechung sind jedoch die Voraussetzungen des § 1 HWiG zu verneinen, wenn ein Ehegatte dem anderen in der ehelichen Wohnung eine Vertragserklärung auf Veranlassung des Vertragsgegners zur Unterschrift vorgelegt hat (Senatsurteil vom 9. März 1993 - XI ZR 179/92 = WM 1993, 683, 684 im Anschluß an BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986 - III ZR 92/85 = WM 1986, 1466). Schon der Leitsatz des genannten Urteils vom 16. Oktober 1986 aaO beschränkte diese Rechtsprechung nicht auf Ehegatten, sondern sprach schon allgemein von "nahen Angehörigen". Die Tatsache, daß hier die Klägerin und ihr Sohn nicht im selben Haushalt lebten, kann eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen; auch der Sohn ist nicht als Verhandlungsgehilfe der Bank unbestellt in die häusliche Sphäre der Mutter eingedrungen.
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3. Die Sicherungszweckerklärung ist jedoch nach den Vorschriften des AGB-Gesetzes unwirksam.
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a) Alle von der Klägerin am 22. September 1986 unterschriebenen Schriftstücke enthalten Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG, nicht nur die gedruckte Zweckerklärung. Auch die Zusatzerklärung wurde nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin von der Beklagten formularmäßig verwendet; auf die Schriftart kommt es nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AGBG nicht an; auch maschinenschriftliche Texte sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG als AGB zu qualifizieren (Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 7. Aufl. § 1 Rdn. 34; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher AGBG 3. Aufl. § 1 Rdn. 19).
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b) Soweit die Revision sich zur Begründung für die Unwirksamkeit der erweiterten Sicherungsabrede auf § 9 AGBG beruft, setzt sie sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 9. Juli 1991 - XI ZR 218/90 = WM 1991, 1748, 1750 zu 2. b; dagegen Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen aaO Anh. §§ 9-11 Rdn. 663; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher aaO § 9 Rdn. S 96 = S. 883).
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c) Des Rückgriffs auf § 9 AGBG bedarf es hier nicht, weil jedenfalls ein Verstoß gegen § 3 AGBG vorliegt. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, ist nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die formularmäßige Ausdehnung des Haftungsumfangs einer Grundschuld über den Anlaß des Sicherungsvertrages hinaus auf alle gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten eines Dritten grundsätzlich als überraschend zu bewerten (BGHZ 109, 197; Senatsurteil vom 18. Februar 1992 - XI ZR 126/91 = WM 1992, 563; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Mai 1995 - IX ZR 108/94 = WM 1995, 1397 = ZIP 1995, 1244, 1247). Anlaß der Sicherungsabrede vom 22. September 1986 war die im selben Jahr erfolgte Zusatzkreditgewährung an den Sohn der Klägerin. Dabei kommt es noch nicht auf den Streit an, ob das Darlehen 002 oder 001 abgesichert werden sollte; der Haftungsausdehnung auf sämtliche bestehenden und zukünftigen Schulden wohnte in jedem Fall ein unzulässiger Überraschungseffekt inne. Zu diesem Ergebnis kommt bei isolierter Betrachtung der gedruckten Zweckbestimmungserklärung auch das Berufungsgericht; es meint jedoch, der Überraschungscharakter entfalle aufgrund der im gleichen Zusammenhang unterschriebenen Zusatzerklärung.
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Diese Auffassung des Berufungsgerichts ist nur im Ansatz richtig: Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 3 AGBG nicht mehr anwendbar, wenn der Sicherungsgeber im Rahmen der Verhandlungen auf die Erweiterung der dinglichen Haftung hingewiesen worden ist (BGHZ 109, 197, 203; Senatsurteil vom 18. Februar 1992 aaO S. 564). Dazu genügt es jedoch nicht, daß dem Sicherungsgeber neben der Zweckerklärung ein weiteres vorformuliertes Schriftstück zur Unterschrift vorgelegt wird. Es bedarf eines individuellen Hinweises, der die Gewähr dafür bietet, daß dem Sicherungsgeber bewußt wird, in welch unbeschränktem Maße er sich verpflichtet. Daran fehlte es hier: Unstreitig hat die Klägerin vor der Unterschriftsleistung keinerlei mündliche Hinweise auf die Erweiterung des Sicherungszwecks erhalten. Wenn das Berufungsgericht meint, hier habe die schriftliche Zusatzerklärung wegen ihrer Besonderheiten genügt - die Schriftart erwecke erhöhte Aufmerksamkeit, der wesentliche Inhalt sei wegen der Kürze des Textes auf den ersten Blick zu erfassen -, so vermag der erkennende Senat diese Auffassung nicht zu teilen. Mit Recht verweist die Revision darauf, daß die Erklärung (ohne die Namensangaben) immerhin elf Zeilen umfaßt und daß jede drucktechnische Hervorhebung der entscheidenden Worte fehlt. Soweit das Berufungsgericht dem letzten, unmittelbar über der Unterschrift befindlichen Satz der Erklärung besonderen Warncharakter beimessen will, ist dem entgegenzuhalten, daß es dort gar nicht um die Sicherungszweckerweiterung geht: Die Gefahr "des ganzen oder teilweisen Verlustes des Eigentums am Grundstück" im Falle der Verwertung droht bei jeder Grundstücksbelastung, auch bei einer Beschränkung des Sicherungszwecks auf ein bestimmtes Darlehen.
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Insgesamt war die Zusatzerklärung nicht geeignet, der durch den konkreten Anlaß der Sicherungsabrede geprägten Erwartungshaltung der Sicherungsgeberin entgegenzuwirken und den Überraschungscharakter der unbeschränkten Haftungszweckerweiterung entfallen zu lassen. Es lag - auch für die Beklagte - durchaus nahe, daß die damals bereits 78 Jahre alte Klägerin von den beiden ihr von ihrem Sohn zur Unterschrift vorgelegten Erklärungen die eine ebensowenig lesen würde wie die andere.
III.
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Zur Entscheidung in der Sache ist der Senat noch nicht in der Lage. Wegen des Verstoßes gegen § 3 AGBG ist die weite Sicherungszweckbestimmung der Klägerin vom 22. September 1986 nicht Vertragsinhalt geworden (vgl. Senatsbeschluß vom 24. März 1992 - XI ZR 205/91 = BGHR AGBG § 6 Abs. 1 - Teilunwirksamkeit 4). An ihre Stelle tritt aber eine beschränkte Abrede, nach der nur das Darlehen gesichert werden sollte, dessen Gewährung Anlaß der Vereinbarung war; das ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (Senatsbeschluß vom 24. März 1992 aaO AGBG § 6 Abs. 1 - ergänzende Auslegung 3). Zwischen den Parteien ist streitig, ob das Darlehen 001 oder 002 Anlaß der Zweckerklärung war. Auf die schwerwiegenden Indizien, die für eine Zuordnung zum Darlehen 002 sprechen, hat das Berufungsgericht bereits hingewiesen, eine endgültige Feststellung hierzu aber - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bisher nicht für erforderlich gehalten. Falls es nach der Zurückverweisung zu einer solchen Feststellung kommt, muß das Berufungsgericht auch seine bisherige Auffassung überprüfen, das Darlehen 002 sei nach Ablauf der Rückzahlungssperrfrist (30. September 1991) nicht getilgt, sondern nur aufgestockt und unter neuer Kontonummer fortgeführt worden. Für eine Rückzahlung dieses Darlehens spricht nicht nur der Überweisungsbeleg vom 18. November 1991 (Anlage K 12); auch in den eigenen Schreiben der Beklagten vom 17. Oktober 1991, 18. Oktober 1991 und 25. November 1993, die an den Sohn der Klägerin, seine Ehefrau und Rechtsanwalt Ho. gerichtet und von der Beklagten selbst vorgelegt worden sind (Anlagen B 27-29), wird stets zwischen dem Darlehen 002, das zurückbezahlt werden sollte, und einem neuen Darlehen über 310.000 DM unterschieden und ausgeführt, das neue Darlehen sei am 15. November 1991 in voller Höhe auf das Girokonto 635... ausbezahlt, von dort seien dann 250.000 DM zur Rückführung des Darlehens 002 überwiesen worden.
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