DDR-Recht: Wirksamkeit staatlich beantragter Aufbauhypotheken bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen staatlicher Bestellung; Erstreckung der Richtigkeitsvermutung der Grundbucheintragung auf den Bestand der gesicherten Forderung
Leitsatz
1. Hat der örtlich zuständige Rat bei der Bestellung sogenannter Aufbauhypotheken die Erfordernisse des § 16 der Verordnung über die Finanzierung von Baumaßnahmen zur Schaffung und Erhaltung von privatem Wohnraum (juris: WohnraumV) nicht eingehalten, so macht dies die Aufbauhypotheken nicht unwirksam.
2. Hypotheken, die unter der Geltung des ZGB (juris: ZGB DDR) bestellt wurden, entstanden nur, soweit auch die gesicherte Forderung tatsächlich entstand. Der öffentliche Glaube des Grundbuchs erstreckt sich bei ihnen nicht auf das Vorhandensein der gesicherten Forderung. Das gilt auch für sogenannte Aufbauhypotheken.













vorgehend LG Görlitz, 17. September 1993, 1 O 192/93

Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. März 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Einwilligung in die Löschung von vier sogenannten Aufbauhypotheken, die im Grundbuch von G. zu Lasten des Grundstücks der Klägerin zugunsten der Beklagten (Rechtsnachfolgerin der Stadt- und Kreissparkasse G.) eingetragen sind. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Klägerin erwarb nach 1990 das Grundstück J.-Straße 26 - T.-straße 26 - in G. von R. W., die in den Vereinigten Staaten von Amerika lebt. Die Voreigentümerin hatte die Verwaltung des Hauses einem privaten Verwalter übertragen. Nachdem dieser seine Tätigkeit eingestellt hatte, wurde die Verwaltung durch Beschluß des Rates der Stadt G. dem VEB Kommunale Wohnungsverwaltung (nachfolgend KWV) übertragen.
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Der Rat der Stadt G. schloß in der Zeit von 1976 bis 1988 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten vier Kreditverträge und veranlaßte die Eintragung der entsprechenden Aufbauhypotheken.
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Die Klägerin behauptet, daß zu keiner Zeit die Behörden der DDR wegen Instandhaltungsmaßnahmen an die Voreigentümerin herangetreten seien. Die Kreditmittel seien nicht ausgereicht, jedenfalls nicht für Baumaßnahmen auf dem Grundstück verwandt worden.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr in vollem Umfang stattgegeben und die Revision zugelassen.
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Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hält einen Anspruch der Klägerin aus § 894 BGB auf Bewilligung der Löschung der Aufbauhypotheken für gegeben. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:
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Der Bestand der Forderungen und der Aufbauhypotheken sei nach dem Recht der ehemaligen DDR zu beurteilen. Danach seien weder die Forderungen noch die Aufbauhypotheken wirksam entstanden.
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Es fehle an einer Mitwirkung der Rechtsvorgängerin der Klägerin oder eines von dieser bevollmächtigten Vertreters bei der Begründung der Verbindlichkeiten und ihrer dinglichen Absicherung. Auch sei die KWV dabei nicht als staatlich bestellter Verwalter des Grundstücks tätig geworden.
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Schließlich seien Darlehensforderungen und Aufbauhypotheken auch nicht durch das Handeln des Rates der Stadt G. auf der Grundlage des § 457 des Zivilgesetzbuchs der DDR (ZGB) in Verbindung mit § 16 der Verordnung über die Finanzierung von Baumaßnahmen zur Schaffung und Erhaltung von privatem Wohnraum vom 28. April 1960 (Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1960, S. 351) entstanden. Die vom Rat der Stadt G. zu Lasten der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten abgeschlossenen Kreditverträge seien nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 ZGB unwirksam, so daß keine Darlehensforderungen und damit auch keine Aufbauhypotheken entstanden seien. Die Unwirksamkeit der Kreditverträge beruhe darauf, daß die Voraussetzungen des § 16 der genannten Verordnung nicht vorgelegen hätten. Die damalige Hauseigentümerin habe sich nämlich weder geweigert, angeordnete Baumaßnahmen in Auftrag zu geben, noch habe sie es abgelehnt, Kredite aufzunehmen.
II.
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Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß der Bestand der Aufbauhypotheken und der ihnen zugrunde liegenden Forderungen sich nach dem Recht der ehemaligen DDR richten. Das folgt für die Aufbauhypotheken aus Art. 233 § 3 EGBGB und für die Forderungen aus Art. 232 § 1 EGBGB. Es begegnet auch keinen Bedenken, daß das Berufungsgericht eine Begründung der Verbindlichkeiten und Hypotheken durch eigenes Handeln der Rechtsvorgängerin der Klägerin oder eines von dieser bevollmächtigten Vertreters oder durch die Tätigkeit eines staatlich bestellten Verwalters verneint hat.
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2. Das Berufungsgericht hat die vom Rat der Stadt G. zu Lasten der damaligen Grundstückseigentümerin abgeschlossenen Kreditverträge und die Aufbauhypotheken jedoch zu Unrecht wegen Fehlens einer Verweigerung der Auftragserteilung und Kreditaufnahme durch die Grundstückseigentümerin als unwirksam angesehen.
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a) § 16 der Verordnung vom 28. April 1960 (Finanzierungsverordnung) machte allerdings die Kreditaufnahme und Hypothekenbestellung zu Lasten des Hauseigentümers durch den örtlich zuständigen Rat davon abhängig, daß der Hauseigentümer die Auftragserteilung für eine angeordnete Baumaßnahme verweigert und es abgelehnt hatte, einen dafür erforderlichen Kredit aufzunehmen. Auch wenn man davon ausgeht, daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt war, so könnten die Kreditaufnahmen und die Hypothekenbestellungen deshalb nicht als unwirksam angesehen werden. Es kann daher offen bleiben, ob die Feststellung des Berufungsgerichts, Frau W. habe weder eine Auftragserteilung für angeordnete Baumaßnahmen verweigert noch eine hierfür erforderliche Kreditaufnahme abgelehnt, den Angriffen der Revision standhält. Ebenso braucht nicht geklärt zu werden, ob es in diesem Zusammenhang ausschließlich auf das Verhalten der im Ausland lebenden Frau W. oder auch auf das der ihr Hausgrundstück verwaltenden KWV ankam.
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b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts konnte ein etwa vorliegender Verstoß gegen § 16 der Finanzierungsverordnung die vom Rat der Stadt G. für Rechnung der Hauseigentümerin abgeschlossenen Kreditverträge nicht nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 ZGB nichtig machen. Nach dieser Vorschrift war ein Vertrag nichtig, wenn sein Inhalt gegen ein in Rechtsvorschriften enthaltenes Verbot verstieß. Ihre Anwendung scheidet im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil es hier nicht um den Inhalt der Kreditverträge, sondern um die Voraussetzungen geht, unter denen der Rat der Stadt G. diese Verträge abschließen durfte.
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c) Die Auswirkungen eines möglichen Verstoßes gegen § 16 der Finanzierungsverordnung auf die Wirksamkeit der Kreditverträge und der Aufbauhypotheken sind stattdessen nach dem Verwaltungsrecht der ehemaligen DDR zu beurteilen. Bei dem Abschluß von Kreditverträgen und der Bestellung von Aufbauhypotheken zu Lasten von Hauseigentümern durch die örtlich zuständigen Räte auf der Grundlage des § 16 der Finanzierungsverordnung handelte es sich um privatrechtsgestaltende hoheitliche Einzelmaßnahmen.
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Eine generelle gesetzliche Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen hoheitliche Einzelmaßnahmen, die den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprachen, von vorneherein unwirksam oder nur aufhebbar waren, gab es in der ehemaligen DDR nicht. Auch eine besondere gesetzliche Regelung dieser Frage für den hier interessierenden Bereich des Abschlusses von Kreditverträgen und der Begründung von Aufbauhypotheken zu Lasten von Hauseigentümern durch staatliche Organe bestand nicht. Im vorliegenden Fall muß daher auf die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zurückgegriffen werden, die sich in der ehemaligen DDR entwickelt hatten. Danach hatten staatliche Einzelentscheidungen die Vermutung der Gesetzlichkeit für sich und waren auch im Fall der Fehlerhaftigkeit zwar aufhebbar, aber bis zu ihrer Aufhebung grundsätzlich rechtswirksam (vgl. Bönninger in Verwaltungsrechtslehrbuch, erschienen im Staatsverlag der DDR, 2. Aufl. 1988, S. 138). Nur besonders schwerwiegende und für den Adressaten des Verwaltungshandelns objektiv unzweifelhaft erkennbare Verstöße gegen die rechtlichen Anforderungen konnten zur Nichtigkeit staatlicher Einzelmaßnahmen führen (Bönninger aaO).
- 19
Wenn es im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen gefehlt haben sollte, unter denen der Rat der Stadt G. nach § 16 der Finanzierungsverordnung zu Lasten der Rechtsvorgängerin der Klägerin Kredite aufnehmen und Aufbauhypotheken bestellen durfte, so war dieser Mangel jedenfalls für die Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht unzweifelhaft erkennbar. Ein solcher Mangel konnte die damals zustande gekommenen Kreditverträge und die zu ihrer Absicherung bestellten Aufbauhypotheken daher nicht nichtig machen.
III.
- 20
Das Berufungsurteil läßt sich bei dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch nicht auf andere als die vom Berufungsgericht genannten Gründe stützen.
- 21
Die Aufbauhypotheken wären allerdings nicht entstanden und die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Löschung der Hypotheken im Grundbuch wäre im Ergebnis richtig, wenn die in den Kreditverträgen vereinbarten Beträge von der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht ausgezahlt worden wären und damit keine Darlehensforderungen entstanden wären. Das folgt aus § 454 Abs. 1 ZGB. Nach dieser Vorschrift, die nach § 456 Abs. 2 ZGB für Aufbauhypotheken entsprechend galt, war die Hypothek mit der gesicherten Forderung untrennbar verbunden und bestand nur in der jeweiligen Höhe der Forderung. Das Entstehen einer Hypothek war daher vom Vorhandensein der zugrunde liegenden Forderung abhängig (ZGB-Kommentar, 2. Aufl. 1985, § 454 Anm. 1.1; Janke NJ 1991, 29). Aus § 453 Abs. 1 Satz 3 ZGB, nach dem die Hypothek mit der Eintragung im Grundbuch entstand, ergibt sich nichts anderes; diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 454 Abs. 1 ZGB dahin auszulegen, daß eine Hypothek, deren übrige Entstehensvoraussetzungen einschließlich des Vorhandenseins der zu sichernden Forderung vorlagen, erst mit der Eintragung im Grundbuch entstand (Janke aaO S. 30).
- 22
Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien umstritten, ob die Rechtsvorgängerin der Beklagten die in den Kreditverträgen vereinbarten Darlehen ausgezahlt hat. Das Berufungsgericht hat hierzu - von seinem Ausgangspunkt aus konsequent - keine Feststellungen getroffen.
IV.
- 23
Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
- 24
Das Berufungsgericht wird nunmehr festzustellen haben, ob die in den Kreditverträgen vereinbarten Darlehen ausgezahlt worden und damit die den Aufbauhypotheken angeblich zugrunde liegenden Darlehensforderungen tatsächlich entstanden sind. Dabei wird zu beachten sein, daß das Recht der früheren DDR zwar eine auch für Hypotheken geltende Vermutung der Richtigkeit des Grundbuchs enthielt (§§ 7, 9 der Grundstücksdokumentationsordnung vom 6. November 1975, GBl. I, 697), eine dem § 1138 BGB entsprechende Erstreckung dieser Richtigkeitsvermutung auf die einer Hypothek zugrunde liegende Forderung hingegen nicht kannte. Der Hypothekengläubiger konnte sich daher für das Bestehen der gesicherten Forderung nicht auf seine Eintragung im Grundbuch berufen, sondern mußte das Entstehen der Forderung nachweisen (ZGB-Kommentar und Janke je aaO). Diese Rechtslage gilt auch nach der Wiedervereinigung für Hypotheken nach dem Zivilgesetzbuch der DDR fort (Art. 233 § 3 EGBGB). Solche Hypotheken stehen damit im Ergebnis den Sicherungshypotheken im Sinne des § 1184 BGB gleich (Janke aaO S. 30; vgl. auch Art. 233 § 6 EGBGB).
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