Vorlage zum Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof zur Frage der Wirksamkeit einer zur Kreditsicherung vorgenommenen formularmäßigen Globalabtretung bzw formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers ohne Festlegung einer Deckungsobergrenze
Orientierungssatz
1. Dem Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist eine formularmäßige Globalabtretung oder eine formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand auch dann wirksam, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgutes nicht ausdrücklich festgelegt sind?
2. Nach der Auffassung des vorlegenden Senates ist die vorgelegte Rechtsfrage zu bejahen, denn, wenn es bei einer formularmäßigen Globalzession oder einer formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand zu einer nachträglichen Übersicherung des Sicherungsnehmers kommt, hat der Sicherungsgeber auch ohne ausdrückliche Regelung im Falle einer nicht nur vorübergehenden Überdeckung einen Anspruch auf Freigabe desjenigen Teils des Sicherungsgutes, der nicht mehr benötigt wird (Abweichung BGH, 1990-12-06, VII ZR 334/89, WM IV 1991, 276).




vorgehend LG Kaiserslautern, 12. August 1994, 3 O 980/93
nachgehend BGH Großer Senat für Zivilsachen, 27. November 1997, GSZ 1/97, ..., Beschluss



Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Rosch, 8. Auflage 2017, § 398 BGB
Tenor
Dem Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist eine formularmäßige Globalabtretung oder eine formularmäßige Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand auch dann wirksam, wenn eine (angemessene) Deckungsgrenze und Maßstäbe für die Bewertung des Sicherungsgutes nicht ausdrücklich festgelegt sind?
Gründe
I.
- 1
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer Globalabtretung.
- 2
Die beklagte Bank gewährte einem unter der Firma "B. Rohrleitungsbau und Schweißtechnik" auftretenden B. im Jahre 1974 einen Betriebsmittelkredit. Zur Sicherung trat B. ihr mit Vertrag vom 20. August 1974 alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen Drittschuldner mit den Anfangsbuchstaben A bis W ab, blieb aber aufgrund einer widerruflichen Einziehungsermächtigung berechtigt, die Forderungen im eigenen Namen einzuziehen. In dem vorgedruckten Vertragstext heißt es u.a.:
- 3
Nr. 4 Abs. 1:
- 4
"Unterschreiten die abgetretenen Forderungen insgesamt einen Mindestbetrag von 100.000,-- DM ..., so ist der Schuldner verpflichtet, seine gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen einen weiteren Personenkreis abzutreten oder nach Wahl der Bank andere Sicherheiten zu bestellen."
- 5
Nr. 6 Abs. 2:
- 6
"Sobald die abgetretenen Forderungen die Forderungen der Bank gegen den Schuldner um mehr als % übersteigen, wird die Bank dem Schuldner auf dessen Verlangen nach ihrer Wahl Forderungen bis zur Höhe des Mehrbetrages zurückübertragen."
- 7
Der in Nr. 6 Abs. 2 des Vertragsformulars für die Eintragung eines Prozentsatzes vorgesehene Leerraum ist in dem Vertrag vom 20. August 1974 unausgefüllt geblieben. Die unter Nr. 13 des Vertrages für anwendbar erklärten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthielten in der damals geltenden Fassung unter Nr. 19 Abs. 7 folgende Bestimmung:
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"Die Bank ist verpflichtet, auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach ihrer Wahl freizugeben, soweit der Wert des Sicherungsgutes die vereinbarte Deckungsgrenze nicht nur vorübergehend überschreitet. Ist keine Deckungsgrenze vereinbart, so hat die Bank auf Verlangen des Kunden Sicherungsgegenstände nach billigem Ermessen freizugeben, soweit sie diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt."
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Im Januar 1984 pfändete das Finanzamt L. die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen des B. gegen die V. GmbH in H. Die V. GmbH zahlte daraufhin einen Restbetrag aus einer Rechnung des B. in Höhe von 20.975,62 DM an das klagende Land.
- 10
Im Mai 1989 verlangte die Beklagte unter Berufung auf die Globalabtretung des B. vom 20. August 1974 sowie auf einen weiteren Globalabtretungsvertrag, den sie im März 1982 mit der B. Industrieanlagen GmbH abgeschlossen hatte, vom Kläger die Herausgabe des empfangenen Betrages. Das Finanzamt L. überwies daraufhin 20.329,27 DM an die Beklagte.
- 11
Der Kläger verlangt Rückzahlung dieses Betrages mit der Begründung, die Globalabtretungen seien unwirksam, er habe daher ohne Rechtsgrundlage an die Beklagte gezahlt. Landgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben, weil sie die Globalzessionen wegen Fehlens einer ausdrücklichen Deckungsgrenze als unwirksam angesehen haben. Dagegen wendet sich die - zugelassene - Revision der Beklagten.
II.
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1. Der streitige Bereicherungsanspruch besteht nur bei Unwirksamkeit der formularmäßigen Globalabtretung des B. vom 20. August 1974.
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2. Die formularmäßige Globalabtretung vom 20. August 1974 fällt nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes, weil dieses erst am 1. April 1977 in Kraft getreten ist (§ 28 Abs. 1, § 30 AGBG). Dem Berufungsgericht ist darin beizutreten, daß der Globalabtretungsvertrag nicht zu den in § 28 Abs. 2 AGBG aufgeführten Vertragstypen gehört; eine entsprechende Anwendung des § 28 Abs. 2 AGBG auf dort nicht genannte Verträge wäre angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht gerechtfertigt (Ulmer, in: Ulmer/ Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., § 28 Rdn. 6 m.w.Nachw.; offengelassen in BGHZ 98, 303, 314).
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3. Die genannte Globalabtretung ist statt dessen an § 138 BGB sowie an § 242 BGB zu messen, der vor dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes auf die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen anzuwenden war. Der bei der Prüfung nach § 242 BGB anzulegende Maßstab kann jedoch kein anderer als der sich aus § 9 Abs. 1 AGBG ergebende sein. Beide Vorschriften stellen ausdrücklich auf Treu und Glauben ab. Der Senat hat deshalb auch die von anderen Senaten des Bundesgerichtshofs auf § 9 Abs. 1 AGBG gestützte Inhaltskontrolle von Globalabtretungen zu berücksichtigen.
III.
- 15
Der XI. Zivilsenat möchte im Gegensatz zu den Instanzgerichten eine Unwirksamkeit der Globalabtretung unter dem Gesichtspunkt unzureichender Vorsorge für den Fall nachträglicher Übersicherung verneinen und die Klage abweisen. Er hält bereits im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGBG, wie er in mehreren obiter dicta angedeutet (insbesondere Senatsurteile vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1283, 1284 und vom 17. Januar 1995 - XI ZR 192/93 = BGHZ 128, 295, 298) sowie in seinem auf den Anfragebeschluß an den VIII. und IX. Zivilsenat vom 23. Januar 1996 (XI ZR 257/94 = WM 1996, 476, 478) folgenden Urteil vom 14. Mai 1996 (XI ZR 257/94 = WM 1996, 1128, 1129 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ 133, 25) - für den hier nicht vorliegenden Fall einer konkreten Deckungsgrenze ohne ermessensunabhängige Freigabepflicht - bekräftigt hat, formularvertraglich vereinbarte Globalabtretungen auch ohne sogenannte qualifizierte Freigabeklausel für wirksam. Gleiches muß erst recht für den Anwendungsbereich des § 138 Abs. 1 BGB gelten.
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Der XI. Zivilsenat sieht sich jedoch an einer entsprechenden Entscheidung durch die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats gehindert, nach der formularmäßige Globalabtretungen ohne eine ausdrückliche Deckungsgrenze in bestimmten Fällen nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind.
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1. Der IX. Zivilsenat hat ebenso wie früher der VIII. Zivilsenat die Auffassung vertreten, eine formularmäßige Globalabtretung oder eine Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselndem Bestand sei nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam, wenn sie keine auf eine konkrete Deckungsgrenze abstellende Freigabeklausel enthalte. Eine Klausel, die den Sicherungsnehmer lediglich verpflichtet, Sicherheiten "nach billigem Ermessen freizugeben, soweit diese nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt" werden, wurde von ihnen nicht als ausreichend angesehen (BGHZ 109, 240, 245 f.; 117, 374, 377 ff.; Urteil vom 11. Mai 1995 - IX ZR 170/94 = ZIP 1995, 1078, 1079). Der VII. Zivilsenat hat ohne eigene Begründung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats formularmäßige Globalabtretungen in zwei Fällen als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB angesehen (Urteile vom 26. April 1990 - VII ZR 39/89 = WM 1990, 1326, 1327 und vom 6. Dezember 1990 - VII ZR 334/89 = WM 1991, 276).
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Auf Anfrage des XI. Zivilsenats hat der VIII. Zivilsenat mit Beschluß vom 9. Juli 1996 ohne weitere Begründung mitgeteilt, an seiner Rechtsauffassung, daß eine Globalabtretung ohne ausdrückliche Festlegung einer Deckungsgrenze nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam sei, nicht festzuhalten. Der IX. Zivilsenat hat sich gleichlautend erklärt; er hat jedoch den Gründen des Anfragebeschlusses in wesentlichen Punkten widersprochen (Beschluß vom 11. Juli 1996, WM 1996, 1436). Zugleich hat er seinerseits gemäß § 132 Abs. 3 und 4 GVG beim VII. Zivilsenat angefragt, ob eine Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand oder eine Globalabtretung ohne ermessensunabhängige Freigabeklausel bzw. ohne ausdrückliche Festlegung einer Deckungsgrenze nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig bzw. nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam sei (Beschluß vom 11. Juli 1996 - IX ZR 74/95 = WM 1996, 1439).
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Der VII. Zivilsenat hat auf die Anfragen des IX. und XI. Zivilsenats mitgeteilt, er halte an seiner Rechtsauffassung, daß eine Globalabtretung ohne Festlegung einer Deckungsgrenze nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sei, nur für die Fälle fest, in denen sich die Deckungsgrenze nicht im Sinne der Ansicht des IX. Zivilsenats durch Auslegung auf den Nominalwert festlegen lasse (Beschluß vom 10. Oktober 1996 - XI ZR 234/95, IX ZR 74/95 = WM 1997, 311; mit Anmerkungen von Bülow EWiR 1997, 205; Liebelt-Westphal ZIP 1997, 230). Dies ist nach seiner Auffassung insbesondere bei Geschäftszweigen mit erfahrungsgemäß hohem Ausfallrisiko nicht möglich.
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2. Aufgrund der zu dem VII. Zivilsenat fortbestehenden Divergenz ist die Sache gemäß § 132 Abs. 2 GVG dem Großen Senat für Zivilsachen beim Bundesgerichtshof vorzulegen. Nach der - vom XI. Zivilsenat nicht geteilten - Auffassung des VII. Zivilsenats ist die Frage entscheidungserheblich, ob sich für den Sicherungsvertrag vom 20. August 1974 im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine Deckungsgrenze bestimmen läßt oder ob dies in Anbetracht eines etwa generell bestehenden hohen Ausfallrisikos in dem Geschäftszweig der Firma B. Rohrleitungsbau und Schweißtechnik nicht möglich ist. Diese Frage kann vom Senat nicht entschieden werden, da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Unter Zugrundelegung der vom VII. Zivilsenat vertretenen Ansicht müßte die Sache deshalb zur Klärung des Ausfallrisikos zurückverwiesen werden. Nach der eigenen Auffassung kommt es auf diese Frage nicht an; die Sache wäre entscheidungsreif.
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Da der VIII. und IX. Zivilsenat im Ergebnis mit dem XI. Zivilsenat darin übereinstimmen, daß die hier zu beurteilende Globalabtretung nicht wegen Fehlens einer ausdrücklichen Deckungsgrenze unwirksam ist, kommt insoweit eine Vorlage der Sache an den Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG nicht in Betracht. Eine Vorlage gemäß § 132 Abs. 4 GVG erübrigt sich, da die Frage, ob und gegebenenfalls wie eine vertragsimmanente Deckungsklausel zu bestimmen ist, bereits Gegenstand des Vorlagebeschlusses des IX. Zivilsenats vom 6. März 1997 (IX ZR 74/95 = WM 1997, 750) ist.
IV.
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Nach Auffassung des Senats ist die vorgelegte Rechtsfrage zu bejahen.
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1. Kommt es bei einer formularmäßigen Globalzession oder einer formularmäßigen Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand zu einer nachträglichen Übersicherung des Sicherungsnehmers, hat der Sicherungsgeber auch ohne ausdrückliche Regelung im Falle einer nicht nur vorübergehenden Überdeckung einen Anspruch auf Freigabe desjenigen Teils des Sicherungsgutes, der nicht mehr benötigt wird.
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Es handelt sich dabei - in Übereinstimmung mit der Auffassung des IX. Zivilsenats (Beschluß vom 6. März 1997 und Beschlüsse vom 11. Juli 1996, je aaO) - um eine strikte (Teil-)Freigabeverpflichtung des Sicherungsnehmers, die jedem fiduziarischen Kreditsicherungsgeschäft immanent ist. Der Rückgabeanspruch folgt aus dem Zweck und dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede (vgl. BGHZ 124, 371, 375 ff.; 124, 380, 384 ff.; Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1283, 1284; Canaris ZIP 1996, 1577, 1581; Pfeiffer ZIP 1997, 49, 50 ff.; Ganter ZIP 1994, 257, 260; Früh DB 1994, 1860, 1861; Tiedtke EWiR 1996, 339, 340). Denn wenn und soweit eine Sicherheit nicht nur vorübergehend nicht mehr benötigt wird, entspricht ihr weiteres Verbleiben beim Sicherungsnehmer weder dem verständigen Willen der Vertragspartner noch dem Sicherungszweck.
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Aus dieser Begründung des Freigabeanspruchs folgt, daß es sich um einen strikten Rechtsanspruch handelt, dessen Vorhandensein und Umfang nicht vom Ermessen des Sicherungsnehmers, sondern allein von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängt. Soweit der Senat in seinem Anfragebeschluß vom 16. April 1996 (aaO) sowie in seinem Urteil vom 14. Mai 1996 (aaO) auf ein nach § 315 BGB überprüfbares billiges Ermessen des Sicherungsnehmers abgestellt hat, bezieht sich dies - wie sich aus dem Zusammenhang ergibt - nicht auf die ermessensunabhängige Freigabeverpflichtung als solche, die zugleich den Umfang der Sicherheitenfreigabe festlegt. Da das Problem der qualifizierten Freigabeklausel allein bei (revolvierenden) Globalsicherheiten akut wird und sich dort nicht bei der Erledigung des Sicherungszwecks, sondern bei der Verpflichtung zur Teilfreigabe stellt, muß im Einzelfall eine Auswahl unter den von der Globalsicherheit umfaßten Sicherungsgegenständen getroffen werden. Diese Auswahl darf der Sicherungsnehmer nach der Auffassung des erkennenden Senats nach billigem Ermessen treffen. Insoweit besteht Übereinstimmung mit dem IX. Zivilsenat (vgl. Vorlagebeschluß vom 6. März 1997 aaO S. 754 unter c).
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2. In Übereinstimmung mit der in den Antworten auf seine Anfrage niedergelegten Auffassung des VIII. und des IX. Zivilsenats ist der XI. Zivilsenat der Ansicht, daß weder bei individuellen noch bei Formularverträgen über revolvierende Globalsicherheiten Regelungen zur Frage des Eintritts einer Übersicherung Wirksamkeitsvoraussetzung sind. Die Regelungsdichte eines Vertrages steht wegen des Prinzips der Vertragsfreiheit im Belieben der Parteien. Soweit der VII. Zivilsenat eine ausdrückliche Regelung für die Fälle fordert, in denen ein "typischerweise weit über dem Normalwert liegendes Ausfallrisiko" für den Sicherungsnehmer vorliegt, kann ihm nicht gefolgt werden.
- 27
a) Dem VII. Zivilsenat ist allerdings im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, daß sich die Ermittlung einer Deckungsgrenze durch unterschiedslose ergänzende Auslegung aller hier in Betracht kommenden Sicherungsverträge - wie sie der IX. Zivilsenat vertritt - wegen der unterschiedlichen Ausfallrisiken verbietet. Eine Auslegung, die in zahlreichen Fällen zu einem Freigabeanspruch des Sicherungsgebers trotz evidenter Untersicherung des Sicherungsnehmers führt, verletzt den Grundsatz der interessengerechten Auslegung.
- 28
Die Frage nach einer konkreten Deckungsgrenze kann nicht unabhängig von der Frage nach den Kriterien für die Bewertung der Sicherheiten beantwortet werden. Zwischen beiden besteht eine Wechselwirkung. Aufgrund dessen stellen eine Globalzession in Höhe von 100% der Schuld, bezogen auf den Nominalbetrag der abgetretenen Forderungen, und eine Sicherungsübereignung in Höhe von 100% der Schuld, bezogen auf den Warenpreis, keine ausreichende Sicherheit dar. Vielmehr bleibt der Sicherungswert von Forderungen regelmäßig weit hinter deren Nennwert zurück. Gleiches gilt in der Krise für den Sicherungswert von sicherungsübereigneten Warenlagern im Vergleich zu ihrem Einkaufs- oder Marktpreis.
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In bezug auf Globalabtretungen ist z.B. neben der Bonität der Schuldner zu berücksichtigen, daß einige der zedierten Forderungen teilweise oder gänzlich Dritten zustehen können, wie insbesondere im Fall des verlängerten Eigentumsvorbehalts von Lieferanten des Sicherungsgebers, dem durch eine dingliche Teilverzichtsklausel Rechnung zu tragen ist. Ferner ist mit Abtretungsverboten der Drittschuldner ebenso zu rechnen wie mit Gegenansprüchen aus dem Gewährleistungsrecht und sonstigen aufrechenbaren Gegenforderungen oder Zurückbehaltungsrechten des Drittschuldners.
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Entsprechendes gilt für die Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselndem Bestand, welche hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Werts für den Sicherungsnehmer ebenfalls z.B. durch dingliche Rechte Dritter (Eigentumsvorbehalte von Lieferanten, gesetzliche Pfandrechte des Vermieters der Lagerhalle oder von Frachtführern und Spediteuren) gemindert sein können. Bei der Sicherungsübereignung von Gebrauchsgütern ist ein Wertverfall infolge Abnutzung, Alterns oder geänderten Standes der Technik zu berücksichtigen. Im Falle der Verwertung durch den Sicherungsnehmer kommt hinzu, daß viele Gebrauchsgüter (z.B.: Maschinen, Computer) nur für den ursprünglichen Verwender ihren vollen Wert haben (vgl. BGHZ 98, 303, 317; 130, 115, 126 f.; Bruchner WuB I F 3.-2.94; Rellermeyer WM 1994, 1009, 1012 ff. und 1053 ff.; WuB I F 4.-1.97; Wiegand/Brunner NJW 1995, 2513, 2517; Canaris ZIP 1996, 1577, 1578 ff.; Ganter WM 1996, 1705, 1707 f.; Pfeiffer ZIP 1997, 49, 57; Serick WM 1997, 345, 352 f.; M. Wolf, Festschrift Baur, 1981, S. 147, 165 f.; a.A. M. Wolf, LM § 138 (Aa) BGB Nr. 51 d, der nur ausnahmsweise dem Sicherungsnehmer den Nachweis von Wertminderungen gestatten möchte). Schließlich sind für den Insolvenzfall weitere Abschläge vorzunehmen, weil in der Regel die Infrastruktur des Sicherungsgebers für den Vertrieb nicht mehr zur Verfügung steht, eine kontinuierliche Weiterbelieferung durch ihn nicht erfolgen wird, bei manchen Produkten der notwendige Service nicht sichergestellt ist und das Sicherungsgut de facto ohne jeglichen Gewährleistungsanspruch und Kundendienst verkauft wird (Rellermeyer WM 1994, 1009, 1018; Nobbe ZIP 1996, 657, 664 f.). Im Ergebnis liegt deshalb der Erlös bei der Verwertung von Sicherungsgut oft weit unter dem Einkaufspreis oder den Herstellungskosten der Ware.
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Die bisherige Rechtsprechung hat deshalb ohne allgemeingültige Begründungen für die jeweilige Übersicherungsmarge im Einzelfall weit über 100% liegende Deckungsgrenzen anerkannt:
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aa) In BGHZ 94, 105, 114 f. ist eine Deckungsgrenze von 120%, bezogen auf den realisierbaren Wert von unter Eigentumsvorbehalt geliefertem Papier, wegen des Risikos des Verdruckens größerer Partien für zulässig erklärt worden. In BGHZ 120, 300, 303 (= WuB I F 6.-1.93 m.Anm. v. Westphalen) wurde eine Deckungsgrenze von 125%, bezogen auf den realisierbaren Wert, beanstandet, weil kein Anhalt gegeben sei, daß "gelieferte Lüfter ... durch den Einbau in die von der späteren Gemeinschuldnerin hergestellten Geräte entwertet" würden, während in BGHZ 26, 185, 190 f. eine solche Übersicherung von 25% noch hingenommen worden ist. In weiteren Entscheidungen ist eine Übersicherungsmarge von 20%, bezogen auf den realisierbaren Wert des Sicherungsgutes, ohne nähere Begründung unbeanstandet geblieben (vgl. BGHZ 109, 240, 245 ff.; 130, 115, 124 = WuB I F 4.-6.95 m.Anm. Richrath).
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bb) Bei dem Abstellen auf den Nominalwert des Sicherungsgutes wurden für die Globalzession Deckungsgrenzen von 130% bzw. 150% für angemessen erachtet, weil der Wert der Forderungen bei Sicherungsabtretungen erfahrungsgemäß oft weit unter dem Nennwert liege (vgl. BGHZ 98, 303, 317; BGH, Urteil vom 18. April 1991 - IX ZR 149/90 = WM 1991, 1274, 1278). Der Senat hat sogar in einem Fall, in dem eine Globalzession einer Handelsgesellschaft mit Sitz in Leipzig aus dem Jahr 1990 zu beurteilen war, wegen der damaligen wirtschaftlichen Umbruchsituation in der ehemaligen DDR eine Deckungsgrenze von 200% gebilligt (Senatsurteil vom 21. November 1995 - XI ZR 255/94 = WM 1996, 56, 57).
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cc) Diese Entscheidungen machen zum einen die Wechselwirkung zwischen Deckungsgrenze und Bewertungsmaßstab deutlich. Sie zeigen zum anderen die Unangemessenheit der Festlegung einer allgemeingültigen Deckungsgrenze, bei der die Umstände des Einzelfalles unberücksichtigt bleiben. Für den Wert von Sicherheiten ist nicht deren Nennbetrag, sondern der bei ihrer Verwertung realisierbare Erlös maßgebend. Eine Festlegung der Deckungsgrenze auf 100% des eingeräumten Kreditlimits, bezogen auf den Nominalbetrag der abgetretenen Forderungen oder den Preis der Waren, sei es der Markt- oder Börsenpreis, sei es der Einkaufs- oder Herstellungspreis, benachteiligt unter Verkennung der Wechselwirkung zwischen Deckungsgrenze und Bewertungsmaßstab den Sicherungsnehmer erheblich. Zwischen dem Wert des Sicherungsmittels und der Höhe der zu sichernden Forderungen besteht kein ausgewogenes Verhältnis. Für den Fall der Anknüpfung an den Nennwert der abgetretenen Forderung läßt sich eine angemessene Deckungsgrenze angesichts der erheblich differierenden Bonität und Zahlungsmoral der im Zeitpunkt der Globalabtretung noch nicht feststehenden Schuldner der verschiedenen in unterschiedlichen Branchen tätigen Sicherungsgeber allgemeinverbindlich überhaupt nicht festlegen (Senatsurteil vom 21. November 1995 aaO; Serick WM 1997, 345, 353 ff.; Pfeiffer WM 1995, 1565, 1568; Nobbe ZIP 1996, 657, 664; Ott WuB I F 4.-2.96).
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dd) Soweit der IX. Zivilsenat hinsichtlich der Bewertung abgetretener Forderungen auf die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 98, 303, 316 f.; Urteil vom 8. Dezember 1993 - VIII ZR 166/93 = WM 1994, 104, 105; Urteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1283, 1284 f.; Urteil vom 9. November 1995 - IX ZR 179/94 = WM 1995, 2173, 2175) abhebt, nach der im Zweifel vom Nennwert auszugehen sei (Beschluß vom 6. März 1997 aaO), würdigt er diese Entscheidungen ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang. In der Ausgangsentscheidung des VIII. Zivilsenats vom 8. Oktober 1986 (BGHZ 98, 303, 317) wird die Auslegung der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Sicherungsnehmers enthaltenen Begriffe "Gesamtsumme der abgetretenen Forderungen" bzw. "Wert des Sicherungsgutes" als Nennwert der Forderungen entscheidend damit begründet, daß die Parteien eine Deckungsgrenze von 150% vereinbart hatten. Nur mit dieser Auslegung konnte eine unangemessene Übersicherung des Sicherungsnehmers verneint und zugleich das Ausfallrisiko im Verwertungsfall angemessen berücksichtigt werden. In den Urteilen vom 8. Dezember 1993, vom 10. Mai 1994 und vom 9. November 1995 (jeweils aaO) ging es allein um die Auslegung des in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Sicherungsnehmers verwendeten Begriffs "Wert der Forderungen". Unter diesem war wegen des systematischen Zusammenhangs mit dem für die Deckungsgrenze benutzten Begriff "Gesamtbetrag der gesicherten Forderungen" und aus Gründen der praktischen Handhabung sowie wegen des Fehlens einer näheren Erläuterung der Nennwert zu verstehen. Mit der Problematik der Wechselwirkung zwischen Bewertungsmaßstab und Deckungsgrenze mußten sich diese Entscheidungen deshalb nicht befassen.
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ee) Ähnliches gilt für die vom IX. Zivilsenat (Beschluß vom 6. März 1997 aaO) für die Bewertung eines sicherungsübereigneten Warenlagers mit wechselndem Bestand zum Markt- oder Börsenpreis bzw. zum Einkaufs- oder Gestehungspreis angeführten Entscheidungen. In dem Urteil des IX. Zivilsenats vom 19. März 1992 (BGHZ 117, 374, 379) wurde die Bewertung des Sicherungsgutes zum Einkaufspreis seitens des Sicherungsnehmers ebenso wenig beanstandet wie in den Urteilen vom 11. Mai 1995 (IX ZR 170/94 = WM 1995, 1394, 1395) und vom 27. Juni 1995 (BGHZ 130, 115, 126) die Bewertung zum Einkaufs- und Gestehungspreis. In dem Urteil vom 30. Oktober 1990 (IX ZR 9/90 = WM 1991, 88, 91) durfte der Sicherungsnehmer bei der Frage einer anfänglichen Übersicherung in bezug auf die Bewertung von acht sicherungsübereigneten Fahrzeugen (also keiner revolvierenden Sicherheit) bei der Auseinandersetzung mit einem nachrangigen Pfändungsgläubiger nicht auf den Händlerverkaufspreis, sondern auf den Händlereinkaufspreis abstellen. Auf das Problem der Wechselwirkung zwischen Bewertungsmaßstab und Deckungsgrenze kam es somit in allen Fällen nicht an.
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b) Die Festlegung einer Deckungsgrenze von 100% des Kreditlimits bei gleichzeitiger Bewertung der abgetretenen Forderungen zum Nennwert bzw. der sicherungsübereigneten Waren zum Markt- oder Einkaufspreis führt somit im Verwertungsfall zu einer nicht unerheblichen Unterdeckung des Sicherungsnehmers. Es entspricht jedoch weder dem (Sicherungs-)Interesse noch dem vernünftigen Willen eines durchschnittlichen Sicherungsnehmers, zur Freigabe von Sicherheiten bereit zu sein, wenn die ihm verbleibenden Sicherheiten unzureichend sind. Dies muß auch der Sicherungsgeber redlicherweise in Rechnung stellen. Deshalb kann die Festlegung einer solchen Wertrelation, die im Regelfall zu einer Untersicherung des Sicherungsnehmers führen wird, nicht dem verständigen Parteiwillen entsprechen und somit vernünftigerweise nicht als Vertragsinhalt angesehen werden (Canaris ZIP 1996, 1577, 1580; Pfeiffer ZIP 1997, 49, 58). Das gilt im Grundsatz für alle Branchen und erst recht - ohne daß insoweit eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt und tatsächlich möglich wäre - bei Geschäftszweigen mit erfahrungsgemäß hohem Ausfallrisiko (vgl. BGH, Beschluß des VII. Zivilsenats vom 10. Oktober 1996 aaO). Insbesondere in den Fällen, in denen bereits bei Vertragsschluß Sicherheiten in einem das Kreditlimit nominal erheblich übersteigenden Umfang eingeräumt wurden, ist anzunehmen, daß die Beteiligten übereinstimmend von einem nicht unerheblichen Ausfallrisiko ausgegangen sind und deshalb eine Deckungsgrenze von 100% des Kreditlimits als unzureichend angesehen haben. Hier wäre die Unterstellung eines auf eine Deckungsgrenze von 100% gerichteten Parteiwillens wirklichkeitsfremd.
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c) Die Festlegung einer Deckungsgrenze von 110% unter Einbeziehung eines Zuschlags von 10% für Nebenforderungen und Kosten der Rechtsverfolgung (vgl. BGHZ 94, 105, 115; 120, 300, 303; BGH, Beschluß vom 6. März 1997 aaO S. 757; Ganter WM 1996, 1705, 1710; Pfeiffer ZIP 1997, 49, 58; M. Wolf LM § 138 (Aa) BGB Nr. 51 d unter Hinweis auf § 171 InsO) würde dem berechtigten Interesse des Sicherungsnehmers ebenfalls nicht gerecht. Ein solcher pauschaler Zuschlag wäre schon deshalb nicht angemessen, weil Nebenforderungen und Kosten der Rechtsverfolgung im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen und deshalb im voraus nicht kalkulierbar sind. Darüber hinaus würde ein derartiger Zuschlag das Hauptproblem jeder starren Deckungsgrenze, nämlich das von Fall zu Fall unterschiedliche Ausfallrisiko bei der Sicherheitenverwertung, gerade nicht lösen.
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Soweit der IX. Zivilsenat in seinem Vorlagebeschluß vom 6. März 1997 (aaO) darauf hinweist, der Sicherungsnehmer erhalte durch die Bewertung des Sicherungsgutes zum Einkaufspreis mit der bei der Verwertung zu erzielenden Gewinnspanne eine "Sicherheitsreserve", ist deren Realisierung bereits in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft. Im übrigen kann bei der Bewertung abgetretener Forderungen zum Nominalwert und bei der Bewertung von Sicherungsgut zum Börsen- oder Marktpreis eine solche Gewinnspanne von vornherein nicht angesetzt werden.
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d) Die Gleichsetzung von Nominalwert und Sicherungswert, wie sie der IX. Zivilsenat im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vornehmen will, führt auch zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen mit der gesetzlichen Regelung der §§ 232 ff. BGB. Danach kann mit der Hinterlegung mündelsicherer Wertpapiere Sicherheit nur in Höhe von drei Vierteln des Kurswertes (§ 234 Abs. 3, § 236 BGB) und mit der Verpfändung beweglicher Sachen nur in Höhe von zwei Dritteln des Verkehrswertes (§ 237 BGB) geleistet werden. Für den Fall, daß die geleisteten Sicherheiten unter diese Wertgrenzen sinken, steht dem Sicherungsnehmer gemäß § 240 BGB ein Ergänzungsanspruch zu. Eine Sicherheitsleistung durch Verpfändung einfacher Forderungen, die in den ganz überwiegenden Fällen den Gegenstand einer Globalabtretung bilden, ist in den §§ 232 ff. BGB nicht vorgesehen. Wenn der Gesetzgeber aber bereits bei mündelsicheren Wertpapieren, insbesondere also bei Schuldverschreibungen des Bundes und der Länder, die Deckungsgrenze auf 133 1/3% des Nominalwerts der Forderung anhebt, müßte diese bei der Globalabtretung einfacher Forderungen ungleich höher sein; selbst eine Anhebung auf die Höhe der für die Verpfändung beweglicher Sachen festgelegten Deckungsgrenze von 150% (so Liebelt-Westphal ZIP 1997, 230, 232) dürfte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht ausreichend sein, da dieser die Verpfändung einfacher Forderungen wegen des möglichen Einwendungsdurchgriffs und des Bonitätsrisikos ausdrücklich nicht zugelassen hat (vgl. Motive zum BGB, Bd. I, 1888, S. 388).
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e) In dem Bestreben, dem Sicherungsgeber die Durchsetzung seines Freigabeanspruchs zu erleichtern, will der VII. Zivilsenat wenigstens in den Fällen eines "normalen" Ausfallrisikos von der Vollwertigkeit der einzelnen Sicherungsgegenstände ausgehen, fordert dagegen für Verträge mit "typischerweise weit über dem Nominalwert liegenden Ausfallrisiko" weiterhin eine ausdrückliche Deckungsgrenze. Diese völlig konturlose Differenzierung kompliziert die Rechtslage zusätzlich. Dem Streit um die Freigabeverpflichtung wird damit in der Mehrzahl der Fälle eine Auseinandersetzung über die Wirksamkeit des Sicherungsvertrages vorgeschaltet. Sie hängt von der Bewertung des Ausfallrisikos durch das jeweilige Gericht ab, macht u.U. kostspielige Sachverständigengutachten erforderlich und führt gerade dann, wenn wegen des hohen Ausfallrisikos eine Übersicherung und damit ein Freigabeanspruch nicht bestand, zu einem Prozeßerfolg des Sicherungsgebers, weil der Sicherungsvertrag wegen des Fehlens der eben deshalb notwendigen ausdrücklichen Deckungsgrenze im ganzen unwirksam ist.
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f) Soweit der IX. Zivilsenat seine einseitig die Interessen des Sicherungsgebers berücksichtigende Vertragsauslegung als Anreiz zu höherer Regelungsdichte der Sicherungsverträge verstanden wissen will und damit ihre Schwächen einräumt, erscheint bereits die Methode zweifelhaft. Die ergänzende Vertragsauslegung soll ein Ergebnis herbeiführen, das dem entspricht, was die Beteiligten unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände redlicherweise vereinbart hätten. Sie darf deshalb in ihren Konsequenzen nicht dazu führen, daß die Parteien "ermuntert" werden, vertragliche Regelungen zu treffen, die den "Gegebenheiten des konkreten Falles besser Rechnung tragen" (Vorlagebeschluß des IX. Zivilsenats, aaO a.E.). Der mittelbare Zwang zu ausdrücklichen Deckungsgrenzen führt im übrigen zu zusätzlichen Schwierigkeiten, die die Auseinandersetzung um einen etwaigen Freigabeanspruch belasten.
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aa) Sieht man einmal davon ab, daß die alle denkbaren Fallkonstellationen umfassende Festlegung der wertbildenden und -bestimmenden Faktoren für die Bewertung eines Warenlagers - nach Auffassung des Senats mit Recht - für unmöglich gehalten wird (Bruchner WuB I F 3.-2.94; Rellermeyer WM 1994, 1009, 1015; Serick WM 1997, 345, 354) und man die zukünftige Bonität unbekannter Schuldner bei der Globalabtretung nicht bewerten kann (BGHZ 130, 115, 124; Ganter WM 1996, 1705, 1709), wären im Falle eines Freigabeverlangens zeitaufwendige und durch Hinzuziehung von Sachverständigen kostenaufwendige Auseinandersetzungen über die Angemessenheit der vereinbarten Deckungsgrenze und deren Anwendung vorprogrammiert (Hj. Weber WM 1994, 1549, 1554; Nobbe WuB I F 4.-5.94). Dies belegen die nach dem Urteil des VIII. Zivilsenats vom 29. November 1989 (BGHZ 109, 240 ff.) ergangenen Urteile insbesondere auch des IX. Zivilsenats, die sich mit solchen Klauseln befaßt haben (vgl. nur BGHZ 117, 374 ff.; 120, 300 ff.; 124, 371 ff.; 124, 380 ff.; 130, 115 ff.; BGH, Urteil vom 18. April 1991 - IX ZR 149/91 = WM 1991, 1273 ff.; BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 244/91 = WM 1991, 1499 ff.; BGH, Urteil vom 25. November 1992 - VIII ZR 176/91 = WM 1993, 213 ff.; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 - VIII ZR 166/93 = WM 1994, 104 ff.; Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 65/93 = WM 1994, 1283 ff.; Senatsurteil vom 14. Mai 1996 - XI ZR 257/94 = WM 1996, 1128 ff.; Kammergericht WM 1992, 856 ff.; OLG Braunschweig WM 1991, 802 ff.; OLG Hamm WM 1992, 1731 ff.; OLG Hamm WM 1993, 1590 ff.).
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bb) Der Zwang, Jahre im voraus für die gesamte Laufzeit des Sicherungsvertrages und damit für eine nicht voraussehbare Wirtschafts- und Branchenlage die Bewertungsparameter für die Globalsicherheit festzulegen und die Wertentwicklung des Sicherungsgutes abzuschätzen, muß zur Anerkennung hoher Risikozuschläge führen, wenn dem berechtigten Sicherungsbedürfnis des Gläubigers angemessen Rechnung getragen werden soll. Der vom OLG Braunschweig (WM 1991, 802) entschiedene Fall zeigt, daß die für ein sicherungsübereignetes Woll-Lager vereinbarte (und als unangemessen gewertete) Deckungsgrenze von 400% des Einkaufspreises nicht ausreichte, um den Kredit aus dem Verwertungserlös abzudecken. Trotzdem hat der IX. Zivilsenat (Beschluß vom 9. April 1992 - IX ZR 30/91, NJW-RR 1992, 884) die Auffassung bestätigt, daß eine derartige "Übersicherung" unangemessen sei.
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Auf der einen Seite verschlechtern also hohe Risikozuschläge die Kreditwürdigkeit des Sicherungsgebers und verkürzen seinen Freigabeanspruch für die Fälle, in denen im Zeitpunkt des Freigabeverlangens der realisierbare Wert der Sicherheiten tatsächlich höher ist (wie hier M. Wolf EWiR 1990, 215, 216; Rehbein JR 1991, 325, 326). Andererseits bergen sie für den Gläubiger die Gefahr, auch in Fällen konkreter Untersicherung als überzogen verworfen zu werden. Der Zwang zu weit in die Zukunft reichenden Bewertungsvereinbarungen schafft also statt Rechtsklarheit und -sicherheit lediglich neue Komplikationen. Ohne starre Deckungsklauseln kann sich dagegen die Auseinandersetzung um die (Teil-)Freigabe von vornherein auf die letztlich entscheidende Frage konzentrieren, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Übersicherung vorhanden ist und welchen Umfang sie gegebenenfalls hat.
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cc) Nach dem Lösungsansatz des IX. Zivilsenats bleibt insbesondere völlig offen, nach welchen Maßstäben denn die Bewertung der Sicherheiten erfolgen soll, wenn die von den Parteien vereinbarte Regelung unangemessen ist. Einem Vertrag, zu dem die Parteien durch die von ihnen als nicht sachgerecht empfundene Sicherheitenbewertung des IX. Zivilsenats "ermuntert" worden sind, wird man kaum durch ergänzende Auslegung den übereinstimmenden Willen entnehmen können, die Sicherheiten im Falle der Unwirksamkeit der vereinbarten Deckungsklausel mit dem als unangemessen angesehenen Nominalwert anzusetzen.
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g) Unter den von Vertretern der Rechtslehre (Canaris ZIP 1996, 1577 ff. und ZIP 1997, 813 ff.; Pfeiffer ZIP 1997, 49 ff. und WM 1995, 1565 ff.; Serick BB 1996, 1777 ff. und WM 1997, 345 ff.; M. Wolf LM BGB § 138 (Aa) Nr. 51 d; Hj. Weber WM 1994, 1549, 1558 ff.) entwickelten Konzepten zur Lösung des Problems der nachträglichen Übersicherung findet sich keines, welches der Lösung des Senats überlegen ist. Vielmehr sind die Vorschläge teils weniger praktikabel, teils weniger interessengerecht.
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3. Die unterbliebene Festlegung einer Deckungsgrenze verstößt deshalb weder bei Globalabtretungen noch bei Sicherungsübereignungen von Warenlagern mit wechselndem Bestand gegen § 9 AGBG. Erst recht können solche Globalsicherheiten bei Fehlen einer Deckungsgrenze nicht mit dem Makel der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB belegt werden, weil - wie der Senat in seinem Anfragebeschluß vom 16. April 1996 (aaO) im einzelnen ausgeführt hat - weder der objektive noch der subjektive Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Das gilt besonders im vorliegenden Fall, da bei Abschluß des Sicherungsvertrages am 20. August 1974 Globalzessionen mit Einziehungsermächtigung allgemein auch dann für zulässig gehalten wurden, wenn sie keine qualifizierte Freigabeklausel enthielten. Dies hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs noch mit Urteil vom 7. März 1974 (VII ZR 110/72 = WM 1974, 389, 390) ausgesprochen.
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