Aufklärungspflichten des gewerblichen Vermittlers von Terminoptionen vor Vertragsschluß
Orientierungssatz
1. Gewerbliche Vermittler von Terminoptionen sind verpflichtet, den Kaufinteressenten vor Vertragsschluß schriftlich die Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, den Umfang des ihnen aufgebürdeten Verlustrisikos und die durch die Höhe der Vermittlungsprämie eingetretene Verringerung ihrer Gewinnchancen zutreffend einzuschätzen.
2. Hierfür ist allerdings nicht ausreichend, daß solche aufklärenden Hinweise überhaupt in der übermittelten Schrift enthalten sind. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, daß gerade dem flüchtigen Leser in unmißverständlicher Weise und auffälliger Form deutlich gemacht wird, daß Aufschläge auf die Börsenoptionsprämie das Chancen-Risiko-Verhältnis aus dem Gleichgewicht bringen und dazu führen, daß die verbliebene, bei höheren Aufschlägen geringere Chance, insgesamt einen Gewinn zu erzielen, mit jedem Optionsgeschäft abnimmt (so auch BGH, 1993-11-16, XI ZR 214/92, WM IV 1994, 149 und BGH, 1994-02-01, XI ZR 125/93, WM IV 1994, 453).



vorgehend LG Essen, 17. Juni 1992, 5 O 66/92


So auch BGH 11. Zivilsenat, 16. November 1993, XI ZR 214/92
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für Verluste aus Warenterminoptionsgeschäften an ausländischen Börsen. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Beklagte vermittelt gewerbsmäßig Börsenterminoptionsgeschäfte. Im Frühjahr 1990 rief ein Telefonverkäufer der Beklagten den Kläger, einen Bäcker, an und empfahl ihm den Erwerb von Warenterminoptionen. Nach Erhalt einer Broschüre der Beklagten über solche Geschäfte erteilte der auf diesem Gebiet unerfahrene Kläger ihr mehrere Aufträge zum Kauf von Optionen. Für ihre Tätigkeit berechnete die Beklagte Aufschläge von knapp 67% auf die Börsenoptionsprämien und verlangte zusätzlich für jede Option 80 US-Dollar Brokerkosten. Die Optionsgeschäfte des Klägers endeten insgesamt verlustreich. Nach Rückerstattung eines Einzahlungsguthabens von 15.724,20 DM verblieb ihm ein Verlust von 93.964 DM. Diesen Betrag zuzüglich Zinsen verlangt der Kläger von der Beklagten ersetzt. Er behauptet, daß er von ihr nicht hinreichend über die Risiken von Börsenterminoptionsgeschäften aufgeklärt worden sei.
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Das Landgericht hat der Klage, abgesehen von einem geringfügigen Teil der geltend gemachten Zinsforderung, stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung u.a. ausgeführt:
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Die Beklagte habe der ihr obliegenden Aufklärungspflicht genügt, indem sie dem Kläger vor Abschluß der Spekulationsgeschäfte ihre Informationsbroschüre übersandt habe. Alle nach der Rechtsprechung erforderlichen Hinweise seien in ihr enthalten. Dem Kläger sei damit ein realistischer Eindruck von den Eigenarten und Risiken einer Spekulation mit Warenterminoptionen vermittelt worden. Letztlich möge das allerdings dahinstehen; denn selbst dann, wenn die Warnungen in der Broschüre erheblich auffälliger als von der Rechtsprechung gefordert ausgedruckt worden wären, wäre der Schaden eingetreten. Der Kläger habe sich nämlich zu den Spekulationsgeschäften entschlossen, ohne den Inhalt der Broschüre genügend zur Kenntnis genommen zu haben. Bei seiner Anhörung vor dem Senat habe er eingeräumt, er sei nicht zum Durchlesen der Schrift gekommen und habe diese nur oberflächlich eingesehen. Mangels Empfangsbereitschaft für die in der Broschüre enthaltenen Warnhinweise zum Verlustrisiko sei deren Ausgestaltung, Aufmachung und Inhalt für den Schadenseintritt nicht kausal geworden.
II.
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Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, sind gewerbliche Vermittler von Terminoptionen verpflichtet, den Kaufinteressenten vor Vertragsschluß schriftlich die Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, den Umfang des ihnen aufgebürdeten Verlustrisikos und die durch die Höhe der Vermittlungsprämie eingetretene Verringerung ihrer Gewinnchancen zutreffend einzuschätzen. Hierfür ist es allerdings nicht ausreichend, daß solche aufklärenden Hinweise überhaupt in der übermittelten Schrift enthalten sind; es kommt vielmehr entscheidend darauf an, daß gerade dem flüchtigen Leser in unmißverständlicher Weise und auffälliger Form deutlich gemacht wird, daß Aufschläge auf die Börsenoptionsprämie das Chancen-Risiko-Verhältnis aus dem Gleichgewicht bringen und dazu führen, daß die verbliebene, bei höheren Aufschlägen geringere Chance, insgesamt einen Gewinn zu erzielen, mit jedem Optionsgeschäft abnimmt (vgl. Senatsurteile vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, WM 1994, 149 und vom 1. Februar 1994 - XI ZR 125/93).
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2. Diesen strengen Anforderungen an die Aufklärung genügt die Broschüre der Beklagten nicht. In der insgesamt 26 Seiten umfassenden Informationsschrift wird der unerfahrene Kunde, der zuvor von einem Telefonverkäufer positiv auf die abzuschließenden Geschäfte eingestimmt worden ist, nicht mit der gebotenen Klarheit und Deutlichkeit über die außergewöhnlich hohen Risiken der von der Beklagten angebotenen Warenterminoptionsgeschäfte aufgeklärt. Die warnenden Hinweise sind in unzulässiger Weise zwischen unwesentlichen Informationen und Werbeaussagen versteckt.
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Daß die Beklagte ca. 40% des Einsatzes für sich beansprucht und zusätzlich für jede Option ein Brokerzuschlag von 80 US-Dollar zu zahlen ist, wird unter Verstoß gegen das Gebot, wichtige Informationen nicht durch die Plazierung in den Hintergrund treten zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 16. November 1993 aaO, S. 150 m.w.Nachw.) nach einleitenden Anpreisungen der eigenen Leistungsfähigkeit und einer Flut von allgemeinen, zum Teil gänzlich unbedeutenden Informationen, u.a. über die Geschichte des Rohstoffhandels und einem ganzseitigen "Musterbeispiel für Charts", erst auf Seite 18 erwähnt. Es folgen Ausführungen u.a. über die "Staatliche Aufsicht" und über die von der US-Aufsichtsbehörde geforderte "Offenlegungspflicht" und "Literaturhinweise". Durch diese Gestaltung der Broschüre wird jedenfalls für den flüchtigen Betrachter das unverhältnismäßig hohe Risiko eher verschleiert als betont, der Leser wird von den für ihn wichtigen Warninformationen auf Nebensächlichkeiten abgelenkt.
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Soweit in der Broschüre Risiken erwähnt werden, werden diese relativiert, zum Beispiel wenn im Vorwort unzutreffend darauf hingewiesen wird, daß derjenige, der die Fähigkeit besitze, schnell zu handeln, und Durchhaltevermögen habe, im Börsentermingeschäft letztendlich Erfolg haben könne. Selbst den Warnungen in der besonderen Rubrik "Risiken", die, ebenfalls versteckt, erst auf Seite 19 der Broschüre abgedruckt ist, fehlt es an der gebotenen Deutlichkeit. Statt des dort angebrachten Hinweises, daß die ohnehin geringe Gewinnchance des Kunden durch den von der Beklagten beanspruchten Prämienaufschlag praktisch zunichte gemacht, jedenfalls aber auf ein Minimum reduziert wird, finden sich eher verharmlosende Bemerkungen wie die, daß der sogenannte Hebeleffekt "die oft unverständlich hohen Gewinne bei relativ geringen Kursänderungen" erkläre, und daß "der sich daraus ergebenden Chance zu überdurchschnittlichen Gewinnen" das "Risiko eines Verlustes" gegenüberstehe. Zur Erläuterung des Prämienaufschlages wird auf das vorangehende Kapitel "Kosten" verwiesen, in dem auch aus der Entscheidung BGHZ 80, 80 ff. Passagen über die Risiken von Warentermingeschäften abgedruckt sind. Den vollen Umfang der konkreten Risiken kann der Leser damit allenfalls nach gründlichem Studium der Broschüre und möglicherweise erst nach längerem Nachdenken und aufgrund von Rückschlüssen voll erfassen.
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An den Inhalt der Informationsschrift sind auch nicht deshalb geringere Anforderungen zu stellen, weil die Beklagte im Übersendungsschreiben zu sorgfältiger Durchsicht angeregt hat; denn dieses Schreiben enthält nicht einmal einen Hinweis darauf, daß dies wegen der Risiken der Geschäfte, die der Telefonverkäufer der Beklagten zuvor empfohlen hatte, geboten sein könnte.
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3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den Verlust der vom Kläger eingesetzten Beträge nicht zu verneinen. Wenn es dem Kläger in diesem Zusammenhang vorhält, daß er den Inhalt der Broschüre nur oberflächlich eingesehen habe, so verkennt es, daß die Aufklärung - wie ausgeführt - gerade so beschaffen sein muß, daß sie auch dem flüchtigen Leser die Risiken des Optionsgeschäfts mit aller Deutlichkeit vor Augen führt.
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Daß sich der Kläger bei einer solchen nachdrücklichen, auch bei flüchtigem Lesen offenbar werdenden Warnung nicht von den Geschäftsabschlüssen hätte abbringen lassen, kann nicht angenommen werden. Selbst wenn sich dies im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr feststellen ließe, würde diese Unsicherheit zu Lasten der Beklagten gehen (vgl. Senatsurteile aaO). Die Vermutung, daß der Kläger sich aufklärungsrichtig verhalten und somit die Warenterminoptionsgeschäfte nicht abgeschlossen hätte, vermag die Beklagte nicht zu widerlegen.
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4. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und das landgerichtliche Urteil wiederherstellen.
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