Tilgungsbestimmung ohne ausdrückliche Erklärung des Schuldners
Orientierungssatz
1. Eine Tilgungsbestimmung muß nicht ausdrücklich erfolgen, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben. So liegt eine Tilgungsbestimmung vor, wenn der Schuldner eine vereinbarte Zahlung ohne ausdrückliche Erklärung leistet, nachdem zuvor zwischen Gläubiger und Schuldner eine Vereinbarung über die Tilgung des unstreitigen Teiles der Forderung getroffen worden war.



vorgehend LG Köln, 23. Juni 1988, 21 O 561/87
Vergleiche BGH 2. Zivilsenat, 16. Dezember 1996, II ZR 242/95

Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Kerwer, 8. Auflage 2017, § 366 BGB
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Köln vom 31. Januar 1985. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Im Jahre 1980 schlossen die K. Gesellschaft für P. und B. mbH & Co. Immobilien KG (im folgenden: K. KG), deren Geschäftsführer der Kläger war, und die beklagte Bank einen Darlehensvertrag über 5,2 Millionen DM. Der Kläger übernahm gegenüber der Beklagten die selbstschuldnerische Bürgschaft. Die K. KG verwendete einen Teil des Kredits zum Erwerb eines Grundstücks in F., das mit Eigenheimen bebaut werden sollte. Dieses Projekt scheiterte. Die Beklagte kündigte daraufhin den Kredit, der bis dahin nur teilweise in Anspruch genommen worden war. Da die K. KG zur Rückzahlung nicht in der Lage war, kam es auf Betreiben der Beklagten zur Zwangsversteigerung des Grundstücks in F., das einer Tochtergesellschaft der Beklagten, der P. Verwaltungs- und Beteiligungs GmbH & Co. KG Objekt F. (im folgenden: P.), für 625.000 DM zugeschlagen wurde. Die Beklagte erklärte sich insoweit hinsichtlich der Darlehensforderung für befriedigt. Sie verhandelte wegen des Ausgleichs der in der Höhe streitigen Restdarlehensschuld mit der K. KG und dem Kläger als Bürgen, ohne daß eine Einigung erzielt wurde.
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Die Beklagte erwirkte in einem von ihr vor dem Landgericht Köln anhängig gemachten Rechtsstreit (21 O 458/84) am 31. Januar 1985 wegen eines unstreitigen Teilbetrages von 150.000 DM das den Gegenstand der Vollstreckungsabwehrklage bildende Versäumnisurteil gegen den Kläger. In der Folgezeit bemühten sich die Parteien weiterhin um eine Gesamtregelung. Dies führte zu der schriftlichen Vereinbarung vom 26./ 29. März 1985, die im wesentlichen vorsah, daß der Kläger 231.500 DM nebst Kosten an die Beklagte zahlte und er selbst oder ein Dritter auf seine Veranlassung ein Kaufangebot der P. für das Grundstück in F. über 625.000 DM annahm und er den Kaufvertrag abwickelte. Damit sollten auch die Ansprüche der Beklagten aus dem Versäumnisurteil vom 31. Januar 1985 erledigt sein.
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Der Kläger zahlte im Hinblick auf die mit der Beklagten getroffenen Vereinbarungen insgesamt 317.390,50 DM. Der Kaufvertrag über das Grundstück in F. kam jedoch nicht wie vorgesehen zustande. Die P. veräußerte dieses Grundstück im Jahre 1987 anderweitig.
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Die Beklagte betreibt aus dem Versäumnisurteil vom 31. Januar 1985 die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger. Der Kläger hält das für unzulässig. Er hat bestritten, daß der Beklagten nach den von ihm geleisteten Zahlungen überhaupt noch eine Forderung aus Bürgschaft zustehe. Jedenfalls aber, so hat er gemeint, seien diese Zahlungen auf die titulierte Forderung zu verrechnen, die damit erloschen sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil für unzulässig erklärt, soweit die Beklagte sie wegen eines über 80.309,04 DM nebst Zinsen hinausgehenden Betrages betreibt, und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist begründet.
I.
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1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die titulierte Bürgschaftsschuld nicht erloschen. Es hat dazu u.a. ausgeführt: Der Kläger habe lediglich behauptet, aber nicht unter Beweis gestellt, daß die Bürgschaftsforderung der Beklagten einschließlich der titulierten Forderung nur in Höhe von 267.000 DM bestanden habe und mithin durch die unstreitig erfolgten höheren Zahlungen erfüllt worden sei. Es sei nicht, wie der Kläger meine, Sache der Beklagten, darzulegen und zu beweisen, daß ihr eine höhere Forderung zustehe. Die Zahlungen seien auch nicht zunächst auf die titulierte Forderung zu verrechnen. Eine entsprechende Tilgungsbestimmung durch den Kläger sei bei Zahlung nicht erfolgt. Dieser habe vielmehr ohne Vorbehalt und in Kenntnis des Versäumnisurteils auf die seinerzeit bestehende gesamte Bürgschaftsschuld geleistet.
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2. a) Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht die Beweislastverteilung verkannt habe.
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Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß den Kläger grundsätzlich die Beweislast für Einwendungen trifft, mit denen er sich gegen den Vollstreckungstitel wendet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 1981 - III ZR 179/79, NJW 1981, 2756). Was den vom Kläger erhobenen Erfüllungseinwand anbelangt, so sind die geleisteten Zahlungen allerdings unstreitig. Sie haben nur dann nicht zum Erlöschen der titulierten Forderung geführt, wenn sie sich - wie die Beklagte behauptet - auf einen nicht titulierten Teil der Schuld bezogen. Bei einem Streit darüber, ob eine Zahlung auf eine bestimmte Forderung anzurechnen ist, muß aber zunächst der Gläubiger beweisen, daß ihm noch eine weitere Forderung zusteht, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um den Rest einer einheitlichen Forderung oder um eine Forderung aus einem anderen Schuldverhältnis handelt. Erst wenn ihm dieser Nachweis geglückt ist, muß der Schuldner seinerseits dartun, warum gerade die streitige Forderung getilgt sein soll (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 1974 - III ZR 86/73, WM 1974, 836, 837 f.; BGH, Urteil vom 8. Mai 1978 - II ZR 208/76, WM 1978, 1046).
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b) Es bedarf jedoch keiner Klärung, ob der Beklagten eine über die geleistete Zahlung hinausgehende Forderung gegen den Kläger zustand, denn auch in diesem Fall wäre die titulierte Forderung erloschen, weil der Kläger bei Leistung eine Tilgungsbestimmung getroffen hat (§§ 366 Abs. 1, 362 Abs. 1 BGB). Das hat das Berufungsgericht unter unzureichender Würdigung der Gesamtumstände verkannt.
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Nach § 366 Abs. 1 BGB kann der Schuldner mehrerer Forderungen, wenn die Leistung nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, selbst bestimmen, welche Schuld getilgt wird. In Analogie zu dieser Vorschrift gilt dasselbe, wenn - wie hier - bei ursprünglich einheitlichem Schuldverhältnis durch Teilklage der eingeklagte Betrag Selbständigkeit gegenüber dem nicht eingeklagten Teil erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1973 - V ZR 186/71, WM 1973, 1200, 1201; RGZ 66, 266, 271). Es ist allgemein anerkannt, daß die Tilgungsbestimmung nicht ausdrücklich erfolgen muß, sie kann sich auch aus den Umständen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 1963 - VI ZR 156/62, WM 1963, 939, 940; BGH, Urteil vom 19. Februar 1973 - II ZR 83/71, WM 1973, 461, 463 f.; Staudinger/Kaduk BGB 12. Aufl. § 366 Rdn. 21; MünchKomm/ Heinrichs § 366 Rdn. 10; Weber in BGB RGRK § 366 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen sind hier zu bejahen.
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Die Zahlungen des Klägers erfolgten unstreitig im Vorgriff auf die von den Parteien angestrebte vergleichsweise Regelung auf der Grundlage der Vereinbarung vom März 1985. Danach war - neben dem hier nicht interessierenden Ankauf des von der Tochtergesellschaft der Beklagten ersteigerten Grundstücks - vorgesehen, daß der Kläger über die bereits zuvor erbrachten Leistungen hinaus noch 231.500 DM nebst Kosten an die Beklagte zahlte, womit zugleich die Ansprüche der Beklagten aus dem Versäumnisurteil erledigt sein sollten. Diese Zahlungen hat der Kläger geleistet. Daraus folgt, daß mit den Zahlungen auch für den Fall eines Scheiterns der Vergleichsvereinbarung zunächst der unstreitige Teil der Bürgschaftsschuld getilgt werden sollte, der den titulierten Betrag mit umfaßte. Anders konnten die Zahlungen von der Beklagten nicht verstanden werden, zumal diese in der dem Versäumnisurteil zugrundeliegenden Klageschrift ausdrücklich den streitigen Teil der Bürgschaftsforderung ausgeklammert und nur einen Teil des unstreitigen Betrages in Höhe von 267.000 DM geltend gemacht hatte. Die Möglichkeit, daß der Kläger mit seinen Zahlungen den von ihm bestrittenen Teil der Bürgschaftsschuld begleichen wollte, kam aus der Sicht der Beklagten nicht ernsthaft in Betracht.
II.
- 14
Das Berufungsurteil konnte somit, soweit es den Kläger beschwert, keinen Bestand haben. Da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, konnte der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden und der Klage in vollem Umfang stattgeben.
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