Pflichten des Rechtsanwalts bei durch Gerichtsferien oder Wiedereinsetzung beeinflußter Frist zur Rechtsmittelbegründung
Leitsatz
1. Ist die Rechtsmittelbegründungsfrist in ihrem Lauf durch Gerichtsferien und/oder ein vorangegangenes Wiedereinsetzungsverfahren, das nach bewilligter Prozeßkostenhilfe durchgeführt worden ist, beeinflußt, hat der Rechtsanwalt persönlich das Ende der Begründungsfrist zu berechnen und für die rechtzeitige Vorlage der Sache zu sorgen.
Ist die Überwachung einer Rechtsmittelbegründungsfrist nicht durch organisatorische Maßnahmen (Notieren einer Vorfrist und des mutmaßlichen Endes der Begründungsfrist) sichergestellt, trifft den Rechtsanwalt bei Fristversäumung ein Verschulden.










vorgehend LG Traunstein, 13. März 1990, 1 O 3846/89
So auch BGH 12. Zivilsenat, 3. Juli 1991, XII ZB 39/91
Gründe
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I. Durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 13. März 1990 - zugestellt am 19. März 1990 - ist der Beklagte zur Zahlung von 50.000 DM an die Klägerin verurteilt worden. Nach Gewährung der am 18. April 1990 beantragten Prozeßkostenhilfe durch Beschluß vom 7. Juni 1990 - zugestellt am 12. Juni 1990 - hat der Beklagte am 20. Juni 1990 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Der Wiedereinsetzungsbeschluß vom 26. Juni 1990 ist ihm am 29. Juni 1990 zugestellt worden. Verbunden mit einem erneuten Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat der Beklagte seine Berufung am 22. Oktober 1990 begründet. Die Berufungsbegründungsfrist war beim Prozeßbevollmächtigten des Beklagten nicht notiert worden.
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Durch Beschluß vom 3. Januar 1991 - zugestellt am 9. Januar 1991 - hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die am 23. Januar 1991 eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten.
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II. Die nach §§ 238 Abs. 2, 519b Abs. 2, 547 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag unter Annahme eines Verschuldens des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, der Prozeßbevollmächtigte hätte die Fristeneintragung und -kontrolle nicht dem Büropersonal überlassen dürfen, sondern hätte sich wegen der Besonderheiten des Falles persönlich zur Sicherung einer rechtzeitigen Berufungsbegründung um die Notierung der Frist kümmern müssen.
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2. Diese Begründung hält der Nachprüfung stand.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtsanwalt im Interesse seiner eigentlichen anwaltlichen Aufgaben die im Zusammenhang mit der Erledigung seiner Mandatsgeschäfte anfallenden einfachen Verrichtungen, die keine besondere Geistesarbeit oder juristische Schulung erfordern, vielmehr wie das Führen eines Fristenkalenders routinemäßig bearbeitet werden, im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation zur selbständigen Erledigung auf geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal übertragen (BGH, Beschluß vom 20. Dezember 1984 - III ZB 28/84 - VersR 1985, 269; Beschluß vom 26. Februar 1986 - VIII ZB 1/86 - VersR 1986, 702; BGHZ 43, 148, 153). Im Umfang dieser Delegation vorkommendes Personalverschulden, das nicht auf Verschulden des Rechtsanwalts zurückgeht, hat die Partei nicht zu vertreten.
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b) Zu diesen einfachen routinemäßigen Verrichtungen gehört die Überwachung von Rechtsmittelbegründungsfristen jedoch dann nicht, wenn deren Lauf - wie hier - durch die Gerichtsferien beeinflußt (BGH, Beschluß vom 27. Oktober 1982 - IVb ZB 157/82 - VersR 1983, 82, 83; Beschluß vom 27. Juni 1985 - III ZB 2/85 - VersR 1985, 889; Beschluß vom 15. Januar 1986 - VIII ZB 27/85 - VersR 1986, 574; Beschluß vom 12. März 1986 - IVb ZB 101/85 - VersR 1986, 786 m.Nachw.) und dazu noch durch ein vorangegangenes Prozeßkostenhilfeverfahren und die Wiedereinsetzung in die deswegen versäumte Berufungsfrist schwierig wird. In derartigen Fällen hat der Rechtsanwalt die Begründungsfrist persönlich zu berechnen und die rechtzeitige Wiedervorlage der Sache sicherzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 1984 - II ZB 4 und 5/84 - VersR 1985, 168; Beschluß vom 17. Januar 1989 - VI ZB 31/88 - NJW 1989, 1864). Das hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten im vorliegenden Fall schuldhaft versäumt.
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c) Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hat auch die Kontrolle der Rechtsmittelbegründungsfristen nach den Angaben in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seiner Gehilfin nicht ausreichend organisiert. Die Versäumung der rechtzeitigen Berufungsbegründung, für die keinerlei Fristen notiert worden sind, hat ihren Grund nicht allein in dem Fehlen einer Feststellung über das Fristende, sondern auch darin, daß für die Begründung keine Vorfrist (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 11. Juli 1962 - VIII ZB 18/62 - NJW 1962, 1865; Urteil vom 19. November 1976 - IV ZR 36/75 - VersR 1977, 332, 333) notiert worden ist und deshalb für den Fall, daß die Eintragung des mutmaßlichen Endes der Begründungsfrist im Zeitpunkt der Absendung der Rechtsmittelschrift (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 27. Februar 1985 - IVb ZB 153/84 - VersR 1985, 502, 503; Beschluß vom 21. Oktober 1987 - IVb ZB 158/87 - NJW 1988, 568) unterbleibt, die endgültige Feststellung der Begründungsfrist (vgl. BGH, Beschluß vom 15. März 1989 - IVb ZB 15/89 - VersR 1989, 645, 646) nicht gesichert war.
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