Wiedereinsetzung: Kontrollpflicht des Anwalts hinsichtlich mündlich angeordneter Fehlerberichtigung in unterzeichnetem Schriftsatz
Leitsatz
Enthält eine Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler, so darf der Anwalt auch bei einer zuverlässigen Kanzleikraft nicht darauf vertrauen, daß die von ihm mündlich angeordneten Korrekturen in dem bereits unterschriebenen Schriftsatz vollständig und richtig ausgeführt werden.










vorgehend LG Berlin, 18. November 1993, 104 O 137/93
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des 23. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 25. April 1994 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Das Landgericht Berlin hat den Beklagten zur Zahlung von über 11.000 DM nebst Zinsen verurteilt. Das am 18. November 1993 verkündete Urteil wurde dem Beklagten am 25. Januar 1994 zugestellt. Er legte gegen das Urteil mit einem an das Landgericht Berlin adressierten Schreiben vom 24. Februar 1994 Berufung ein. Diese ging am 25. Februar 1994 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Justizbehörden Charlottenburg und am 28. Februar 1994 beim Landgericht Berlin ein.
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Mit Schreiben vom 9. März 1994, das am 12. März 1994 beim Kammergericht eingegangen ist, beantragte der Beklagte, ihm hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten trug vor, er habe bei der Unterzeichnung der Berufungsschrift festgestellt, daß diese fälschlich an das Landgericht Berlin und nicht an das Kammergericht adressiert worden sei und daß das Datum der Verkündung und das Aktenzeichen der angefochtenen Entscheidung unrichtig gewesen seien. Er habe eine seit 15 Jahren bei ihm tätige sehr erfahrene und zuverlässige Angestellte damit beauftragt, die falschen Bezeichnungen durch Tipp-Ex bzw. durch Überkleben zu ändern. Als er seine Angestellte ca. 20 Minuten nach dem Auftrag auf die Sache angesprochen habe, habe sie erklärt, der Schriftsatz sei in Arbeit. Er sei daher davon ausgegangen, daß die Angestellte die Änderungen tatsächlich vorgenommen habe. Der Schriftsatz sei dann versehentlich ohne jede Änderung in einen an die gemeinsame Briefannahmestelle adressierten Umschlag gesteckt worden. Offenbar sei seine Angestellte durch Telefonate abgelenkt worden und habe den Schriftsatz unbearbeitet auf den Stapel der abzusendenden Post gelegt.
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Auf die unrichtige Adressierung der Berufungsschrift sei er erst durch das bei ihm am 4. März 1994 eingegangene Schreiben des Landgerichts Berlin aufmerksam geworden.
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Zur Glaubhaftmachung legte er eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten vom 9. März 1994 vor.
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Durch Beschluß vom 25. April 1994, der dem Beklagten am 26. Mai 1994 zugestellt wurde, hat das Kammergericht Berlin die Berufung des Beklagten unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsgesuches als unzulässig verworfen. Es hob hervor, daß den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten ein eigenes Verschulden treffe, weil er seiner Angestellten keine Weisung erteilt habe, ihm den Berufungsschriftsatz in der korrigierten Fassung vor Abgang zur Prüfung vorzulegen.
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In der dagegen gerichteten, am 6. Juni 1994 beim Kammergericht eingegangenen sofortigen Beschwerde trägt der Beklagte vor: Sein Prozeßbevollmächtigter habe darauf vertrauen dürfen, daß die zuverlässige Angestellte die ihr übertragene einfache Aufgabe richtig erledigen werde. Die Anforderungen an die Sorgfalt des Anwalts würden überspannt, wollte man von ihm verlangen, daß er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestünden, die Vornahme angeordneter einfacher Korrekturen kontrollieren müsse. Im übrigen wäre das Versehen auch dann eingetreten, wenn er die nochmalige Vorlage des korrigierten Schriftsatzes angeordnet hätte.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 519 b Abs. 2, 238 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie konnte auch auf Wiedereinsetzungsgründe gestützt werden, da das Berufungsgericht in seinem Beschluß vom 25. April 1994 die Berufung verworfen und zugleich die Wiedereinsetzung abgelehnt hatte (vgl. BGH, Beschluß vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81, NJW 1982, 887). Sie ist jedoch unbegründet.
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Das Kammergericht hat bei der Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Recht darauf abgestellt, daß es sich hier nicht um einen der Fälle eines leicht korrigierbaren Fehlers handelt, in denen der Anwalt sich nach der Rechtsprechung (BGH, Beschlüsse vom 4. November 1981 - VII ZB 59, 60/81 - sowie vom 10. Februar 1982 - VIII ZB 76/81, beide in NJW 1982, 2670) auf eine zuverlässige Bürokraft verlassen darf. Zu korrigieren waren nicht nur die vollständige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, sondern auch Datum und Aktenzeichen des angefochtenen Urteils. Mag auch jede Änderung für sich als einfach anzusehen sein, so macht doch die Häufung der Fehler eine Überprüfung durch den Anwalt nötig, ob die nur mündlich erteilten Weisungen vor Abgang nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vollständig ausgeführt worden waren.
- 9
Dagegen läßt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht einwenden, daß die angeordneten Korrekturen nicht etwa unvollständig, sondern überhaupt nicht ausgeführt worden sind, die Zahl der auszuführenden Berichtigungen also im Ergebnis keine Rolle gespielt hat. Ob der Anwalt sich im Einzelfall auf die Ausführung einer Korrektur durch eine zuverlässige Angestellte verlassen darf, richtet sich nach der Schwierigkeit der ihr übertragenen Aufgabe, nicht nach dem Umfang des Versagens bei der Ausführung. Die mit der Beschwerde vertretene Auffassung, es müsse zwischen der Nichtausführung und der Schlechterfüllung unterschieden werden, vermag daher schon im Ansatz nicht zu überzeugen. Sie läßt im übrigen außer Betracht, daß die Ausführung komplizierterer Aufgaben eher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und dann vergessen wird. Im Ergebnis liefe die Unterscheidung darauf hinaus, den Anwalt gerade in den Fällen zu entlasten, in denen das Versagen des Büropersonals besonders krass ist.
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Deshalb ist auch der Hinweis unerheblich, daß dem Berufungsschriftsatz das angefochtene Urteil beigefügt und die angefochtene Entscheidung so trotz der falschen Angaben im Text zu identifizieren gewesen sei. Entscheidend ist, daß die unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts berichtigt worden wäre, wenn der Anwalt des Beklagten die ihm angesichts des Umfangs der insgesamt vorzunehmenden Korrekturen obliegende Pflicht zur Kontrolle nicht schuldhaft verletzt hätte.
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