Grundsätze der Auslegung eines Standby Letter of Credit
Leitsatz
Ein Standby Letter of Credit ist ebenso wie ein Dokumenten-Akkreditiv einer Auslegung zugänglich, die nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den aus der Urkunde erkennbaren Sinn und Zweck der in ihm enthaltenen Bestimmungen abstellt. Dem steht weder die Unzulässigkeit von Einwendungen aus dem Grundgeschäft noch der Grundsatz der Garantiestrenge entgegen.














vorgehend LG Hamburg, 16. Dezember 1992, 411 O 164/92




Uwe Michel, WiB 1994, 522 (Anmerkung)
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Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der A.-Bank AG aus einem von dieser erteilten "Standby Letter of Credit" auf Zahlung in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Am 18. Dezember 1991 verpflichtete die Klägerin sich gegenüber der B. Gesellschaft mbH in H. (im folgenden: B. GmbH) vertraglich zur Lieferung von 30.000 Blue-Jeans zum Preis von 22 DM pro Stück in der Zeit von Januar 1992 bis Mitte Februar 1992. Zur teilweisen Absicherung der Kaufpreisforderung erteilte die A.-Bank der Klägerin im Auftrag der B. GmbH am 6. Januar 1992 einen unwiderruflichen, bis 20. September 1992 gültigen "Standby Letter of Credit" über einen Betrag von 330.000 DM. Das in englischer Sprache abgefaßte Dokument machte die Zahlung der genannten Summe von der Vorlage einer von der Klägerin unterschriebenen Feststellung über die Nichtbezahlung fälliger Rechnungen für die Lieferung von ungefähr 30.000 Blue-Jeans gemäß dem Vertrag vom 18. Dezember 1991 durch die B. GmbH sowie von der Beifügung von Kopien der betreffenden Rechnungen und Transportdokumente abhängig. Unter der Überschrift "Besondere Bedingungen" enthielt der Letter of Credit die Feststellung, daß er 50% des gesamten Vertragswerts repräsentiere, sowie die Bestimmung, daß der Betrag des Letter of Credit sich bei jeder Zahlung der B. GmbH an die Klägerin automatisch um 50% der geleisteten Zahlung vermindern sollte.
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Mit Schreiben vom 9. und 15. September 1992 legte die N. Bank der Beklagten im Auftrag der Klägerin Feststellungen der Klägerin über die Nichtbezahlung dreier Teilrechnungen über insgesamt 9.809 Blue-Jeans zum Preis von insgesamt 215.798 DM vor, fügte Kopien der betreffenden Rechnungen und Transportdokumente bei und verlangte Zahlung von zunächst 107.899 DM. Mit Fernschreiben vom 18. September 1992 verlangte sie sodann Zahlung weiterer 107.899 DM. Die Beklagte kam nur dem ersten Zahlungsbegehren nach.
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Mit der Klage verlangt die Klägerin 107.899 DM nebst Zinsen. Sie ist der Ansicht, aufgrund des Standby Letter of Credit Anspruch auf den vollen Betrag und nicht nur auf 50% der von ihr vorgelegten Rechnungen zu haben.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden landgerichtlichen Urteils.
I.
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Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin könne aufgrund des Standby Letter of Credit über die bereits erhaltenen 107.899 DM hinaus weitere 107.899 DM verlangen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
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Bei dem Standby Letter of Credit handele es sich um ein Akkreditiv, dessen Zahlungsvoraussetzungen die Klägerin in Höhe von 215.798 DM erfüllt habe. Nach seinem Inhalt hänge ein Zahlungsanspruch nicht davon ab, daß sämtliche das Grundgeschäft betreffenden Lieferungen erfolgt seien und eine entsprechende Erklärung abgegeben worden sei. Auch sei das Akkreditiv dahin zu verstehen, daß die Beklagte ihr vorgelegte Teilrechnungen - bis zur Höhe des Akkreditivbetrags von 330.000 DM - vollständig und nicht nur in Höhe von 50% zu bezahlen habe. Eine Beschränkung der Zahlungspflicht auf einen Teil der jeweiligen Rechnungsbeträge sei im Akkreditiv jedenfalls nicht ausdrücklich geregelt. Eine solche Beschränkung lasse sich dem Inhalt des Akkreditivs auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen. Derartiges ergebe sich insbesondere nicht aus den "Besonderen Bedingungen" des Akkreditivs. Der Einwand der Beklagten, die Annahme einer Pflicht zur vollständigen Begleichung von Teilrechnungen mache die in den "Besonderen Bedingungen" enthaltene Vereinbarung über die Anrechnung etwaiger Zahlungen der B. GmbH wirkungslos und führe überdies zu einer Belohnung vertragswidrigen Verhaltens der Klägerin, sei unbeachtlich. Das Akkreditiv als selbständiges Schuldversprechen lasse nämlich Einwendungen aus dem Grundgeschäft regelmäßig nicht zu und müsse aus sich selbst heraus ausgelegt werden.
II.
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Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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Dabei kann offen bleiben, ob die von beiden Parteien in den Vorinstanzen geteilte und von der Beklagten erst in der Revisionsbegründung angegriffene Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, daß Zahlungen aus dem Standby Letter of Credit bereits auf Teilrechnungen und nicht erst auf die Abrechnung des gesamten Liefervertrags zu leisten seien. Das Berufungsurteil kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil die Auslegung des Letter of Credit dahin, daß auf Teilrechnungen jeweils der volle Betrag zu zahlen sei, anerkannte Auslegungsgrundsätze verletzt. Sie verstößt gegen den Grundsatz der interessengerechten Auslegung (vgl. dazu BGHZ 115, 1, 5 m.w.Nachw.; BGH, Urteile vom 2. Juli 1992 - I ZR 181/90 = WM 1992, 2026, 2028 und vom 10. Dezember 1992 - VII ZR 241/91 = WM 1993, 759, 760, jeweils m.w.Nachw.).
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1. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung des Letter of Credit die in den Besonderen Bedingungen enthaltene Regelung über die Reduzierung des Gesamtbetrags von 330.000 DM um 50% jeder Zahlung der B. GmbH zu Unrecht für unbeachtlich gehalten. Diese Regelung führte dazu, daß die Klägerin im Falle vollständiger Erfüllung ihrer Lieferpflicht immer nur in Höhe von 50% ihrer jeweiligen Außenstände auf den Letter of Credit zurückgreifen konnte. Zahlte die B. GmbH in diesem Fall auf die Kaufpreisforderung der Klägerin von 660.000 DM z.B. nur 330.000 DM, so konnte die Klägerin aus dem Letter of Credit nicht in Höhe der noch offenen 330.000 DM, sondern nur in Höhe von 165.000 DM Befriedigung verlangen. Der Sinn und Zweck dieser Regelung liegt ersichtlich darin, der Klägerin mit dem Letter of Credit immer nur eine auf 50% ihrer jeweiligen Forderungen gegen die B. GmbH begrenzte Sicherheit zu gewähren. Daraus folgt für den nicht ausdrücklich geregelten Fall von lediglich teilweiser Erfüllung der Lieferpflicht durch die Klägerin während der Laufzeit des Letter of Credit, daß die Klägerin auch in diesem Fall den Letter of Credit nur in Höhe von 50% ihrer offenen Forderungen in Anspruch nehmen darf. Eine andere Auslegung würde, wie die Revision mit Recht geltend macht, zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß die Klägerin bei nur teilweiser Erfüllung ihrer Lieferpflicht und Nichtzahlung der B. GmbH besser stünde als bei voller Erfüllung ihrer Lieferpflicht und nur teilweiser Zahlung der B. GmbH.
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2. Die Nichtberücksichtigung dieser Zusammenhänge durch das Berufungsgericht kann nicht auf den Grundsatz gestützt werden, daß Akkreditive als selbständige Schuldversprechen Einwendungen aus dem Grundgeschäft regelmäßig nicht zulassen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1988 - II ZR 283/87 = WM 1988, 1298, 1299 f.) und aus sich heraus ausgelegt werden müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom Berufungsgericht ohne Begründung vorgenommene Gleichsetzung des hier vorliegenden, als Sicherungsmittel (Zahlungsgarantie) dienenden Standby Letter of Credit mit einem Akkreditiv, bei dem die Funktion als Zahlungsmittel (Inkassopapier) im Vordergrund steht, in jeder Hinsicht zutrifft (vgl. dazu Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rdn. 1087; Nielsen, Aktuelle Fragen aus Praxis und Rechtsprechung zum Inkasso-, Akkreditiv- und Garantiegeschäft, RWS-Skript 212, S. 11 f. m.w.Nachw.). Der Grundsatz, daß Einwendungen aus dem Grundgeschäft regelmäßig nicht zulässig sind, gilt für beide Papiere gleichermaßen. Dieser Grundsatz verbietet jedoch beim Standby Letter of Credit ebensowenig wie beim Dokumenten-Akkreditiv eine Auslegung des Papiers, die nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den Sinn und Zweck der in ihm enthaltenen Bestimmungen abstellt. Dieser Sinn und Zweck muß, da die Absicherung der Erfüllung eines Grundgeschäfts zum Wesen des Standby Letter of Credit gehört, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung des Grundgeschäfts, soweit es in der Urkunde Erwähnung gefunden hat, ermittelt werden.
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Dem steht der sogenannte Grundsatz der Dokumentenstrenge nicht entgegen. Dieser Grundsatz ist im Zusammenhang mit dem Dokumenten-Akkreditiv in erster Linie für die Prüfung der Übereinstimmung vorgelegter Dokumente mit den Akkreditivbedingungen entwickelt worden (Canaris aaO Rdn. 942 m.w.Nachw.). Er findet bei Garantiegeschäften eine Parallele in dem Grundsatz der Garantiestrenge (BGHZ 90, 287, 291; Canaris aaO Rdn. 1133 a) und verbietet weder hier noch beim Dokumenten-Akkreditiv eine Auslegung unklarer Bestimmungen, sondern steht nur einer Auslegung entgegen, für die sich im Text der Urkunde "keine Anhaltspunkte finden und die sich auf Umstände außerhalb der Urkunde stützen müßte" (so BGH aaO für die Bankgarantie auf erstes Anfordern; vgl. auch Canaris aaO Rdn. 993 m.w.Nachw.).
III.
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Das Berufungsurteil mußte daher aufgehoben werden. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, konnte der Senat den Standby Letter of Credit selber auslegen mit dem Ergebnis, daß die Klägerin mehr als die bereits erhaltenen 50% der von ihr innerhalb der Laufzeit vorgelegten offenen Rechnungen nicht verlangen kann. Unerheblich ist, daß die Klägerin inzwischen ihre Lieferpflichten in vollem Umfang erfüllt hat. Die Beklagte war auch nach Treu und Glauben nicht gehalten, solche Rechnungen nach Ablauf der Garantiefrist zu honorieren. Aus den Bedingungen des Standby Letter of Credit ergibt sich zweifelsfrei, daß die Klägerin für nach dem 20. September 1992 vorgelegte Dokumente keine Zahlung verlangen konnte, also auf eigenes Risiko handelte, wenn sie die Garantie bis dahin nicht in Anspruch nahm.
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Das klageabweisende landgerichtliche Urteil war deshalb unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wiederherzustellen.
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