Zur Abgrenzung zwischen beständiger und einfacher Vorleistungspflicht; zum Wegfall einer einfachen Vorleistungspflicht
Orientierungssatz
1. Hat sich der Veräußerer eines Grundstücks nachträglich verpflichtet, die Löschung einer Sicherungshypothek zu bewilligen, wenn ein letzter - zum Ausgleich der Kaufpreisforderung gegebener - Wechsel diskontiert worden ist, ergibt sich aus dieser Vereinbarung jedoch nicht, daß die von den Parteien nachträglich vereinbarte Vorleistungspflicht des Veräußerers fortbesteht, wenn der Erwerber seiner inzwischen fällig gewordenen Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises nicht nachgekommen ist.
2. Es kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, daß eine sog beständige Vorleistungspflicht des Veräußerers begründet werden sollte, da ein derartiger Erklärungsinhalt eine weitgehende Umgestaltung der wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Grundstückskaufvertrag bedeuten würde.
3. Eine einfache - nichtbeständige - Vorleistungspflicht der einen Partei im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages entfällt in dem Zeitpunkt, in dem die Gegenleistung fällig wird (vergleiche BGH, 1985-12-20, V ZR 200/84, NJW 1986, 1164). Diese Rechtsfolge tritt unabhängig davon ein, ob der (früher) Vorleistungspflichtige die ihm obliegende Leistung schuldhaft nicht rechtzeitig erbracht hat. Deshalb verstößt die Berufung auf den Wegfall der Vorleistungspflicht für sich allein nicht gegen Treu und Glauben.

vorgehend LG Gießen, 27. Februar 1987, 8 O 7/86
● Beckmann, 8. Auflage 2017, § 320 BGB
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 1987 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Widerklage stattgegeben wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger hat im Wechselprozeß den Beklagten aus zwei Wechseln über 25.000 DM und 35.000 DM in Anspruch genommen. Der Beklagte ist durch rechtskräftiges Vorbehaltsurteil nach dem Klageantrag verurteilt worden. Er hat im Nachverfahren die Aufhebung des Vorbehaltsurteils verlangt und weiter - im Wege der Widerklage - beantragt, den Kläger zu verurteilen, die Löschungsbewilligung der zu seinen Gunsten im Grundbuch von O. eingetragenen Höchstbetragshypothek von 150.000 DM zu erteilen. Durch das angefochtene Urteil hat das Oberlandesgericht u.a. der Widerklage stattgegeben. Allein dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
- 2
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
- 3
Der Kläger war Kommanditist der N. und P. KG in B., deren persönlich haftender Gesellschafter der Beklagte ist. Durch notariellen Vertrag vom 12. Juli 1983 veräußerte der Kläger seinen Anteil an den Beklagten für 150.000 DM, die bis zum 31. Dezember 1985 in sieben Raten wie folgt zu zahlen waren:
- 4
15.10.1983 DM 10.000,-
15.05.1984 DM 10.000,-
15.10.1984 DM 20.000,-
31.12.1984 DM 25.000,-
15.05.1985 DM 25.000,-
15.10.1985 DM 25.000,-
31.12.1985 DM 35.000,-
- 5
In § 2 des Vertrages heißt es u.a.:
- 6
"Kommt der Übernehmer mit der Zahlung einer Rate länger als vier Wochen in Verzug und leistet er nach Stellung einer Nachfrist von weiteren zwei Wochen (beginnend mit dem Ende der 4-Wochen-Frist) nicht, so ist der restliche Teil des Kaufpreises zur sofortigen Zahlung fällig.
- 7
Die Kommanditeinlage des Verkäufers ist durch Eintragung einer Sicherungshypothek bis zum Höchstbetrag von 150.000 DM auf dem Grundbesitz verzeichnet im Grundbuch von O. beim Amtsgericht F. gesichert. Im Wege der Forderungsauswechselung gemäß § 1180 BGB wird an Stelle der gesicherten Forderung die Kaufpreisforderung nebst Zinsen gesetzt."
- 8
Nachdem der Beklagte mit der dritten Rate von 20.000 DM in Rückstand gekommen war und der Kläger zunächst die Zahlung des gesamten Restkaufpreises von 130.000 DM verlangt hatte, stundete der Kläger Anfang Januar 1981 dem Beklagten diese und die am 31. Dezember 1984 fällige vierte Rate in Höhe von 25.000 DM gegen Begebung von zwei Wechseln bis Anfang April 1985. Beide Wechsel wurden eingelöst.
- 9
Da der Beklagte die am 15. Mai 1985 fällige fünfte Rate von 25.000 DM nicht bezahlen konnte, bot er dem Kläger wiederum einen Wechsel per 15. Oktober 1985 an. Die Parteien einigten sich schließlich hinsichtlich der gesamten restlichen Raten in der Weise, daß der Beklagte dem Kläger zwei Wechsel über je 25.000 DM, fällig am 19. September 1985 und 15. Oktober 1985, und einen Wechsel über 35.000 DM, fällig am 20. September 1985, akzeptierte.
- 10
Der Kläger erklärte sich mit Schreiben an den Beklagten vom 14. Juni 1985 "damit einverstanden, daß die Wechsel über 60.000 DM wenn nötig prolongiert werden". Mit weiterem Schreiben vom 18. Juni 1985 bestätigte er ein Telefonat mit dem Beklagten und kündigte an, er werde "nach Einlösung des Wechsels per 15.10.1985 über 25.000 DM und Diskontierung der Wechsel über 60.000 DM Löschungsbewilligung über die zu meinen Gunsten eingetragene Grundschuld" übersenden. Der Beklagte löste den am 15. Oktober 1985 fälligen Wechsel über 25.000 DM ein. Die beiden restlichen Wechsel über 60.000 DM, die bis 19. und 20. Dezember 1985 prolongiert worden waren, gingen am 23. Dezember 1985 zu Protest.
- 11
Der Beklagte hat im Nachverfahren behauptet, der Kläger habe sich Anfang Juni 1985 zu weiterer Prolongation der beiden Wechsel verpflichtet.
- 12
Das Landgericht hat das Wechselvorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt und die Widerklage abgewiesen, da der Beklagte nicht bewiesen habe, daß der Kläger zu weiterer Prolongation der Wechsel verpflichtet gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten nur hinsichtlich der Widerklage für begründet erachtet und den Kläger verurteilt, dem Beklagten die Bewilligung zur Löschung der Sicherungshöchstbetragshypothek von 150.000 DM zu erteilen.
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Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
- 14
Die Revision ist begründet.
I.
- 15
1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte berechtigt, den Anspruch auf Löschungsbewilligung geltend zu machen. Dem stehe nicht entgegen, daß seine Ehefrau diesen (ursprünglich an sie abgetretenen) Anspruch in einem anderen Rechtsstreit geltend gemacht habe, da der Kläger die vom Beklagten behauptete Rückabtretung des Anspruchs nicht bestritten habe.
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2. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsgericht durfte seiner Entscheidung die Rückabtretung des Anspruchs auf Löschung der Höchstbetragshypothek nicht als unstreitig zugrunde legen. Es hätte entweder von einem zulässigen Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) ausgehen und über das als erheblich erachtete Vorbringen den vom Beklagten angebotenen Beweis erheben oder jedenfalls nach § 283 ZPO einen Antrag des Klägers auf Einräumung einer Erklärungsfrist anregen müssen.
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Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären; Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, sofern nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Hieraus folgt, daß die erklärungsbelastete Partei - soll ihr Vortrag beachtlich sein - auf die Behauptungen ihres Prozeßgegners grundsätzlich "substantiiert", d.h. mit näheren positiven Angaben, zu erwidern hat. Dieser Grundsatz gilt aber dann nicht, wenn der erklärungsbelasteten Partei ein substantiierter Gegenvortrag unmöglich ist, weil die Tatsachen weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. In diesem Fall steht die Erklärung mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO dem ausdrücklichen Bestreiten gleich (vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl. § 138 Rdn. 34; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 47. Aufl. § 138 Anm. 5 B; Zöller ZPO 15. Aufl. § 138 Rdn. 13).
- 18
So liegen die Dinge hier. Nachdem der Anwalt des Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung am 27. November 1987 die vom Kläger behauptete Abtretung der Ansprüche an die Ehefrau des Beklagten zugestanden, zugleich aber die Rückabtretung behauptet hatte, hat der Anwalt des Klägers erklärt, er könne "dazu keine Erklärung abgeben", da er dies "heute erst erfahren" habe. Damit hat er die Rückabtretung mit Nichtwissen wirksam bestritten. - Selbst wenn das Berufungsgericht diese Äußerung nur als Weigerung verstanden hat, sich zu der Frage der Rückabtretung in der mündlichen Verhandlung zu erklären, hätte es im Hinblick auf die für den Kläger überraschende Behauptung des Beklagten einen Antrag auf Einräumung einer Erklärungsfrist nach §§ 283, 139 Abs. 1 ZPO anregen müssen (vgl. BGHZ 94, 195, 214).
II.
- 19
Das angefochtene Urteil hält auch nicht der rechtlichen Überprüfung stand, soweit es eine Vorleistungspflicht des Klägers zur Erteilung der Löschungsbewilligung bejaht.
- 20
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Erteilung der Löschungsbewilligung nur von der Einlösung des am 15. Oktober 1985 fälligen Wechsels und der Diskontierung der beiden weiteren Wechsel über 60.000 DM abhängig gemacht. Die Angriffe der Revision gegen die Auslegung des Bestätigungsschreibens vom 14. Juni 1985, auf das sich das Berufungsgericht entscheidend stützt, greifen nicht durch. Daraus ergibt sich jedoch noch nicht, daß die von den Parteien nachträglich vereinbarte Vorleistungspflicht des Klägers fortbesteht, nachdem der Beklagte seiner inzwischen fällig gewordenen Verpflichtung zur Zahlung des Restkaufpreises nicht nachgekommen ist.
- 21
Das Berufungsgericht stellt nicht fest, daß durch die in dem Schreiben vom 14. Juni 1985 festgehaltene Vereinbarung die Verpflichtung des Beklagten zur Einlösung der beiden restlichen Wechsel über 60.000 DM und damit auch zur vollständigen Tilgung des Kaufpreises von der Erteilung der Löschungsbewilligung abhängen, also eine sogenannte beständige Vorleistungspflicht des Klägers begründet werden sollte. Anhaltspunkte für eine so weitgehende Umgestaltung der beiderseitigen Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag lassen sich im übrigen weder dem Wortlaut des Schreibens noch der Interessenlage entnehmen. Insbesondere die Tatsache, daß für die restliche Kaufpreisforderung Wechsel hingegeben waren, ließe sich mit der Annahme, ihre Fälligkeit sei in Zukunft an die Erteilung der Löschungsbewilligung geknüpft, nicht in Einklang bringen.
- 22
Eine einfache - nichtbeständige - Vorleistungspflicht der einen Partei im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages, wie sie hier vorliegt, entfällt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der herrschenden Auffassung im Schrifttum in dem Zeitpunkt, in dem die Gegenleistung fällig wird (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1985 - V ZR 200/84, NJW 1986, 1164 m.w.Nachw.). Da diese Rechtsfolge unabhängig davon eintritt, ob der (früher) Vorleistungspflichtige die ihm obliegende Leistung schuldhaft nicht rechtzeitig erbracht hat, verstößt die Berufung auf den Wegfall der Vorleistungspflicht für sich allein nicht gegen Treu und Glauben (BGH aaO).
- 23
Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Restforderung des Klägers vor Schluß der letzten mündlichen Verhandlung fällig geworden ist. Der Kläger ist mithin zur Erteilung der Löschungsbewilligung nur noch Zug um Zug gegen Erfüllung der Klageforderung verpflichtet. Besondere Umstände, die seine Weigerung als treuwidrig erscheinen lassen könnten, sind nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich. Die Löschung der Höchstbetragshypothek würde dem Kläger die einzige Sicherung seiner Forderung nehmen, obwohl feststeht, daß der Beklagte sich seit Jahren mit der Erfüllung in Verzug befindet. Das Bestehen dieses Grundpfandrechts steht der Beschaffung von Geldmitteln zur Erfüllung der Klageforderung entgegen dem Vorbringen des Beklagten auch nicht entgegen, da die Höchstbetragshypothek unstreitig nur noch in Höhe der Klageforderung valutiert ist und die (noch) gesicherte Forderung deshalb unschwer endgültig festgestellt werden könnte.
III.
- 24
Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit muß unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Der Senat kann die Verurteilung des Klägers zur Erteilung der Löschungsbewilligung Zug um Zug gegen Erfüllung der Klageforderung nicht selbst aussprechen, da vorrangig die Frage zu klären ist, ob die Ehefrau des Beklagten den Anspruch auf Löschungsbewilligung rückabgetreten hat.
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