Ausschluß deutscher Gerichtsbarkeit; Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten in der Berufungsinstanz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen des Ausschlusses deutscher Gerichtsbarkeit.
Die Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz hat Ausnahmecharakter und ist deshalb nur dann zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmißbräuchlich ist.











vorgehend LG Frankfurt, 15. November 1994, 2/26 O 129/94
nachgehend OLG Frankfurt 17. Zivilsenat, 14. Januar 2004, 17 U 8/95, Urteil
Anschluss OLG Bamberg 1. Zivilsenat, 2. Mai 2002, 1 U 155/01
Peter Gottwald, IPRax 1998, 445-447 (Entscheidungsbesprechung)

Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Rückzahlung eines Devisensparguthabens. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die aus Bosnien-Herzegowina stammende Klägerin lebt seit langem in der Bundesrepublik Deutschland und besitzt seit dem 21. Juni 1994 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Erstbeklagte, eine Bank mit Sitz in Ljubljana (Slowenien), unterhielt auch in anderen Teilrepubliken der Jugoslawischen Föderation Filialen, u.a. in Mostar. In Frankfurt am Main bestand vom 1. Oktober 1970 bis zum 28. Juli 1994 eine Repräsentanz der Beklagten im Sinne von § 53 a Kreditwesengesetz. Dort unterzeichnete die Klägerin am 16. Dezember 1980 einen Devisensparvertrag, nach dem die von ihr einzuzahlenden ausländischen Währungen auf einem Konto bei der Filiale der Beklagten in Mostar geführt werden sollten. Art. 10 des Vertrages lautet: "Eventuelle Streitigkeiten regelt das für die Bank zuständige Gericht."
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Mit Schreiben vom 11. Juli 1991 kündigte die Klägerin das gesamte Guthaben ihres Devisensparkontos und bat um Überweisung des Betrages in Höhe von 70.260,50 DM auf ihr Konto bei der D. Bank in Frankfurt am Main. Zahlungen erfolgten nicht.
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Die Erstbeklagte hat die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Sie hat weiter u.a. behauptet, die Klägerin habe den Devisensparvertrag nicht mit ihr, der Erstbeklagten, sondern mit ihrer damaligen Hauptfiliale in Sarajevo bzw. deren Filiale in Mostar abgeschlossen.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
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In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihre Klage auf die Zweitbeklagte erstreckt. Sie hat dazu vorgetragen: Die am 27. Juli 1994 ins Handelsregister in Ljubljana eingetragene Zweitbeklagte habe die Geschäftstätigkeit der Erstbeklagten, deren Aktiva und Passiva mit Ausnahme einiger Verbindlichkeiten und Garantien, welche die Bank während des Bestehens der ehemaligen sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien eingegangen sei, übernommen; die Erstbeklagte bestehe daneben weiter.
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Das Berufungsgericht hat die Klage gegen beide Beklagte als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
I.
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1. Das Berufungsgericht hält die Klage gegen die Erstbeklagte wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für unzulässig. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt:
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Ein etwa nach § 23 ZPO begründeter inländischer Gerichtsstand sei durch wirksame Vereinbarung eines anderen Gerichtsstandes entfallen; denn die Parteien hätten in Art. 10 des Devisensparvertrages einen deutschen Gerichtsstand ausgeschlossen. Aber selbst wenn diese Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam sei, sei eine Zuständigkeit deutscher Gerichte zu verneinen. Denn die internationale Zuständigkeit gemäß § 23 ZPO für die vorliegende Klage werde von der völkerrechtlichen Regelungskompetenz der beteiligten Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation verdrängt. Die Entscheidung der Frage, ob und gegen wen die Klägerin aus dem Devisensparvertrag einen Zahlungsanspruch habe, hänge davon ab, inwieweit die Erstbeklagte, deren Geschäftsbetrieb nunmehr auf das Gebiet des Staates Slowenien beschränkt sei, der Klägerin als früher bosnischer, jetzt deutscher Staatsangehöriger und damit Ausländerin gegenüber für Deviseneinlagen hafte, welche diese bei ihrer früheren, jetzt im Ausland, nämlich in Bosnien-Herzegowina gelegenen, ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Einfluß ganz oder weitgehend entzogenen Niederlassung in Mostar geleistet habe. Die Zahlungsfähigkeit der Erstbeklagten als slowenischer Bank und ihrer früheren Niederlassung in Mostar bzw. Sarajevo als bosnischer Bank hänge schließlich davon ab, inwieweit beide Banken über ihre an die frühere Nationalbank der Jugoslawischen Föderation in Belgrad abgelieferten und dort blockierten Deviseneinlagen verfügen könnten. Alle diese zur Zeit noch völlig ungeklärten, von der völkerrechtlichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation abhängigen Fragen müßten gegenüber der aus § 23 ZPO hergeleiteten internationalen Zuständigkeit den Vorrang haben. Sie könnten nur von den beteiligten Staaten geregelt werden, für eine internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts sei insoweit kein Raum.
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2. Diese Begründung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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a) Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend geprüft, ob die Parteien die deutsche Gerichtsbarkeit für den vorliegenden Rechtsstreit wirksam ausgeschlossen haben.
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Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes ist ein Vertrag über prozeßrechtliche Beziehungen. Die Zulässigkeit und Wirkung einer vor dem Prozeß getroffenen internationalen Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen sich, wenn ein deutsches Gericht angerufen wird, nach deutschem Prozeßrecht, während das Zustandekommen dieser Vereinbarung nach dem allgemeinen Vertragsrecht derjenigen Rechtsordnung zu beurteilen ist, nach der sich auch das zugehörige, den Inhalt des gesamten Vertrages bildende materielle Rechtsverhältnis der Parteien richtet, mithin also, je nach Sachlage, entweder nach ausländischem oder deutschem Recht. Dies gilt auch für eine die deutsche Gerichtsbarkeit derogierende Gerichtsstandsvereinbarung (BGHZ 59, 23, 26 f.; BGH, Urteil vom 24. November 1988 - III ZR 150/87, NJW 1989, 1431, 1432 m.w.Nachw.). Die vom Berufungsgericht hierzu angestellten Erwägungen sind unvollständig.
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aa) Nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht allerdings nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten in Art. 10 des Devisensparvertrages den Ausschluß eines deutschen Gerichtsstandes vereinbart.
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Über den Abschluß der im Devisensparvertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel, die nach ihrem Wortlaut sowohl die Annahme eines ausschließlichen als auch eines fakultativen Gerichtsstandes zuläßt, liegen weder dem Vertragsschluß vorausgehende schriftliche Äußerungen noch mündlich abgegebene Erklärungen vor, die Aufschluß über den von den Parteien verfolgten Zweck der Gerichtsstandsvereinbarung geben könnten. Es muß daher auf allgemein in diesem Zusammenhang verfolgte Interessen zurückgegriffen werden. Der Erstbeklagten kam es ersichtlich darauf an, daß nicht ein deutsches Gericht den Streit entscheide, sondern ihr Heimatgericht. In der Regel ist deshalb eine solche Gerichtsstandsvereinbarung, nach der das Gericht eines ausländischen Staates für alle Streitigkeiten zuständig sein soll, dahin auszulegen, daß jedenfalls für Ansprüche gegen die Vertragspartei, deren Heimatgerichte zuständig sein sollen, die alleinige (ausschließliche) Zuständigkeit dieses Gerichts vereinbart ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1972 - VIII ZR 113/71, WM 1973, 174). Auch die Interessen der Klägerin, die bei Abschluß der Gerichtsstandsvereinbarung noch die jugoslawische Staatsangehörigkeit besaß, stehen dem nicht entgegen. Für die Ausschließlichkeit der Gerichtsstandsklausel spricht weiter, daß diese unnötig gewesen wäre, wenn der Klägerin nach § 35 ZPO die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen hätte verbleiben sollen (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1983 - III ZR 111/82, WM 1984, 380; Geimer IZPR, 2. Aufl. Rdn. 1736).
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bb) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob die Zuständigkeitsvereinbarung nach dem nach seiner Auffassung anzuwendenden ausländischen Recht wirksam zustande gekommen ist. Es ist nicht auszuschließen, daß die Gerichtsstandsvereinbarung danach z.B. deshalb unwirksam ist, weil - wie es etwa das österreichische Zivilprozeßrecht fordert (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1988 - III ZR 150/87, NJW 1989, 1431, 1432) - das zuständige Gericht in ihr nicht ausdrücklich bezeichnet, d.h. der vereinbarte Gerichtsort nicht namentlich genannt worden ist. Für den Fall, daß eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nicht zustande gekommen ist, entfällt der Ausschluß deutscher Gerichtsbarkeit.
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b) Die vom Berufungsgericht weiter vertretene Auffassung, die unterstellte internationale Zuständigkeit deutscher Gericht werde vorliegend jedenfalls von der völkerrechtlichen Regelungskompetenz der beteiligten Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation verdrängt, ist rechtlich verfehlt.
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Ist die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 23 ZPO gegeben, so ist es Aufgabe des Tatrichters, über den Klageanspruch nach geltendem Recht zu entscheiden und dann, wenn ausländisches Recht maßgeblich ist, dieses Recht gemäß § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Hierzu ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn hinsichtlich der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche noch keine klaren völkerrechtlichen oder innerstaatlichen Regelungen getroffen worden sind und die Ermittlung und Anwendung des geltenden ausländischen Rechts deshalb Schwierigkeiten bereitet. Das Berufungsgericht durfte deshalb nicht die Klage im Hinblick auf ungeklärte von der völkerrechtlichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation und der Ausgestaltung ihres innerstaatlichen Rechts gegenüber ihren Staatsangehörigen abhängige Fragen als unzulässig abweisen (Senatsurteil vom 22. Oktober 1996 - XI ZR 261/95, WM 1996, 2255, 2256).
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c) Das Berufungsurteil erweist sich in diesem Punkt auch nicht etwa deshalb als richtig, weil - was das Berufungsgericht offengelassen hat - die Voraussetzungen des § 23 ZPO nicht gegeben wären.
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§ 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO bestimmt, daß für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht örtlich und damit international zuständig ist, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben befindet. Daß diese Voraussetzungen im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. MünchKomm ZPO/Patzina § 23 Rdn. 20) vorlagen, ist unstreitig.
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Die Bedenken des Berufungsgerichts, daß der nach der Rechtsprechung des Senats zur Begründung des Vermögensgerichtsstands weiter zu fordernde hinreichende Bezug zum Inland hier nicht gegeben sein könne (vgl. hierzu BGHZ 115, 90 und Senatsurteil vom 22. Oktober 1996 aaO) sind unbegründet. Die Klägerin hat ihren Wohnsitz spätestens seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat den in Rede stehenden Devisensparvertrag über die Repräsentanz der Erstbeklagten in Frankfurt am Main geschlossen und hat die Einzahlungen auf das Devisensparkonto über das Konto der Beklagten bei der P. bank Frankfurt am Main vorgenommen.
II.
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1. Das Berufungsgericht hält die Klage gegen die Zweitbeklagte auch mit folgender Begründung für unzulässig: Die von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerstreckung auf die Zweitbeklagte sei nur dann zulässig, wenn die neue Beklagte zustimme oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmißbräuchlich sei. Die Zweitbeklagte habe der Klageerweiterung ausdrücklich widersprochen. Dies sei auch nicht rechtsmißbräuchlich; insoweit könne auf die Ausführungen zur fehlenden internationalen Zuständigkeit verwiesen werden.
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2. Auch diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen Prüfung stand.
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a) Allerdings sind die vom Berufungsgericht für die Zulässigkeit der Klageerstreckung genannten Voraussetzungen zutreffend. Die Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz hat Ausnahmecharakter und ist deshalb nur dann zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmißbräuchlich ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. Oktober 1985 - V ZR 136/84, NJW-RR 1986, 356).
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b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch in der Annahme, die Weigerung der Zweitbeklagten, der Klageerstreckung zuzustimmen, sei aus den angeführten Gründen nicht rechtsmißbräuchlich.
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Rechtsmißbrauch bei der Weigerung der Zweitbeklagten, der Klageerstreckung zuzustimmen, kann nicht mit dem vom Berufungsgericht gegebenen Hinweis auf die fehlende internationale Zuständigkeit und die angeblich ungeklärten Rechtsverhältnisse verneint werden. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur internationalen Zuständigkeit sind - wie ausgeführt wurde - von Rechtsirrtum beeinflußt; das für die Entscheidung maßgebende ausländische Recht hat das Berufungsgericht zu ermitteln. Es ist nicht ersichtlich, daß die Zweitbeklagte bei Zulassung der Klageerstreckung eine irgendwie geartete beachtliche Schlechterstellung zu befürchten hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. Oktober 1985 aaO). Die Zweitbeklagte hat insbesondere nicht in Abrede gestellt, daß sie im wesentlichen mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt vertraut ist, und sich nur in der Sache damit verteidigt, daß sie die Rechtsnachfolge der Erstbeklagten hinsichtlich der hier streitgegenständlichen "Altlasten aus der Festgeldanlage" vom 16. Dezember 1980 nicht angetreten habe.
III.
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Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
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