Berücksichtigung von nicht aktenkundigen Beweiserhebungen nach Richterwechsel; Beweisverwertungsverbot für durch heimliches Belauschen erlangtes Wissen
Leitsatz
1. Haben nicht alle erkennenden Richter an einer Zeugenvernehmung teilgenommen, so darf bei der Beweiswürdigung der persönliche Eindruck des Zeugen nur berücksichtigt werden, wenn er in den Akten festgehalten worden ist und die Parteien Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen.
2. Läßt jemand ein Gespräch unter vier Augen ohne Wissen seines Gesprächspartners von einem Dritten belauschen, um sich ein Beweismittel zu verschaffen, so sind die Zeugenvernehmung des Dritten und die Verwertung seiner Aussage unzulässig, wenn eine Güterabwägung im Einzelfall ergibt, daß dem verletzten Persönlichkeitsrecht des Belauschten der Vorrang gegenüber dem Beweisführungsinteresse des anderen gebührt.
Orientierungssatz
1. Zitierungen zu Leitsatz 2: Anschluß BGH, 1970-06-19, IV ZR 45/69, NJW 1970, 1848 und BAG, 1982-06-02, 2 AZR 1237/79, NJW 1983, 1691.















vorgehend LG München II, 9. Dezember 1987, 11 O 5627/87
Vergleiche BFH 1. Senat, 30. April 2003, I B 120/02
Anschluß OLG Koblenz 10. Zivilsenat, 17. April 1998, 10 U 306/97
Abgrenzung BGH 11. Zivilsenat, 4. Februar 1997, XI ZR 160/96
So auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken 1. Zivilsenat, 17. Juli 1991, 1 U 209/90
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Anschluß BGH 4. Zivilsenat, 19. Juni 1970, IV ZR 45/69
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt die Rückzahlung zweier Darlehen. Nach ihrem Vortrag hat ihr Schwiegervater dem Beklagten das erste Darlehen in Höhe von 40.000 DM gewährt und seinen Rückzahlungsanspruch später an sie abgetreten. Bei der Hingabe des zweiten Darlehens über 25.000 DM soll ihr Schwiegervater als ihr Vertreter gehandelt haben. Der Beklagte bestreitet, die Geldbeträge erhalten und darüber Darlehensvereinbarungen getroffen zu haben. Landgericht und Oberlandesgericht haben Zeugen vernommen und der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Revision des Beklagten.
Entscheidungsgründe
- 2
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 3
Mit Recht rügt die Revision Verfahrensfehler des Berufungsgerichts bei der Feststellung, der Beklagte habe Mitte der 70iger Jahre zunächst 40.000 DM und am 28. Oktober 1985 noch einmal 25.000 DM als Darlehen erhalten.
- 4
1. Das Berufungsgericht hat die Schwiegermutter der Klägerin, L. S., als Zeugin vernommen. Sie hat bekundet, der Beklagte habe ihr gegenüber mündlich und telefonisch den Erhalt beider Darlehen bestätigt. Dieser Aussage hat das Berufungsgericht - wie es im angefochtenen Urteil ausdrücklich heißt - "bei der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses großes Gewicht" beigemessen und dazu ausgeführt, die Zeugin habe bei ihrer Vernehmung vor dem Senat "den Eindruck einer aufrichtigen, gewissenhaften und ihrer Zeugenverantwortung bewußten Frau, dazu von klarem Verstand und sicherer Erinnerung", vermittelt; der "gewonnene persönliche Eindruck der Zeugin" lasse den vom Beklagten gegen sie geäußerten Verdacht bewußter, von ihrem Ehemann veranlaßter Falschaussage abwegig erscheinen.
- 5
Die Revision rügt mit Recht, daß der am Urteil mitwirkende Richter Dr. S.-L. an der Zeugenvernehmung am 7. März 1989 nicht teilgenommen hatte, also einen persönlichen Eindruck von der Zeugin L. S. nicht gewonnen haben kann.
- 6
Zwar erfordert ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme nicht grundsätzlich deren Wiederholung (BGHZ 53, 245, 257 m.w.Nachw.). Frühere Zeugenaussagen können im Wege des Urkundenbeweises durch Auswertung des Vernehmungsprotokolls verwertet werden. Das Gericht darf dann bei der Beweiswürdigung aber nur das berücksichtigen, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aktenkundig ist und wozu die Parteien sich erklären konnten. Das gilt auch, wenn das Gericht den persönlichen Eindruck eines Zeugen zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit heranziehen will (Senatsurteil vom 30. Januar 1990 - XI ZR 162/89 zu I 2 b m.w.Nachw.). Eindrücke, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen worden sind, zu denen also die Parteien auch keine Stellung nehmen konnten, dürfen daher nach einem Richterwechsel bei der Entscheidung nicht verwertet werden, selbst wenn von drei mitwirkenden Richtern nur einer an der Beweisaufnahme nicht teilgenommen hat (BGHZ 32, 233, 237; BGH, Urteil vom 7. November 1966 - II ZR 188/65 = VersR 1967, 25, 26).
- 7
Das, was hier im Berufungsurteil über den persönlichen Eindruck der Zeugin L. S. ausgeführt wird, findet im Vernehmungsprotokoll oder sonst in den Akten keine Stütze. Der Verfahrensverstoß, der in der Verwertung dieses persönlichen Eindrucks bei der Beweiswürdigung liegt, ist auch nicht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt worden. Zwar ist ein Rügeverzicht bei Verstößen gegen § 355 ZPO möglich (BGHZ 40, 179, 183). Hier scheidet ein solcher Verzicht aber aus, weil die Parteien in der Schlußverhandlung noch nicht wissen konnten, daß das Berufungsgericht nicht protokollierten persönlichen Eindrücken entscheidendes Gewicht für die Glaubwürdigkeit der Zeugin und damit für die gesamte Beweiswürdigung beimessen würde.
- 8
2. Mit Recht wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Berufungsgericht den Zeugen T. vernommen und seine Aussage bei der Beweiswürdigung verwertet hat.
- 9
Dieser Zeuge war - nach dem von ihm bestätigten Vortrag der Klägerin - von ihrem Schwiegervater im Herbst 1984 aufgefordert worden, als heimlicher Zuhörer ein Gespräch zu belauschen, das der Schwiegervater in seiner L. Privatwohnung mit dem Beklagten führen wollte. Nach der Bekundung des Zeugen hat dann - wie vom Schwiegervater der Klägerin angekündigt - der Beklagte in diesem Gespräch seine Bereitschaft zur Rückzahlung des Darlehens von 40.000 DM bestätigt.
- 10
Die Verwertung dieser Zeugenaussage ist unzulässig, weil der Rechtsvorgänger der Klägerin dadurch, daß er sein Gespräch mit dem Beklagten ohne dessen Wissen von dem Zeugen abhören ließ, rechtswidrig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Belauschten eingegriffen hat.
- 11
Die Frage der Verwertung unzulässig erlangter Beweismittel ist in der Zivilprozeßordnung nicht ausdrücklich geregelt und auch in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht abschließend geklärt (zum Streitstand im Schrifttum vgl. Werner NJW 1988, 993 m.w.Nachw.; Zöller/Stephan ZPO 16. Aufl. vor § 284 Rdn. 12; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 48. Aufl. Übers. § 371 Anm. 4 C). Der Bundesgerichtshof hat in einem Ehescheidungsverfahren nach § 43 EheG die Aussage eines Zeugen für unverwertbar erklärt, den ein Ehegatte heimlich in der ehelichen Wohnung versteckt hatte, um ehewidrige Äußerungen des anderen nachweisen zu können (Urteil vom 19. Juni 1970 - IV ZR 45/69 = NJW 1970, 1848). Das Bundesarbeitsgericht hat die Vernehmung einer Zeugin, die ein Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das unter vier Augen im Büro des Arbeitgebers hinter geschlossener Tür stattfand, auf Veranlassung des Arbeitgebers ohne Wissen des Arbeitnehmers mitgehört hatte, für unzulässig erklärt und zur Begründung ausgeführt, unter den gegebenen Umständen stelle das Mithören oder Mithörenlassen ohne Zustimmung des Gesprächspartners allein bereits eine Verletzung des Rechts am gesprochenen Wort dar; bei der Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit Interessen der Allgemeinheit oder Rechten Dritter sei durch Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Vorrang verdiene (Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 AZR 1237/79 = NJW 1983, 1691).
- 12
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Er hält auch im vorliegenden Fall die Verwertung der Zeugenaussage T. und eine erneute Vernehmung dieses Zeugen für unzulässig. Das von ihm belauschte Gespräch des Beklagten mit dem Rechtsvorgänger der Klägerin fand in dessen Privatwohnung unter vier Augen statt. Später erschien zwar noch ein weiterer Gesprächsteilnehmer, Dr. R.; er war nach der Zeugenaussage aber noch nicht da, als über die Rückzahlung der 40.000 DM gesprochen wurde. Der Beklagte brauchte nicht damit zu rechnen, daß seine Äußerungen von einem geheimen Zuhörer durch den Türspalt zur Küche belauscht wurden. Wenn der Rechtsvorgänger der Klägerin es - aus welchen Gründen auch immer - versäumt hatte, sich die behauptete Darlehenshingabe vom Beklagten quittieren zu lassen, durfte er sich ein Beweismittel nicht auf eine Weise verschaffen, die das Persönlichkeitsrecht des Beklagten verletzte. Der Beklagte hatte ihm bis dahin keinen Anlaß zu einem solchen Vorgehen gegeben. Dem Schutze seines Persönlichkeitsrechts gebührt unter diesen Umständen Vorzug vor dem Beweisführungsinteresse der Klägerin.
- 13
3. Da das Berufungsurteil bereits aus den zu 1. und 2. erörterten Gründen aufzuheben ist, braucht über die weiteren Verfahrensrügen der Revision nicht entschieden zu werden. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die sonstigen gegen die bisherige Beweiswürdigung erhobenen Einwendungen zu prüfen und dabei auch die Ergebnisse des inzwischen durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen.
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