Beweislast für Zahlung auf eine von mehreren Forderungen
Orientierungssatz
1. Bei einem Streit darüber, ob eine Zahlung auf eine bestimmte Forderung anzurechnen ist, hat zunächst der Gläubiger darzulegen und zu beweisen, daß ihm noch eine weitere Forderung zusteht; danach hat der Schuldner seinerseits darzutun, warum gerade die streitige Forderung getilgt sein soll.

vorgehend LG Düsseldorf, 14. März 1991, 9 O 517/89
● Kerwer, 8. Auflage 2017, § 366 BGB
Tatbestand
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Der Kläger hat dem Beklagten bei verschiedenen Gelegenheiten Geldmittel zur Verfügung gestellt, darunter einen Scheck über 445.000 US-Dollar, den die Parteien einvernehmlich mit 900.000 DM bewertet haben. Quittungen wurden über die jeweils erheblichen Beträge nicht erteilt.
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In einer notariell beglaubigten Urkunde vom 3. April 1987 erklärte der Beklagte, daß er dem Kläger 1,2 Millionen DM schulde. Diesen Betrag macht der Kläger mit der Klage geltend.
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Der Beklagte macht geltend, er habe den geschuldeten Betrag bereits zurückbezahlt; bei einer Rückzahlung von 300.000 DM am 19. August 1989 sei außerdem mit dem Kläger vereinbart worden, daß damit die Angelegenheit endgültig erledigt sein solle.
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Der Kläger gesteht zu, Rückzahlungen in Höhe von 400.000 DM erhalten zu haben. Diese sind nach seinem Vorbringen jedoch auf ein späteres Darlehen über 2,3 Millionen DM verrechnet worden. Weitere Rückzahlungen des Beklagten bestreitet der Kläger, auch diejenige vom 19. August 1989 und ebenso die vom Beklagten im Zusammenhang damit behauptete Vereinbarung.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet.
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1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß der Kläger aus keinem Rechtsgrund die Zahlung von 1,2 Millionen DM fordern könne. Es hat hierzu ausgeführt:
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a) Die schriftliche Erklärung des Beklagten vom 3. April 1987, auf die der Kläger seinen Anspruch stütze, sei kein abstraktes, die Schuld selbständig begründendes Schuldversprechen oder -anerkenntnis i.S.d. §§ 780, 781 BGB. Nach dem Wortlaut der Erklärung sei der Rückschluß auf ein selbständiges, "vom Schuldgrund losgelöstes Anerkenntnis uneingeschränkter Zahlungspflicht" nicht gerechtfertigt. Der Beklagte bezeichne den geschuldeten Betrag als Teilbetrag einer von ihm wegen eines bestimmten Kaufvertrages hinterlegten Gesamtsumme von 1,75 Millionen DM. Daran schließe der Hinweis an, daß dieser Betrag bald frei und zur Zahlung an den Kläger verwendet werde. Die Auslegung dieser Erklärung ergebe, daß der Beklagte kein von den Rechtsbeziehungen der Parteien losgelöstes Schuldanerkenntnis zur selbständigen Begründung der genannten Schuld habe abgeben wollen. Auch aus dem Begleitschreiben des Beklagten, mit dem er dem Kläger die Erklärung von 3. April 1987 übersandt habe, lasse sich nichts anderes entnehmen. In diesem habe der Beklagte nur den zu erwartenden zeitlichen Ablauf erläutert und versichert, daß dem Kläger der Betrag innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen zur Verfügung stehen werde.
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b) Der Klageanspruch könne daher nur als Darlehensrückzahlungsanspruch nach §§ 607, 609 BGB, bzw. als Saldo mehrerer Darlehen nach Abzug der Rückzahlungen des Beklagten begründet sein. Der Kläger habe die verschiedenen Geldhingaben an den Beklagten als einheitliches Darlehen angesehen. Bei dieser Sachlage hätte es konkreter Angaben dazu bedurft, welche der noch offenen Forderungen Klagegegenstand seien. Der Kläger habe jedoch die Darlehensbeträge nicht insgesamt spezifiziert dargelegt und unter Beweis gestellt, so daß letztlich nicht feststellbar sei, welche Darlehensbeträge noch offen seien.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Auslegung der schriftlichen Erklärung des Beklagten vom 3. April 1987 durch das Berufungsgericht. Diese Auslegung ist als tatrichterliche Würdigung in der Revisionsinstanz nur beschränkt daraufhin überprüfbar, ob dabei die Wesensmerkmale eines abstrakten Schuldanerkenntnisses verkannt oder allgemeine Auslegungsgrundsätze außer acht gelassen worden sind. Ein Rechtsfehler liegt insbesondere vor, wenn der Tatrichter nicht alle für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend würdigt; zumindest die wichtigsten für und gegen eine bestimmte Auslegung sprechenden Umstände sind in ihrer Bedeutung für das Auslegungsergebnis zu erörtern und gegeneinander abzuwägen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 1991 - VIII ZR 140/90, NJW 1992, 170 m.w.Nachw.). Daran fehlt es hier.
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aa) Das Oberlandesgericht hat die Urkunde vom 3. April 1987 ausschließlich unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob sie als abstraktes, die Schuld selbständig begründendes Schuldanerkenntnis im Sinne der §§ 780, 781 BGB anzusehen ist. Eine umfassende Würdigung unter Einbeziehung der Möglichkeiten eines kausalen oder eines Anerkenntnisses ohne Vertragscharakter (vgl. dazu MünchKomm/Hüffer, 2. Aufl. § 781 Rdn. 2 - 8) ist unterblieben.
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bb) Bei der Auslegung hat sich das Berufungsgericht allein auf Teile des Wortlauts der Urkunde und des Begleitschreibens sowie - verfahrensfehlerhaft - auf das von ihm ausdrücklich als "streitigen Sachvortrag" gekennzeichnete Vorbringen des Beklagten gestützt, nach dessen Inhalt der Kläger an dem in der Urkunde genannten Kaufvertrag mit erheblichen von ihm zur Verfügung gestellten Mitteln wirtschaftlich beteiligt war. Es hat auf dieser Grundlage den Inhalt der Erklärung auf das Versprechen reduziert, den Teilbetrag von 1,2 Mio. DM aus der hinterlegten Summe zu überweisen, sobald diese frei werde. Dabei hat es sich nicht mit Umständen auseinandergesetzt, die gegen eine derartige Auslegung sprechen. Insbesondere wird nicht erörtert, warum der Beklagte die bloße Ankündigung einer bevorstehenden Überweisung nicht in einem einfachen Schreiben abgegeben hat, sondern dazu die Form einer notariell beglaubigten Urkunde wählte, die mit einem gesonderten Begleitschreiben übersandt und dort vom Beklagten als "Schuldurkunde über den geschuldeten Betrag von 1,2 Millionen DM" bezeichnet wurde.
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b) Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die von ihm behaupteten Darlehenshingaben nicht spezifiziert dargelegt und unter Beweis gestellt.
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aa) Zu Unrecht stützt sich das Oberlandesgericht ausschließlich auf eine Äußerung des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung, nach der er die "verschiedenen Geldhingaben" bei der Verrechnung der Rückzahlungsbeträge unter einem einheitlichen Aspekt, praktisch als einheitliches Darlehen angesehen habe. Der Kläger hat bei dieser Anhörung und auch schriftsätzlich stets betont, daß mit der Klage lediglich die der Schuldurkunde vom 3. April 1986 zugrundeliegenden - von ihm mit insgesamt 1,4 Mio. DM bezifferten - Beträge geltend gemacht werden. Die von ihm behauptete Gewährung eines weiteren Darlehens über 1,3 Mio. US-Dollar ist lediglich zur Erklärung dafür eingeführt worden, daß die von ihm eingeräumten Zahlungen des Beklagten nicht auf die hier geltend gemachten Beträge verrechnet worden sind. Das war notwendig. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteile vom 6. November 1990 - XI ZR 262/88, WM 1991, 195 m.w.Nachw. sowie vom 12. März 1991 - XI ZR 85/90, NJW 1991, 1683; vgl. ferner BGH, Urteil vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90, NJW 1992, 1768) hat bei einem Streit darüber, ob eine Zahlung auf eine bestimmte Forderung anzurechnen ist, zunächst der Gläubiger darzulegen und zu beweisen, daß ihm noch eine weitere Forderung zusteht; danach hat der Schuldner seinerseits darzutun, warum gerade die streitige Forderung getilgt sein soll.
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bb) Alle Geldhingaben sind entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil nach Ort, Zeit und Betrag spezifiziert und unter Beweis gestellt. Die Übergabe und Einlösung des Schecks über 445.000 US-Dollar sowie die einvernehmliche Bewertung mit 900.000 DM und die Hingabe weiterer 200.000 DM sind unstreitig.
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3. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Zur Klärung der offenen Fragen war die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
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