Auskunftsvertrag durch Gebrauchsanweisung
Leitsatz
1. Im Verhältnis zwischen dem Hersteller und dem Endabnehmer einer Ware kann die Herausgabe einer Gebrauchsanweisung ohne das Hinzukommen zusätzlicher Umstände nicht als Ausdruck des Willens des Herstellers gedeutet werden, mit dem ihm unbekannten Endabnehmer einen Auskunftsvertrag zu schließen.














vorgehend LG Hamburg, 18. Februar 1985, 75 O 248/84


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Hönn, 8. Auflage 2017, § 675 BGB
● Schinkels, 8. Auflage 2017, § 328 BGB
Tatbestand
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Die Beklagte stellt die Fugendichtungsmasse "S." her und vertreibt sie über den Handel. Die Klägerin betreibt eine Glaserei. In den Jahren 1978 bis 1980 kaufte sie von dem Baustoffhändler N. S., das dieser von der Beklagten gekauft hatte. Die Klägerin benutzte S., um die Glasfalze bei Fenstern eines Neubaus an der M. - Straße in G. und in anderen Häusern in H. und Umgebung zu versiegeln.
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In der Folgezeit traten Schäden an den Fenstern des Hauses in G. auf. Dort hatte sich die Versiegelung an der Glaskantenseite gelöst. Wegen dieser Schäden und wegen Mängeln von Fenstern an anderen Gebäuden, die die Klägerin ebenfalls mit S. versiegelt hatte, fanden verschiedene Beweissicherungsverfahren statt.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 14.256 DM nebst Zinsen für von ihr geleistete Nachbesserungsarbeiten an den Fenstern des Hauses in G. in Anspruch und verlangt die Feststellung, daß die Beklagte zum Ersatz sämtlichen Schadens verpflichtet sei, der dadurch entstehe, daß die Klägerin S. zur Versiegelung von Fenstern verwandt habe. Sie behauptet, die von ihr geltend gemachten Schäden beruhten auf der mangelnden Eignung von S. zur Fensterversiegelung; die Beklagte habe diesen Mangel gekannt und gleichwohl durch schriftliche und mündliche Verwendungshinweise, die sie dem Baustoffhändler N. gegeben und die dieser dann an die Klägerin weitergegeben habe, den Eindruck erweckt, ihr Erzeugnis könne zur Fensterversiegelung verwendet werden.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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I. 1.Das Berufungsgericht hat der Klägerin den Zahlungsanspruch und den Feststellungsanspruch zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz ergebe sich aus dem Rechtsgrundsatz, daß ein Sachkundiger, der schuldhaft eine falsche Auskunft erteile, deren Empfänger auch bei Fehlen sonstiger Vertragsbeziehungen nach Vertragsrecht zum Schadensersatz verpflichtet sei, wenn für den Auskunftgeber erkennbar sei, daß die Auskunft für den Empfänger erhebliche Bedeutung habe und zur Grundlage wichtiger Vermögensdispositionen gemacht werden solle. Für mittelbare Auskunftskontakte, bei denen die Auskunft vom Vertragspartner des Auskunftgebers an einen Dritten gelange, gelte dies allerdings nur, wenn die Auskunft auch für den Dritten bestimmt und der Auskunftgeber sich bewußt sei, daß die Auskunft dem Dritten als Grundlage wichtiger Vermögensdispositionen diene. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt.
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2. Diese Begründung wird von der Revision mit Recht angegriffen. Eine vertragliche Haftung der Beklagten kommt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.
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a) Ein Auskunftsvertrag ist zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Zwischen ihnen bestand kein unmittelbarer Kontakt. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden beruht darauf, daß die von ihr bei einem Baustoffhändler gekaufte, von der Beklagten hergestellte Dichtungsmasse eine Eigenschaft nicht aufwies, die die Klägerin auf Grund der von dem Baustoffhändler erhaltenen und von der Beklagten stammenden Informationen erwartete.
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In Fällen dieser Art liegt die Annahme vertraglicher Beziehungen fern. Der Hersteller einer Ware wird, auch wenn er Auskünfte über Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten gibt, schon im Verhältnis zu seinem unmittelbaren Abnehmer in der Regel nicht mit dem Willen handeln, sich hinsichtlich der gegebenen Informationen vertraglich zu binden und damit gegebenenfalls Ansprüchen auszusetzen, die über die gesetzliche Sachmängelhaftung hinausgehen. Im Verhältnis zu Dritten, denen der unmittelbare Abnehmer die Ware weiterverkauft und die Informationen des Herstellers weitergibt, kann eine Bereitschaft des Herstellers, vertragliche Bindungen einzugehen, ohne einen erkennbar darauf gerichteten Erklärungsinhalt noch weniger angenommen werden. Selbst wenn der Hersteller eigene Kontakte zu den Endabnehmern aufnimmt, lassen Informationen, die er dabei gibt, nur unter besonderen Voraussetzungen den Schluß auf eine rechtsgeschäftliche Erklärung zu (BGH, Urteile vom 17. März 1981 - VI ZR 286/78, WM 1981, 548, 551 und vom 18. September 1984 - VI ZR 51/83, BB 1984, 2148, 2149).
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Der Bundesgerichtshof hat allerdings wiederholt ausgesprochen, daß ungeachtet der Vorschrift des § 676 BGB ein stillschweigender Abschluß eines Auskunftsvertrages zwischen Geber und Empfänger der Auskunft und damit eine vertragliche Haftung des Auskunftgebers für die Richtigkeit seiner Auskunft anzunehmen sein kann, wenn diese zum einen für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will und wenn zum anderen der Auskunftgeber besonders sachkundig oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei ihm im Spiel ist (BGHZ 7, 371, 374; BGH, Urteile vom 17. September 1985 - VI ZR 73/84, WM 1985, 1531, 1532 und vom 25. September 1985 - IVa ZR 237/83, WM 1985, 1520). Daraus ist jedoch nicht zu entnehmen, daß für das Zustandekommen eines Auskunftsvertrages ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles stets schon die Sachkunde oder das eigene wirtschaftliche Interesse des Auskunftgebers und die Bedeutung der Auskunft für den Empfänger ausreichen. Diese Umstände stellen vielmehr nur Indizien dar, die in die Würdigung der gesamten Gegebenheiten des konkreten Falles einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 17. September 1985 aaO). Entscheidend kommt es darauf an, ob die Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses den Rückschluß zulassen, daß beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht haben (BGH, Urteile vom 5. Januar 1955 - VI ZR 227/53, WM 1955, 230, 233; vom 5. Dezember 1972 - VI ZR 120/71, WM 1973, 141, 143; vom 24. Januar 1978 - VI ZR 105/76, WM 1978, 576, 577 und vom 17. September 1985 aaO).
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Im vorliegenden Fall fehlt es an dieser Voraussetzung. Die Klägerin hat durch den Baustoffhändler N. eine von der Beklagten herausgegebene schriftliche Gebrauchsanweisung sowie ebenfalls von der Beklagten stammende mündliche Informationen über die Verwendbarkeit von S. zur Glasfalzversiegelung erhalten.
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Im Verhältnis zwischen dem Hersteller und dem Endabnehmer einer Ware kann die Herausgabe einer Gebrauchsanweisung, die Auskunft über Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten des Erzeugnisses gibt, ohne das Hinzukommen zusätzlicher Umstände nach der Verkehrsauffassung nicht als Ausdruck des Willens des Herstellers gedeutet werden, gegenüber dem ihm unbekannten Endabnehmer eine vertragliche Bindung einzugehen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Gebrauchsanweisungen zahlreichen Produkten beigefügt werden. Wollte man sie entgegen der Deutung, die sie im Verkehr tatsächlich erfahren, als Ausdruck eines vertraglichen Bindungswillens gegenüber jedermann, der das Produkt erwirbt, werten, so würde dadurch die im geltenden Recht gezogene Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung weitgehend in Frage gestellt.
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Noch weniger als eine schriftliche Gebrauchsanweisung kann eine mündliche Auskunft, die der Zwischenhändler auf Grund der vom Hersteller erhaltenen Informationen dem Endabnehmer erteilt, als Ausdruck des Willens des Herstellers gewertet werden, gegenüber dem Endabnehmer eine vertragliche Bindung einzugehen.
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b) Ansprüche der Klägerin aus einem Garantievertrag mit der Beklagten kommen ebenfalls nicht in Betracht. Die bloße Beifügung einer Gebrauchsanweisung enthält keine Garantieerklärung des Herstellers (BGH, Urteil vom 17. März 1981 - VI ZR 286/78, WM 1981, 548, 549).
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c) Auch auf den Gesichtspunkt der vertragsähnlichen Vertrauenshaftung können die Ansprüche der Klägerin nicht gestützt werden.
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Selbst wenn man vertragsähnliche Bindungen des Herstellers auf Grund eines Vertrauensschutzes gegenüber anderen Personen als dem unmittelbaren Abnehmer grundsätzlich für möglich hielte (vom Bundesgerichtshof offen gelassen in BGHZ 40, 91, 108; 51, 91, 101 und im Urteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 270/80, NJW 1983, 812, 813), so wäre jedenfalls bei der Annahme solcher Bindungen im Einzelfall große Zurückhaltung geboten (BGH, Urteile vom 14. Mai 1974 - VI ZR 48/73, NJW 1974, 1503, 1504 und vom 18. Januar 1983 aaO). Derartige Bindungen könnten allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen bejaht werden. Andernfalls würde die im geltenden Haftungssystem bewußt gezogene Grenze zwischen vertraglichem und deliktischem Bereich weitgehend aufgehoben (BGH, Urteil vom 14. Mai 1974 aaO). Eine so weitgehende Systemänderung muß der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten bleiben (BGH Urteil vom 14. Mai 1974 aaO S. 1505).
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Der vorliegende Fall liegt im normalen Rahmen der häufig auftretenden Fallgestaltungen, in denen der Endabnehmer einer Ware vom Zwischenhändler eine vom Hersteller stammende Gebrauchsanweisung mit Hinweisen auf die Anwendungsmöglichkeiten des Produkts oder mündliche, auf Informationen des Herstellers zurückgehende Auskünfte hierüber erhält. Besonderheiten, die es rechtfertigen könnten, unter Durchbrechung des geltenden Haftungssystems vertragsähnliche Bindungen zwischen den Parteien zu bejahen, sind nicht erkennbar.
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d) Vertragliche Ansprüche der Klägerin können auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus den Kaufverträgen abgeleitet werden, die der Lieferung von S. seitens der Beklagten an den Baustoffhändler N. zugrunde lagen. Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte und N. eine Erstreckung von Vertragspflichten aus den zwischen ihnen abgeschlossenen Kaufverträgen auf die Kunden des N. im allgemeinen oder auf die Klägerin im besonderen ausdrücklich vereinbart hätten, sind nicht vorgetragen worden. Schutzpflichten des Zwischenhändlers, die die Annahme einer stillschweigend vereinbarten Ausdehnung der vertraglichen Haftung des Herstellers auf den Endabnehmer nach der objektiven Interessenlage nahelegen könnten (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGHZ 51, 91, 96; 56, 269, 273; 66, 51, 57f.), werden allein durch die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Händler und seinen Kunden nicht begründet (BGHZ 51, 91, 96; BGH, Urteil vom 14. Mai 1974 - VI ZR 48/73, NJW 1974, 1503). Eine Fallgestaltung, die ausnahmsweise wegen der besonderen Umstände trotz Fehlens solcher Fürsorgepflichten die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Willens zur Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat einen entsprechenden Willen der Vertragsparteien in derartigen Fällen bisher nur angenommen, wenn eine Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, auftragsgemäß ein Gutachten oder ein Testat abgibt, das erkennbar zum Gebrauch gegenüber einem Dritten bestimmt ist und deshalb in der Regel nach dem Willen des Bestellers mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein soll (vgl. BGH, Urteile vom 28. April 1982 - IVa ZR 312/80, NJW 1982, 2431; vom 2. November 1983 - IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355; vom 19. März 1986 - IVa ZR 127/84, WM 1986, 711 und vom 26. November 1986 - IVa ZR 86/85, NJW 1987, 1758, 1759 = BGHR BGB § 328 Drittschutz 2). Daß eine vergleichbare Interessenlage hinsichtlich der Angaben des Warenherstellers über die Verwendungsmöglichkeiten seines Produkts zu verneinen ist, liegt auf der Hand. Soweit der II. Zivilsenat von einer Einbeziehung des Bankkunden in den Schutzzweck der vertraglichen Beziehungen zwischen den am Lastschriftverfahren beteiligten Banken ausgegangen ist (BGHZ 69, 82, 86ff.), liegt die Besonderheit nicht im Fehlen einer Fürsorgepflicht, sondern in dem Verzicht auf das Erfordernis von Schutzpflichten mit "personenrechtlichem Einschlag".
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II. Die Frage, ob die Schadensersatzansprüche der Klägerin auf deliktsrechtliche Vorschriften gestützt werden können, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht geprüft.
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1. Die Produkthaftung des Herstellers nach § 823 Abs. 1 BGB kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Die Klägerin stützt ihre Schadensersatzansprüche nicht auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB aufgeführten Rechtsgüter, sondern darauf, daß sie durch notwendige Nachbesserungsarbeiten und Gewährleistungsansprüche von Auftraggebern Vermögensschäden erlitten habe und künftig noch erleiden könne.
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2. Die Klägerin beruft sich auch auf einen Anspruch nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Sie hat dazu vorgetragen, die Beklagte habe bereits vor dem Jahre 1980 gewußt, daß S. für Glasfalzversiegelungen von Fenstern nicht geeignet sei, weil es auf Glas nicht hafte. S. sei 1978 von der Firma B. aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten unter der Bezeichnung "B. XX" vertrieben worden. Die Firma B. habe den Vertrieb des Erzeugnisses für Glasfalzversiegelungen jedoch noch im Jahre 1978 nach Reklamationen eingestellt, weil sich die mangelnde Haftfähigkeit auf Glas herausgestellt habe. Die mangelnde Eignung von S. für Glasfalzversiegelungen von Fenstern sei der Beklagten mitgeteilt worden. Diese habe jedoch darauf geachtet, daß der Eignungsmangel nach außen hin nicht bekannt werde. Sie habe die weitere Verwendung ihres Erzeugnisses für den genannten Zweck bewußt zugelassen und sogar gefördert. Sie habe es unterlassen, die falschen Informationen über den Anwendungsbereich von S. richtigzustellen, die sie dem Baustoffhändler N. gegeben habe. Dieser habe daher der Klägerin erklärt, S. sei für Glasfalzversiegelungen geeignet.
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Das Berufungsgericht ist diesen von der Beklagten bestrittenen und von der Klägerin unter Beweis gestellten Behauptungen nicht nachgegangen, weil es die Schadensersatzansprüche der Klägerin bereits auf vertraglicher Grundlage für begründet hielt. Die Prüfung ist nachzuholen. Der Vortrag der Klägerin würde, falls er sich als richtig erweist, für die Annahme einer Haftung aus § 826 BGB ausreichen.
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