Selbstverschuldete Beweisnot im Vorprozeß gegen die GmbH - Ausschluß mit Haftungsanspruch gegen den GmbH-Geschäftsführer wegen Erschleichung eines unrichtigen Urteils
Leitsatz
1. Im Schadensersatzprozeß gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen Erschleichung eines unrichtigen Urteils für die GmbH kommt eine entsprechende Anwendung des ZPO § 582 nicht in Betracht.













vorgehend LG Münster, 8. Juli 1987, 2 O 173/87
Tatbestand
- 1
Der Kläger betreibt als Landwirt die Aufzucht von Eintagsküken zu Legehennen. Er stand mit der B. Tierzucht GmbH, deren Alleingeschäftsführer der Beklagte war, in Geschäftsbeziehung. In deren Verlauf kam es zu Streitigkeiten u.a. darüber, ob der Kläger die von der GmbH gelieferten Küken gekauft oder zur Aufzucht für die GmbH übernommen hatte. Der Kläger ist in einem Scheckprozeß gegen die GmbH unterlegen, weil diese eine Wechselforderung zur Aufrechnung gestellt hatte. Dagegen hatte der Kläger eingewandt, es sei vereinbart gewesen, daß nicht er, sondern die GmbH den von ihr ausgestellten und vom Kläger angenommenen Wechsel einlösen sollte, weil er die Küken nicht gekauft, sondern nur gegen Vergütung aufgezogen habe. Er hatte sich zum Beweis dafür auf ein Schreiben der GmbH vom 20. August 1985 berufen, in dem die GmbH eine Vereinbarung über Lohnaufzucht und Wechselfinanzierung durch die GmbH bestätigte. Da der Kläger das Schreiben seinerzeit nicht auffinden konnte und die durch den Beklagten vertretene GmbH die Darstellung des Klägers bestritt, wurde die Scheckklage abgewiesen. Der Kläger, der das streitige Schreiben inzwischen aufgefunden hat, verlangt von dem Beklagten als dem ehemaligen Alleingeschäftsführer der GmbH den Ersatz der Kosten dieses Prozesses, weil der Beklagte das klagabweisende Urteil zugunsten der GmbH erschlichen habe.
- 2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
- 3
Die Revision ist nicht begründet.
- 4
I. 1. Das Berufungsgericht bejaht einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Es nimmt an, daß ein solcher Anspruch bei analoger Anwendung von § 582 ZPO zwar ausgeschlossen wäre, weil der Kläger im Scheckprozeß das Schreiben vom 20. August 1985, dessen Existenz der Beklagte wahrheitswidrig in Abrede gestellt hatte, infolge unordentlicher Aktenführung schuldhaft nicht habe vorlegen können; es verneint aber die analoge Anwendbarkeit dieser Vorschrift. Dazu führt es u.a. aus:
- 5
§ 582 ZPO habe den Zweck, Durchbrechungen der Rechtskraft möglichst gering zu halten, um Rechtssicherheit und Rechtsfrieden nicht unnötig zu belasten. Das sei auch der Grund für die analoge Heranziehung des § 582 ZPO auf Schadensersatzklagen aus § 826 BGB wegen Erschleichung von/oder Vollstreckung aus rechtskräftigen Urteilen, da sonst eine mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbarende Aushöhlung der Rechtskraft eintreten würde. Dies aber sei nur denkbar bei einer Klage, die gegen den früheren Prozeßgegner oder aber gegen eine Person gerichtet ist, auf die sich die Rechtskraft erstrecke. Ein solcher Tatbestand der Rechtskrafterstreckung sei jedoch im vorliegenden Fall weder gemäß § 325 Abs. 1 i.V. mit § 265 Abs. 1 ZPO noch etwa sonst (§ 129 Abs. 1 HGB) ersichtlich. Auch das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung enthalte keine Norm, die die Gleichbehandlung von GmbH und Geschäftsführer gebiete und eine Rechtskrafterstreckung auf den deliktisch dieses Urteil erwirkenden Geschäftsführer berechtigt erscheinen lasse.
- 6
2. Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts.
- 7
In §§ 580ff. ZPO kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, nur in eng begrenzten Ausnahmefällen dem Betroffenen die Möglichkeit zu eröffnen, im Wege der Restitutionsklage die Rechtskraft einer auf fehlerhafter Grundlage beruhenden, ihn ohne sein Verschulden unbillig belastenden Entscheidung zu beseitigen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1974 - VIII ZR 131/72, WM 1974, 264). Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers hat die Rechtsprechung veranlaßt, für Klagen aus § 826 BGB wegen Erschleichung oder sittenwidriger Ausnutzung eines unrichtigen Urteils strenge Anforderungen zu stellen, um eine Aushöhlung der Rechtskraft im Interesse der Rechtssicherheit zu vermeiden (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - VI ZR 165/87, ZIP 1988, 336, 337 (vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ 103, 44); BGHZ 101, 380, 383f. m.w.N.). Dazu gehört die entsprechende Anwendung des § 582 ZPO (BGH, Urteil vom 23. Januar 1974 - VIII ZR 131/72, NJW 1974, 557).
- 8
In Fällen, in denen es nicht darum geht, die Rechtskraft eines Urteils zu durchbrechen, besteht kein Anlaß, die Angriffsmittel einer Partei in derart schwerwiegender Weise zu beschränken. Die rechtskräftige Abweisung der Klage gegen einen von mehreren Gesamtschuldnern hindert den Geschädigten nach allgemeinen Grundsätzen nicht, denselben Anspruch mit unverändertem Vorbringen gegen andere Schädiger zu verfolgen. Entgegen der Ansicht der Revision ist eine andere Beurteilung hier nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil der Beklagte im Vorprozeß als Geschäftsführer der beklagten GmbH gehandelt hat. Die Rechtsverfolgung gegen ihn berührt die Rechtskraft des Urteils im Vorprozeß nicht.
- 9
Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, daß auch der rechtliche Gesichtspunkt der sogenannten "Haftungseinheit" nicht zu einer analogen Anwendung von § 582 ZPO führt. Er kann zwar bei der Bestimmung des Haftungsanteils bei einheitlichem Tatbeitrag mehrerer Schädiger beachtlich sein (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1966 - VI ZR 221/64, NJW 1966, 1262; Urteil vom 5. Oktober 1982 - VI ZR 72/80, NJW 1983, 623f.; Messer JZ 1979, 385ff.), rechtfertigt aber nicht den Ausschluß prozessualer Angriffsmittel, die der Geschädigte im Prozeß gegen einen anderen Schädiger verloren hat.
- 10
II. In einem weiteren Prozeß der B. Tierzucht GmbH gegen den Kläger hat die GmbH Wechselforderungen geltend gemacht. Der Kläger hatte im Wege der Widerklage u.a. Erstattung der Kosten des verlorenen Scheckprozesses begehrt, die er nunmehr vom Beklagten ersetzt verlangt. Dieser Prozeß endete mit einem Vergleich, durch den sich die GmbH verpflichtete, die Wechsel, die Gegenstand ihrer Klage waren, an den Kläger herauszugeben. GmbH und Kläger erklärten die Rücknahme von Klage und Widerklage. Eine Abfindungserklärung enthält der Vergleich nicht. - Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Klageanspruch nicht durch den mit der GmbH geschlossenen Prozeßvergleich erloschen.
- 11
Die Angriffe der Revision hiergegen sind unbegründet.
- 12
Es kann dahingestellt bleiben, ob die inhaltliche Auslegung des Prozeßvergleichs, auch soweit sie seinen sachlich-rechtlichen Inhalt betrifft, vom Revisionsgericht unbeschränkt nachgeprüft werden kann (BGH, Urteil vom 24. April 1987 - V ZR 228/85, WM 1987, 1304, 1305; Urteil vom 19. März 1976 - V ZR 146/74, WM 1976, 791, 792; Urteil vom 4. April 1968 - VII ZR 152/65, MDR 1968, 576 m.w.N.); denn der Auslegung des Vergleichs durch das Berufungsgericht ist beizutreten.
- 13
Der mit einem Gesamtschuldner vereinbarte Erlaß einer Forderung wirkt nicht ohne weiteres zugunsten der übrigen Gesamtschuldner. Ist eine Gesamtwirkung gewollt, so bedarf dies der besonderen Vereinbarung (vgl. BGHZ 58, 216, 218f.; BGB-RGRK/Weber 12. Aufl. § 423 Rdn. 8). Ausdrücklich haben die Parteien des Vorprozesses unstreitig nichts vereinbart. Auch die Auslegung des Vergleichs, der keine Abfindungserklärung enthält, ergibt nicht, daß eine Aufhebung des gesamten Schuldverhältnisses unter Einbeziehung des Beklagten (Gesamtwirkung) gewollt war. Der Umstand, daß der Beklagte als Geschäftsführer der GmbH den Schaden verursacht hat, reicht allein für eine solche Annahme nicht aus. Sonstige Anhaltspunkte dafür, daß der Prozeßvergleich auch dem Beklagten zugute kommen sollte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, sie sind vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden. Gegen eine beabsichtigte Gesamtwirkung des Vergleichs könnte sogar sprechen, daß der Kläger sich gegenüber der GmbH wegen des Ausschlusses eines Angriffsmittels nach § 582 ZPO in einer ungünstigen Prozeßsituation befand, während er gegenüber dem Beklagten bei einer späteren Prozeßführung nicht eingeschränkt war.
- 14
III. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB bejaht. Seine Annahme, der Beklagte habe den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, indem er im Vorprozeß des Klägers gegen die GmbH die Existenz eines Schreibens vom 20. August 1984 geleugnet, den diesem Schreiben entsprechenden Vortrag des Klägers über den Inhalt und die Abwicklung der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kläger und der GmbH bestritten und seinerseits für die GmbH davon abweichend habe vortragen lassen, begegnet keinen Bedenken.
Permalink
-
Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.juris.de/perma?d=KORE300678901