Rechtskrafterstreckung des Urteils gegen einen Gesamtschuldner; Beweislastverteilung bei streitigem Untergang einer ursprünglich unstreitigen Kontoforderung
Leitsatz
1. Die aus HGB § 129 Abs 1 abgeleitete Erstreckung der Rechtskraft eines gegen die Gesellschaft ergangenen Urteils auf den Gesellschafter ist eine Ausnahme von der Regel des BGB § 425 und kann auf andere Gesamtschuldnerverhältnisse nicht übertragen werden.
2. Wer sich auf den späteren Untergang einer unstreitigen Kontoforderung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die zum Erlöschen der Forderung geführt haben könnten.










vorgehend LG München I, 12. Juli 1991, 23 O 16033/90
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung einer Forderung in Höhe von 654.788,36 DM zur Tabelle im Konkursverfahren über das Vermögen der Bankhaus S. KG (im folgenden: Gemeinschuldnerin), deren Konkursverwalter der Beklagte ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Der Kläger hatte im Februar 1970 bei der O. Bank GmbH ein Kontoguthaben in Höhe von 275.097,02 DM. Im Februar und April 1970 gab die O. Bank GmbH dem Kläger den Kauf von insgesamt 7.500 IOS-Limited-Aktien für insgesamt 275.097,02 DM bekannt und belastete mit diesem Betrag sein Konto. Über die Wirksamkeit dieses Geschäfts kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der O. Bank GmbH.
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Zum 31. Oktober 1974 übernahm die Gemeinschuldnerin die Gesellschaftsanteile der O. Bank GmbH. In der Folgezeit führte sie die Bankgeschäfte der O. Bank GmbH weiter, während letztere ihre Banktätigkeit einstellte. Die Parteien streiten darüber, ob es im Zusammenhang mit diesen Vorgängen zu einem Schuldbeitritt der Gemeinschuldnerin gekommen ist.
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Im Jahre 1981 klagte der Kläger gegen die O. Bank GmbH auf Rückzahlung eines Teilbetrages von 18.227,60 DM aus der Gesamtkontobelastung von 275.097,02 DM. Mit inzwischen rechtskräftigem Endurteil des Landgerichts M. vom 17. August 1982 wurde die Klage abgewiesen und auf die Widerklage der O. Bank GmbH festgestellt, daß dem Kläger auch in Höhe weiterer 6.869,42 DM keine Ansprüche gegen die O. Bank GmbH zustünden.
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Im Juni 1985 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
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Im Februar 1986 erhob der Kläger eine weitere Klage über einen Teilbetrag von 50.000 DM gegen die O. Verwaltungs-GmbH in Liquidation. Diese erhob Widerklage und begehrte die Feststellung, daß dem Kläger auch in Höhe weiterer 200.000 DM keine Ansprüche zustünden. In diesem Rechtsstreit verkündete der Kläger dem Beklagten als Konkursverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin den Streit und forderte ihn auf, dem Rechtsstreit beizutreten, was der Beklagte jedoch nicht tat. Mit Endurteil des Oberlandesgerichts M. vom 18. Mai 1989 wurde die O. Verwaltungs-GmbH i.L. unter Abweisung ihrer Widerklage zur Zahlung von 50.000 DM nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Sie legte gegen dieses Urteil Revision ein.
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Im August 1989 wurde über das Vermögen der O. Verwaltungs-GmbH i.L. das Konkursverfahren eröffnet. Das beim Bundesgerichtshof anhängige Revisionsverfahren gegen das Urteil des Oberlandesgerichts M. ist seitdem unterbrochen. Der Kläger hat in diesem Konkursverfahren eine Forderung in Höhe von 520.773,91 DM zur Konkurstabelle angemeldet. Der Konkursverwalter hat die Forderung in Höhe von 383.023,06 DM anerkannt, den Rest bestritten und dem Kläger inzwischen 7.660,46 DM ausgezahlt.
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Im Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin hat der Kläger eine Forderung von 662.448,82 DM zur Konkurstabelle angemeldet, die der Beklagte als Konkursverwalter in voller Höhe bestritten hat.
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Der Kläger behauptet, die Gemeinschuldnerin habe ihm gegenüber Ende 1974 in rechtlich verbindlicher Form erklärt, daß sie die Forderungen und Schulden der O. Bank GmbH übernehme. Außerdem sei eine Schuldmitübernahmevereinbarung zwischen der O. Bank GmbH und der Gemeinschuldnerin getroffen worden. Zudem habe die Gemeinschuldnerin das Vermögen der O. Bank GmbH übernommen und hafte daher auch nach § 419 BGB für deren Verbindlichkeiten. Der Kläger ist der Ansicht, aus dem Urteil des Oberlandesgerichts M. vom 18. Mai 1989 ergebe sich, daß ihm die geltend gemachten Ansprüche gegen die O. Verwaltungs-GmbH i.L. als Rechtsnachfolgerin der O. Bank GmbH zustünden. Seine Gesamtforderung von 654.788,36 DM errechnete er als Summe aus seinem ursprünglichen Kontoguthaben bei der O. Bank GmbH in Höhe von 275.097,02 DM, einem Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 330.116,40 DM sowie einem Anspruch auf Erstattung der Kosten zweier Prozesse in Höhe von insgesamt 57.235,40 DM unter Abzug der 7.660,46 DM, die er im Konkurs der O. Verwaltungs-GmbH erhalten hat.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat sowohl eine Forderung des Klägers gegen die O. Bank GmbH als auch einen Schuldbeitritt der Gemeinschuldnerin bestritten und außerdem die Einrede der Verjährung geltend gemacht.
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Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Der Senat hat die Revision des Klägers mit Beschluß vom 2. März 1993 (WM 1993, 752) nur insoweit angenommen, als sie sich gegen die Klageabweisung wegen der Hauptforderung in Höhe von 275.097,02 DM richtet. In diesem Umfang verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt, soweit sie angenommen worden ist, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat die Frage offengelassen, ob die Gemeinschuldnerin die vom Kläger behaupteten Verpflichtungen der O. Bank GmbH übernommen hat. Es hat das klagabweisende Urteil des Landgerichts bestätigt, weil der Kläger den ihm obliegenden Nachweis nicht geführt habe, daß ihm gegen die O. Bank GmbH die behaupteten Forderungen zugestanden hätten. In diesem Zusammenhang hat es im wesentlichen ausgeführt:
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Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts M. vom 18. Mai 1989 könne der Kläger nichts für sich herleiten, weil dieses Urteil nicht rechtskräftig sei und im übrigen auch im Falle der Rechtskraft gemäß § 425 Abs. 2 BGB nicht gegenüber dem hiesigen Beklagten wirken würde. Die Streitverkündung des Klägers gegenüber dem hiesigen Beklagten in dem damaligen Rechtsstreit ändere daran schon deshalb nichts, weil sie unzulässig gewesen sei. Schließlich habe auch die Anerkennung eines Teils der vom Kläger im Konkurs über das Vermögen der O. Verwaltungs-GmbH i.L. geltend gemachten Forderung zur Konkurstabelle durch den dortigen Konkursverwalter keine Auswirkungen auf den vorliegenden Rechtsstreit.
II.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im Ergebnis nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit weder aus dem Urteil des Oberlandesgerichts M. vom 18. Mai 1989 noch aus der Feststellung eines Teils seiner im Konkurs der O. Verwaltungs-GmbH i.L. geltend gemachten Forderung zur dortigen Konkurstabelle etwas für sich herleiten kann.
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a) Das wird hinsichtlich des genannten Urteils von der Revision hingenommen und läßt im übrigen auch keinen Rechtsfehler erkennen.
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b) Hinsichtlich der Feststellung eines Teils der Forderung des Klägers im Konkurs der O. Verwaltungs-GmbH i.L. zur dortigen Konkurstabelle rügt die Revision, das Berufungsgericht habe verkannt, daß diese Feststellung auch im Verhältnis zum Beklagten wie ein rechtskräftiges Urteil wirke.
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Damit kann die Revision jedoch keinen Erfolg haben. Sollte die Gemeinschuldnerin im Jahre 1974 durch Schuldbeitritt oder nach § 419 BGB Schuldnerin des Klägers geworden sein, so würde sie als Gesamtschuldnerin im Sinne der §§ 421 ff. BGB neben der O. Bank GmbH gehaftet haben und jetzt neben der O. Verwaltungs-GmbH i.L. haften. Nach § 425 Abs. 2 BGB hat daher ein rechtskräftiges Urteil zwischen dem Kläger und der O. Verwaltungs-GmbH i.L. keine Wirkungen für und gegen die Gemeinschuldnerin bzw. den Beklagten als deren Konkursverwalter. Aus diesem Grund kann auch die Eintragung eines Teils der Forderungen des Klägers in die Konkurstabelle im Konkurs der O. Verwaltungs-GmbH i.L., die nach § 145 Abs. 2 KO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber allen Konkursgläubigern wirkt, im Verhältnis zur Gemeinschuldnerin und zum Beklagten keine Wirkung entfalten. Die Revision beruft sich demgegenüber zwar darauf, daß die gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten einer offenen Handelsgesellschaft haftenden Gesellschafter ein gegen die Gesellschaft ergehendes rechtskräftiges Urteil gegen sich gelten lassen müssen (Karsten Schmidt in Schlegelberger, 5. Aufl., HGB § 129 Rdn. 13 m.w.Nachw.). Dabei verkennt sie indessen, daß dies auf der Sondervorschrift des § 129 Abs. 1 HGB beruht, die von den für Gesamtschuldverhältnisse allgemein geltenden Regeln des § 425 BGB abweicht.
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2. Die Revision rügt jedoch mit Recht, daß das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt hat, als es den Kläger hinsichtlich der von ihm behaupteten Ansprüche gegen die O. Bank GmbH als beweisfällig ansah.
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Die Hauptforderung in Höhe von 275.097,02 DM, um die es jetzt allein noch geht, wird vom Kläger als Anspruch auf Rückzahlung eines Kontoguthabens geltend gemacht. Hierzu wird im Tatbestand des Berufungsurteils als unstreitig festgestellt, daß der Kläger im Februar 1970 bei der Zweigniederlassung der O. Bank GmbH in F. ein Kontoguthaben in Höhe von 275.097,02 DM hatte. Daraus ergibt sich, daß dem Kläger gegenüber der O. Bank GmbH ursprünglich ein Rückzahlungsanspruch in dieser Höhe nach § 700 i.V.m. §§ 607 ff. BGB zustand.
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Der Kläger brauchte daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine weiteren Tatsachen vorzutragen und zu beweisen. Es war vielmehr Sache des Beklagten, Umstände darzulegen und gegebenenfalls auch nachzuweisen, aus denen sich ergeben könnte, daß die ursprüngliche Kontoforderung des Klägers später untergegangen war. Das könnte hier durch den Kauf der IOS-Aktien geschehen sein, wenn dieser auf wirksamen Aufträgen des Klägers beruht haben und von der O. Bank GmbH ordnungsgemäß durchgeführt worden sein sollte. Die Darlegung näherer Einzelheiten hierzu oblag dem Beklagten und nicht dem Kläger. Wer sich auf den späteren Untergang einer unstreitigen Kontoforderung durch Wertpapierkäufe beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die Geschäfte auch tatsächlich zu den angegebenen Zeitpunkten ausgeführt wurden und das Konto zu Recht mit den in Rechnung gestellten Beträgen belastet wurde (BGH, Urteil vom 1. Februar 1988 - II ZR 152/87 = WM 1988, 402, 403).
III.
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Die Abweisung der vom Kläger geltend gemachten Hauptforderung von 275.097,02 DM läßt sich auch nicht auf andere als die vom Berufungsgericht genannten Gründe stützen.
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1. Die Frage, ob die unstreitig im Februar 1970 vorhandene Kontoforderung des Klägers gegen die O. Bank GmbH durch spätere Wertpapierkäufe erloschen ist, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entschieden werden. Das Berufungsurteil gibt lediglich Mitteilungen der O. Bank GmbH über den Kauf von IOS-Limited- Aktien wieder, enthält jedoch keine Feststellungen darüber, ob die Käufe tatsächlich zu den angegebenen Zeitpunkten ausgeführt wurden und ob ihnen rechtswirksame Aufträge des Klägers zugrunde lagen.
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Das Berufungsurteil enthält auch keine Feststellungen, die es erlauben würden, die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob die Gemeinschuldnerin in die Mithaftung für etwaige Verbindlichkeiten der O. Bank GmbH gegenüber dem Kläger eingetreten ist, zu verneinen.
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Die vom Beklagten geltend gemachte Einrede der Verjährung greift gegenüber der Hauptforderung des Klägers nicht durch, weil diese als auf §§ 700, 607 ff. BGB gestützter Anspruch auf Rückzahlung eines Kontoguthabens der regel- mäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren gemäß § 195 BGB unterliegt.
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2. Auch hinsichtlich eines Teilbetrags von 25.097,02 DM der Hauptforderung des Klägers läßt sich nicht feststellen, daß die Forderung unbegründet wäre. In Höhe dieses Teilbetrags ist dem Kläger zwar durch das inzwischen rechtskräftige Urteil des Landgerichts M. vom 17. August 1982 die Hauptforderung im Verhältnis zur O. Bank GmbH aberkannt worden. Dieses Urteil konnte jedoch im Verhältnis zwischen dem Kläger und der bereits damals - möglicherweise - gesamtschuldnerisch neben der O. Bank GmbH mithaftenden Gemeinschuldnerin nach § 425 BGB keine Rechtswirkungen entfalten.
IV.
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Das Berufungsurteil mußte daher, soweit es noch angefochten ist, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
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