Altkredittilgungspflicht einer VEB-Nachfolge-GmbH von Staatsbankkrediten: Voraussetzungen einer Vertragsanpassung und Umqualifizierung in Eigenkapitalersatz
Leitsatz
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Altkreditschulden einer VEB-Nachfolge-GmbH voll zurückzuzahlen sind oder eine Anpassung wegen Änderung der Geschäftsgrundlage möglich erscheint.

















vorgehend LG Berlin Kammer für Handelssachen, 24. August 1992, 99 O 112/92
Wulf Goette, DStR 1995, 339-341 (Anmerkung)



Annemarie Rott, WiB 1995, 261-262 (Anmerkung)
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Schlußurteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 6. Juli 1993 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt als Rechtsnachfolgerin der DDR-Staatsbank von der Beklagten, einer der Nachfolgegesellschaften des VEB B. (im folgenden: VEB), die Rückzahlung von Altkrediten aus der Zeit vor der Währungsumstellung.
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Zur Anschaffung aus England importierter Anlagen für die Toastbrotherstellung erhielt der VEB im Herbst 1988 zunächst einen Grundmittelkredit von 27,5 Millionen Mark/DDR; der Kreditvertrag vom 29. September 1988 sah eine Ratentilgung bis zum 10. Dezember 1991 vor. Ein Zusatzkredit von 10,5 Millionen Mark/DDR sollte nach dem Vertrag vom 20./ 21. Dezember 1989 der "Vorfinanzierung des Investitions-Fonds für das Vorhaben Toastbrotlinie 2" dienen und nach der Vereinbarung vom 4. Januar 1990 "aus Fondsstützung entsprechend der Staatl. Orientierungsgrößen 1990" bis zum 10. Dezember 1990 getilgt werden. Schließlich wurde dem VEB gemäß Vereinbarung vom 10. April 1990 noch ein Umlaufmittelkredit von 14,055 Millionen Mark/DDR für die Zeit bis zum 30. Juni 1990 "zur Finanzierung von planmäßigen Beständen und Forderungen" gewährt.
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Die Beklagte hat vorgetragen, auch wenn nur in dem Zusatzkreditvertrag ausdrücklich eine Tilgung aus Fondsstützung vorgesehen worden sei, hätten doch auch die beiden anderen Kredite nur mit Hilfe staatlicher Stützungsmaßnahmen getilgt werden können und sollen; denn der VEB habe als "verlustgeplanter" Betrieb seine Backwarenprodukte aus sozialpolitischen Gründen unter den Gestehungskosten verkaufen müssen.
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Die bis zum 30. Juni 1990 nicht getilgten Kreditbeträge wurden beim Währungswechsel im Verhältnis 2 : 1 umgestellt. Nach der - von der Beklagten im Oktober 1990 aufgestellten - DM-Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990 betrugen die Verbindlichkeiten gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin noch 10.929.936,31 DM. Als Differenz zwischen Aktiven und Passiven ergab sich aus der Bilanz ein Eigenkapital der Beklagten von mehr als 12 Millionen DM; davon entfielen auf das Stammkapital 1 Million DM; der Rest war gemäß § 27 Abs. 2 Satz 3 DMBilG als Sonderrücklage zum Ausgleich von Verlusten ausgewiesen.
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Am 31. Oktober 1990 beantragte die Beklagte bei der Treuhandanstalt die Entschuldung der Altkredite; eine ausdrückliche Entscheidung über diesen Antrag erging nicht.
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Gemäß notariellem Vertrag vom 11. Juni 1991 erwarb die jetzige Alleingesellschafterin der Beklagten für einen Kaufpreis von 1 Million DM von der Treuhandanstalt deren Geschäftsanteil mit allen Passiven der Gesellschaft. Am 15. Januar 1992 kündigte die Klägerin alle der Beklagten gewährten Kredite. Mit der Klage hat sie Rückzahlung der Altkredite in Höhe von insgesamt 9.868.735,94 DM nebst Zinsen verlangt; davon entfallen auf den Grundmittelkredit 5.161.700,32 DM, den Zusatzkredit 2.611.011,54 DM und den Umlaufmittelkredit 2.096.024,08 DM. Landgericht und Berufungsgericht haben der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (abgedruckt: ZIP 1993, 1575) ausgeführt: Auch nach dem Ende der sozialistischen Planwirtschaft seien vor dem 1. Juli 1990 gewährte Kredite grundsätzlich nach den - anwendbar bleibenden - DDR-Rechtsvorschriften zurückzuzahlen. Das nunmehr zwar auch für sie geltende Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage rechtfertige hier keine Ausnahme: Selbst wenn die Währungsumstellung zu einem nachträglichen Ungleichgewicht zwischen dem Wert der mit Hilfe des Grundmittel- und des Zusatzkredits gekauften Maschinen und dem Kreditbetrag geführt habe, könne der Kreditnehmer deswegen vom Kreditgeber keine Herabsetzung der Kreditschuld verlangen; die Spezialvorschrift des § 32 Abs. 2 DMBilG betreffe nur das Verhältnis der Kaufvertragsparteien. Auch das Ausbleiben zugesagter staatlicher Stützungsmittel begründe für die Beklagte nicht den Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Insoweit greife nämlich die abschließende Sonderregelung der Entschuldungsverordnung (GBl DDR I 1990 S. 1435) ein, nach der sanierungsfähige Treuhandunternehmen nicht durch Schulderlaß auf Kosten der Gläubigerbanken, sondern im Wege der Schuldübernahme durch die Treuhandanstalt zu entlasten seien. Eine Behandlung der Altkredite als eigenkapitalersetzende Darlehen sei durch § 56 e Satz 1 DMBilG ausgeschlossen; die Vorschrift verstoße nicht gegen das Grundgesetz, sondern bestätige bei Altkrediten nur die ohnehin geltende Rechtslage.
II.
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Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis und in tragenden Teilen der Begründung stand.
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1. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß sich aus den Kreditverträgen und aus § 2 Abs. 3 Satz 2 der damals geltenden Kreditverordnung (GBl DDR I 1982 S. 126) eine Verpflichtung des VEB zur Kreditrückzahlung ergab. Die Einwendungen der Revision beschränken sich insoweit auf den Zusatzkreditvertrag, der ausdrücklich eine Tilgung aus Fondsstützung vorsah. Dazu macht die Beklagte geltend, das Berufungsgericht habe es rechtsfehlerhaft versäumt, zu prüfen, ob die Kreditvertragsparteien bei Abschluß des Zusatzkreditvertrags überhaupt eine eigene Tilgungsverpflichtung des VEB hätten begründen wollen oder ob nicht nur eine Tilgung durch den Staat vorgesehen gewesen sei. Diese - auf § 511 Nr. 7 ZPO gestützte - Rüge greift nicht durch. Die Beklagte hatte in ihrer Berufungsbegründung selbst ausgeführt, daß es sich bei den Stützungszahlungen und der Kreditgewährung auch nach DDR-Recht - trotz der Einbindung aller Wirtschaftsvorgänge in die staatliche Gesamtplanung - um zwei formal getrennte Rechtsgeschäfte handelte. Das Berufungsgericht durfte daher auch ohne nähere Begründung davon ausgehen, daß der Hinweis auf die Fondsstützung den VEB als Kreditnehmer nicht von seiner Verpflichtung zur Rückzahlung befreien, sondern nur die gemeinsame Vorstellung der Kreditvertragsparteien darüber festhalten sollte, mit welchen Mitteln der Kreditnehmer seine Verpflichtung zu erfüllen beabsichtigte.
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2. Die von der Beklagten übernommene Verpflichtung zur Kreditrückzahlung ist auch nicht wegen der besonderen Funktionen, die Staatsbankkredite in der sozialistischen Planwirtschaft hatten, mit dem Ende dieses Wirtschaftssystems untergegangen. Das Berufungsurteil stimmt insoweit mit der Entscheidung überein, die der erkennende Senat inzwischen in seinem Grundsatzurteil vom 26. Oktober 1993 (XI ZR 222/92 = WM 1993, 2240, zur Veröffentlichung in BGHZ 124, 1 bestimmt) getroffen hat. Dort ging es zwar um Altkreditschulden einer LPG. Für die hier streitigen Verbindlichkeiten einer VEB-Nachfolge-GmbH kann aber nichts anderes gelten; eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen, insbesondere auch die speziell Altkreditschulden von Treuhandunternehmen betreffende Entschuldungsverordnung, setzt den Fortbestand solcher Schulden notwendigerweise voraus (Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 aaO).
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Dagegen erhebt auch die Revision keine grundsätzlichen Einwendungen mehr. Sie macht nur noch geltend, Besonderheiten des Einzelfalls oder der Fallgruppe müßten hier zur Klageabweisung führen.
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3. Eine Herabsetzung ihrer Rückzahlungsverpflichtung aus dem Grundmittel- und dem Zusatzkredit verlangt die Beklagte mit der Begründung, die Währungsumstellung habe das Gleichgewicht zwischen dem kreditfinanzierten Kaufpreis und dem Wert der gekauften Gegenstände nachträglich verschoben.
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a) Auf eine spezialgesetzliche Regelung kann die Beklagte diese Forderung nicht stützen; insbesondere eine Vertragsanpassung nach § 32 Abs. 2 DMBilG hat das Berufungsgericht mit Recht abgelehnt.
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Grundmittel- und Zusatzkredit dienten der Finanzierung des Erwerbs von Produktionsanlagen, die in England hergestellt wurden. Für den Import solcher Anlagen mußte in der DDR ein Einfuhrvertrag mit dem zuständigen staatlichen Außenhandelsbetrieb (AHB) abgeschlossen werden (vgl. §§ 32 ff. der 3. DVO zum Vertragsgesetz - GBl DDR I 1982, S. 333). Nach dem Vortrag der Beklagten wurde dabei der von ihr in Mark/DDR zu zahlende Preis in der Weise berechnet, daß der Importaufwand in DM mit dem Faktor 4,6 multipliziert wurde. Zum 1. Juli 1990 wurden vorher in Mark/DDR begründete Geldforderungen im Verhältnis 2 : 1 auf DM umgestellt. Für Vergütungsforderungen aus Einfuhrverträgen ergaben sich aus diesem Umstellungskurs DM-Beträge, die den DM-Wert der Importgegenstände notwendigerweise weit überstiegen (vgl. BGHZ 122, 32, 41/42; BGH, Urteil vom 20. April 1994 - VIII ZR 45/93 = WM 1994, 1173, 1174). Deswegen gibt § 32 Abs. 2 DMBilG einem Vertragspartner, dem aus der nachträglichen Äquivalenzstörung eines noch schwebenden Vertrages (vgl. BGHZ aaO S. 40) ein unzumutbarer Nachteil droht, einen Anspruch auf Anpassung seiner Leistung. Die Beklagte hätte daher, wenn der Einfuhrpreis am 1. Juli 1990 noch nicht voll bezahlt gewesen wäre, von ihrem Einfuhrvertragspartner eine Herabsetzung ihrer auf DM umgestellten Schuld verlangen können (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1994 aaO). So liegt es hier aber nicht: Die Beklagte hatte den Warenpreis vor der Währungsumstellung bereits mit Hilfe des Kredits vollständig bezahlt. Es gab am 1. Juli 1990 keine Einfuhrpreisforderung mehr, die hätte umgestellt werden können. Offen war nur noch die Verpflichtung zur Kreditrückzahlung. Auf sie aber ist § 32 Abs. 2 DMBilG nicht anwendbar: Die Vorschrift setzt ein Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus (BGHZ 122, 32, 41), das beim Kreditvertrag jedenfalls für die Kreditrückzahlung zu verneinen ist. Insoweit wird das Berufungsurteil auch von der Beklagten nicht angegriffen.
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b) Die Revision meint jedoch, die nachträgliche Äquivalenzstörung auf der Kaufvertragsebene müsse der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 2 DMBilG einen Einwendungsdurchgriff gegenüber der Klägerin eröffnen; denn deren Rechtsvorgängerin, die DDR-Staatsbank, habe bei der Vergabe von Investitionskrediten nicht die Rolle einer neutralen Kreditgeberin gespielt, sondern sei als Kontrollorgan auch auf der Kaufvertragsebene beteiligt gewesen.
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Dieser Argumentation vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Die rechtliche Trennung von Kredit- und Kaufvertrag, von der beim finanzierten Kauf nach DDR-Recht ebenso wie nach den BGB-Vorschriften auszugehen ist, kann zwar gemäß § 242 BGB durchbrochen werden, wenn andernfalls die Risiken der an einem solchen Geschäft Beteiligten nicht angemessen verteilt wären (BGHZ 83, 301, 303/304); für einen Teilbereich hat der Einwendungsdurchgriff inzwischen in § 9 VerbrKrG eine spezialgesetzliche Regelung erfahren. Die Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens ist auch in Fällen, die noch nach DDR-Recht zu entscheiden sind, nicht grundsätzlich ausgeschlossen; denn der Grundsatz von Treu und Glauben ist als übergesetzlicher Rechtssatz allen Rechtsordnungen immanent (BGHZ 120, 10, 22).
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Bei DDR-Altkreditschulden gebieten es Treu und Glauben jedoch nicht, eine Nachfolgebank der Staatsbank als Kreditgeberin mit dem hier streitigen Risiko aus dem finanzierten Vertrag zu belasten. Der Schutzgedanke, der den Einwendungsdurchgriff im Verbraucherrecht rechtfertigt, greift im Verhältnis der Parteien nicht durch: Ein Wirtschaftsunternehmen, das bei Vertragsabschluß als VEB betrieben wurde und jetzt als Handelsgesellschaft organisiert ist, kann sich nicht darauf berufen, es sei im Verhältnis zur DDR-Staatsbank oder deren Rechtsnachfolger in ähnlicher Weise schutzbedürftig wie ein Verbraucher gegenüber seiner Bank. Auch der Umstand, daß Einfuhrvertrag und Kredit in die umfassende staatliche Wirtschaftsplanung eingebunden waren und die Staatsbank die plangerechte Kreditmittelverwendung zu kontrollieren hatte, rechtfertigt es nicht, die Klägerin als Kreditgeberin mit dem Risiko eines nachträglich durch die Währungsumstellung eingetretenen Ungleichgewichts zwischen Importpreis und Warenwert zu belasten. Dazu hätte es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft.
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4. Auch das Ausbleiben der erwarteten staatlichen Stützungsleistungen berechtigt die Beklagte nicht, die Rückzahlung der streitigen Kredite wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ganz oder teilweise zu verweigern.
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a) Zwar sind die aus § 242 BGB abgeleiteten Regeln auch dieses Rechtsinstituts grundsätzlich auf Rechtsverhältnisse anwendbar, die bereits vor dem 1. Juli 1990 begründet wurden und daher noch nach den damaligen DDR- Rechtsvorschriften zu beurteilen sind (Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 aaO m.w.Nachw.).
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Auch kann die Grundvoraussetzung einer Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage hier bejaht werden: Dadurch, daß mit dem Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft die staatlichen Stützungsleistungen wegfielen, trat eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse ein, von deren Fortbestehen beide Parteien bei Vertragsabschluß ausgegangen waren. Das gilt nicht nur für den Zusatzkreditvertrag, der ausdrücklich eine Kredittilgung aus Fondsstützungsmitteln vorsah, sondern auch für die beiden anderen Kreditverträge: Nach dem Beklagtenvortrag - der in der Revisionsinstanz zu unterstellen ist - handelte es sich bei dem VEB um einen "verlustgeplanten" Betrieb, der wegen der Preisbindung seiner Produkte ständig auf staatliche Preis-, Verlust- und Fondsstützungen angewiesen war, um eingegangene Verpflichtungen erfüllen zu können. Die Klägerin kann sich demgegenüber auch nicht darauf berufen, diese besondere Betriebsstruktur falle allein in den Risikobereich des Kreditnehmers und könne daher nicht zu einer Vertragsanpassung führen; eine solche Risikozuweisung mag für Darlehen im marktwirtschaftlichen System der Bundesrepublik berechtigt sein; den Rahmenbedingungen der sozialistischen Planwirtschaft würde sie nicht gerecht (vgl. BGHZ 120, 10, 24/25).
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b) Nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluß bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse rechtfertigt jedoch eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Weitere Voraussetzung eines solchen Eingriffs ist vielmehr, daß ein Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen würde und der betroffenen Partei daher nicht zuzumuten ist (BGHZ 121, 378, 393; Senatsurteil vom 26. Oktober 1993 aaO WM 1993, 2243). Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind. Der Beklagten stehen hier einerseits aufgrund des Wirtschaftssystemwechsels nicht mehr die staatlichen Stützungsleistungen zur Verfügung, mit deren Hilfe der VEB die Kreditschulden tilgen wollte; die Beklagte muß nunmehr die Mittel zur Erfüllung der von ihr übernommenen Verbindlichkeiten selbst erwirtschaften. Daran wird sie andererseits jetzt aber nicht mehr durch staatliche Vorschriften gehindert, die in der Planwirtschaft notwendigerweise zu Verlusten führten und die staatlichen Stützungen notwendig machten. Außerdem ist bei der Umwandlung des VEB erhebliches Grund- und Betriebsvermögen in das Eigentum der Beklagten übertragen worden (§§ 11 Abs. 2 Satz 2; 23 TreuhG).
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Im Einzelfall kann eine Gesamtwürdigung der Auswirkungen aller - miteinander in sachlichem Zusammenhang stehenden - Veränderungen für das betroffene Unternehmen durchaus zu dem Ergebnis führen, daß seine erfolgreiche Weiterführung auch ohne Entlastung von den übernommenen Altschulden möglich ist und deren Erfüllung daher nicht als unzumutbar verweigert werden kann.
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Für den gegenteiligen Fall, daß speziell die Altkreditschulden ein Unternehmen zu stark belasten, hat der Gesetzgeber in der Entschuldungsverordnung eine Sonderregelung getroffen, die bei der Würdigung, ob der Kreditschuldner sich gegenüber dem Kreditgeber auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Nach der Entschuldungsverordnung hat die Treuhandanstalt auf Antrag eines Unternehmens, an dem sie Anteile hält, spätestens vor deren Verkauf zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Entschuldung von Altkrediten nötig und erfolgversprechend ist, um die Sanierung oder Umstrukturierung und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu fördern (§§ 1, 2 Abs. 2, 3 Abs. 3 Satz 2 EntschVO). Wenn und soweit diese Voraussetzungen zu bejahen sind, soll die Entschuldung nicht zu Lasten der Gläubigerbank, sondern der Treuhandanstalt erfolgen, nämlich durch Übernahme des Kapital- und Zinsdienstes (§ 2 Abs. 4 EntschVO).
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Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die Entschuldungsverordnung schließe als Sonderregelung stets eine Belastung der kreditgebenden Bank nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus. Im vorliegenden Fall jedenfalls war, wenn man Ablauf und Ergebnis des vom Gesetzgeber vorgesehenen Entschuldungsverfahrens mitberücksichtigt, die Ablehnung einer Vertragsanpassung gemäß § 242 BGB gerechtfertigt: Nach der Einschätzung der Treuhandanstalt war das Beklagtenunternehmen trotz der Altkreditschuldenbelastung existenz- und konkurrenzfähig. Auch der jetzige Alleingesellschafter der Beklagten hatte sich dieser Beurteilung angeschlossen; er hätte sonst, wenn er die Altkreditschulden für untragbar hielt, in den Kaufverhandlungen (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 2 EntschVO) darauf bestehen können, daß das Unternehmen noch rechtzeitig vor dem Verkauf (vgl. § 1 Abs. 2, 2. Alt. EntschVO) von der Treuhandanstalt ganz oder teilweise entschuldet wurde. Das hat er nicht getan, sondern im Kaufvertrag ausdrücklich alle Passiven, also auch die bilanzierten Altkreditschulden, um die es hier geht, übernommen und mit Rücksicht darauf einen entsprechend niedrigeren Kaufpreis bezahlt. Danach kann die Beklagte sich jetzt nicht gegenüber der Klägerin darauf berufen, wegen des Wegfalls der staatlichen Stützungen sei eine Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen unzumutbar geworden.
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5. Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich auch dagegen, daß das Berufungsgericht § 56 e DMBilG für wirksam erachtet und deshalb die §§ 32 a und b GmbHG und die Rechtsprechungsgrundsätze über kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nicht angewandt hat.
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a) Die Beklagte hält § 56 e DMBilG für verfassungswidrig und beruft sich zur Begründung auf den - noch beim Bundesverfassungsgericht anhängigen - Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Halle-Saalkreis (ZIP 1993, 961), ohne dabei auf die Unterschiede einzugehen: Vor dem Amtsgericht Halle-Saalkreis werden im Gesamtvollstreckungsverfahren nach dem 1. Juli 1990 gewährte Liquiditätskredite geltend gemacht. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es dagegen um die Rückzahlung von Altkrediten; die Beklagte befindet sich außerdem nicht in der Gesamtvollstreckung, so daß eine Anwendung der §§ 32 a und b GmbHG ohnehin ausscheidet und allenfalls § 30 GmbHG zu prüfen ist.
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b) Der erkennende Senat teilt die hier von der Beklagten erhobenen Wirksamkeitsbedenken gegen § 56 e DMBilG nicht, kann von einer eingehenden verfassungsrechtlichen Begründung aber absehen, da es im vorliegenden Verfahren darauf nicht ankommt: Selbst wenn man § 56 e DMBilG unberücksichtigt läßt, sind die auch für § 30 GmbHG geltenden Rechtsprechungsgrundsätze (vgl. BGHZ 90, 370, 376) über kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen hier schon deshalb nicht anzuwenden, weil die tatsächlichen Voraussetzungen nicht hinreichend dargetan sind. Deren Vorliegen ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - vom Revisionsgericht nicht zu unterstellen. Ein Revisionsführer, der die Nichtanwendung von Normen und Rechtsprechungsgrundsätzen rügt, muß dartun, daß er deren tatsächliche Voraussetzungen in den Vorinstanzen substantiiert behauptet hat. Das ist hier nicht geschehen:
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c) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß die in der Bundesrepublik entwickelten Rechtsprechungsregeln über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen im Zeitpunkt der Kreditgewährung in der DDR noch nicht galten (vgl. Claussen ZIP 1990, 1173, 1175; Hommelhoff/Habighorst ZIP 1992, 979, 981). Erst ab 1. Juli 1990 kommt eine Behandlung der streitigen Kredite als Eigenkapitalersatz in Betracht.
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Eine Umqualifizierung setzt zweierlei voraus: Zum einen muß die Kreditgewährung, da nicht die Klägerin, sondern nur die Treuhandanstalt Gesellschafterin der Beklagten war, der Treuhandanstalt wegen ihrer Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin zugerechnet werden können (vgl. dazu einerseits Wagner BB 1994, 1580, 1582, andererseits Hommelhoff/Habighorst aaO S. 982/983); ob das hier zu bejahen ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls scheitert eine Umqualifizierung nämlich an der zweiten Voraussetzung: Die Gesellschafterin müßte die Kredite der Gesellschaft nach Eintritt einer - zumindest objektiv erkennbaren - Finanzierungskrise belassen haben, obwohl es ihr rechtlich möglich gewesen wäre, das Kreditverhältnis durch Kündigung zu beenden oder die Gesellschaft unter Entzug der Kreditmittel zu liquidieren (BGHZ 121, 31, 35-37). Ob und wann die Treuhandanstalt hier eine solche Möglichkeit in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1990 und der Veräußerung ihres Gesellschaftsanteils hatte, braucht nicht entschieden zu werden. Es fehlt bereits an hinreichendem Tatsachenvortrag dafür, daß sich die Beklagte in diesem Zeitraum jemals in einer Krise befand, in der das Verhalten der Treuhandanstalt als eine Finanzierungsentscheidung gelten konnte, die eine Anwendung der Kapitalersatzregeln rechtfertigte. Abzulehnen ist die Auffassung, Staatsbankkredite, die nicht bereits in den ersten Monaten nach der Währungsumstellung zurückgefordert worden seien, müßten regelmäßig als eigenkapitalersetzend qualifiziert werden, weil in dieser Umbruchphase von einer tiefgreifenden Krise der gesamten DDR-Wirtschaft auszugehen sei. Eine so einheitlich-pauschalierende Argumentation kann nicht die Finanzierungsverantwortung der Treuhandanstalt für alle VEB-Nachfolgegesellschaften begründen; es kommt vielmehr auf die konkrete Lage der einzelnen Gesellschaft in dem genannten Zeitpunkt an (Hommelhoff/Habighorst aaO S. 985). Jedenfalls bei einer Gesellschaft, die - wie die Beklagte - später durchaus günstig beurteilt worden ist und für deren Gesellschaftsanteil der private Erwerber trotz Übernahme sämtlicher Altschulden noch einen nicht unerheblichen Kaufpreis gezahlt hat, hätte es konkreteren Sachvortrags dazu bedurft, inwiefern eine solche Gesellschaft sich zwischen dem 1. Juli 1990 und der Anteilsveräußerung in einer Krise befunden haben soll, die eine Umqualifizierung der Altkredite in Eigenkapital rechtfertigen könnte. Die Tatsache, daß die Beklagte, der im Zuge der Umwandlung keine Bankguthaben des VEB übertragen worden waren, nach dem 1. Juli 1990 zunächst einen Liquiditätskredit in DM benötigte, genügt dazu allein nicht.
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