Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen durch das Berufungsgericht
Orientierungssatz
1. Will das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen verneinen, setzt dies voraus, daß sich das erkennende Gericht entweder in seiner Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck verschafft hat oder auf eine aktenkundige Beurteilung des vernehmenden Richters zurückgreifen kann, zu der sich die Parteien erklären konnten (Anschluß BGH, 1992-03-18, VIII ZR 30/91, NJW 1992, 1966).
2. Daran fehlt es, wenn die Zeugin, deren Glaubwürdigkeit vorliegend in Rede steht, in der Berufungsinstanz nur dem Berichterstatter als Einzelrichter vernommen worden ist und dieser seinen persönlichen Eindruck von der Zeugin weder in das Beweisaufnahmeprotokoll aufgenommen noch den Parteien vor der Entscheidung auf andere Weise mitgeteilt hat.
3. Dann darf das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugin, der ehemaligen Lebensgefährtin des Beklagten, nicht mit der Begründung verneinen, sie sei mit dem Beklagten offenbar noch so verbunden, daß sie eine Aussage zu seinen Gunsten habe treffen wollen.
4. Dieser Verfahrensverstoß wird auch nicht dadurch beseitigt, daß sich das Berufungsgericht auch sachlich mit dem Inhalt der Zeugenaussage auseinandergesetzt hat, wenn es letztlich und entscheidend auf die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugin abgestellt hat.

vorgehend LG Frankfurt, 9. Juli 1992, 2/25 O 486/89
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 1994 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klage stattgegeben worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Parteien sind Geschwister. Der Beklagte lebt in Deutschland, die Klägerin in Israel, wo auch die Mutter der Parteien bis zu ihrem Tode wohnte. Diese errichtete dort am 15. Januar 1985 ein - nach israelischem Recht wirksames - Testament. Darin ernannte sie - unter Widerruf früherer Testamente - die Klägerin zur Testamentsvollstreckerin und Nachlaßverwalterin, vermachte ihr neben der Wohnung und einem Bankguthaben in T. ihren Schmuck sowie ihr Auto und setzte im übrigen ihre drei Kinder als Erben ein, die Klägerin zu 50%, den Beklagten und einen weiteren Sohn - H. K. - zu je 25%.
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Im Mai/Juni 1986 kam der Beklagte in Begleitung seiner damaligen Lebensgefährtin, der Zeugin F., nach T. und besuchte seine Mutter. Sie händigte ihm ein Sparbuch der Stadtsparkasse O. (damaliges Guthaben: 253.244 DM) aus und bevollmächtigte ihn, davon 200.000 DM abzuheben; nach dem Vortrag der Klägerin handelte es sich um ein Darlehen, nach der Darstellung des Beklagten um eine Schenkung als Ausgleich für seine Benachteiligung im Testament. Unstreitig als Darlehen erhielt der Beklagte später, im Oktober/November 1986, von dem Konto noch weitere 50.000 DM.
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Im Herbst 1988 kam es wegen der Darlehensrückzahlung zu Telefongesprächen und zu einem Schriftwechsel des Beklagten mit seiner Mutter und dem von ihr bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Dr. P. Kurz danach, am 18. November 1988, starb die Mutter.
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Die Klägerin hat als Testamentsvollstreckerin Rückzahlung des Darlehens unter Absetzung des eigenen Erbanteils des Beklagten verlangt und beantragt, ihn zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft 167.472,46 DM nebst Zinsen zu zahlen. Der Beklagte hat widerklagend zunächst Auskunft über den Nachlaß, dann Zahlung von 92.184 DM verlangt. Das Landgericht hat der Klage nur in Höhe von 17.472,56 DM stattgegeben. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 155.695,12 DM verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte nur seinen Antrag auf volle Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat die Verurteilung des Beklagten damit begründet, nach der Beweisaufnahme stehe fest, daß nicht nur die letzten 50.000 DM, sondern auch die vorher bereits vom Konto der Mutter abgehobenen 200.000 DM als Darlehen gewährt und daher vom Beklagten zurückzuzahlen seien. Das habe er selbst im Telefongespräch mit Rechtsanwalt Dr. Dr. P. nach dessen glaubhafter Zeugenaussage bestätigt. Die gegenteilige Bekundung der Zeugin F. habe den Senat nicht überzeugen können.
II.
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Die von der Revision gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen greifen durch.
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1. Das Gespräch, in dem der Beklagte von seiner Mutter zur Verfügung über das Sparkonto ermächtigt wurde, hat nur die Zeugin F. selbst miterlebt. Sie hat - in beiden Vorinstanzen ohne wesentliche Unterschiede - bekundet, die Mutter habe erklärt, der Beklagte könne von dem - rund 250.000 DM betragenden - Sparguthaben 200.000 DM abheben und als seinen Erbteil behalten, er brauche diesen Betrag nicht zurückzuzahlen. Das Landgericht hat die Zeugin für glaubwürdig gehalten und eine Schenkung bejaht. Das Berufungsgericht hat der Zeugin dagegen nicht geglaubt, sondern gemeint, sie sei mit dem Beklagten offenbar noch so verbunden, daß sie eine Aussage zu seinen Gunsten habe treffen wollen. Eine solche Verneinung der Glaubwürdigkeit einer Zeugin setzt voraus, daß sich das erkennende Gericht entweder in seiner Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck verschafft hat oder auf eine aktenkundige Beurteilung des vernehmenden Richters zurückgreifen kann, zu der sich die Parteien erklären konnten (BGH, Urteil vom 18. März 1992 - VIII ZR 30/91 = NJW 1992, 1966/1967; Senatsurteil vom 4. Dezember 1990 - XI ZR 310/89 = NJW 1991, 1180, jeweils m.w.Nachw.).
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Daran fehlte es hier: Die Zeugin ist in der Berufungsinstanz nur vom Berichterstatter als Einzelrichter vernommen worden. Er hatte seinen persönlichen Eindruck von der Zeugin weder in das Beweisaufnahmeprotokoll aufgenommen noch den Parteien vor der Entscheidung auf andere Weise mitgeteilt.
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Dieser Verfahrensverstoß wird nicht dadurch ausgeräumt, daß das Berufungsgericht sich auch sachlich mit dem Inhalt der Zeugenaussage F. auseinandergesetzt und deren Glaubhaftigkeit in Zweifel gezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. März 1992 aaO). Seine Ausführungen hierzu hat es jedenfalls für sich allein nicht als ausreichend angesehen, um das Ergebnis zu rechtfertigen. Entscheidend hat es vielmehr letztlich auf die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugin abgestellt. Dazu äußert es sich in seiner abschließenden Bemerkung, die Zeugin sei dem Beklagten offenbar noch so verbunden, daß sie eine Aussage zu seinen Gunsten habe treffen wollen. Eine solche Beurteilung ist ohne Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks nicht möglich.
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2. Mit Recht wendet sich die Revision auch dagegen, daß das Berufungsgericht einen weiteren Beweisantritt des Beklagten ohne Begründung übergangen hat: Nachdem der Zeuge Dr. Dr. P., der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, über sein Telefongespräch mit dem Beklagten vernommen worden war, hatte dieser sich auf das Zeugnis seines Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt Z. dafür berufen, daß er sofort nach dem Telefonat ganz aufgebracht zu seinem eigenen Anwalt gekommen sei und ihm erzählt habe, die 200.000 DM seien ihm geschenkt und nicht als Darlehen gegeben worden, das habe er auch dem Gegenanwalt am Telefon ausdrücklich gesagt. Damit hatte der Beklagte zwar keine unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsachen in das Wissen des Zeugen Z. gestellt. Wenn das Berufungsgericht den Zeugenbekundungen des Gegenanwalts Dr. Dr. P. über die Äußerungen des Beklagten ihm gegenüber indizielle Bedeutung beimessen wollte, lag es jedoch nahe, in die Beweiswürdigung auch Äußerungen des Beklagten gegenüber seinem eigenen Anwalt einzubeziehen und zu prüfen, ob sie nicht Rückschlüsse gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. Dr. P. und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zuließen. Das Berufungsgericht durfte jedenfalls den Beweisantritt des Beklagten nicht übergehen, ohne darzulegen, aus welchen Gründen es auf die Erhebung des Beweises glaubte verzichten zu können.
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