Rückforderungsausschluß für Leistungen aufgrund unverbindlicher Börsentermingeschäfte: Bestimmtheits- und Ausdrücklichkeitserfordernis antizipierter Auf- und Verrechnungserklärungen
Leitsatz
1. Für Leistungen aufgrund unverbindlicher Börsentermingeschäfte durch Auf- oder Verrechnung vollwertiger Forderungen bedarf es ausdrücklicher, schon bei ihrer Abgabe auf Ansprüche aus bestimmten Termingeschäften bezogener Auf- oder Verrechnungserklärungen des Nichttermingeschäftsfähigen.












vorgehend LG Köln, 11. Oktober 1989, 20 O 100/89

Ingo Koller, LM BörsG Nr 31 (1/1992) (Anmerkung)

Tatbestand
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Der nicht börsentermingeschäftsfähige Kläger verlangt von der beklagten Sparkasse die Rückzahlung von Geldbeträgen, mit denen Verluste des Klägers aus Aktienoptionsgeschäften ausgeglichen worden sind. Die Beklagte beruft sich auf den Rückforderungsausschluß nach § 55 BörsG. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Im April 1987 eröffnete die Beklagte für den Kläger ein nicht als Kontokorrent geführtes Optionssonderkonto, auf das dieser ohne Bezug auf bestimmte Optionsgeschäfte Geldbeträge überwies. Anfangs unterzeichnete der Kläger bei oder nach jeder Auftragserteilung zum Optionserwerb ein Formular über eine Aufrechnungs- oder Tilgungserklärung. In dieser stimmte er der Aufrechnung der "unklagbaren Forderung" der Beklagten aus dem näher bezeichneten Optionsgeschäft mit seinem jeweils betragsmäßig aufgeführten Anspruch aus dem Optionssonderkonto zu oder erklärte die Forderung mit Hilfe seiner Einlage für getilgt.
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Spätestens ab September 1987 unterschrieb er die Formularerklärungen vereinbarungsgemäß nicht mehr bei oder nach jeder Auftragserteilung, sondern stellte der Beklagten in Zeitabständen jeweils eine Anzahl blanko unterzeichneter Formulare auf Vorrat zur Verfügung. Dies geschah, um eine von ihm gewünschte einfachere und schnellere Abwicklung der Geschäfte zu ermöglichen. Bei Ausführung der jetzt telefonisch erteilten Aufträge des Klägers füllte die Beklagte jeweils eines der blanko unterschriebenen Formulare aus und belastete das Optionssonderkonto mit ihrer Forderung.
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Die daraus resultierenden Lastschriften beliefen sich in der Zeit vom 4. September 1987 bis zum 1. Juli 1988 unter Berücksichtigung von Gutschriften kleinerer Gewinne auf insgesamt 85.286 DM. Diesen Betrag nebst Zinsen fordert der Kläger von der Beklagten zurück. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist weitgehend begründet. Sie führt, von einem kleinen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs abgesehen, zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
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I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch wegen eines Rückforderungsausschlusses nach § 55 BörsG für nicht gegeben erachtet und dazu ausgeführt: Der Kläger könne sich auf die Unklagbarkeit der Ansprüche aus den mit ihm getätigten Optionsgeschäften nicht berufen. Seine Zustimmungserklärungen zur Aufrechnung dieser Ansprüche mit seinen Guthabenforderungen aus dem Optionssonderkonto stellten sich als Leistungen "auf Grund des Geschäfts" im Sinne des § 55 BörsG dar. Daß bei der Blankounterzeichnung der Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen bestimmte ihnen zuzuordnende Optionsgeschäfte noch nicht vorgelegen hätten, stehe dem nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der Absprache der Parteien über die Verwendung der Blankoerklärungen enthalte jede einzelne nachfolgende Auftragserteilung die Zustimmung des Klägers zur Verrechnung der daraus resultierenden Ansprüche der Beklagten mit seinem Kontoguthaben. Diese als Leistung zu qualifizierende Zustimmungserklärung beziehe sich auf ein bestimmtes Optionsgeschäft.
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II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Beklagten aus den geschlossenen Aktienoptionsgeschäften seien mangels Börsentermingeschäftsfähigkeit des Klägers unklagbar (§ 53 BörsG a.F.). Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 92, 317, 321; Senatsurteil vom 19. Dezember 1989 - XI ZR 121/88, WM 1990, 94, 95).
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2. Nicht gefolgt werden kann aber der Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger könne sich auf die Unklagbarkeit nicht berufen, da der Rückforderungsausschluß nach § 55 BörsG durchgreife.
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a) Die vom Kläger blanko unterzeichneten Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen stellen keine Leistungen auf Grund der nachfolgend geschlossenen Börsentermingeschäfte dar. Erforderlich ist nach § 55 BörsG eine Leistung, die zur Erfüllung eines bestimmten Termingeschäfts erbracht worden ist. Im voraus abgegebene Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen oder Zahlungen auf künftige, noch ungewisse Verbindlichkeiten aus noch unbekannten Geschäften erfüllen diese Voraussetzung nicht. Dies ist für antizipierte kontokorrentrechtliche Aufrechnungsvereinbarungen sowie pauschale Vorauserfüllungsvereinbarungen für eine unbestimmte Zahl von Geschäften und die dafür geleisteten Vorauszahlungen anerkannt (BGHZ 101, 296, 305f.; 107, 192, 197f., jeweils m.w.Nachw.).
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Für die vom Kläger außerhalb eines Kontokorrentverhältnisses blanko unterzeichneten, antizipierten Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen, die bei der Abgabe keinen konkreten Bezug auf bestimmte Börsentermingeschäfte hatten, kann nichts anderes gelten. Sie erfolgten nicht "auf Grund" bestimmter Geschäfte, sondern im Hinblick auf künftige, noch ungewisse unklagbare Forderungen der Beklagten aus noch unbekannten Termingeschäften (vgl. Canaris, Großkomm. HGB 3. Aufl. § 355 Rdn. 78). Die Verbindlichkeit der nach Ausführung der Aufträge jeweils vervollständigten Blankoerklärungen läßt sich entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus allgemeinen Erwägungen über die Wirksamkeit vereinbarungsgemäß ergänzter Blanketterklärungen herleiten. Nach der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelung bis zum Inkrafttreten der Börsengesetznovelle konnte sich der Nichttermingeschäftsfähige des ihm durch den Termineinwand gewährten Schutzes für noch unbestimmte künftige Geschäfte nur begeben, wenn er durch eine den strengen Formvorschriften des § 54 Abs. 2-6 BörsG a.F. entsprechende schriftliche Erklärung Sicherheit für künftige Verluste leistete. Die damit verknüpfte Warnfunktion wird durch bloße Blankettverrechnungsabreden ohne Aussonderung von Werten aus dem Vermögen des Schuldners (vgl. zu diesem Erfordernis Baumbach/Duden/Hopt, HGB 28. Aufl. § 54 BörsG Anm. 1) nicht erreicht. Ihre Anerkennung als Erfüllung nach § 55 BörsG wäre deshalb mit dem Schutzzweck des § 54 BörsG a.F. unvereinbar.
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b) Leistungen des Klägers aufgrund bestimmter Geschäfte sind entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht dadurch erfolgt, daß er der Beklagten in Kenntnis der von ihm blanko unterzeichneten Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen Aufträge zum Erwerb bestimmter Aktienoptionen erteilt hat.
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aa) Der Termineinwand dient dem Schutz des Nichttermingeschäftsfähigen vor Verlusten aus risikoreichen Börsentermingeschäften, zu denen er sich in der Hoffnung auf hohe Gewinne hat verleiten lassen (BGHZ 103, 84, 88). Dieser Schutz entfällt nach § 55 BörsG erst mit der Erfüllung der unklagbaren Forderung des Geschäftsgegners. Auch eine nachträgliche Verrechnungsvereinbarung ist deshalb als Leistung "auf Grund des Geschäfts" nur dann anzusehen, wenn sie ausdrücklich in dem Bewußtsein abgegeben wird, eine eigene Vermögensposition zur Tilgung von Verbindlichkeiten aus bestimmten Börsentermingeschäften aufzugeben (BGHZ 107, 192, 198 m.w.Nachw.). Daran fehlt es nicht nur bei einem ausschließlich aus der Untätigkeit des Kunden hergeleiteten vermuteten Willen (BGHZ 102, 204, 207; 107, 192, 199), sondern auch dann, wenn der Kunde nach einer mangels Bestimmtheit unwirksamen antizipierten Verrechnungsvereinbarung lediglich weitere Aufträge erteilt oder wiederum unwirksame Vereinbarungen für die Zukunft trifft.
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bb) Eine für Leistungen durch Auf- oder Verrechnung eigener Forderungen danach erforderliche, auf Ansprüche aus bestimmten Börsentermingeschäften bezogene, ausdrückliche Erklärung des Klägers hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und nach dem Vorbringen der Parteien auch nicht feststellen können.
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Die vom Berufungsgericht in der Erteilung der einzelnen Aufträge zum Erwerb von Optionen gesehene Zustimmung des Klägers zur Verrechnung der daraus resultierenden Ansprüche der Beklagten mit seinem Kontoguthaben ist nicht ausdrücklich, sondern allenfalls stillschweigend erfolgt.
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Gleiches gilt für eine nachträgliche Genehmigung einer solchen Verrechnung, die in der Blankoausstellung weiterer Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen für künftige Geschäfte in bezug auf Ansprüche der Beklagten aus zuvor geschlossenen Optionsgeschäften gefunden werden könnte. Für eine ausdrückliche Genehmigung in dem erforderlichen Bewußtsein, dadurch eigene Forderungen zur Erfüllung von Ansprüchen der Beklagten aus früheren Termingeschäften einzusetzen, bestand aus der Sicht beider Parteien kein Anlaß. Sie haben sich - wie dargelegt zu Unrecht - auf die vom Kläger blanko unterzeichneten antizipierten Aufrechnungs- und Tilgungserklärungen verlassen.
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3. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Erhebung des Termineinwandes durch den Kläger auch nicht als arglistig anzusehen. Eine unzulässige Rechtsausübung kann zwar grundsätzlich in besonderen Ausnahmefällen auch in der Geltendmachung dieses Einwands liegen (vgl. zum Differenzeinwand BGHZ 58, 1, 6f. m.w.Nachw.). Die Tatsache, daß die Beklagte sich ausschließlich im Interesse des Klägers wegen dessen Wunschs nach einfacherer und schnellerer Geschäftsabwicklung mit der Unterzeichnung von Blankoformularen begnügte, reicht jedoch nicht aus, solche besonderen Umstände als gegeben anzusehen. Wenn die Beklagte dem Wunsch des - von ihr als börsentermingeschäftsunfähig erkannten - Klägers Rechnung tragen wollte, war es ihre Sache, einen Weg zu wählen, der sie in wirksamer Weise gegen den Termineinwand schützte. Dazu bot sich die Sicherheitsleistung nach § 54 BörsG a.F. an, die dem Kläger durch Blockierung des auf dem Sonderkonto vorhandenen Guthabens in der vorgeschriebenen Weise klar gemacht hätte, daß er Teile seines Vermögens für Spekulationszwecke zugunsten der Beklagten aussonderte. Daß die Beklagte - wenn auch in uneigennütziger Weise - einen den einschlägigen Vorschriften nicht genügenden Weg gewählt hat, reicht nicht aus, dem Kläger den gesetzlichen Schutz zu versagen. Daß er in arglistiger Weise auf die unzureichende Handhabung hingewirkt hätte, um im Falle von Verlusten später den Termineinwand erheben zu können, behauptet die Beklagte selbst nicht.
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III. Auf die Revision des Klägers war das Berufungsurteil daher aufzuheben. Da die Beklagte der Klageforderung ausschließlich den Einwand der Erfüllung nach § 55 BörsG entgegensetzt und insoweit weiterer Vortrag nicht zu erwarten ist, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung der der Höhe nach unstreitigen Klageforderung verurteilen. Der geltend gemachte Zinsanspruch konnte allerdings nicht in vollem Umfang zuerkannt werden. Für die Zeit vor dem 5. Oktober 1988 fehlt substantiierter Tatsachenvortrag des Klägers zum Verzug der Beklagten.
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