Zur Berechnung des Beleihungswerts eines Wertpapierdepots
Leitsatz
1. Zur Berechnung des Beleihungswertes eines Wertpapierdepots.
Orientierungssatz
1. Der Beleihungswert eines Wertpapierdepots ist der Wert, der durch Veräußerung an der Börse zum jeweiligen Stichtag zu erzielen ist. Maßgeblich ist der allgemeine Börsenpreis. Soweit Wertpapiere betroffen sind, für die nach BörsG § 29 der Börsenpreis amtlich festgestellt wird, ergibt sich schon aus Abs 3 der Vorschrift, daß der Preis maßgeblich ist, der der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht. Die Feststellung dieses Preises orientiert sich nicht an offiziellen oder inoffiziellen Schätzkursen, sondern an den Geschäften, die tatsächlich an der Börse stattgefunden haben. Reine Geld-, Brief- oder Taxkurse, die wegen fehlenden Umsatzes festgesetzt werden, sind keine Börsenkurse.












vorgehend LG Berlin, 30. Oktober 1986, 21 O 163/85


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 134 BGB
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der verklagten Bank Schadensersatz mit der Begründung, diese habe ihn falsch beraten, einen Auftrag fehlerhaft ausgeführt und Sicherheiten ungerechtfertigt verwertet.
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Der Kläger war Inhaber von 230 Optionsscheinen der in Tokio ansässigen Japan Synthetic Rubber Co., Ltd. (im folgenden: JSR), die zum Bezug von insgesamt 241.500 Stammaktien berechtigten. Die Optionsscheine befanden sich in Verwahrung der Beklagten und dienten zusammen mit anderen Wertpapieren als Kreditsicherheiten. Im April 1984 ließ sich der Kläger von der Beklagten über die Verwertung der Optionsscheine beraten. Die Beklagte erklärte ihm, die durch die Ausübung der Optionen erlangten Aktien könnten erst verkauft werden, wenn eine schriftliche Bestätigung des Börsenmaklers vorliege, daß er die Aktien in Besitz habe. Der Kläger beauftragte daraufhin die Beklagte am 2. Mai 1984 mit der Ausübung der Optionen. Die Beklagte führte diesen Auftrag unter Kreditierung des Optionsbetrages aus und unterrichtete den Kläger hierüber. Dessen sodann am 9. Mai 1984 erteilter Auftrag zum Verkauf der Aktien wurde nicht mehr ausgeführt, weil der Kurs der JSR-Aktien inzwischen unter das vom Kläger gesetzte Limit gefallen war. Nach einem weiteren Kursrückgang forderte die Beklagte den Kläger in Schreiben vom 21. Juni, 5. Juli und 17. Juli 1984 auf, die Kredite zurückzuführen oder Auskunft über seine Vermögensverhältnisse zu erteilen. Am 23. Juli 1984 erklärte sie sich bereit, eine Beleihungsgrenze von 90% zu tolerieren. Diese erachtete sie in den folgenden Tagen für überschritten und verkaufte in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juli 1984 aus dem Depot des Klägers 50.000 JSR-Aktien sowie 4.500 BASF-Optionsscheine 1974/86 und 8.000 Gulfstream-Resources-Aktien.
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Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihn falsch beraten, weil ein Verkauf der JSR-Aktien schon vor Besitzerlangung und damit vor Verfall des Kurses möglich gewesen sei. Ferner habe die Beklagte den Auftrag vom 2. Mai 1984 nicht mit der gebotenen Beschleunigung ausgeführt. Der Verkauf der Wertpapiere in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juli 1984 sei unrechtmäßig gewesen, weil die Beleihungsgrenze von 90% nicht überschritten gewesen sei. Der Kläger hat Schadensersatz in Höhe von 72.354 DM nebst Zinsen verlangt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, ihre Vertragspflichten nicht verletzt zu haben.
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Das Landgericht hat der Klage - unter Abweisung im übrigen - wegen falscher Beratung über die Möglichkeit eines Leerverkaufs und unsachgemäßer Ausführung des Auftrags vom 2. Mai 1984 durch die Beklagte in Höhe von 26.820 DM nebst 8% Zinsen vom 5. Mai bis 8. Juli 1984 und 8,25% Zinsen seit dem 9. Juli 1984 stattgegeben. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte durch Teilurteil vom 18. November 1988 zur Zahlung von 30.336 DM (einschließlich des vom Landgericht zugesprochenen Betrages) nebst 4% Zinsen seit dem 8. Mai 1985 und durch Schlußurteil vom 21. Februar 1989 zur Zahlung weiterer 42.018 DM nebst 8,25% Zinsen seit dem 8. Mai 1985 und weiterer 4,25% Zinsen aus 30.336 DM seit dem 8. Mai 1985 verurteilt. Mit ihrer Revision gegen das Schlußurteil erstrebt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung des Klägers und die Abweisung seiner Klage, soweit darüber nicht bereits durch das Teilurteil entschieden worden ist.
Entscheidungsgründe
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Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Schlußurteils und zur Zurückverweisung der Sache.
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I. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, daß das Berufungsgericht die Verurteilung - anders als das Landgericht - nicht auf eine falsche Beratung des Klägers durch die Beklagte und eine unsachgemäße Ausführung des Auftrages vom 2. Mai 1984 gestützt, sondern sie allein damit begründet hat, daß die Beklagte mangels Erreichens der vereinbarten Beleihungsgrenze von 90% nicht zur Veräußerung der Wertpapiere in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juli 1984 berechtigt gewesen sei. Die Revision sieht in den behaupteten Pflichtverletzungen verschiedene Streitgegenstände und macht geltend, nachdem ursprünglich nur Schadensersatz wegen verzögerter Auftragsausführung geltend gemacht und ein Anspruch wegen unzulässiger Verwertung von Sicherheiten allenfalls hilfsweise nachgeschoben worden sei, habe das Berufungsgericht diese Reihenfolge nicht ändern dürfen.
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Diesem Revisionsangriff stehen die §§ 268, 523 ZPO entgegen. Danach ist die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege, unanfechtbar. Dies gilt auch dann, wenn diese Entscheidung von einem Berufungsgericht in den Gründen eines Endurteils getroffen wird (vgl. RGZ 53, 359, 361; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1969 - VIII ZR 136/67, WM 1969, 1346; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. § 268, Rdn. 9 und 11). So liegt es hier. In dem angefochtenen Schlußurteil nimmt das Berufungsgericht auf das Teilurteil vom 18. November 1988 Bezug, in dem es begründet hat, daß es über den Schadensersatzanspruch wegen unzulässiger Verwertung von Sicherheiten entscheiden durfte, ohne zuvor die Fragen der fehlerhaften Beratung und Auftragsausführung zu erörtern. Das Berufungsgericht hält dies für zulässig, weil nach seiner Auffassung alle drei Vorgänge einen einheitlichen Streitgegenstand bilden und deshalb die Geltendmachung eines Anspruchs wegen unzulässiger Verwertung von Sicherheiten im Verhältnis zu den beiden anderen Pflichtverletzungen keine Klageänderung darstellen kann.
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II. 1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Parteien am 23. Juli 1984 eine Beleihungsgrenze von 90% vereinbart haben. Dies ist rechtsfehlerfrei und wird von der Revision hingenommen. Ob die Beklagte durch diese Vereinbarung ihre Pflichten nach § 18 Satz 1 und 2 des Gesetzes über das Kreditwesen verletzt hat, braucht nicht entschieden zu werden, weil die rechtliche Wirksamkeit der Abrede dadurch nicht berührt würde (vgl. Schork, Gesetz über das Kreditwesen 2. Aufl. § 18 Rdn. 21).
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2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte die Vereinbarung vom 23. Juli 1984 durch die Veräußerung von Wertpapieren in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juli 1984 verletzt, weil die Beleihungsgrenze von 90% an diesen Tagen nicht erreicht gewesen sei. Den Beleihungswert der von der Beklagten verwahrten Wertpapiere des Klägers hat es dabei wie folgt errechnet:
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5.900 BASF-Optionsscheine 1974/86 zu je 55,50 DM 327.450 DM
50.000 Gulfstream-Resources- Aktien zu je 0,60 Can. Dollar (Devisenkurs: 2,1704 DM) 65.112 DM
1.400 Mitsui Engineering and Shipbuilding Co., Ltd.-Optionsscheine zu je 115 US-Dollar (Devisenkurs: 2,8631 DM) 460.959 DM
241.000 JSR-Aktien zu je 354 Yen (Devisenkurs: 0,011635 DM) 992.628 DM
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1.846.149 DM
abzüglich 1,25% Verkaufsprovision 23.077 DM
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1.823.072 DM. =============
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Auf der Grundlage dieses Beleihungswertes hat das Berufungsgericht eine nur etwa 86%ige Inanspruchnahme durch die Kredite in Höhe von 1.567.782,41 DM errechnet. Zur Begründung des zwischen den Parteien streitigen Wertes der Mitsui Engineering and Shipbuilding Co., Ltd.-Optionsscheine hat es ausgeführt: Maßgeblich sei der Kurs an der Luxemburger Börse, weil diese in den Wertpapierabrechnungen als Erwerbsort angegeben sei. Nach einer fernschriftlichen Auskunft der Luxemburger Börse habe der Kurs am 24. und 25. Juli 1984 115 US-Dollar betragen. Daß die Optionsscheine vom 26. Juni bis zum 17. Dezember 1984 nicht gehandelt worden seien, sei unerheblich. Die am 23. Juli 1984 vereinbarte Beleihungsgrenze habe den Zweck einer verbindlichen Richtschnur mit für den Kläger voraussehbaren und bei seinen Dispositionen kalkulierbaren Auswirkungen haben sollen. Deshalb sei der offizielle Börsenkurs unabhängig davon maßgeblich, ob ihm aktuelle Umsätze zugrunde lägen. Die Beklagte könne sich nicht auf den von ihr behaupteten Handelskurs des Brokerhauses D., London, also einen außerbörslichen Maklerkurs, in Höhe von 80 US-Dollar berufen, weil sie dem Kläger bei Vereinbarung der Beleihungsgrenze nicht zu verstehen gegeben habe, daß sie bei der Ermittlung des Beleihungswertes diesen inoffiziellen Kurs zugrunde legen wolle.
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Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der Vereinbarung vom 23. Juli 1984 und der Beurteilung des Beleihungswertes der Wertpapiere einseitig auf die Interessen des Klägers abgestellt und wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Es hat insbesondere nicht gewürdigt, daß das Wertpapierdepot des Klägers mit Ausnahme der Gulfstream-Resources-Aktien, die nur etwa 3,5% des Depotwertes ausmachten, aus den ständig fallenden JSR-Aktien sowie aus Optionsscheinen bestand, die naturgemäß stärkeren Kursschwankungen ausgesetzt sind. Wenn sich die Beklagte unter diesen Umständen bereit erklärte, die ungewöhnlich hohe Beleihungsgrenze von 90% des Depotwertes zu tolerieren, so nahm sie damit bei verständiger Würdigung auch aus der Sicht des Klägers ein Risiko auf sich, das - wenn überhaupt - nur bei der Möglichkeit sofortiger Liquidation im Falle eines weiteren Kursverfalls zu verantworten war. Der Kläger konnte bei dieser Sachlage nicht erwarten, auf Kosten der ohnehin gefährdeten Sicherheitsinteressen der Beklagten nochmals Gelegenheit zur Stellung der mehrfach vergeblich geforderten weiteren Sicherheiten zu erhalten.
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Als Sicherheit für den gewährten Kredit hatte das Depot auch aus der Sicht des Klägers nur den Wert, der durch Veräußerung an der Börse zum jeweiligen Stichtag zu erzielen war. Nichts spricht daher für die Annahme des Berufungsgerichts, die Parteien könnten sich konkludent auf irgendwelche fiktiven Kurse an derjenigen Börse geeinigt haben, an der die jeweiligen Papiere gekauft worden waren. Maßgeblich ist daher - wie auch sonst im Zivilrecht (vgl. dazu Schwark, BörsG, § 29 Rdn. 22) - der allgemeine Börsenpreis. Soweit Wertpapiere betroffen sind, für die nach § 29 BörsG der Börsenpreis amtlich festgestellt wird, ergibt sich schon aus Abs. 3 der genannten Vorschrift, daß der Preis maßgeblich ist, der der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht. Die Feststellung dieses Preises orientiert sich nicht an offiziellen oder inoffiziellen Schätzkursen, sondern an den Geschäften, die tatsächlich an der Börse stattgefunden haben (vgl. Meyer/Brehmer, Börsengesetz 4. Aufl. § 29 Anm. 8; Oppermann/Degner, Börsen- und Wertpapiergeschäfte, 4. Aufl. S. 86; Klein/Kümpel/Lau BuB 7/101; Wohlfarth/Bley, Grundlagen und Praxis des Wertpapiergeschäfts, 2. Aufl. S. 226; Busse von Colbe, Die Bewertung von Gesellschaftsanteilen als Kreditsicherheit, in Hadding/Schneider, Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit S. 319; Tilly, Die amtliche Kursnotierung an den Wertpapierbörsen, S. 64). Reine Geld-, Brief- oder Taxkurse, die wegen fehlenden Umsatzes festgesetzt werden, sind deshalb keine Börsenkurse (vgl. RGZ 34, 117, 120; Schwark, aaO Rdn. 23; Klein/Kümpel/Lau, aaO 7/101; Tilly, aaO; Koller in Großkomm. zum HGB 4. Aufl. § 400 Rdn. 14).
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Aus diesen Gründen kommt der in der Revisionsinstanz als zutreffend zugrunde zu legenden Behauptung der Beklagten, die Mitsui Engineering and Shipbuilding Co., Ltd.-Optionsscheine seien weder in Luxemburg noch in London an der Börse zu einem höheren Preis als 80 US-Dollar pro Stück zu veräußern gewesen, entscheidungserhebliche Bedeutung zu. In diesem Fall kann für die 1.400 Optionsscheine bei einem US-Dollarkurs von 2,8631 DM nur ein Wert von 320.667,20 DM angesetzt werden, so daß der Beleihungswert des Depots insgesamt nach Abzug einer Verkaufsprovision von 1,25% (Nr. 22 Abs. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 1. Januar 1984) nur noch 1.684.534 DM betragen hätte. Die vereinbarte Beleihungsgrenze von 90% wäre dann bei einer Kreditgewährung in Höhe von 1.567.782,41 DM, d.h. ca. 93,06% des Beleihungswertes, überschritten gewesen.
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III. Damit die von der Beklagten für ihre streitige Behauptung, ein höherer Preis als 80 US-Dollar für die Optionsscheine sei nicht realisierbar gewesen, angebotenen Beweise, insbesondere ein Sachverständigengutachten, eingeholt werden können, war das Schlußurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Sollte die Beweisaufnahme ergeben, daß die Veräußerung der Wertpapiere in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juli 1984 Rechtens war und die Beklagte deshalb nicht zum Schadensersatz verpflichtet ist, sind ferner Ansprüche wegen fehlerhafter Beratung und verzögerter Ausführung des Auftrags vom 2. Mai 1984 zu prüfen. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Das schriftliche Sachverständigengutachten, das das Landgericht zur Frage des Zeitpunktes, in dem die JSR-Aktien nach Ausübung der Optionen verkauft werden konnten, eingeholt hat, hat das Berufungsgericht in einem Hinweisbeschluß vom 15. April 1988 als unverwertbar angesehen, weil es außer vom Sachverständigen von einer weiteren Person unterzeichnet worden ist und dem Sachverständigen ein Schriftsatz des Klägers vor der Begutachtung nicht zur Kenntnis gebracht worden war. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil etwaige hierin liegende Verfahrensfehler gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt sind. Es steht grundsätzlich im Belieben der Parteien, ob sie es zulassen wollen, daß das Gericht Beweisstoff verwertet, den es verfahrensfehlerhaft beschafft hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. September 1981 - II ZR 11/81, VersR 1981, 1175, 1176). Mangels einer Rüge der Parteien ist das Gutachten verwertbar. Seine Würdigung ist Aufgabe des Berufungsgerichts, gegebenenfalls nach mündlicher oder schriftlicher Erläuterung des Gutachtens durch den beauftragten Sachverständigen (§ 411 Abs. 3, § 412 Abs. 1 ZPO).
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