Zur Verjährung bei Aussetzung des Verfahrens
Orientierungssatz
1. Nach BGB § 211 Abs 1 dauert die Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung grundsätzlich fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist. Der Prozeß gerät durch eine Aussetzung nicht in Stillstand im Sinn des BGB § 211 Abs 2 S 1. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen Aussetzung und damit nicht auf der Untätigkeit der Parteien beruht (so auch BGH, 1982-03-23, VI ZR 144/80, VersR 1982, 651).
2. Die Rechtslage ändert sich jedoch, wenn der Grund für die Aussetzung wegfällt und keine der Parteien den Rechtsstreit weiter betreibt. Ist ein Verfahren bis zur Erledigung eines anderen Verfahrens ausgesetzt, so endet die Aussetzung mit der Erledigung dieses Verfahrens; einer Aufnahmeerklärung seitens der Parteien oder eines Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht. Nach der nunmehr anwendbaren Vorschrift des BGB § 211 Abs 2 S 1 endet zugleich die nach BGB § 211 Abs 1 fortdauernde Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung. Jedenfalls in den Fällen, in denen - wie bei der Aussetzung bis zur Erledigung eines anderen Verfahrens - der Aussetzungsbeschluß an ein konkretes Ereignis anknüpft und damit der Aussetzungsgrund für die Parteien in allen Teilen einsehbar ist, beginnt mit dem Wegfall des Aussetzungsgrundes die Verjährung neu zu laufen (so auch BGH, 1952-07-07, IV ZB 55/52, LM Nr 2 zu § 249 ZPO).
vorgehend LG Frankfurt, 11. November 1981, 2/4 O 372/80
So auch BGH 4. Zivilsenat, 7. Juli 1952, IV ZB 55/52
Tenor
Auf die Revision des Beklagten zu 3) wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1987 aufgehoben.
Auf die Berufung des Beklagten zu 3) wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 1981 - soweit es gegen den Beklagten zu 3) ergangen ist - abgeändert.
Die Klage gegen den Beklagten zu 3) wird abgewiesen.
Von den Gerichtskosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte zu 2) 2/3.
Von den außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger die des Beklagten zu 3) und 1/3 der eigenen; der Beklagte zu 2) trägt seine eigenen außergerichtlichen Kosten und 2/3 derjenigen des Klägers.
Die Kosten beider Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Beklagte zu 3) war Mitgesellschafter und - ab Oktober 1979 - Prokurist der M C GmbH in F, die sich mit der Vermittlung von Warentermingeschäften befaßte. Der Kläger erteilte dieser Firma am 20. August 1979 den Auftrag zum Erwerb einer Kakao-Kaufoption zum Preis vom 39.000 DM und am 25. September 1979 einen entsprechenden Auftrag über eine Platin-Kaufoption zum Preis von 13.000 DM sowie am 4. und 19. November 1979 Aufträge über Zucker- Optionen zum Preis vom 42.794 DM. Mit der Klage hat er die Beklagten auf Erstattung des von ihm gezahlten Gesamtbetrages von 94.794 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Er hat die Ansicht vertreten, ihm stünden gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung zu, da die Beklagten zu 2) und zu 3) von Anfang an nicht die Absicht gehabt hätten, die eingezahlten Beträge zum Erwerb der Optionen zu verwenden; im übrigen seien auch die ihm berechneten Optionsprämien weit übersetzt gewesen.
- 2
Das Landgericht hat den Beklagten zu 3) als Gesamtschuldner neben den Mitbeklagten zur Zahlung verurteilt. Dagegen hat der Beklagte zu 3) Berufung eingelegt. Er hat das Rechtsmittel darauf gestützt, daß das Landgericht zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB gegen ihn bejaht habe.
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Durch Beschluß vom 18. November 1982 hat das Oberlandesgericht den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das bei der Staatsanwaltschaft u.a. gegen den Beklagten zu 3) anhängige Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Dieses Verfahren führte zur Anklageerhebung gegen den Beklagten zu 3); er wurde am 6. Dezember 1983 rechtskräftig wegen gemeinschaftlichen Betruges verurteilt. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1987 bat der Beklagte zu 3), das Berufungsverfahren fortzusetzen. Er stellte eine deliktische Haftung nicht mehr in Abrede, erhob jedoch nunmehr die Einrede der Verjährung. Durch das angefochtene Urteil hat das Oberlandesgericht die Berufung des Beklagten zu 3) zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt er die Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, ist über die Revision durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO, vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ aaO S. 82).
II.
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Die Revision ist begründet.
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1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß dem Kläger der geltend gemachte Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB, §§ 830 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB aus den im landgerichtlichen Urteil dargelegten Gründen zusteht.
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Auch die Einrede der Verjährung, auf die der Beklagte im Berufungsverfahren seine Verteidigung beschränkt habe, greift nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht durch. Zwar sei das Verfahren erst durch Schreiben des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zu 3) vom 16. Februar 1987 und damit nach Ablauf von mehr als drei Jahren nach Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils fortgesetzt worden. Dies habe jedoch nichts an der mit der Rechtshängigkeit eingetretenen und bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung andauernden Verjährungsunterbrechung geändert. Die Aussetzung nach § 149 ZPO und der Zeitablauf bis zur Fortsetzung des Rechtsstreits nach Eintritt der Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils hätten auf die durch die Klageerhebung bewirkte Verjährungsunterbrechung keinen Einfluß gehabt, weil § 211 Abs. 2 BGB hier keine Anwendung finde.
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2. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Einrede der Verjährung halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die dem Kläger aus unerlaubter Handlung zustehenden Ansprüche sind verjährt (§ 852 Abs. 1 BGB).
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a) Die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB war hier vor ihrem Ablauf durch die am 3. August 1981 zugestellte Klage nach § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen worden. Daran änderte auch der Beschluß des Berufungsgerichts vom 18. November 1982 nichts, durch den der anhängige Rechtsstreit bis zur Beendigung des gegen den Beklagten anhängigen Ermittlungsverfahrens ausgesetzt wurde. Denn nach § 211 Abs. 1 BGB dauert die Unterbrechung durch Klageerhebung grundsätzlich fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist. Der Prozeß gerät durch die Aussetzung nicht in Stillstand im Sinn des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen Aussetzung und damit nicht auf der Untätigkeit der Parteien beruht (RGZ 72, 185, 187; 145, 239, 240; BGHZ 15, 80, 82; BGH, Urteil vom 23. März 1982 - VI ZR 144/80, VersR 1982, 651). Denn die Parteien haben wegen des Aussetzungsbeschlusses nicht die Möglichkeit, vor dem Wegfall des Aussetzungsgrundes die Fortsetzung des anhängigen Rechtsstreits zu erreichen.
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b) Die Rechtslage ändert sich jedoch, wenn der Grund für die Aussetzung wegfällt und keine der Parteien den Rechtsstreit weiter betreibt. Ist ein Verfahren bis zur Erledigung eines anderen Verfahrens (§§ 148 f. ZPO) ausgesetzt, so endet die Aussetzung mit der Erledigung dieses Verfahrens; einer Aufnahmeerklärung seitens der Parteien oder eines Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht (Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 47. Aufl. Einführung 1 C vor § 148; Zöller/Stephan, ZPO 15. Aufl. § 148 Rdn. 8; Stein/ Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. § 148 Rdn. 49, § 150 Rdn. 9; Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 149 Anm. F I und G; aA Rosenberg/ Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts 14. Aufl. § 128 II 3 - dagegen mit Recht OLG Hamburg ZZP 76, 476, 477). Von diesem Zeitpunkt an liegt die Fortsetzung des Verfahrens wieder in der Hand der Parteien. Betreiben sie den Rechtsstreit nicht weiter, so beruht der Stillstand auf ihrem Verhalten.
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Nach der nunmehr anwendbaren Vorschrift des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB endet zugleich die nach § 211 Abs. 1 BGB fortdauernde Unterbrechung der Verjährung durch Klageerhebung. Jedenfalls in den Fällen, in denen - wie bei der Aussetzung bis zur Erledigung eines anderen Verfahrens - der Aussetzungsbeschluß an ein konkretes Ereignis anknüpft und damit der Aussetzungsgrund für die Parteien in allen Teilen einsehbar ist (vgl. BGHZ 15, 80, 82 f.), beginnt mit dem Wegfall des Aussetzungsgrundes die Verjährung neu zu laufen (RGZ 72, 185, 187; BGH, Beschluß vom 7. Juli 1952 - IV ZB 55/52, LM Nr. 2 zu § 249 ZPO für die Aussetzung nach § 620 ZPO a.F.; OLG Hamburg ZZP 76, 476, 477; MünchKomm/ v.Feldmann, BGB 2. Aufl. § 211 Rdn. 8; Soergel/Walter, BGB 12. Aufl. § 211 Rdn. 7; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 211 Rdn. 7; Palandt/Heinrichs, BGB 48. Aufl. § 211 Anm. 3b; Zöller/Stephan aaO). Auf die Kenntnis der Parteien von der Erledigung des Strafverfahrens kommt es nicht an. Die Auffassung, daß trotz Beendigung der Aussetzung "für die Fristberechnung" eine Aufnahme des Verfahrens oder eine Terminsanberaumung durch das Gericht nicht zu entbehren sei, weil sonst die Gefahr bestehe, daß die Parteien vom Ende der Aussetzung keine Kenntnis erlangen (Stein/Jonas/Schumann aaO § 148 Rdn. 49 und § 150 Rdn. 9 Fn. 5), findet im Gesetz keine Stütze. Sie stellt nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung, sondern auf die tatsächliche Aufnahme des ausgesetzten Rechtsstreits ab und setzt sich damit in Widerspruch zu dem Zweck des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB, eine Umgehung des § 225 BGB zu verhindern, zu der es kommen könnte, wenn es das Gesetz zuließe, daß eine einmal nach § 209 BGB herbeigeführte Verjährungsunterbrechung auch dann fortdauern würde, wenn der Kläger das Verfahren grundlos nicht mehr weiterbetreibt. Soweit der Bundesgerichtshof (vgl. Urteile vom 7. Dezember 1978 - VII ZR 278/77, NJW 1979, 810, 811 sowie vom 1. Juli 1986 - VI ZR 120/85, BGHR BGB § 211 Abs. 2 Nichtbetreiben 1) die Anwendbarkeit des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB auf Fälle beschränkt hat, in denen der Kläger "ohne triftigen Grund" davon absieht, den Rechtsstreit weiterzubetreiben, dient dies der Ausscheidung von Fallgruppen, in denen das Abwarten prozeßwirtschaftlich vernünftig erscheint. Diese Einschränkung darf nicht dahin mißverstanden werden, daß stets auf die Motive der Parteien oder gar auf eine Umgehungsabsicht abzuheben wäre. Im Interesse der Rechtssicherheit ist für den Beginn des Laufes der neuen Verjährung an die nach außen erkennbar werdenden Umstände des Prozeßstillstandes anzuknüpfen (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1987 - VI ZR 104/87, BGHR BGB § 211 Abs. 2 Satz 1 Stillstand 1).
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c) Mit der am 6. Dezember 1983 eingetretenen Rechtskraft des Strafurteils begann somit die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB neu zu laufen. Eine erneute Unterbrechung der Verjährung nach § 211 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nicht eingetreten. Im Zeitpunkt der Aufnahme des Verfahrens durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 16. Februar 1987 war die Verjährung bereits eingetreten.
- 13
3. Auf die Revision des Beklagten zu 3) war das angefochtene Urteil daher aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden und die Klage gegen diesen Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abweisen, da weiterer Parteivortrag, der zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen könnte, nicht zu erwarten ist. Die Klage ist ausschließlich auf die Stellung des Beklagten zu 3) als Gesellschafter und Prokurist der GmbH, den sich daraus ergebenden Kenntnisstand, die Unterzeichnung einer schriftlichen Auftragsbestätigung durch ihn und seine Beteiligung an der Abwicklung der Aufträge gestützt; in die Verhandlungen, die zur Auftragserteilung führten, war er nach dem Klagevorbringen nicht einbezogen. Damit scheiden andere als deliktische Ansprüche aus.
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