Aufrechnung zwischen Schuldner und Zessionar mit einer rechtskräftigen Gegenforderung des Schuldners gegen den Zedenten
Leitsatz
1. BGB § 407 Abs 2 kann im Verhältnis zwischen Schuldner und Zessionar nicht entsprechend angewendet werden, wenn der Schuldner der abgetretenen Hauptforderung einen rechtskräftigen Titel über seine Gegenforderung in einem Rechtsstreit gegen den Zedenten erlangt hat und diese Gegenforderung zur Aufrechnung stellt.









vorgehend LG Dortmund, 4. November 1991, 5 O 232/86

Eberhard von Olshausen, WuB IV A § 407 BGB 1.94 (Anmerkung)
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Rosch, 8. Auflage 2017, § 407 BGB
● Rüßmann, 8. Auflage 2017, § 393 BGB
Tatbestand
- 1
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die M. oHG, hat mit einer im Jahre 1986 zugestellten Klage die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die H'er Bank S. e.G. (S.), auf Schadensersatz wegen einer unrichtig erteilten Bankauskunft in Anspruch genommen.
- 2
Die M. oHG beteiligte sich durch Zeichnung von drei Wohneinheiten an einem Bauherrenmodell. Diese Beteiligung hatte die Initiatorengruppe zur Voraussetzung für die Vergabe von Bauaufträgen an die M. oHG gemacht. Die Aufträge wurden am 17. Oktober 1984 erteilt. Am selben Tag gab die M. oHG ihr Angebot zum Abschluß eines Treuhandvertrages ab verbunden mit der Erklärung einer Treuhandvollmacht, die unter der Voraussetzung der Annahme des Angebots stand. Nach deren Inhalt konnten dem Treuhänder hinsichtlich abzuschließender Verträge verbindliche Weisungen erteilt werden.
- 3
Die M. oHG machte die Aufnahme ihrer Arbeiten von einer Bankbestätigung über die Sicherstellung der Finanzierung abhängig. Die S. bestätigte auf Anfrage, daß das Objekt voll finanziert sei. Die am 2. und 8. November 1984 erteilte Auskunft war falsch.
- 4
Die M. oHG begann mit den Bauarbeiten. Der Treuhänder stellte für die gezeichneten drei Wohneinheiten am 9. November 1984 einen Kreditantrag über 701.602 DM, den die S. annahm. Die S. überwies auf das Baukonto der M. oHG einen Betrag in Höhe von 255.515,92 DM, über den der Treuhänder verfügte.
- 5
Das Bauherrenmodell scheiterte wegen unzulänglicher Finanzierung. Die M. oHG erlitt einen Ausfallschaden, den sie klageweise geltend machte. Die S. begehrte im Wege der Widerklage Rückzahlung des zur Verfügung gestellten Darlehensbetrages.
- 6
Durch Grund- und Teilurteil des Landgerichts vom 25. März 1987 ist die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Widerklage unter Abweisung im übrigen in Höhe von 64.889,16 DM stattgegeben worden.
- 7
Gegen dieses Urteil hat die S. Berufung eingelegt, die von der jetzigen Beklagten als Rechtsnachfolgerin weitergeführt worden ist. Die M. oHG fiel zwischenzeitlich in Konkurs.
- 8
Im Mai 1988 legte die jetzige Klägerin eine Abtretung der Klagforderung vom 19. Dezember 1985 an sie offen und trat an Stelle der M. oHG in den Rechtsstreit ein; der Konkursverwalter der M. oHG hatte die Abtretung anerkannt und die Forderung freigegeben.
- 9
Die Beklagte hat daraufhin gegenüber der Klägerin die Hilfsaufrechnung mit ihrer Forderung aus der Widerklage gegen den Konkursverwalter erklärt und gleichzeitig den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage mit dem Antrag, ihre Forderung zur Konkurstabelle festzustellen, aufgenommen.
- 10
Nach Trennung von Klage und Widerklage hat das Oberlandesgericht die Berufung gegen das Grundurteil zurückgewiesen und durch Versäumnisurteil die Widerklageforderung in Höhe von 255.525,92 DM nebst Zinsen zur Konkurstabelle festgestellt. Beide Urteile sind rechtskräftig.
- 11
In dem sich anschließenden Betragsverfahren hat das Landgericht den durch Falschauskunft entstandenen Ausfallschaden auf 1.076.725,25 DM festgestellt und von diesem Betrag Zahlungen an die M. oHG in Höhe von 287.468 DM abgesetzt; außerdem hat es die Aufrechnungsforderung in Höhe von 255.515,92 DM abgezogen und den restlichen Schaden nebst Zinsen ausgeurteilt.
- 12
Die Klägerin hat hinsichtlich eines Teils des Zinsanspruchs und dagegen Berufung eingelegt, daß die Aufrechnung als begründet angesehen worden ist, obwohl sie gegen die Aufrechnungsforderung - vom Berufungsgericht nicht geprüfte - Einwendungen erhoben hatte. Das Berufungsgericht hat unter teilweiser Abänderung des Zinsausspruchs die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
- 13
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I.
- 14
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung sei grundsätzlich zulässig, da eine Aufrechnungslage bereits bestanden habe, als die Beklagte von der Abtretung der Forderung an die Klägerin Kenntnis erlangte, und die Forderung fällig gewesen sei. Darüber hinaus sei die Klägerin an die Rechtskraft der Entscheidung über die gegen den Konkursverwalter gerichtete Widerklage in Analogie zu § 407 Abs. 2 BGB gebunden, die Beklagte habe im Zeitpunkt des Rechtshängigwerdens der Widerklageforderung keine Kenntnis von der Abtretung gehabt.
- 15
Diese Rechtskrafterstreckung entspreche der Prozeßökonomie, weil es keinen Unterschied machen dürfe, ob die Gegenforderung im Wege der Aufrechnung oder der Widerklage geltend gemacht worden sei; anderenfalls könne es zu widersprechenden Entscheidungen in den Verhältnissen des Gläubigers zum Zedenten und zum Zessionar kommen. Auch stehe dieses Ergebnis mit den sonstigen Fällen der Rechtskrafterstreckung in Einklang und entspreche dem Grundgedanken der §§ 404 ff. BGB, den Schuldner durch die Abtretung nicht schlechter zu stellen.
II.
- 16
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
- 17
1. Das Berufungsgericht geht allerdings zutreffend von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Aufrechnung aus. Die Beklagte als Schuldnerin der Zedentin konnte eine ihr zustehende fällige Gegenforderung gegen die Klägerin als Zessionarin nach § 406 BGB aufrechnen, da die Forderungen sich bereits vor der Abtretung aufrechenbar gegenüberstanden. Insbesondere ist eine Aufrechnung - entgegen der Auffassung der Revision - nicht nach § 393 BGB unzulässig.
- 18
a) § 393 BGB versagt dem aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung Verpflichteten die Aufrechnung gegenüber dem Geschädigten. Dieses Aufrechnungsverbot greift auch dann ein, wenn die anspruchsbegründende Handlung sowohl eine Vertragsverletzung als auch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung darstellt, so daß beide Ansprüche konkurrieren (BGH, Urteil vom 20. Juni 1967 - VI ZR 201/65 - NJW 1967, 2012, 2013). Nach allgemeinen Grundsätzen muß der Geschädigte in einem solchen Fall jedoch, wenn er sich auf den Aufrechnungsausschluß berufen will, das Vorliegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung darlegen und beweisen (Soergel/Zeiss, 12. Aufl., § 393 BGB Rdn. 7; MünchKomm/v. Feldmann, 2. Aufl., § 393 BGB Rdn. 2). Das kann im Revisionsrechtszug nicht nachgeholt werden (§ 561 ZPO).
- 19
b) Die Revision stützt sich in diesem Punkt ausschließlich auf den Tatsachenvortrag der früheren Klägerin aus der Zeit vor dem Grundurteil des Landgerichts, das lediglich eine fahrlässige positive Forderungsverletzung der Rechtsvorgängerin der Beklagten feststellt. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin diese rechtliche Würdigung nicht angegriffen, obwohl inzwischen die Hilfsaufrechnung erklärt war. Sie hat im Gegenteil ausdrücklich vorgetragen, sie verkenne nicht, daß die Beklagte mit ihrer Darlehensforderung aufrechnen könne, falls eine solche Forderung bestehe.
- 20
c) Der erkennende Senat hat deshalb davon auszugehen, daß eine vorsätzliche unerlaubte Handlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht vorliegt. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob § 393 BGB auch dann eingreift, wenn die Gegenforderung - wie hier - rechtskräftig tituliert ist, kommt es danach nicht an.
- 21
2. Die Klägerin als neue Gläubigerin kann der Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch diejenigen Einwendungen entgegenhalten, die der Zedentin gegen die Aufrechnungsforderung zustanden (vgl. BGHZ 35, 317, 327 f.); dem steht die Rechtskraft des von der Beklagten gegen den Konkursverwalter erstrittenen Versäumnisurteils nicht entgegen.
- 22
a) Die Voraussetzungen der nur den Schuldnerschutz bezweckenden Regelung in § 407 Abs. 2 BGB (vgl. BGHZ 54, 150, 152; 64, 122, 127) liegen nicht vor: Die Beklagte hat als Gläubigerin der Gegenforderung das Versäumnisurteil gegen den Konkursverwalter erstritten; zu ihren Gunsten greift daher die Schutzwirkung nicht ein. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
- 23
b) Die vom Berufungsgericht vertretene analoge Anwendung des § 407 Abs. 2 BGB kommt nicht in Betracht. Die Frage, ob die Ausnahmeregelung des § 407 Abs. 2 BGB als nicht auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruhend überhaupt analogiefähig (verneinend Stein/Jonas/Leipold 20. Aufl., § 325 ZPO Rdn. 43) ist, kann deshalb offenbleiben.
- 24
aa) Es besteht keine Rechtsähnlichkeit zwischen dem in § 407 Abs. 2 BGB geregelten und dem vorliegenden Fall.
- 25
Während im Fall des § 407 Abs. 2 BGB über eine abgetretene Forderung rechtskräftig entschieden worden ist und diese Rechtskraft gegen den neuen Gläubiger bei Unkenntnis des Schuldners von der Abtretung im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit und nur zu dessen Gunsten wirkt, geht es hier um die Frage, ob die Rechtskraft einer Entscheidung über eine nicht abgetretene Forderung zugunsten des Gläubigers dieser Forderung wirkt.
- 26
bb) Eine über den in § 407 Abs. 2 BGB geregelten Fall hinausgehende Rechtskrafterstreckung ist nicht gerechtfertigt.
- 27
Es ist zwar nicht zu verkennen, daß der Schuldner, der ein obsiegendes Urteil über seine Gegenforderung gegen den alten Gläubiger erstritten hat, daran interessiert ist, dem neuen Gläubiger unter Hinweis auf die Rechtskraft der Entscheidung Einwendungen gegen die aufgerechnete Forderung abzuschneiden. Dem steht aber das überwiegende Interesse des neuen Gläubigers entgegen, gewährleistet zu sehen, daß mögliche, auch ihm zustehende Einwendungen gegen die Gegenforderung in einem Rechtsstreit geprüft werden. Anderenfalls müßte er hinnehmen, daß der uninteressierte oder der in bezug auf den neuen Gläubiger in Schädigungsabsicht handelnde Altgläubiger sich nicht verteidigt, anerkennt oder Versäumnisurteil ergehen läßt. Ein solches Ergebnis läßt sich weder mit dem pauschalen Hinweis auf den "Grundsatz der Prozeßökonomie" rechtfertigen, noch ist es vom Regelungszweck des § 407 Abs. 2 BGB gedeckt. Das Berufungsgericht geht deshalb fehl in der Annahme, eine Rechtskrafterstreckung entspreche "dem gesetzlichen Grundgedanken der §§ 404 ff. BGB". Daß es zu widersprechenden Entscheidungen in den Verhältnissen des Gläubigers zum Zedenten und zum Zessionar kommen kann, ist eine allgemeine Folge in Fällen, in denen ein und derselbe Anspruch in unterschiedlichen Prozeßrechtsverhältnissen geltend gemacht wird und die Voraussetzungen einer Rechtskrafterstreckung nicht vorliegen.
III.
- 28
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Mangels Aufklärung der von der Klägerin gegen die zur Aufrechnung gestellte Darlehensforderung erhobenen Einwendungen ist der Senat an einer Entscheidung in der Sache gehindert. Das Berufungsgericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob die M. oHG dem Treuhänder, wenn sie am 8. November 1984 eine zutreffende Auskunft bekommen hätte, noch rechtzeitig verbindliche Weisungen für Verfügungen über den Teilkredit hätte erteilen und den durch Abverfügungen möglicherweise eingetretenen Schaden hätte abwenden können.
Permalink
-
Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.juris.de/perma?d=KORE372419300