Abstraktes Kontrollverfahren für vollständiges Verwendungsverbot von AGBs mit individuellen Ausfüllungsmöglichkeiten
Leitsatz
1. Eine mit Leerräumen versehene Formularklausel, die nur durch Ausfüllung im Einzelfall einen eigenen Regelungsgehalt erlangt, ist nur dann im Verfahren nach AGBG § 13 einschränkungslos zu verbieten, wenn alle denkbaren Ausfüllungsmöglichkeiten der Inhaltskontrolle nach AGBG §§ 9 bis 11 nicht standhalten. Andernfalls muß sich das Verfahren auf bestimmte Vervollständigungskombinationen beschränken.
Orientierungssatz
1. Hier: Beschränkung des Verbots einer ausfüllungsbedürftigen Zinsberechnungsklausel auf die konkrete Ausfüllungsform bei vierteljährlicher Zinsberechnung nach dem Schuldsaldo zu Beginn des Vierteiljahres in Kreditverträgen, in denen zugleich monatliche Tilgungsleistungen vereinbart sind, wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot.














vorgehend LG Düsseldorf, 7. März 1990, 12 O 337/89
Vergleiche LG Berlin 7. Zivilkammer, 23. Januar 1996, 7 S 67/95
Abgrenzung BGH 8. Zivilsenat, 17. März 1993, VIII ZR 180/92


Thomas Pfeiffer, LM AGBG § 9 (Bl) Nr 40 (3/1992) (Anmerkung)


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● A. Baetge, 8. Auflage 2017, § 7 UKlaG
● Toussaint, 8. Auflage 2017, § 246 BGB
Tatbestand
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Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung Verbraucherinteressen wahrnimmt. Die Beklagte, eine Raiffeisenbank, verwendete von 1977 bis 1980 Kreditvertragsformulare, die im oberen Teil zahlreiche Leerspalten aufwiesen, in die beim einzelnen Vertragsschluß die vereinbarten Konditionen - u.a. Kreditart und -betrag, Zins- und Auszahlungssatz, Tilgung - einzutragen waren. Die Spalte "Tilgung" war unterteilt in "Höhe/Beginn/Termin"; auf die Angabe des Tilgungstermins bezog sich folgende Fußnote: "m = monatlich, v = vierteljährlich, h = halbjährlich, j = jährlich". Etwa in der Mitte des Formulars befand sich folgende mit Leerräumen zur Ausfüllung versehene Klausel:
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"Die Zinsberechnung bei den Darlehen erfolgt vom Tage der Auszahlung an, danach ... jährlich, jeweils berechnet auf den Schuldsaldo zum ... des Monats/ Viertel-/Halb-/Jahres."
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Dagegen richtet sich die Unterlassungsklage aus § 13 AGBG. Der Kläger hat einen am 20. Juli 1977 von der Beklagten geschlossenen Kreditvertrag vorgelegt, in dem die Leerräume des Formulars maschinenschriftlich ausgefüllt sind; danach sind monatliche Tilgungszahlungen, beginnend mit dem 30. August 1977, zu leisten, während die Zinsen vierteljährlich jeweils auf den Schuldsaldo zum Anfang des Vierteljahres berechnet werden sollen. Nach Auffassung des Klägers verstößt die Zinsberechnungsklausel wegen mangelnder Transparenz gegen § 9 AGBG.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat - gemäß dem Hauptantrag des Klägers - die Verwendung der Klausel in folgender Formulierung untersagt:
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"Die Zinsberechnung bei den Darlehen erfolgt vom Tage der Auszahlung an, danach ... (viertel) ... jährlich, jeweils berechnet auf den Schuldsaldo zum ... (Anfang) des Monats/Viertel-/Halb-/Jahres."
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat nur zum geringen Teil Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Bei der beanstandeten Formularklausel handele es sich trotz der unterschiedlichen Ausfüllungsmöglichkeiten nicht um eine Individualabrede gemäß § 1 Abs. 2 AGBG; denn die Beklagte stelle die Regelung nicht inhaltlich zur Disposition, sondern lasse dem Kunden nur die Wahl zwischen im Formular von vornherein festgelegten Alternativen. Bei der Inhaltskontrolle sei im Verfahren nach § 13 AGBG von der dem Kunden ungünstigsten Auslegungsmöglichkeit auszugehen, hier also von einer jährlichen Zinsberechnung bei monatlicher Tilgung. Dann aber liege nach der neueren BGH-Rechtsprechung eine Verletzung des Transparenzgebots vor, die zur Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG führe. Deswegen dürfe die Klausel insgesamt nicht weiter verwendet werden, auch wenn sie bei möglicher anderer Ausgestaltung nicht zu beanstanden sei. Gemäß § 18 AGBG sei dem Kläger die Befugnis zur Veröffentlichung der Urteilsformel zuzusprechen.
II.
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1. Mit Recht rügt die Revision, daß die Formulierung der AGB-Klausel im Tenor des Berufungsurteils Inhalt und Umfang des ausgesprochenen Verbots nicht hinreichend deutlich macht. Unklarheiten ergeben sich daraus, daß die Worte "viertel" und "Anfang" in Klammern gesetzt und daneben durch die Punktierung Freiräume gelassen werden und daß am Klauselende die vier Gestaltungsmöglichkeiten "Monats/Viertel-/ Halb-/Jahres" bestehen bleiben, von denen im Einzelvertrag jeweils eine gewählt werden soll. Bei dieser Urteilsformel bleibt offen, ob die Verwendung der Klausel nur in einer bestimmten konkreten Ausgestaltung oder in mehreren oder sogar in allen denkbaren Ausfüllungsformen für unzulässig erklärt werden soll.
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2. Die Entscheidungsgründe sprechen dafür, daß das Berufungsgericht die Formularklausel allgemein, also ohne Rücksicht auf ihre Ausfüllung im Einzelvertrag verbieten wollte. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
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a) Die Begründung des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu billigen: Eine mit Leerräumen versehene Formularklausel, die bei der Verwendung im Einzelfall der Ausfüllung bedarf, weil sie sonst überhaupt keinen eigenen Regelungsgehalt hat, kann nicht unter Berufung auf den Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung im Verfahren nach § 13 AGBG schon dann ohne Einschränkung verboten werden, wenn sie auch nur bei einer der gegebenen Ausfüllungsmöglichkeiten gegen §§ 9 - 11 AGBG verstößt. Der genannte Grundsatz (vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 1991 - XI ZR 72/90 = WM 1991, 1452, 1453 zu I 2 b) betrifft Klauseln, die eine abgeschlossene, nicht mehr ergänzungsbedürftige Regelung enthalten, aber unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eröffnen oder - sprachlich untrennbar - Fallgruppen verschiedener Art erfassen. Damit ist eine Formularklausel, die Leerräume enthält, deren Ausfüllung im Einzelfall vorgesehen und notwendig ist, nicht zu vergleichen. Eine solche Klausel bietet vor der Ausfüllung nur das "Baumaterial" für eine Mehrzahl von unterschiedlichen Regelungen, deren Inhalt nach der Vervollständigung jeweils gesonderter Überprüfung bedarf.
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b) Bei derart ergänzungsbedürftigen Formularklauseln kommt ein einschränkungsloses Verbot allenfalls dann in Betracht, wenn alle denkbaren Ausfüllungsmöglichkeiten in gleicher Weise der Inhaltskontrolle nach §§ 9 - 11 AGBG nicht standhalten würden. So liegt es hier jedoch nicht: Wenn das streitige Kreditvertragsformular der Beklagten beispielsweise so ausgefüllt wird, daß die Tilgungszahlungen jeweils am Schluß der Zinsberechnungsperiode zu leisten sind, ergibt sich aus einer Zinsberechnung auf den Schuldsaldo zum Anfang des Zeitraums keine Benachteiligung des Kunden. Es sind sogar Ausfüllungskombinationen denkbar, die für den Darlehensnehmer noch günstiger sind, insbesondere etwa, wenn der Zeitraum zwischen den Tilgungszahlungen kürzer ist als die Zinsperiode und die Zinsen jeweils auf den Schuldsaldo zum Schluß dieser Periode berechnet werden sollen. Solche Ausfüllungskombinationen mögen für den Verwender fernliegen; ihre Möglichkeit steht aber einem einschränkungslosen Verbot der Formulargestaltung entgegen.
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3. Das Verfahren nach § 13 AGBG muß sich danach bei der streitigen Klausel, die erst durch Ausfüllungen und Streichungen im Einzelfall einen eigenen Regelungsgehalt erlangt, auf bestimmte Vervollständigungskombinationen beschränken. Ein entsprechendes Klauselverbot scheitert hier - entgegen der Auffassung der Revision - nicht etwa daran, daß der Klageantrag insoweit der nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO notwendigen Bestimmtheit entbehrte. Der Antrag enthält zwar die gleichen Unklarheiten wie der Tenor des Berufungsurteils. Im Wege der Auslegung läßt sich anhand der Klagebegründung aber ermitteln, daß der Kläger, wenn ein uneingeschränktes Verbot der Formularklausel nicht möglich ist, jedenfalls ein Verbot der Klausel in der Ausgestaltung erstrebt, die sich in dem vorgelegten Vertrag vom 20. Juli 1977 findet. Darin waren monatliche Tilgungszahlungen, beginnend mit dem 30. August 1977, und eine vierteljährliche Zinsberechnung jeweils auf den Schuldsaldo zum Anfang des Vierteljahres vorgesehen.
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a) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, aufgrund der maschinenschriftlichen Ergänzungen liege eine Individualvereinbarung vor, die nicht der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterworfen sei.
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Bei derartigen Ergänzungen ist zu unterscheiden: Wenn bereits der Formulartext die zu beanstandende Regelung enthält, wird durch unselbständige Ergänzungen, die nur den Vertragsgegenstand im Einzelfall konkretisieren, der Charakter einer Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung nicht in Frage gestellt (BGHZ 99, 203, 205, 206; 102, 152, 158; BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 244/90 = WM 1991, 1499, 1500). Wenn sich dagegen die Unangemessenheit einer Regelung gerade aus den Ergänzungen ergibt, bedarf es besonderer Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 AGBG gegeben sind. Im Einzelfall kann es sich um eine Individualvereinbarung handeln (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1989 - VIII ZR 310/88 = WM 1990, 519, 521). Eine AGB-Klausel liegt jedoch dann vor, wenn der Kunde nur die Wahl zwischen bestimmten, vom Verwender vorgegebenen Alternativen hat. Dabei kann es nicht entscheidend sein, ob der Verwender für jede der Alternativen ein gesondertes Formular benutzt oder ob er alle Alternativen in einem Formular abdruckt und den Kunden die gewünschte kennzeichnen läßt (BGH, Urteile vom 3. Juli 1985 - IVa ZR 246/83 = WM 1985, 1208, 1209 und vom 8. Januar 1986 - VIII ZR 313/84 = WM 1986, 388, 389) oder ob - wie bei der Formulargestaltung der Beklagten - die Wahl zwischen mehreren vorgegebenen Alternativen durch hand- oder maschinenschriftliche Eintragung in dafür vorgesehene Leerräume des Formulars erfolgt.
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Hier richtet sich die Klage gegen eine Alternative, bei der die Art der Zinsberechnung nur der Bank Vorteile bringt; sie erhält nämlich Zinsen auch für bereits getilgte Schuldbeträge. In einem solchen Fall liegt die Annahme, diese Regelung habe zur freien Disposition des Kunden gestanden, er habe sie in Kenntnis ihrer Bedeutung von sich aus gewählt, so fern, daß vom Vorliegen dieser Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli 1985 und vom 8. Januar 1986 aaO) nur auszugehen ist, wenn sie von der Bank substantiiert dargelegt und bewiesen werden (Wolf in: Wolf/Horn/Lindacher AGBG 2. Aufl. § 1 Rdn. 39; Wolf NJW 1977, 1937, 1941/1942; Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 6. Aufl. § 1 Rdn. 56, 63 a). Daran fehlt es hier. Das Berufungsgericht durfte daher die streitige Klauselfassung als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinn des § 1 Abs. 1 AGBG ansehen und sie der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterwerfen.
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b) Die beanstandete Klausel verstößt in der hier zu prüfenden Fassung gegen § 9 Abs. 1 AGBG. Das angefochtene Urteil stimmt insoweit mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überein (BGHZ 106, 42; 112, 115; Senatsurteile vom 30. April 1991 - XI ZR 223/90 = WM 1991, 1115; vom 9. Juli 1991 - XI ZR 72/90 = WM 1991, 1452, 1455 zu V 2 und vom 15. Oktober 1991 - XI ZR 192/90 = WM 1991, 1944). Danach ist zwar die Weiterverzinsung bereits getilgter Kreditbeträge materiell nicht zu beanstanden, sondern hinzunehmen, wenn die darin liegende Benachteiligung des Darlehensnehmers für den Durchschnittskunden hinreichend kenntlich gemacht ist (vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 1991 aaO). Daran fehlt es hier jedoch ebenso wie in den Fällen, die Gegenstand der übrigen oben zitierten BGH-Entscheidungen waren.
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Ein solcher Verstoß gegen das Transparenzgebot kann im Verfahren nach § 13 AGBG zu einem uneingeschränkten Klauselverbot führen (Urteil vom 15. Oktober 1991 aaO).
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c) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision, es fehle an der notwendigen Wiederholungsgefahr. Auch ohne ausdrückliche Erörterung ist dem Gesamtzusammenhang des Berufungsurteils zu entnehmen, daß diese Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs (Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 aaO zu II 5) vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei bejaht worden ist.
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Die Beklagte hatte bereits vorprozessual die Abgabe einer Unterlassungserklärung abgelehnt und auch während des Rechtsstreits die Zulässigkeit der im Vertrag vom 20. Juli 1977 enthaltenen Klauselgestaltung stets nachdrücklich verteidigt.
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aa) Danach konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, daß die Bank diese Klausel bis 1980 auch in anderen Verträgen verwendet hatte und sich bei der Abwicklung solcher Verträge weiterhin auf deren Zulässigkeit berufen will. Das Verwendungsverbot nach § 13 AGBG richtet sich auch dagegen (Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 aaO).
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bb) Auch für die Zukunft besteht angesichts des bisherigen Verhaltens der Beklagten keine Gewähr, daß sie nicht aufgrund veränderter Überlegungen oder Umstände erneut auf die früher verwendete Klausel zurückgreift (Senatsurteil vom 15. Oktober 1991 aaO).
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d) Zu beanstanden ist die Verbindung monatlicher Tilgungsleistungen mit einer vierteljährlichen Zinsberechnung nach dem Schuldsaldo zu Anfang des Vierteljahres. Das Verwendungsverbot richtet sich dabei jedoch allein gegen die Klausel über die Zinsberechnung; nur sie, nicht die Vereinbarung monatlicher Tilgungsleistungen, enthält den Verstoß gegen das Transparenzgebot. Im Urteilstenor ist aber auszusprechen, daß sich das Verbot der Zinsberechnungsklausel auf Kreditverträge beschränkt, in denen zugleich monatliche Tilgungsleistungen vorgesehen sind. In den vom erkennenden Senat bisher entschiedenen Parallelfällen erübrigte sich eine derartige Beschränkung im Urteilstenor, weil die dort umstrittenen AGB die Bestimmung über die Tilgungszahlungstermine bereits im vorgedruckten Text enthielten, während das hier streitige Vertragsformular der Beklagten in diesem Punkt verschiedene Vereinbarungsmöglichkeiten eröffnet.
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e) Ohne Erfolg bleibt die Revision auch, soweit sie rügt, das Berufungsgericht habe dem Kläger nicht ohne nähere Begründung die Befugnis zusprechen dürfen, das Urteil öffentlich bekanntzumachen. Zwar liegt die Entscheidung über einen Antrag nach § 18 AGBG im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Hensen in: Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 6. Aufl. § 18 Rdn. 5). Eine Veröffentlichung kommt vor allem dann in Betracht, wenn die verurteilte Partei selbst einen größeren Kundenkreis hat, der von dem Urteil betroffen sein könnte, oder wenn andere Verwender gleicher AGB gewarnt werden sollen (Hensen aaO). Hier lag insbesondere aus dem letztgenannten Grund eine Veröffentlichungsbefugnis so nahe, daß aus dem Fehlen einer eingehenderen Begründung nicht geschlossen werden kann, das Berufungsgericht sei sich der Notwendigkeit und der Grenzen einer Ermessensausübung nicht bewußt gewesen.
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