Berufung an den Senat für Handelssachen nach dem Einigungsvertrag
Leitsatz
1. Eine Berufung, über die der Senat für Handelssachen des Bezirksgerichts am Sitz der Landesregierung zu entscheiden hat, kann fristwahrend nur dort eingelegt werden.









vorgehend KreisG Leipzig-Stadt, 10. April 1992, (2) KfHO 666/91
Gründe
I.
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Durch Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Kreisgerichts Leipzig-Stadt vom 10. April 1992 ist die Beklagte zur Zahlung von 6.613,53 DM nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt worden. Sie hat gegen das ihr am 14. April 1992 zugestellte Urteil am 12. Mai 1992 bei dem Bezirksgericht Leipzig Berufung eingelegt. Dieses hat am 21. Mai 1992 darauf hingewiesen, daß nach dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II, 885) der Senat für Handelssachen bei dem Bezirksgericht Dresden über die Berufung zu entscheiden habe, und auf Antrag beider Parteien mit Beschluß vom 2. Juli 1992 den Rechtsstreit dorthin verwiesen. Nachdem die Beklagte vom Bezirksgericht Dresden darauf hingewiesen worden war, daß die Berufungsfrist versäumt sein könne, weil die Berufung erst am 16. Juli 1992 dort eingegangen sei, hat die Beklagte am 13. August 1992 bei diesem Gericht erneut Berufung eingelegt, diese zugleich begründet und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die etwaige Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
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Das Bezirksgericht Dresden hat durch Beschluß vom 21. September 1992 - zugestellt am 8. Oktober 1992 - den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die am 21. Oktober 1992 eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten.
II.
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Die nach §§ 238 Abs. 2, 519 b Abs. 2, 547 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Die Beklagte hat die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist bei dem Bezirksgericht Dresden als zuständigem Berufungsgericht eingelegt.
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a) Nach § 518 Abs. 1 ZPO wird die Berufung durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. Dieses ist das Gericht, das für die Entscheidung über die Berufung zuständig ist (vgl. BGHZ 71, 367, 368).
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Die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Dresden für die Berufung der Beklagten ergibt sich aus § 518 Abs. 1 ZPO i.V.mit dem Einigungsvertrag vom 23. September 1990 (BGBl. II, 885) Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Maßgabe e Abs. 2, Maßgabe h Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz. Danach treten für die Berufung in Verfahren, die Handelssachen im Sinne des § 95 GVG mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Nr. 4 Buchstaben c und f zum Gegenstand haben, an die Stelle der Zivilsenate der Bezirksgerichte Senate für Handelssachen bei den Bezirksgerichten, in deren Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.
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Daß es sich dabei - entgegen der von der Beklagten mit der Beschwerde geltend gemachten Ansicht - um die Bestimmung des Berufungsgerichts und nicht um die bloße "spezielle Entscheidungskompetenz der Senate für Handelssachen" handelt, ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang; denn der Maßgabe h Abs. 1 Satz 2 vorangehende Satz bestimmt als Berufungsgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten grundsätzlich die Zivilsenate der Bezirksgerichte.
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b) Entgegen der Ansicht der Beschwerde können die Senate für Handelssachen bei den Bezirksgerichten nicht wie auswärtige Senate von Oberlandesgerichten gemäß § 116 Abs. 2 GVG behandelt werden. Bei diesen wird die Einlegung einer Berufung bei dem Stammgericht als fristwahrend angesehen, weil sie organisatorisch in das Stammgericht, als dessen Spruchabteilung sie sich im Eingang ihrer Entscheidungen bezeichnen, eingegliedert sind (vgl. BGH, Beschluß vom 18. Oktober 1966 - VI ZB 13/66, NJW 1967, 107). An einer entsprechenden organisatorischen Eingliederung fehlt es bei den Senaten für Handelssachen. Diese sind Spruchkörper des Bezirksgerichts, in dessen Bezirk sich der Sitz der Landesregierung befindet.
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c) Die Beklagte beruft sich auch zu Unrecht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs BGHZ 71, 367, wonach eine Berufung, über die der Kartellsenat des Oberlandesgerichts zu entscheiden hat, fristwahrend auch bei dem nach § 119 GVG allgemein zuständigen Oberlandesgericht eingelegt werden kann. Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, daß vielfach zweifelhaft sei, ob das Landgericht als für Kartellsachen zuständiges Gericht entschieden habe und daß eine Regelung, die das einzuhaltende Verfahren nur mit erheblicher Unsicherheit erkennen, einen darauf beruhenden Irrtum des Rechtssuchenden aber zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen lasse, nicht zur Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes genüge (BGHZ 71, 367, 371 f.). Vergleichbare Probleme bei der Abgrenzung von Entscheidungen der Kammer für Handelssachen gegenüber solchen von allgemeinen Zivilkammern bestehen wegen der durch § 94 GVG gegebenen Trennung dieser Spruchkörper nicht. Inwieweit eine andere Beurteilung geboten sein könnte, wenn eine Kammer für Handelssachen bei dem Kreisgericht in einer allgemeinen Zivilsache oder eine allgemeine Zivilkammer in einer Handelssache entschieden hat (vgl. hierzu BGHZ 72, 182, 187), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da eine Kammer für Handelssachen das Urteil in einer Handelssache gefällt hat.
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2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht unter Annahme eines Verschuldens der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, diese hätten erkennen müssen, daß die Berufung beim Bezirksgericht Dresden einzulegen war.
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Die Beklagte muß sich ein Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (§§ 233, 85 Abs. 1 ZPO). Dieses Verschulden besteht - wie das Bezirksgericht zutreffend ausgeführt hat - darin, daß diese die Berufung nicht bei dem zuständigen Berufungsgericht eingelegt haben. Die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten haben sich lediglich auf einen Rechtsirrtum berufen. Dieser vermag sie jedoch angesichts der klaren Rechtslage nicht zu entschuldigen. Sie können sich deshalb auch nicht durch das Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung hierzu entlasten. Selbst wenn sie die Frage, bei welchem Gericht die Berufung einzulegen war, als nicht ganz eindeutig geregelt ansahen, hätten sie - worauf das Bezirksgericht ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - den "sichersten Weg" der Berufungseinlegung, nämlich den beim für die Entscheidung zuständigen Senat für Handelssachen des Bezirksgerichts Dresden, wählen müssen.
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