Wiedereinsetzung: Überwachungspflicht des dem Abwickler der Kanzlei des Rechtsmittelanwalts erteilten Rechtsmittelauftrags; neues Vorbringen bei schlüssigem Wiedereinsetzungsantrag
Leitsatz
1. Eine generelle Absprache über die Annahme von Rechtsmittelaufträgen mit einem später aus der Anwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsmittelanwalt enthebt den Anwalt erster Instanz nicht seiner Verpflichtung, die Annahme eines dem Abwickler der verwaisten Kanzlei erteilten Rechtsmittelauftrags zu überwachen.
2. Enthält ein Wiedereinsetzungsantrag klar und nicht ergänzungsbedürftig erscheinendes Vorbringen, so daß für eine Aufklärung nach ZPO § 139 kein Anlaß besteht, ist nachgereichter neuer Vortrag nicht als bloße auch außerhalb der Frist des ZPO § 234 Abs 1 zulässige Erläuterung oder Vervollständigung bisherigen Vorbringens zu werten.
Orientierungssatz
1. Zitierungen zu Leitsatz 1: Abgrenzung BGH, 1988-07-11, II ZB 5/88, BGHZ 105, 116 und BGH, 1991-06-20, VII ZB 18/90, MDR 1991, 1096.









vorgehend LG Frankfurt, 19. Juni 1991, 3/3 O 211/90
Vergleiche BFH 10. Senat, 14. Oktober 1998, X R 87/97
Vergleiche BAG 4. Senat, 11. Januar 1995, 4 AS 24/94
Vergleiche BFH 5. Senat, 28. April 1994, V R 137/92
Vergleiche BGH 12. Zivilsenat, 9. März 1994, XII ZB 2/94
Abgrenzung BGH 2. Zivilsenat, 11. Juli 1988, II ZB 5/88
Gründe
I.
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Das Landgericht hat die Wechselklage des Klägers über 90.000 DM abgewiesen. Gegen das am 19. Juli 1991 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16. September 1991 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Seine Anwälte erster Instanz K. und R. hätten seinen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Dr. G. als amtlich bestellten Abwickler der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. B. mit Schreiben vom 6. August 1991 beauftragt, gegen das Urteil des Landgerichts Berufung einzulegen. Dr. B., der zum 30. Juli 1991 aus der Anwaltschaft ausgeschieden sei, habe sich im März 1991 in einer generellen Absprache verpflichtet, Rechtsmittelaufträge der Rechtsanwälte K. und R. vorbehaltlich einer unverzüglich mitzuteilenden Interessenkollision anzunehmen und auszuführen. Infolge eines Versehens im Büro seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten sei der Rechtsmittelauftrag nicht rechtzeitig ausgeführt worden.
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Mit Beschluß vom 2. Oktober 1991 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, da die Rechtsanwälte K. und R. an der Versäumung der Berufungsfrist ein Verschulden treffe: Sie hätten die Bestätigung ihres Rechtsmittelauftrags durch Rechtsanwalt Dr. G. nicht überwacht. Eine solche Überwachung sei trotz der mit Dr. B. getroffenen Absprache erforderlich gewesen, da Dr. G. daran nicht gebunden gewesen sei.
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Mit der gegen diesen Beschluß gerichteten sofortigen Beschwerde trägt der Kläger vor: Die Absprache vom März 1991 sei zwischen den Rechtsanwälten R. und Dr. G. getroffen worden und nur formal mit Dr. B. zustandegekommen, da Dr. G., der seine Praxis bis Ende Juli 1991 mit Dr. B. gemeinsam ausgeübt habe, beim Oberlandesgericht noch nicht zugelassen gewesen sei. Anfang August 1991 hätten die Rechtsanwälte R. und Dr. G. die Fortgeltung dieser Absprache vereinbart.
II.
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Die nach §§ 519 b Abs. 2, 238 Abs. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers treffe an der Versäumung der Berufungsfrist ein Verschulden (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO), ist auf der Grundlage des im Wiedereinsetzungsantrag enthaltenen Vorbringens rechtlich nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, erschöpft sich bei der Erteilung von Rechtsmittelaufträgen die Sorgfaltspflicht des beauftragenden Rechtsanwalts nicht in dem rechtzeitigen Absenden des Auftragschreibens. Er muß vielmehr auch dafür Sorge tragen, daß der beauftragte Rechtsanwalt den Auftrag innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt. Bleibt die Bestätigung - wie hier - aus, muß der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist rückfragen. Einer solchen Rückfrage bedarf es allerdings grundsätzlich dann nicht, wenn zwischen den Anwälten beider Instanzen im Einzelfall oder allgemein abgesprochen ist, daß der Rechtsmittelanwalt Rechtsmittelaufträge annehmen und ausführen wird (BGHZ 105, 116, 117 f., 119 f.; BGH, Beschluß vom 20. Juni 1991 - VII ZB 18/90, MDR 1991, 1096).
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Nach diesen Grundsätzen hätte hier, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, eine rechtzeitige Rückfrage der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten bei Rechtsanwalt Dr. G. erfolgen müssen. Eine Absprache zwischen ihnen und Dr. G. über die Annahme und Ausführung von Rechtsmittelaufträgen bestand nach dem Vorbringen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag nicht. An die zwischen den Rechtsanwälten K. und R. einer- und Dr. B. andererseits getroffene Absprache vom März 1991 war Dr. G. bei Rechtsmittelaufträgen, die ihm - wie hier - als Abwickler der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. B. neu erteilt wurden, nicht gebunden. Als Abwickler hatte er die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln und laufende Aufträge fortzuführen. Zur Annahme neuer Aufträge war er - innerhalb von sechs Monaten nach seiner Bestellung - zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet (§ 55 Abs. 2 Satz 1 und 2 BRAO). Angesichts dessen hätten die erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Annahme ihres Rechtsmittelauftrags durch Rechtsanwalt Dr. G. überwachen müssen. Wäre das geschehen und nach Ausbleiben einer Bestätigung des Auftrags vom 6. August 1991 rechtzeitig Rückfrage gehalten worden, wäre das Versehen im Büro von Rechtsanwalt Dr. G. aufgedeckt und die am 19. August 1991 abgelaufene Berufungsfrist nicht versäumt worden.
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2. Der neue Vortrag des Klägers in der Beschwerdebegründung vermag das Verschulden seiner erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten nicht auszuräumen, denn er darf nicht berücksichtigt werden. Zwar kann nach § 570 ZPO eine Beschwerde auch auf neue Tatsachen gestützt werden. Bei einer Beschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden Beschluß ist aber zu beachten, daß alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden müssen (§§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO). Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, dürfen nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (st.Rspr.; vgl. BGH, Beschluß vom 14. Februar 1991 - VII ZB 8/90, BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Begründung 3; BGH, Beschluß vom 28. Februar 1991 - IX ZB 95/90, BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Begründung 4 jeweils m.w.Nachw.).
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Darum handelt es sich bei dem neuen Vortrag entgegen der Ansicht des Klägers nicht. Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags war nicht unklar und erschien in keinem Punkt ergänzungsbedürftig. Die Wiedergabe der Absprache über die Annahme und Ausführung von Rechtsmittelaufträgen zwischen Rechtsanwalt Dr. B. einer- und den Rechtsanwälten K. und R. andererseits deutete an keiner Stelle darauf hin, daß Rechtsanwalt Dr. G. daran beteiligt oder gebunden sein könnte. Für eine Aufklärung nach § 139 ZPO bestand für das Berufungsgericht kein Anlaß.
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3. Die sofortige Beschwerde war daher zurückzuweisen. Der Antrag des Klägers auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts ist damit gegenstandslos.
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