Voraussetzung für Zurückverweisung an Gericht erster Instanz; fehlender richterlicher Hinweis auf gegenteilige Rechtsansicht als Verfahrensmangel
Leitsatz
1. Zur Frage, wann das landgerichtliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel im Sinne des ZPO § 539 leidet.
Orientierungssatz
1. Schon im Ansatz verfehlt ist es, eine unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien in einen Verfahrensmangel umzudeuten. ZPO § 139 Abs 1 begründet richterliche Aufklärungs- und Hinweispflichten ausschließlich mit dem Ziel, die Parteien zur vollständigen Erklärung über alle erheblichen Tatsachen, zur Bezeichnung der Beweismittel und zur Stellung sachdienlicher Anträge zu veranlassen. Eine Pflicht des Gerichts, die Parteien auf seine Rechtsansichten hinzuweisen, um sich von ihnen eines Besseren belehren zu lassen, findet im Gesetz keine Grundlage.







vorgehend LG Düsseldorf, 2. Februar 1989, 3 O 382/88


Tatbestand
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Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 1) auf Schadensersatz wegen fehlerhafter steuerlicher Beratung in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Der Beklagte zu 1) war seit Ende 1980 für die Klägerin als Steuerberater tätig und erstellte für sie unter anderem die Jahresabschlüsse sowie die Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen.
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Die Klägerin deckte ihren Fremdfinanzierungsbedarf zum größten Teil mit Wechselkrediten. Dabei handelte es sich um Solawechsel der S.-Handelsbanken S.A. in L. mit regelmäßig vierteljährlicher Laufzeit. Bis zu einer Änderung dieses Finanzierungssystems im Jahre 1984 wurde der Wechselkredit unabhängig von der Laufzeit der einzelnen Wechsel stets dadurch aufrechterhalten, daß fällige Wechsel durch die Begebung neuer Wechsel ersetzt wurden.
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Bei der Veranlagung der Klägerin zur Gewerbesteuer wurden die Wechselverbindlichkeiten als Dauerschulden behandelt. Der endgültigen Festsetzung der Gewerbesteuer ging eine steuerliche Außenprüfung voraus, deren Schlußbesprechung am 29. Juli 1986 stattfand.
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Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 1) vor, er habe es versäumt, sie auf die steuerlichen Nachteile der von ihr gewählten Art der Wechselfinanzierung hinzuweisen, und hält ihn für verpflichtet, ihr den daraus entstandenen steuerlichen Schaden zu ersetzen.
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Der Beklagte zu 1) ist dem Schadensersatzanspruch der Klägerin entgegengetreten und hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben.
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Die Klägerin hat bereits am 27. Dezember 1984 gegen den Beklagten zu 1) und die frühere Beklagte zu 2) einen Mahnbescheid über eine Schadensersatzforderung von 102.000 DM erwirkt. Diesem Mahnbescheid haben die Beklagten widersprochen. Die Klägerin hat das Verfahren am 8. Juli 1988 aufgenommen und vor dem Landgericht die Verurteilung beider Beklagter als Gesamtschuldner zunächst zur Zahlung von 205.000 DM nebst Zinsen und sodann unter teilweiser Klagerücknahme zur Zahlung von 105.500 DM nebst Zinsen beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht hinsichtlich der früheren Beklagten zu 2) zurückgewiesen. Hinsichtlich des Beklagten zu 1) hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision wendet der Beklagte zu 1) sich gegen das Berufungsurteil, soweit darin zu seinem Nachteil erkannt wurde, und erstrebt insoweit die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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I. Der Beklagte zu 1) ist durch die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beschwert und kann das Berufungsurteil deshalb mit der Revision anfechten (vgl. BGHZ 18, 107, 108; 31, 358, 361; BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 - IX ZR 35/82, NJW 1984, 495 m.w.Nachw.; Senatsurteil vom 29. Mai 1990 - XI ZR 91/89).
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Die Revision ist auch begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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II. Ein wesentlicher Mangel des landgerichtlichen Verfahrens, wie er nach § 539 ZPO Voraussetzung für die vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung ist, liegt nicht vor.
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1. a) Soweit das Landgericht eine Verletzung von Beratungspflichten durch den Beklagten zu 1) verneint hat, sieht das Berufungsgericht einen wesentlichen Verfahrensmangel darin, daß das Landgericht das Vorbringen und die Beweisangebote der Klägerin zu Art und Umfang der Tätigkeit des Beklagten zu 1) übergangen habe. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
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b) Die Frage, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO vorliegt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann vom Standpunkt des erstinstanzlichen Richters aus zu beurteilen, wenn dieser verfehlt ist (BGHZ 18, 107, 109, 110; 31, 358, 362; 86, 218, 221; BGH, Urteile vom 11. Juli 1985 - I ZR 145/83, NJW 1986, 133; vom 4. Februar 1986 - VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437; vom 14. März 1988 - II ZR 302/87, WM 1988, 1031; Senatsurteil vom 29. Mai 1990 - XI ZR 91/89). Für die Beurteilung der Frage der Beratungspflicht durch das Landgericht waren erkennbar tragend zum einen seine Ansicht, daß die hier geltend gemachte Beratungspflicht ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarung bedurft hätte, und zum anderen seine Erwägung, daß wegen eines Hinweises der A. T. GmbH gegenüber der Klägerin und ihrer Muttergesellschaft sowie entsprechender Ausführungen in Informationsbriefen des Beklagten zu 1) eine besondere Beratung in dem hier interessierenden Punkt überflüssig war. Es kann offen bleiben, ob diese Ausführungen des Landgerichts rechtlicher Überprüfung standhalten. Sie lassen es jedenfalls folgerichtig erscheinen, daß das Landgericht dem vom Berufungsgericht für erheblich gehaltenen Vorbringen der Klägerin keine Bedeutung beigemessen hat. Damit liegt kein Verfahrensfehler, sondern allenfalls ein Fehler in der materiell-rechtlichen Beurteilung vor.
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2. a) Das Landgericht hat seine klagabweisende Entscheidung auch damit begründet, daß etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin verjährt seien. Das Berufungsgericht hält die Ansicht des Landgerichts, daß die Verjährungsfrist hier schon vor dem Zeitpunkt der Schlußbesprechung der steuerlichen Außenprüfung zu laufen begonnen habe, für unrichtig. Einen Mangel des landgerichtlichen Verfahrens sieht das Berufungsgericht darin, daß das Landgericht den Parteien keine Gelegenheit zur Äußerung zu seinem Rechtsstandpunkt gegeben habe. Nach der Ansicht des Berufungsgerichts ist dieser angebliche Verfahrensmangel auch entscheidungserheblich, weil die Parteien bei hinreichender Gelegenheit zur Äußerung das Landgericht veranlaßt hätten, die Frage der Verjährung anders zu entscheiden.
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b) Auch diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Es ist schon im Ansatz verfehlt, eine - wirklich oder vermeintlich - unrichtige Rechtsansicht des Erstrichters auf dem Umweg über eine angebliche Hinweispflicht gegenüber den Parteien in einen Verfahrensmangel umzudeuten. § 139 Abs. 1 ZPO begründet richterliche Aufklärungs- und Hinweispflichten ausschließlich mit dem Ziel, die Parteien zur vollständigen Erklärung über alle erheblichen Tatsachen, zur Bezeichnung der Beweismittel und zur Stellung sachdienlicher Anträge zu veranlassen. Eine Pflicht des Gerichts, die Parteien auf seine Rechtsansichten hinzuweisen, um sich von ihnen eines Besseren belehren zu lassen, findet im Gesetz keine Grundlage.
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Im übrigen bestand, wie die Revision mit Recht rügt, für das Landgericht auch deshalb kein Anlaß, den Parteien durch besondere Hinweise Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage des Verjährungsbeginns zu geben, weil beide Parteien ihre unterschiedlichen Rechtsansichten zu dieser Frage bereits dargelegt hatten. Die Klägerin hatte schon in ihrem Schriftsatz vom 1. Juli 1988 und danach besonders ausführlich in ihrem undatierten, am 7. November 1988 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz ausgeführt, warum sie den Zeitpunkt der Schlußbesprechung der Außenprüfung als Beginn der Verjährungsfrist ansah. Die Beklagten hatten in ihren Schriftsätzen vom 29. September 1988 und vom 5. Dezember 1988 die schließlich vom Landgericht geteilte Ansicht vertreten.
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III. Das Berufungsurteil konnte somit keinen Bestand haben und mußte aufgehoben werden.
Permalink
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