Sittenwidrigkeit eines Kredit zur Ablösung anderer Darlehen
Leitsatz
Zur Sittenwidrigkeit eines Kredits, der überwiegend der Ablösung eines früheren zu weitaus günstigeren Bedingungen gewährten Darlehens bei einer anderen Bank dient und zum Schadensersatzanspruch aus c.i.c. wegen unterbliebener Aufklärung über die Nachteile der Umschuldung.
Orientierungssatz
Zitierungen: Festhaltung BGH, 5. November 1987, III ZR 98/86; BGH, 7. Dezember 1989, III ZR 276/88 und BGH, 20. Februar 1990, XI ZR 195/88.












vorgehend LG Duisburg, 9. Februar 1989, 8 O 104/88


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Jäger, 8. Auflage 2017, § 655c BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 138 BGB
Festhaltung BGH 3. Zivilsenat, 7. Dezember 1989, III ZR 276/88
Festhaltung BGH 3. Zivilsenat, 5. November 1987, III ZR 98/86
Tatbestand
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Die B. K. AG (im folgenden: B.) gewährte dem Beklagten durch Vertrag vom 22. Januar 1982 einen Ratenkredit zu folgenden Bedingungen:
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Nettokredit 40.000,00 DM
Vermittlungsgebühr 2.000,00 DM
zu finanzierender Betrag 42.000,00 DM
Kreditgebühren, 0,99% pro Monat bei 120 Monaten Laufzeit 49.896,00 DM
Bearbeitungsgebühr 3% 1.260,00 DM
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Gesamtbelastung somit 93.156,00 DM
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Der Kredit sollte mit einer Rate in Höhe von 693 DM und 119 Monatsraten in Höhe von je 777 DM getilgt werden.
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Am 25. Januar 1982 wurde der Nettokredit ausbezahlt, und zwar in Höhe von 9.223,90 DM an den Beklagten und in Höhe von 30.776,10 DM an die W. Teilzahlungsbank eG zur Ablösung eines Ratenkredites, den der Beklagte im Jahre 1980 dort aufgenommen hatte.
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Da der Beklagte seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkam, kündigte die Rechtsnachfolgerin der B., die M. Kreditbank (im folgenden: M.) den Darlehensvertrag zum 7. März 1987 und beanspruchte einen Betrag in Höhe von 63.107,94 DM. Sie trat die Forderung an die Klägerin ab, die mit der Klage insgesamt 65.774,30 DM geltend macht. Der Beklagte ist der Ansicht, der Kreditvertrag sei sittenwidrig.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat ihn das Oberlandesgericht zur Zahlung von 41.847,85 DM nebst Zinsen abzüglich einiger bezahlter Einzelbeträge verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Der Kreditvertrag sei nicht nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Es fehle bereits an einem auffälligen Mißverhältnis zwischen Leistungen und Gegenleistungen. Der Vertragszins (23,29%) überschreite den Marktzins (14,36%) absolut um 8,93% und relativ lediglich um 62,19%. Bei dieser weit unter der kritischen Grenze von 90% liegenden Zinsüberschreitung könnten auch die in den AGB der B. enthaltenen belastenden Regelungen nicht zur Sittenwidrigkeit führen. Ebensowenig reiche hierfür der Umstand, daß 76,9% der Nettokreditsumme zur Ablösung eines lediglich mit 14,94% zu verzinsenden Vorkredites verwendet werden sollten. Auch die Bedingungen einer Umschuldung müßten stets im Zusammenhang mit dem Grad der Zinsüberschreitung gesehen werden. Bei den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher als sittenwidrig angesehenen Umschuldungskrediten habe der Zinsunterschied zwischen Vertragszins und Marktzins 88,6% und 83,72% betragen (BGH NJW 1988, 818f.; 1659f.). Darin liege ein deutlicher Unterschied zu dem hier vorliegenden Fall mit einem Zinsunterschied von lediglich 62,19%. Bei dieser Marktzinsüberschreitung, die zwar deutlich, aber doch für sich gesehen weit von der Grenze zur Sittenwidrigkeit entfernt sei, könne auch eine wirtschaftlich unvertretbare Umschuldung in der Regel nicht als sittenwidrig beurteilt werden.
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Aus dem wirksamen Darlehensvertrag schulde der Beklagte noch 68.103,41 DM. Diesem Anspruch stehe jedoch in Höhe von 26.255,56 DM die Einrede der Arglist entgegen, so daß sich die Schuld des Beklagten auf 41.847,85 DM ermäßige.
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Die M. sei dem Beklagten gegenüber nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluß zum Schadensersatz in Höhe der oben genannten Summe verpflichtet, weil der Kreditvermittler, dessen Verschulden sie sich nach § 278 BGB anrechnen lassen müsse, die ihr obliegenden Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit der Ablösung des Vorkredits verletzt und dadurch den Beklagten in der genannten Höhe geschädigt habe. Die Klägerin müsse den Beklagten von den Nachteilen freistellen, die er durch die Umschuldung erlitten habe. Sie müsse ihn so stellen, wie er stehen würde, wenn er den alten W.-Kredit fortgeführt und wegen seines zusätzlichen Kreditbedarfes einen neuen Barkredit in Höhe von 9.223,90 DM bei der Klägerin aufgenommen hätte. Dabei ergebe sich der oben genannte Betrag.
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II. Diese Ausführungen lassen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten nicht erkennen.
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1. Objektiv gehört zum Tatbestand des wucherähnlichen Ratenkreditgeschäftes nach der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat und von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Die wichtigste Bewertungsgrundlage ist dabei ein Vergleich des effektiven Vertragszinses mit dem marktüblichen Effektivzins (BGHZ 104, 102, 104; Senatsurteil vom 20. Februar 1990 - XI ZR 195/88, NJW 1990, 1597).
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a) Nach der Berechnung des Berufungsgerichts überstieg hier der Vertragszins mit 23,29% den Marktzins von 14,36% absolut um 8,93%, relativ um 62,19%. Diese Berechnung wird von den Parteien nicht angegriffen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
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b) Den relativen Zinsunterschied von 62,19% hat das Berufungsgericht zu Recht nicht als ausreichend angesehen, um einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB anzunehmen. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist grundsätzlich erst dann zu bejahen, wenn der Vertragszins den Marktzins um etwa 100% überschreitet (BGH NJW 1990, 1597 m.w.Nachw.). Da es sich hierbei nicht um eine starre Grenze, sondern nur um einen Richtwert handelt, kann die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auch noch gerechtfertigt sein, wenn die relative Zinsdifferenz zwischen 90% und 100% liegt und die von der Bank festgelegten Kreditbedingungen die Belastung des Kreditnehmers ins Untragbare steigern. Bei einem relativen Zinsunterschied von weniger als 90% ist ein auffälliges Mißverhältnis dagegen regelmäßig zu verneinen (BGH aaO m.w.Nachw.). Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß der hier weit unter der kritischen Grenze von 90% liegende Zinsunterschied von nur 62,19% auch unter Berücksichtigung der in mehreren Punkten gegen das AGBG verstoßenden weiteren Darlehensbedingungen der B. nicht ausreicht, um den gesamten Vertrag als sittenwidrig erscheinen zu lassen (vgl. BGH aaO m.w.Nachw.).
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c) Dem absoluten Zinsunterschied von 8,93% kommt ebenfalls kein entscheidendes Gewicht zu. Erst eine absolute Zinsdifferenz von (etwa) 12% hat eine ähnliche Richtwertfunktion wie der relative Unterschied von 100% (Senatsurteil vom 13. März 1990 - XI ZR 252/89, WM 1990, 669/670 = BGHZ 110, 336).
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2. Auch der Umstand, daß der Kredit überwiegend der Ablösung eines früheren, zu weitaus günstigeren Bedingungen gewährten Darlehens bei einer anderen Bank diente, hat im vorliegenden Fall nicht die Sittenwidrigkeit des neuen Kredits zur Folge.
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a) Bei der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB hat der Bundesgerichtshof auch der Tatsache, daß ein Kredit zu wesentlichen Teilen der externen Umschuldung diente, wesentliche Bedeutung beigemessen. Eine solche Umschuldung ist zwar nicht grundsätzlich zu mißbilligen. Die Bank hat ein berechtigtes Bedürfnis, alleinige Gläubigerin zu sein und an vorhandenen Sicherungen nicht nur letztrangig teilzuhaben. Dem Kreditnehmer verschafft die Umschuldung die Möglichkeit, die Tilgung seiner Schulden zeitlich zu strecken, um so einen zusätzlichen Kredit zu erhalten, ohne wesentlich höhere Monatsraten zahlen zu müssen (vgl. BGHZ 104, 102, 106). Dem sind jedoch die Nachteile gegenüberzustellen, die dem Kreditnehmer aus der Umschuldung erwachsen und die insbesondere aus den höheren Kreditkosten bestehen. Eine Bank darf ihr Anliegen, durch Umschuldung alleinige Gläubigerin ihres Kreditnehmers zu werden, nicht ohne Rücksicht auf dessen wirtschaftliche Belange durchsetzen. Wird das neue Darlehen zu Bedingungen angeboten, die so deutlich hinter den Konditionen des Vorkredites zurückbleiben, daß die Ablösung zu wirtschaftlich unvertretbaren Nachteilen des Kreditnehmers führt, so kann sich das Umschuldungsverlangen der Bank - insbesondere wenn sie den Kunden nicht über die Nachteile der Umschuldung aufklärt - als unangemessen erweisen. Dieser Umstand ist bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 5. November 1987 - III ZR 98/86, NJW 1988, 818/819; BGH, Urteil vom 7. Dezember 1989 - III ZR 276/88, NJW 1990, 1048/1049; Senatsurteil vom 20. Februar 1990, NJW 1990, 1597/1598).
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b) Im vorliegenden Fall hat der Beklagte für den erstrebten Zusatzkredit von nur 9.223,90 DM einen offenen Restkredit von über 30.000 DM ablösen und die damit verbundenen hohen Umschuldungskosten in Kauf nehmen müssen. Er akzeptierte außerdem für den neuen Gesamtkredit einen Effektivzins, der um 55,9% über demjenigen des abgelösten Kredits und um 62,19% über dem Marktzins lag. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte, der im Verhältnis zu seinem Einkommen bereits hoch verschuldet war und keine weiteren Sicherheiten mehr bieten konnte, einen nicht unerheblichen Zusatzkredit erhielt, während sich seine monatliche Belastung lediglich um 18 DM erhöhte. Dies war nur durch eine doppelt so lange Laufzeit des Gesamtkredits - mit entsprechenden Zusatzkosten - möglich. Hinzu kommt, daß nicht sicher war, ob der günstige Zinssatz des Vorkredits für die gesamte Laufzeit des abzulösenden Darlehens gelten würde. Nach den Kreditbedingungen hatte der Darlehensgeber das Recht, den Zinssatz jederzeit an die veränderten Verhältnisse des Kapitalmarkts anzupassen. In der Zeit seit der Bewilligung des Vorkredits war aber das Zinsniveau gestiegen; der Schwerpunktzins hatte sich von 0,60 auf 0,67 - also relativ um über 10% - erhöht. Daß der Vertragszins des Vorkredits bis zur Ablösung tatsächlich nicht angepaßt worden war, ändert nichts an der Ungewißheit über seine Beständigkeit in dem hier maßgebenden Zeitpunkt der Umschuldung.
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Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen entscheidend darauf abgestellt hat, daß in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof bisher die Sittenwidrigkeit des Neukredits bei einer externen Umschuldung bejaht hat, die Überschreitung des Marktzinses und des Vertragszinses für den Vorkredit mit über 80% wesentlich höher lag als hier, so ist das auch unter Berücksichtigung der zusätzlich belastenden Kreditbedingungen für den Folgekredit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Nicht die Steigerung der Gesamtkreditkosten allein, sondern die Verbindung mit dem von der kreditgebenden Bank festgelegten hohen Vertragszins verleiht dem Kreditvertrag insgesamt das Gepräge der Sittenwidrigkeit (BGH NJW 1988, 818/819). Es darf nicht übersehen werden, daß auch bei Verneinung der Sittenwidrigkeit sachgerechte Lösungen im Einzelfall durch Zubilligung eines die nachteiligen Folgen der Umschuldung ausgleichenden Schadensersatzanspruchs möglich sind und deshalb eine Begrenzung des Sittenwidrigkeitsverdikts auf besonders schwerwiegende Fälle der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit hinnehmbar erscheint.
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3. Bei der Berechnung der Höhe des Schadensersatzanspruchs wegen unterbliebener Aufklärung über die Nachteile der Umschuldung ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß der Beklagte bei pflichtgemäßem Verhalten der B. den erstrebten Zusatzkredit aufgenommen hätte. Entgegen der Ansicht der Revision lag insoweit die Darlegungs- und Beweislast für das Gegenteil beim Beklagten. Er hatte sich nicht an die Kreditgeberin des Vorkredits, sondern an den Kreditvermittler der B. gewandt, um einen weiteren Kredit in Höhe des ihm dann tatsächlich ausgezahlten Barbetrages zu erhalten. Eine schuldhafte Pflichtverletzung der B. liegt allein darin, daß sie ihn nicht über die Nachteile der von ihr verlangten Umschuldung belehrt hat. Hätte sie angesichts der dadurch entstehenden erheblichen Zusatzkosten von vornherein auf die Ablösung des Vorkredits verzichtet und das begehrte Zusatzdarlehen zu Monatsraten gewährt, die dem Beklagten tragbar erschienen, so hätte keine Belehrungspflicht bestanden. Die Klägerin ist deshalb darlegungs- und beweispflichtig nur insoweit, als sie behauptet, der Beklagte hätte bei gehöriger Aufklärung auch in die Ablösung des Vorkredits eingewilligt.
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4. Die fiktiven Kosten des Zusatzkredits hat das Berufungsgericht mit Recht auf der Grundlage des mit der B. vereinbarten Zinssatzes berücksichtigt. Für einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Marktzins und den vereinbarten Kreditkosten hinsichtlich des Zusatzdarlehens (vgl. dazu Senatsurteil vom 3. April 1990 - XI ZR 261/89, WM 1990, 918, 920 aE m.w.Nachw.) war entgegen der Auffassung des Beklagten kein Raum. Die schuldhaft verletzte Aufklärungspflicht ist ausschließlich durch das unangemessene Verlangen nach Ablösung des Vorkredits ausgelöst worden. Der durch ihre Verletzung verursachte Schaden beschränkt sich auf die Mehrkosten der Umschuldung.
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5. Die Berechnung des ihm zugebilligten Schadensersatzanspruchs im einzelnen wird vom Beklagten nicht angegriffen. Rechtsfehler zu seinem Nachteil sind insoweit auch nicht ersichtlich.
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