Sittenwidrige Mitwirkung an Vertragspflichtverletzung eines Dritten: Vollstreckung der kreditgebenden Bank in ein Grundstück bei bestehendem Rückübereignungsanspruch eines Dritten; Drittwiderspruchsrecht bei durch Vormerkung gesichertem schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch
Leitsatz
1. Die Mitwirkung an der Verletzung vertraglicher Pflichten Dritter begründet für sich allein nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Ein solcher Vorwurf ist nur gerechtfertigt, wenn schwerwiegende Verstöße gegen das Anstandsgefühl vorliegen, die - wie etwa das kollusive Zusammenwirken mit dem Vertragsschuldner gerade zur Vereitelung der Ansprüche des betroffenen Vertragsgläubigers - mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar sind.
2. Ein schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch begründet auch dann kein Widerspruchsrecht, wenn er durch eine Vormerkung gesichert ist.
Orientierungssatz
1. Aus den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung läßt sich eine unter BGB § 826 zu subsumierende sittliche Verpflichtung der Banken zu Nachforschungen über möglicherweise nachteilige Drittwirkungen ihrer Kreditentscheidungen nicht herleiten.
2. Zitierungen zu Leitsatz 1: Fortführung BGH, 1981-06-02, VI ZR 28/80, NJW 1981, 2184; BGH, 1989-06-12, II ZR 334/87, WM IV 1989, 1335 und BGH, 1992-04-01, IV ZR 332/90, NJW 1992, 2152.













vorgehend LG Hanau, 13. Juli 1988, 1 O 1091/87
Dietrich Rünker, EWiR 1994, 249-250 (Anmerkung)


Lutz Michalski, WuB IV A § 826 BGB 2.94 (Anmerkung)
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Stamm, 8. Auflage 2017, § 883 BGB
Fortführung BGH 2. Zivilsenat, 12. Juni 1989, II ZR 334/87
Fortführung BGH 6. Zivilsenat, 2. Juni 1981, VI ZR 28/80
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer Briefgrundschuld durch die beklagte Bank.
- 2
Im Jahre 1973 erwarb der Kläger in St. ein bebautes Grundstück, das er seiner späteren Ehefrau übertrug. Diese wurde am 5. März 1974 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Nach ihrer Eheschließung stellten der Kläger und seine damalige Ehefrau in einem notariell beurkundeten Vertrag vom 27. Dezember 1974 klar, daß die Ehefrau des Klägers für das Grundstück in St. 1/6 des Verkehrswertes aufgewendet habe, während die übrigen 5/6 aus Mitteln des Klägers stammten. Für den Fall der Scheidung der Ehe verpflichtete sich die Ehefrau des Klägers, das auf ihren Namen eingetragene Grundstück gegen Zahlung von 1/6 des Verkehrswertes an den Kläger zurückzuübereignen.
- 3
Im Juni 1979 trennte sich der Kläger von seiner Ehefrau. Diese bestellte kurz danach ohne Wissen des Klägers an dem Grundstück drei Eigentümergrundschulden über je 100.000 DM; sie wurden am 27. August 1979 im Grundbuch eingetragen. Am 8. Dezember 1980 trat die Ehefrau des Klägers die Eigentümergrundschulden an ihren Schwager Dr. S. ab. Am 23. Oktober 1981 leitete der Kläger das Scheidungsverfahren gegen seine Ehefrau ein. Am 10. Dezember 1981 wurde eine vom Kläger erwirkte Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen.
- 4
Im Januar 1981 hatte sich die Rechtsanwältin und Notarin K. im Auftrag der Ehefrau des Klägers wegen eines Kredites in Höhe von 300.000 DM an ein Vorstandsmitglied der Beklagten gewandt. Die Kreditzusage wurde am 8. Februar 1982 erteilt. Als Sicherheit diente die Abtretung der Grundschulden in Höhe von 300.000 DM an die Beklagte. Da die Grundschulden bei der angenommenen Beleihungsgrenze des Grundstückes (250.000 DM) und wegen verschiedener Vorlasten als Sicherheit nicht ausreichten, wurde außerdem aus der ausbezahlten Kreditsumme ein Festgeldkonto in Höhe von 150.000 DM gebildet und der Beklagten verpfändet. Die Zinsen wurden vierteljährlich dem Kreditkapital zugeschlagen. Da die Ehefrau des Klägers keine Rückzahlungen leistete, erhöhte sich der Schuldsaldo bei der Beklagten.
- 5
Am 23. Februar 1984 wurde die Ehe des Klägers geschieden. Die frühere Ehefrau des Klägers wurde verurteilt, das Grundstück in St. an den Kläger zu übereignen. Die Beklagte kündigte die der früheren Ehefrau des Klägers gewährten Kredite und leitete - gestützt auf eine der Grundschulden - das Zwangsversteigerungsverfahren ein.
- 6
Der Kläger behauptet: Seine frühere Ehefrau habe ihn durch die Bewilligung der Grundschulden schädigen wollen. Die Beklagte habe davon gewußt und habe zusammen mit Dr. S. und Rechtsanwältin K. dabei zu seinen Lasten mitgewirkt. Er nimmt die Beklagte nach § 826 BGB in Anspruch und beantragt, die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld für unzulässig zu erklären.
- 7
Die Beklagte hat eingewendet, sie habe bei Bewilligung des Kredites nicht gewußt, daß die frühere Ehefrau des Klägers aufgrund des Vertrages vom 27. Dezember 1974 verpflichtet gewesen sei, das Grundstück im Fall der Scheidung zurückzuübereignen; von der Eintragung der Vormerkung habe sie erst später Kenntnis erhalten, das Kreditgeschäft mit der Ehefrau des Klägers sei in banküblicher Weise abgewickelt worden.
- 8
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
- 9
Die Revision ist begründet.
I.
- 10
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Klage sei begründet, weil die Vollstreckung der Beklagten sich gegenüber dem Kläger als unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 826, 830 Abs. 2 BGB darstelle. Das Gebrauchmachen von einer lediglich formalen Rechtsstellung stelle eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung dar. Die Beklagte habe sich bei der Gewährung des Kredits an die frühere Ehefrau des Klägers leichtfertig der Erkenntnis verschlossen, daß das Verhalten der Ehefrau des Klägers die Schädigung eines Dritten zur Folge haben könne. Einen wichtigen Anhaltspunkt hierfür sieht das Berufungsgericht in der jeder wirtschaftlichen Überlegung zuwiderlaufenden Gestaltung des Kreditvertrages mit der Aufspaltung in eine Barauszahlung und eine wirtschaftlich sinnwidrige Anlage des Restbetrages von 150.000 DM auf einem Festgeldkonto. Hinzu kämen weitere Umstände, die den Schluß nahelegten, daß es der Beklagten bei der Durchführung des Kreditvertrages nicht um die Ermittlung des Kreditbedarfes der früheren Ehefrau des Beklagten und die Einschätzung der Sicherungsmittel, sondern um den Erwerb der zur Sicherung dienenden Grundschulden gegangen sei: Unverständlich sei, daß die Beklagte bei der Bewilligung des Kredits nicht darauf bestanden habe, einen zeitnahen Grundbuchauszug zu erhalten. Sie hätte dann von der Auflassungsvormerkung zugunsten des Klägers erfahren. Ungewöhnlich sei außerdem, daß die Beklagte sich mit einer kursorischen Klärung des Grundstückswertes begnügt habe. Hinzu komme das Fehlen einer Bonitätsprüfung. Die einzige Erklärung für die Abweichung von der banküblichen Gestaltung sei, daß die Beklagte der damaligen Ehefrau des Klägers entgegenkommen wollte und sich trotz der zahlreichen warnenden Umstände leichtfertig der Erkenntnis verschlossen habe, daß diese Gestaltung gewählt worden sei, um ein bestimmtes wirtschaftliches Ergebnis zu erreichen.
- 11
Die Beklagte habe auch vorsätzlich gehandelt. Hierfür sei nicht erforderlich, daß sie im einzelnen gewußt habe, wer durch ihr Verhalten, insbesondere durch den Erwerb der Grundschulden als Sicherungsmittel, geschädigt werden könnte. Es genüge, daß sie die Richtung, in der sich ihr Verhalten zum Schaden anderer habe auswirken können, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorhergesehen und billigend in Kauf genommen habe. Da der für die Beklagte Handelnde dem naheliegenden Verdacht der Schädigung eines Dritten nicht nachgegangen sei, habe er sich dieser Erkenntnis leichtfertig verschlossen, was für die Annahme des Vorsatzes ausreiche.
II.
- 12
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 13
1. Ob das vom Berufungsgericht festgestellte Verhalten der Beklagten als sittenwidrig anzusehen ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (BGHZ 107, 92, 96; BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 - VI ZR 107/90, NJW 1991, 1046; MünchKomm/Mertens BGB § 826 Rdn. 104 jeweils m.w.Nachw.). Bereits in diesem Punkt erweist sich das Berufungsurteil als fehlerhaft.
- 14
2. Die Beklagte hat die Grundschulden vom formell Berechtigten auf Veranlassung der im Grundbuch eingetragenen Eigentümerin erworben. Die - der Beklagten im Erwerbszeitpunkt nicht bekannte - Auflassungsvormerkung zugunsten des Klägers stand der Abtretung der bereits vorher bestellten Grundschulden nicht entgegen (BGHZ 64, 316, 318). Ob die frühere Ehefrau des Klägers oder ihr Schwager mit der Bestellung und der Abtretung der Grundpfandrechte schuldrechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten verletzte, brauchte die Beklagte nicht zu prüfen. Vertragliche Ansprüche gehören nicht zu den Rechten, deren Verletzung für sich allein Deliktansprüche auslöst. Auch die Sittenordnung verpflichtet einen außenstehenden Dritten nicht dazu, im Konfliktsfall die eigenen Interessen denen der Vertragspartner unterzuordnen (BGH, Urteil vom 2. Juni 1981 - VI ZR 28/80, NJW 1981, 2184, 2185 m.w.Nachw.). Deshalb ist ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten nach § 826 BGB nicht schon dann gegeben, wenn er nur dabei mitwirkt, daß der schuldrechtlich Verpflichtete Ansprüche seines Gläubigers verletzt (BGH, Urteil vom 1. April 1992 - IV ZR 332/90, NJW 1992, 2152, 2153). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt eine sittenwidrige Mitwirkung des Dritten am Vertragsbruch nur dann vor, wenn in seinem Eindringen in die Vertragsbeziehungen ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Betroffenen hervortritt. Eine solche Rücksichtslosigkeit kann vor allem in dem kollusiven Zusammenwirken mit dem Vertragsschuldner gerade zur Vereitelung der Ansprüche des betroffenen Vertragsgläubigers liegen (BGH, Urteil vom 2. Juni 1981 aaO m.w.Nachw.). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist nur dann begründet, wenn es sich um schwerwiegende Verstöße gegen das Anstandsgefühl handelt; er stützt sich auf ein Vorgehen des Dritten, das mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist (BGH aaO, ähnlich BGH, Urteil vom 12. Juni 1989 - II ZR 334/87, WM 1989, 1335, 1339 unter III. für Pflichtenverstöße eines GmbH-Geschäftsführers).
- 15
3. Ein Verhalten der Beklagten, das diese Voraussetzungen erfüllt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
- 16
a) Es geht insbesondere nicht davon aus, daß der Beklagten die Absicht der früheren Ehefrau des Klägers, ihre Rückübereignungsverpflichtung auszuhöhlen, bekannt war. Nicht einmal die Kenntnis der Beklagten von dieser Verpflichtung steht fest. Das Berufungsgericht hält es vielmehr für ausreichend, daß die Beklagte sich leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, das Verhalten der Ehefrau des Klägers könnte irgendeine Schädigung eines nicht näher bestimmbaren Dritten zur Folge haben. Es vermißt Rückfragen zu den "wirtschaftlichen Hintergründen der Kreditaufnahme" sowie "eine Aufklärung der wirtschaftlichen Situation des Ehepartners der damals noch verheirateten Kreditnehmerin". Dabei übersieht es, daß ein Kreditinstitut derartige Informationen im eigenen Interesse einholt und es deshalb seiner Entscheidung überlassen bleiben muß, wie weit es dabei geht. Vermeintliche Nachlässigkeiten in diesem Bereich rücken das Verhalten der Bank selbst dann nicht in die Nähe eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kunden, wenn dessen Verhalten wirtschaftlich unsinnig und deshalb möglicherweise verdächtig erscheint. Aus den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung läßt sich eine unter § 826 BGB zu subsumierende sittliche Verpflichtung von Banken zu Nachforschungen über möglicherweise nachteilige Drittwirkungen ihrer Kreditentscheidungen nicht herleiten.
- 17
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war das Verhalten der Kreditnehmerin im übrigen keineswegs verdachterregend. Die Aufnahme eines Kredits unter Absicherung der Hälfte des Darlehens durch ein Festgeldguthaben ist nicht offensichtlich unsinnig und deshalb unverkennbarer Ausdruck einer Absicht der Schädigung Dritter. Derartige "Spiegelgeschäfte" werden nicht selten aus steuerlichen Erwägungen geschlossen. Die Kreditnehmerin hatte es ferner jederzeit in der Hand, das Festgeldguthaben durch Stellung einer anderen Sicherheit auszulösen, ohne in neue Kreditverhandlungen eintreten zu müssen. Solche Sicherheiten konnten durch die als Grund für die Kreditaufnahme angegebene Umschuldung freiwerden. Die absolute Differenz zwischen den Darlehens- und den Festgeldzinsen lag im übrigen nur bei 2%-Punkten. Die Abwicklung bewegte sich also in einem Rahmen, bei dem eine Verpflichtung der kreditgebenden Bank zu einem Hinweis auf mögliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der gewählten Kreditart nicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1989 - III ZR 269/87, WM 1989, 665, 666). Hier kam hinzu, daß die Kreditnehmerin bei den Verhandlungen durch eine Rechtsanwältin und Notarin vertreten war und die Beklagte deshalb von einer sachgerechten Entscheidung für eine Darlehensaufnahme zu den vereinbarten Konditionen ausgehen durfte.
III.
- 18
Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Die Klage ist nicht nach § 771 ZPO gerechtfertigt, da dem Kläger kein die Veräußerung hinderndes Recht zusteht. Er hatte nach dem mit seiner Ehefrau geschlossenen Vertrag vom 27. Dezember 1974 nur einen Anspruch auf Rückübereignung des Grundstückes im Falle der Ehescheidung. Dieser schuldrechtliche Verschaffungsanspruch begründet kein Widerspruchsrecht, auch dann nicht, wenn er durch eine Vormerkung gesichert ist (vgl. MünchKomm-ZPO/Schmidt § 771 Rdn. 39). Ein Treuhandverhältnis wurde durch den Vertrag nicht begründet, da mit der vertraglichen Rückübereignungsverpflichtung keine Übertragung der Besorgung fremder Vermögensangelegenheiten verbunden war.
IV.
- 19
Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden und das klageabweisende landgerichtliche Urteil wiederherstellen.
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