Wiedereinsetzung: Nichtstellen eines Fristverlängerungsantrags als zurechenbares Anwaltsverschulden
Orientierungssatz
1. Wenn eine Partei unbedingt Berufung einlegen läßt, sie aber innerhalb der Monatsfrist des ZPO § 519 Abs 2 noch nicht begründen, sondern die Entscheidung über ihr Prozeßkostenhilfegesuch abwarten will, kann und muß ihr Anwalt grundsätzlich durch einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dafür sorgen, daß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig ist.
vorgehend LG Bremen, 18. März 1992, 7 O 1680/91
Gründe
I.
- 1
Der Beklagte ist vom Landgericht durch Urteil vom 18. März 1992 zur Zahlung von 11.626,51 DM nebst Zinsen verurteilt worden. Gegen das ihm am 20. März 1992 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 15. April 1992 Berufung eingelegt. Am 15. Mai 1992 hat er für die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens Prozeßkostenhilfe beantragt und zur Begründung auf die beigefügte Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO und den - ebenfalls beigefügten - "Entwurf Berufungsbegründung" Bezug genommen.
- 2
Durch Beschluß vom 20. August 1992, zugestellt am 25. August 1992, hat das Oberlandesgericht den Prozeßkostenhilfeantrag des Beklagten abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen.
II.
- 3
Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten vom 8. September 1992 ist form- und fristgerecht eingelegt worden, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
- 4
1. Mit Recht hat das Berufungsgericht in dem - als Anlage des Prozeßkostenhilfeantrags eingereichten - Schriftsatz vom 15. Mai 1992 wegen seiner ausdrücklichen Bezeichnung als "Entwurf" keine Berufungsbegründung gesehen (vgl. BGH Beschlüsse vom 16. Oktober 1985 - VIII ZB 15/85 = VersR 1986, 91 und vom 7. Juni 1989 - VIII ZB 14/89 = VersR 1989, 862 Ls). Das erkennt auch der Beklagte in seiner Beschwerdebegründung ausdrücklich als richtig an.
- 5
2. Er wendet sich nur gegen die weitere Begründung des Berufungsgerichts, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist könne auch nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden, die Mittellosigkeit des Berufungsklägers sei nämlich dann kein Wiedereinsetzungsgrund, wenn - wie hier - das Rechtsmittel bereits eingelegt sei und die Partei einen Prozeßbevollmächtigten habe, der gewillt sei, für sie weiter tätig zu werden. Dagegen macht der Beklagte geltend: Nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils habe ihm sein Prozeßbevollmächtigter mit Schreiben vom 27. März 1992 vorgeschlagen, wegen der Kosten zunächst nur einen Prozeßkostenhilfeantrag zu stellen und einen Entwurf von Berufung und Berufungsbegründung beizufügen, mit der Durchführung des Berufungsverfahrens aber zu warten, bis das Oberlandesgericht im Prozeßkostenhilfeverfahren über die Erfolgsaussicht entschieden habe. Auf diesen Vorschlag habe der Beklagte zunächst nicht geantwortet, weil er sich wegen einer Erkrankung seines Vaters für drei Monate habe in die T. begeben müssen. Vor Ablauf der Berufungsfrist habe ein Wohngenosse des Beklagten - nach telefonischer Rücksprache - dem Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt, man möge zunächst einmal Berufung einlegen. Danach könne dem Prozeßbevollmächtigten nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe mehr tun müssen; sein Mandat habe sich vielmehr - ebenso wie im Fall der BGH-Entscheidung vom 19. Dezember 1962 - VIII ZR 258/62 = NJW 1963, 584 - weder auf die Einreichung einer Berufungsbegründung noch auf die Stellung eines Verlängerungsantrags für die Begründungsfrist erstreckt.
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Auch wenn man das Tatsachenvorbringen des Beklagten in der Beschwerdebegründung als glaubhaft gemacht ansieht, kann seiner rechtlichen Beurteilung nicht gefolgt werden. Dabei mag offenbleiben, ob die genannte Entscheidung des VIII. Zivilsenats vom 19. Dezember 1962 unter den damals gegebenen Umständen Zustimmung verdient. Hier jedenfalls hat das Berufungsgericht es zu Recht als ein - dem Beklagten zuzurechnendes - Versäumnis seines Prozeßbevollmächtigten gewertet, daß er nicht wenigstens einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt hat. Dazu war er, nachdem er in der geschilderten Weise beauftragt worden war, berechtigt und verpflichtet. Wenn eine Partei unbedingt Berufung einlegen läßt, sie aber innerhalb der Monatsfrist des § 519 Abs. 2 ZPO noch nicht begründen, sondern die Entscheidung über ihr Prozeßkostenhilfegesuch abwarten will, kann und muß ihr Anwalt grundsätzlich durch einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dafür sorgen, daß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig wird (BGH Urteil vom 19. Dezember 1962 aaO m.w.Nachw.). Aus einem solchen Antrag erwachsen der Partei, jedenfalls nach heutigem Kostenrecht, keine zusätzlichen Belastungen. Deshalb fehlt im vorliegenden Fall jeder Grund für die Annahme, nach dem Willen des Beklagten habe sein Prozeßbevollmächtigter die Berufung unbedingt einlegen, eine Verlängerung der Begründungsfrist aber nicht beantragen sollen.
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