Formularmäßige Erweiterung der persönlichen Mithaftung eines GmbH-Gesellschafters für einen limitierten Kontokorrentkredit der Gesellschaft auf künftige Überschreitungen und Überziehungen
Leitsatz
Übernimmt ein GmbH-Gesellschafter, der auf die Geschäftsführung keinen maßgeblichen Einfluß hat, die persönliche Mithaftung für eine Gesellschaftsschuld aus einem Kontokorrentkredit, für den im Zeitpunkt des Schuldbeitritts ein bestimmtes Limit vereinbart war, so verstößt eine formularmäßige Ausdehnung seiner Haftung auf alle späteren "Kreditüberschreitungen bzw Kontoüberziehungen" nicht nur gegen AGBG § 3, sondern auch gegen AGBG § 9 (iA an BGH, 1995-05-18, IX ZR 108/94, WM IV 1995, 1397).












vorgehend LG Bamberg, 26. November 1992, 1 O 82/92
Abgrenzung BGH 11. Zivilsenat, 24. Juni 1997, XI ZR 288/96
Anschluß Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 5. Zivilsenat, 10. April 1997, 5 U 179/95
Anschluß LG Bonn 9. Zivilkammer, 12. Februar 1996, 9 O 541/95




Jürgen Schröter, WuB I F 1 c Sonstige Mithaftung 1.96 (Anmerkung)
Tenor
Auf die Revision der Beklagten zu 3) wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 29. Juni 1994 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zu 3) zur Zahlung von mehr als 200.000 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Beklagte zu 3) (im folgenden: Beklagte) und ihr - später geschiedener - Ehemann, der frühere Beklagte zu 2), waren Gesellschafter einer GmbH, der früheren Beklagten zu 1). Als deren Geschäftsführer schloß der Ehemann im Mai 1988 mit der Klägerin, einer Sparkasse, einen Vertrag über einen Kontokorrentkredit bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM. Auf Verlangen der Klägerin unterzeichneten die Beklagte und ihr Ehemann am 30. Mai 1988 in ihrem Haus eine von der Klägerin vorbereitete Erklärung, nach der sie für den "Kredit zuzüglich Kreditüberschreitungen bzw. Kontoüberziehungen" die gesamtschuldnerische persönliche Mithaftung gemäß den Kreditvertragsbedingungen übernahmen. Im Dezember 1991 wurde die GmbH zahlungsunfähig; die Eröffnung eines Konkursverfahrens wurde mangels Masse abgelehnt. Deswegen kündigte die Klägerin den Kontokorrentkredit und verlangte Rückzahlung des Kontodebets von 386.350,29 DM. Gegen die GmbH und den Ehemann der Beklagten hat die Klägerin ein rechtskräftiges Versäumnisurteil erwirkt. Das Landgericht hat auch die Beklagte als Gesamtschuldnerin zur Zahlung des Kontosaldos nebst 10,85% Zinsen seit dem 11. Februar 1992 verurteilt. Ihre Berufung ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage, soweit damit mehr als 200.000 DM nebst Zinsen verlangt werden.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im Umfang der Anfechtung und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Das Berufungsgericht hat die Mitverpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung des Kontokorrentkredits dem Grunde nach zu Recht bejaht und alle Einwendungen, die auf eine völlige Befreiung von der übernommenen Mithaftung abzielen (Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB, Verstoß gegen § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO, Widerruf nach § 1 HWiG, Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB), nicht durchgreifen lassen, da deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Mit der Revision werden diese Einwendungen auch nicht mehr geltend gemacht.
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2. Die Revision greift das Berufungsurteil nur an, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, über den vereinbarten Kredithöchstbetrag von 200.000 DM nebst Zinsen hinaus weitere 186.350,29 DM nebst Zinsen zu zahlen.
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a) Das Berufungsurteil stützt sich insoweit auf die in der Mithaftungserklärung enthaltene Klausel, nach der die Mithaftung auch Kreditüberschreitungen bzw. Kontoüberziehungen umfaßt. Das Berufungsgericht meint, diese Haftungserweiterung sei verbindlich, selbst wenn die von der Klägerin formulierte Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung zu behandeln wäre: Da bei Kontokorrentkrediten die in Anspruch genommene Kreditsumme jeweils erst durch die Rechnungsabschlüsse bestimmt werde und es für die Bank geboten sein könne, eine Überschreitung der Kreditlinie zuzulassen, seien solche Klauseln nicht ungewöhnlich im Sinne des § 3 AGBG; wer für künftige Ansprüche einer Bank einstehen wolle, müsse mit einer solchen Klausel rechnen.
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b) Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
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aa) Das Berufungsgericht verweist zur Begründung seiner Auffassung auf ältere Urteile des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zum Bürgschaftsrecht. Das ist im Ansatz nicht zu beanstanden. Eine persönliche Mithaftung, die - wie hier - auf Verlangen des Kreditgebers zu dessen Sicherung von einem Dritten übernommen wird, steht in ihrer wirtschaftlichen Funktion einer Bürgschaft so nahe, daß auch dem erkennenden Senat eine rechtliche Gleichbehandlung in den hier streitigen Punkten sachgerecht erscheint.
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Im Bürgschaftsrecht hat der IX. Zivilsenat jedoch inzwischen seine bisherige Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle von Sicherungszweckerklärungen geändert (Urteil vom 18. Mai 1995 - IX ZR 108/94 = WM 1995, 1397). Im Anschluß an Urteile des V. und des XI. Zivilsenats zum Haftungsumfang einer Sicherungsgrundschuld (Nachweise aaO S. 1399/1400) hat der IX. Zivilsenat entschieden, daß bei einer Bürgschaft, die aus Anlaß der Gewährung eines bestimmten, betragsmäßig limitierten Kontokorrentkredits geleistet wird, eine AGB-Klausel, mit der die Bürgenhaftung auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners ausgedehnt wird, grundsätzlich überraschend im Sinne des § 3 AGBG ist (BGH aaO). Darüber hinaus hat der IX. Zivilsenat auch die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AGBG bejaht (aaO S. 1401). § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB bestimmt nämlich, daß die Bürgenverpflichtung nicht durch spätere Rechtsgeschäfte des Hauptschuldners erweitert werden kann; das Gesetz setzt damit eine summenmäßige Begrenzung der Bürgschaft als selbstverständlich voraus. Eine vertragliche Abänderung dieser Regelung mag bei Bürgen, die als Geschäftsführer, Allein- oder Mehrheitsgesellschafter der Hauptschuldnerin Art und Höhe der Verbindlichkeiten selbst bestimmen können, hinnehmbar sein. Hat ein Bürge aber keinen bestimmenden Einfluß auf die Entstehung und ordnungsgemäße Tilgung neuer Schulden der Gesellschaft, so ist die formularmäßige Ausdehnung seiner Haftung auf alle gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten mit der gesetzlichen Leitentscheidung des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zu vereinbaren (BGH aaO S. 1401). Sichert die Bürgschaft einen Kontokorrentkredit, so widerspricht es dem Vertragszweck, daß der Bürge auch für neue Kredite eintreten soll, die der Kreditgeber unter Überschreitung der im Zeitpunkt der Verbürgung abgesprochenen Kreditlinie ohne Zutun des Bürgen gewährt (BGH aaO S. 1402).
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bb) Diese Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall anwendbar. Zwar ist der Schuldbeitritt nicht gesetzlich geregelt; eine § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB entsprechende Vorschrift fehlt daher. Es ist jedoch anerkannt, daß sich die Schuld des Beitretenden grundsätzlich nach Inhalt und Beschaffenheit der Hauptschuld im Zeitpunkt des Beitritts bestimmt (BGB-RGRK/Weber 12. Aufl. § 425 Rdn. 2; Soergel/Zeiss 12. Aufl. vor § 414 BGB Rdn. 7). Übernimmt ein GmbH-Gesellschafter, der auf die Geschäftsführung der Gesellschaft keinen maßgeblichen Einfluß hat, die Mithaftung für eine Gesellschaftsschuld aus einem Kontokorrentkredit, für den im Zeitpunkt des Beitritts ein bestimmtes Limit vereinbart war, so widerspricht eine formularmäßige Ausdehnung seiner Haftung auf spätere "Kreditüberschreitungen bzw. Kontoüberziehungen" dem Verbot der Fremddisposition, das nicht nur für die Bürgschaft (vgl. BGH aaO S. 1401), sondern auch für den Schuldbeitritt vertragswesentlich ist. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn sich die Klausel - wie hier - nach der vom Berufungsgericht und vom Verwender selbst vertretenen extensiven Auslegung (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 1992 - XI ZR 151/91 = WM 1992, 395, 397; BGHZ 91, 55, 61) nicht auf vorübergehende Kontoüberziehungen im banküblichen Rahmen beschränken, sondern ohne Begrenzung Krediterweiterungen in beliebiger Höhe umfassen soll (vgl. zum Parallelfall einer Kontovollmachtsklausel: Senatsurteil vom 22. Januar 1991 - XI ZR 111/90 = WM 1991, 313, 314). Damit würde dem Mitschuldner ein unkalkulierbares Haftungsrisiko aufgebürdet. Die formularmäßige Vereinbarung einer solchen Haftungsausdehnung verstößt nicht nur gegen § 3 AGBG, sondern hält auch der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht stand (vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 1991 aaO).
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Die Nichtigkeit beschränkt sich, da die Mithaftungserklärung nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich teilbar ist (vgl. BGHZ 93, 29, 48/49 und BGH, Urteil vom 24. März 1988 - III ZR 21/87 = WM 1988, 607, 609, jeweils m.w.Nachw.), auf die Worte "zuzüglich Kreditüberschreitungen bzw. Kontoüberziehungen". Die Übernahme der Mithaftung im Umfang des damals zwischen Klägerin und GmbH vereinbarten Kontokorrentkredits, also bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM nebst Zinsen, bleibt wirksam.
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c) Eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat ist noch nicht möglich. Tatrichterliche Feststellungen, die eine Anwendung des AGB-Gesetzes rechtfertigen, fehlen bisher. Im Berufungsurteil wird nur ausgeführt, die vereinbarte Mithaftung auch für "Kreditüberschreitungen bzw. Kontoüberziehungen" sei selbst dann wirksam, "wenn sie als Formularklausel zu behandeln wäre". Damit ist offengeblieben, ob die Voraussetzungen des § 1 AGBG vorliegen. Unstreitig hat zwar die Klägerin die Haftungserweiterungsklausel formuliert. Geklärt werden muß aber noch, ob es sich nur um eine für den konkreten Vertragsschluß entworfene Regelung handelte oder um eine Klausel, die von der Klägerin bereits ständig benutzt wurde oder jedenfalls als Grundlage für gleichartige Rechtsverhältnisse aufgestellt worden war (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen AGBG 7. Aufl. § 1 Rdn. 21; BGH, Urteil vom 22. September 1987 - IX ZR 220/86 = WM 1987, 1430, 1431). Auf die Schreibart kommt es dabei nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AGBG nicht entscheidend an; auch Schreibmaschinentexte können die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG erfüllen (Senatsurteil vom 4. Oktober 1995 - XI ZR 215/94, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, zu II. 3. a). Die Zurückverweisung gibt auch den Parteien Gelegenheit, ihr Vorbringen zur Frage der Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes zu ergänzen, bevor das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen trifft.
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Sollte es sich danach nicht um eine AGB-Klausel, sondern um eine Individualvereinbarung handeln, so wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die von der Klägerin vertretene extensive Auslegung in diesem Fall mit § 157 BGB vereinbar ist oder ob die Beklagte davon ausgehen durfte, daß ihre persönliche Haftung sich im wesentlichen auf den Kreditrahmen von 200.000 DM nebst Zinsen beschränken und allenfalls vorübergehende bankübliche Kontoüberziehungen (vgl. Bruchner/Bunte Aktuelle AGB-rechtliche Fragen im Bankgeschäft S. 156/157 m.w.Nachw.), nicht aber eine Kreditausweitung auf über 386.000 DM, also fast das Doppelte, umfassen sollte. Für eine solche Auslegung spricht die Aussage des Zeugen S., er habe als Kreditsachbearbeiter der Klägerin im Gespräch mit der Beklagten den Vertrag erläutert und zum Ausdruck gebracht, daß sie mit ihrem ganzen Vermögen für den Kredit hafte; dabei sei davon gesprochen worden, daß die GmbH einen Kredit von 200.000 DM erhalte.
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