Anwaltsverschulden bei Versäumung der Revisionsfrist: Sorgfalts- und Kontrollpflichten des Revisionsanwalts und des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten
Orientierungssatz
1. Richtet sich ein Revisionsauftrag nur an einen beim Revisionsgericht zugelassenen Anwalt und überläßt dieser die Prüfung der Revisionsaussichten dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, trägt der Revisionsanwalt gleichwohl die Verantwortung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist. Er darf diese Aufgabe nicht zur selbständigen und eigenverantwortlichen Erledigung dem erstinstanzlichen Anwalt und dessen Kanzlei überlassen.
2. Hat der Rechtsmittelführer dagegen selbst seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beauftragt, das für eine rechtzeitige Revisionseinlegung Notwendige zu veranlassen, gehört es zu dessen unabdingbaren Verpflichtungen, durch die Einrichtung einer zuverlässigen Ausgangskontrolle dafür zu sorgen, daß das Auftragsschreiben an den Revisionsanwalt nicht nur rechtzeitig gefertigt und unterschrieben, sondern auch abgesandt wird.
Dazu bedarf es einer allgemeinen Anweisung an das mit der Fristenkontrolle beauftragte Büropersonal, die Eintragung im Fristenkalender erst zu streichen, wenn ein zur Fristwahrung nötiger Schriftsatz zumindest postfertig gemacht, dh mit einem ordnungsgemäß frankierten Umschlag versehen ist.
vorgehend LG Dresden, 10. März 1993, 45 O 282/92
Gründe
I.
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Das - die Klageabweisung bestätigende - Berufungsurteil ist dem Kläger am 23. September 1993 zugestellt worden. Seine Revision ist am 8. November 1993 beim Bundesgerichtshof eingegangen. Wegen der Versäumung der Revisionsfrist hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen:
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Seine zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte habe das Berufungsurteil sofort nach der Zustellung den Rechtsanwälten G. und H. übergeben, die ihn im ersten Rechtszug vertreten hatten. Sie hätten vereinbarungsgemäß den Lauf der Revisionsfrist überwacht. Die seit drei Jahren bei ihnen tätige Anwaltssekretärin Z. habe die Frist auf den 25. Oktober 1993 und die Vorfrist auf den 20. Oktober 1993 notiert. Am 29. September 1993 und am 20. Oktober 1993 hätten Besprechungen mit dem Kläger stattgefunden; in der zweiten habe er den Auftrag zur Einlegung der Revision erteilt. Rechtsanwalt H. habe sogleich ein Auftragsschreiben an die jetzigen Revisionsanwälte des Klägers diktiert und am 21. Oktober 1993 unterzeichnet. Obwohl die Anwaltssekretärin Z. die Weisung erhalten habe, das Schreiben danach abzuschicken, sei das aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterblieben. Erst am 2. November 1993 hätten die Rechtsanwälte G. und H. - bei einer Akteneinsicht aus anderem Anlaß - festgestellt, daß das Auftragsschreiben zur Einlegung der Revision mit einer Büroklammer lose auf das oberste Blatt geheftet in den Akten verblieben sei. Die im Kalender notierte Vorfrist habe die Anwaltssekretärin nach Fertigung und Unterzeichnung des Schreibens vom 21. Oktober 1993 gestrichen. Ebenso sei sie am 25. Oktober 1993 mit der Hauptfrist verfahren, ohne sich vorher - wie es der sonst üblichen Praxis und der detaillierten Arbeitsanweisung entsprochen hätte - noch einmal durch telefonische Rückfrage bei den mit der Revision beauftragten Anwälten über den Eingang zu vergewissern.
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Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger das Auftragsschreiben vom 21. Oktober 1993 und Versicherungen des Rechtsanwalts H. und der Anwaltssekretärin Z. vorgelegt.
II.
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Der Wiedereinsetzungsantrag nach § 233 ZPO ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, daß er ohne sein Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist des § 552 ZPO einzuhalten.
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Zwar haftet der Kläger nicht für Büroversehen, die einer sonst zuverlässigen Anwaltssekretärin unterlaufen. Zuzurechnen ist ihm aber jedes Verschulden des Anwalts, den er mit seiner Vertretung beauftragt hat.
- 6
1. Dem Vortrag des Klägers ist nicht eindeutig zu entnehmen, wen er nach Erlaß des Berufungsurteils beauftragt hat, die Revisionsaussichten zu prüfen und einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt mit der Einlegung des Rechtsmittels zu betrauen. Falls sich der Auftrag des Klägers nur an seine zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte richtete, trug sie die Verantwortung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist. Sie durfte diese Aufgabe nicht zur selbständigen und eigenverantwortlichen Erledigung den erstinstanzlichen Rechtsanwälten und deren Kanzlei überlassen; denn dadurch wurde es ihr unmöglich, selbst oder mit Hilfe ihrer Angestellten, wie es nach dem Gesetz ihre Aufgabe war, für die Wahrung der Revisionsfrist zu sorgen (BGH, Beschluß vom 7. Oktober 1955 - IV ZB 109/55 = LM § 232 ZPO Nr. 24). Es kommt dann nicht mehr darauf an, ob die Frist im Büro der erstinstanzlichen Anwälte schuldlos versäumt wurde; vielmehr ist ein Verschulden der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zu bejahen, aufgrund dessen die Wiedereinsetzung versagt werden muß (MünchKommZPO/Feiber § 232 Rdn. 59).
- 7
2. Hatte der Kläger dagegen selbst seine erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beauftragt, das für eine rechtzeitige Revisionseinlegung Notwendige zu veranlassen, so kommt es auf deren Verschulden an. Zu ihren unabdingbaren Verpflichtungen (MünchKommZPO/Feiber aaO Rdn. 95) gehörte es, durch die Einrichtung einer zuverlässigen Ausgangskontrolle dafür zu sorgen, daß das Auftragsschreiben an die Revisionsanwälte nicht nur rechtzeitig gefertigt und unterschrieben, sondern auch abgesandt wurde. Dazu bedurfte es einer allgemeinen Anweisung an das mit der Fristenkontrolle betraute Büropersonal, die Eintragung im Fristenkalender erst zu streichen, wenn ein zur Fristwahrung nötiger Schriftsatz zumindest postfertig gemacht, d.h. hier mit einem ordnungsgemäß frankierten Umschlag versehen war (BGH, Beschluß vom 28. Februar 1980 - III ZB 2/80 = VersR 1980, 554/555 und vom 28. November 1990 - XII ZB 19/90 = NJW 1991, 1178).
- 8
So ist die Anwaltssekretärin Z. hier nicht verfahren; sie hat vielmehr die Vorfrist gestrichen, obwohl das Auftragsschreiben an die Revisionsanwälte noch nicht postfertig gemacht worden war, sondern sich - an das oberste Blatt geklammert - noch bei den Akten befand.
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Daß die Rechtsanwälte G. und H. die zur Vermeidung eines solchen Versehens notwendigen allgemeinen Anordnungen über eine wirksame Ausgangskontrolle getroffen hatten, läßt sich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht entnehmen; darin aber waren gemäß § 236 Abs. 2 ZPO alle Umstände darzulegen, die für die Frage Bedeutung haben, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Fristversäumung gekommen ist (BGH, Beschluß vom 28. November 1990 aaO).
- 10
Es reicht nicht aus, daß der Anwaltssekretärin eine Arbeitsanweisung erteilt worden war, nach der sie die Hauptfrist nicht streichen durfte, ohne sich vorher noch einmal telefonisch bei den Revisionsanwälten vergewissert zu haben. Gerade der hier vom Kläger dargelegte Geschehensablauf zeigt, wie unentbehrlich eine zuverlässige Ausgangskontrolle für das Auftragsschreiben war: Nur weil die Anwaltssekretärin aufgrund der Streichung der Vorfrist fest glaubte, das Auftragsschreiben abgesandt zu haben, strich sie am 25. Oktober 1993, einem besonders hektisch laufenden Tag, auch noch die Hauptfrist, ohne vorher bei den Revisionsanwälten telefonisch rückzufragen. Offenbar war sie sich dabei nicht darüber im klaren, daß die Rückfrage bei den Revisionsanwälten keine Absicherung der Ausgangskontrolle darstellte, sondern dem Zweck diente, sich des Eingangs des Auftrages zur Revisionseinlegung und seiner Annahme zu versichern. Die Sorgfaltspflichten des beauftragenden Rechtsanwalts erschöpfen sich nicht im rechtzeitigen Absenden des Auftragsschreibens, er muß vielmehr auch dafür Sorge tragen, daß der mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragte Anwalt den Auftrag innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist bestätigt, und den rechtzeitigen Eingang dieser Bestätigung überwachen (BGHZ 105, 116, 117 f.; Senatsbeschluß vom 26. November 1991 - XI ZB 10/91, NJW 1992, 697). Das in Kopie vorgelegte Auftragsschreiben enthält keine Bitte um eine solche Bestätigung. Das Fehlen einer Rückäußerung der Revisionsanwälte hatte deshalb keine Warnfunktion.
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Da der Wiedereinsetzungsantrag erfolglos bleibt, ist die verspätete Revision gemäß § 554 a ZPO als unzulässig zu verwerfen (MünchKommZPO/Walchshöfer § 554 a Rdn. 6).
Permalink
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