Haftung des Geschäftsführers einer Optionsvermittlungsgesellschaft wegen sittenwidriger Schädigung der Optionserwerber
Orientierungssatz
Der Geschäftsführer einer Optionsvermittlungs-GmbH, der Optionsgeschäfte ohne gehörige Aufklärung der Kunden abschließt, den Abschluß veranlaßt, oder bewußt nicht verhindert, mißbraucht seine geschäftliche Überlegenheit in sittenwidriger Weise und haftet den Optionserwerbern deshalb gemäß BGB § 826 auf Schadenersatz (Anschluß BGH, 1988-07-11, II ZR 355/87, BGHZ 105, 108).




vorgehend LG München I, 18. Mai 1992, 33 O 16291/89

Karl J T Wach, WuB I G 4 Anlageberatung 9.94 (Anmerkung)

Tatbestand
- 1
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz für Verluste aus Termingeschäften an ausländischen Börsen. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
- 2
Der Beklagte zu 1) war Geschäftsführer und Initiator der C. Vermittlungsgesellschaft für Börsenterminoptionen mbH (im folgenden: C.), die gewerbsmäßig Börsenterminoptionsgeschäfte vermittelt. Ab Juni/Juli 1987 wurde dem Kläger, einem Masseur und Heilpraktiker, von Telefonverkäufern der C. - zuletzt von dem Beklagten zu 2) - der Erwerb von Börsenterminoptionen empfohlen. Nach Erhalt einer Broschüre der C. über solche Geschäfte erteilte der auf diesem Gebiet unerfahrene Kläger mehrere Aufträge zum Kauf von Optionen. Als Entgelt für ihre Tätigkeit berechnete die C. 38,76% des Gesamtaufwands (Prämie, Börsensteuer und Brokerkosten) und verlangte zusätzlich für jede Option 90 US-Dollar Brokerkosten. Die Optionsgeschäfte des Klägers endeten insgesamt verlustreich. Er hat von den Beklagten einen Teilbetrag von 143.080 DM zuzüglich Zinsen ersetzt verlangt.
- 3
Das Landgericht hat der Klage gegen beide Beklagten, abgesehen von einem geringfügigen Teil der geltend gemachten Zinsforderung, stattgegeben. Das Urteil gegen den Beklagten zu 2) ist rechtskräftig. Auf die Berufung des Beklagten zu 1) hat das Berufungsgericht die gegen ihn gerichtete Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe
- 4
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
- 5
Das Berufungsgericht hält einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 1) nicht für gegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
- 6
Der Beklagte zu 1) hafte nicht aus unerlaubter Handlung nach § 826 BGB. Ein vorsätzliches Handeln sei vom Kläger nicht schlüssig vorgetragen; auch seien keine Tatsachen festzustellen, aus denen sich hinreichend zwingend der Schluß ergebe, daß ihm eine sittenwidrige oder unlautere Vertriebspraxis des Beklagten zu 2) bekannt gewesen sei und er diese gebilligt oder gar gefördert habe. - Eine Haftung nach den Grundsätzen der Prospekthaftung sei schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger durch den ihm übermittelten Prospekt der C. genügend aufgeklärt worden sei. Dieser Prospekt genüge den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten strengen Anforderungen. Auch dem unbefangenen und mit Warentermingeschäften nicht vertrauten Leser werde ein realistischer Eindruck von den Eigenarten und Risiken solcher Geschäfte vermittelt.
II.
- 7
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind Schadensersatzansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 1) jedenfalls nach § 826 BGB nicht auszuschließen. Es kann dahinstehen, ob solche Ansprüche auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 89 BörsG gestützt werden könnten.
- 8
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind gewerbliche Anbieter oder Vermittler von Terminoptionen verpflichtet, den Kaufinteressenten vor Vertragsschluß schriftlich in unmißverständlicher Weise über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Risiken derartiger Geschäfte sowie über den Umfang des ihnen aufgebürdeten Verlustrisikos und die durch die Höhe der Vermittlungsprämie eingetretene Verringerung ihrer Gewinnchancen aufzuklären. Dies gilt wegen der gleichermaßen hohen Risiken und der typischen Unerfahrenheit der in der Regel telefonisch geworbenen Kunden für Optionen an den Londoner Rohstoffbörsen wie für die fungiblen "modernen" Optionen. Die im wesentlichen durch die Handelbarkeit bedingten Unterschiede in der Risikoentwicklung (vgl. dazu Wach, Der Terminhandel in Recht und Praxis Rdn. 65 und 114 ff.) rechtfertigen keine Lockerung der Anforderungen an die Aufklärungspflicht; der Optionsprämie und der gravierenden Verringerung der Gewinnchancen durch Prämienaufschläge kommt in allen Fällen im Ergebnis dieselbe Bedeutung zu (vgl. OLG Düsseldorf WM 1992, 776, 778). Für diese - notwendigerweise schriftliche - Aufklärung hat der Geschäftsführer einer Optionsvermittlungs-GmbH, die hohe Aufschläge verlangt, Sorge zu tragen. Ein Geschäftsführer, der Optionsgeschäfte ohne gehörige Aufklärung der Kunden abschließt, den Abschluß veranlaßt oder bewußt nicht verhindert, mißbraucht seine geschäftliche Überlegenheit in sittenwidriger Weise und haftet den Optionserwerbern deshalb gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz (BGHZ 105, 108, 109 f.; Senatsurteil vom 1. Februar 1994 - XI ZR 125/93, WM 1994, 453 m.w.Nachw.).
- 9
2. Diese Haftungsvoraussetzungen sind hier in der Person des Beklagten zu 1) gegeben. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob er von irreführenden oder unlauteren Werbemethoden seiner Telefonverkäufer Kenntnis hatte. Er war als Initiator und Geschäftsführer der C. für deren Geschäftsgebaren, insbesondere die Gestaltung und Verteilung der sogenannten Aufklärungsbroschüre, verantwortlich. Den Anforderungen an die Aufklärung des Klägers genügt die Broschüre in formeller und materieller Hinsicht bei weitem nicht. Soweit das Berufungsgericht die darin enthaltenen Hinweise auf die hohen Prämienaufschläge für ausreichend hält, übersieht es, daß diese Hinweise erst nach mehrseitigen wenig bedeutsamen und abstrakten Informationen über Termingeschäfte gegeben werden und lediglich deren "erheblichen" Einfluß auf die Gewinnchancen erwähnen, ohne deutlich zu machen, daß die Aufschläge einen Gewinn höchst unwahrscheinlich machen, weil der dazu erforderliche Kursausschlag vom Börsenfachhandel als unrealistisch angesehen wird. Statt dessen werden Gewinne von "mehr als 100 oder 200%" als "durchaus möglich" hingestellt und so unberechtigte Gewinnerwartungen geweckt. Es würde im übrigen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht ausreichen, wenn die schriftliche Aufklärung die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geforderten Risikohinweise an irgendeiner Stelle enthielte. Zweck der schriftlichen Aufklärung ist vielmehr, gerade dem flüchtigen Leser in unmißverständlicher Weise und in auffälliger Form deutlich zu machen, daß die Aufschläge auf die Optionsprämie das Chancen-Risiko-Verhältnis aus dem Gleichgewicht bringen und die verbliebene, bei höheren Aufschlägen geringe Chance, insgesamt einen Gewinn zu erzielen, mit jedem Optionsgeschäft abnimmt (Senatsurteil vom 8. Februar 1994 - XI ZR 74/93, WM 1994, 492, 493).
- 10
3. Die Vermutung, daß der Kläger sich aufklärungsrichtig verhalten und die hier streitigen Optionen nicht erworben hätte, hat der Beklagte zu 1) nicht entkräftet (vgl. Senatsurteile vom 1. und 8. Februar 1994 aaO).
- 11
4. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zum Schädigungsvorsatz des Beklagten zu 1) getroffen. Deshalb konnte der Senat als Revisionsgericht nicht in der Sache selbst entscheiden, auch wenn ein Vorsatz hier naheliegt. Der Beklagte zu 1) hat den Inhalt der auf seine Veranlassung vertriebenen Broschüre so gestaltet, daß ein mit Warenterminoptionen nicht vertrauter und auf eindeutige Aufklärung angewiesener Kunde die Risiken der Geschäfte, zu deren Abschluß er veranlaßt werden sollte, nicht zutreffend einschätzen konnte. Diese, ein sittenwidriges Verhalten begründenden Umstände waren dem Beklagten zu 1) bekannt, und die sittliche Wertung des gewählten Vorgehens war auch für einen Kaufmann eindeutig. Es spricht mithin alles dafür, daß der Beklagte zu 1) eine Schädigung des Klägers durch die abgeschlossenen Geschäfte zumindest in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Beschluß vom 19. September 1983 - II ZR 248/82, WM 1983, 1235; Urteil vom 11. Januar 1988 - II ZR 134/87, WM 1988, 291, 294). Auch ein etwaiger Irrtum des Beklagten zu 1) über die Reichweite der Aufklärungspflicht würde vorsätzliches Handeln nicht ohne weiteres ausschließen (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 1994 aaO S. 455 m.w.Nachw.).
- 12
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Permalink
-
Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie genau dieses Dokument verlinken möchten:
https://www.juris.de/perma?d=KORE553729400