Übergang vom Wechsel- zum Urkundenprozeß in der Berufungsinstanz; Formnichtigkeit eines nur in der Überschrift als promissory note bezeichneten Solawechsels
Leitsatz
1. Der Übergang vom Wechsel- in den gewöhnlichen Urkundenprozeß stellt keine Klageänderung dar; er ist auch noch in der Berufungsinstanz ohne weiteres möglich.
2. Ein in englischer Sprache ausgestellter Solawechsel, der die Bezeichnung "promissory note" nur in der Überschrift, nicht aber im Text der Urkunde enthält, ist formnichtig.














vorgehend LG Kiel, 23. Dezember 1991, 15 O 199/91




Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 140 BGB
Tatbestand
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Im Dezember 1989 übersandte der Beklagte nach Erhalt von 569.000 DM der in Brasilien ansässigen Klägerin eine von ihm in englischer Sprache ausgestellte, mit "PROMISSORY NOTE" überschriebene Urkunde, deren Text in deutscher Übersetzung wie folgt lautet:
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N., 20. Dezember 1989
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DM 569.000
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Wir versprechen, am 31. August 1990 an E. A. S.A. die Summe von 569.000 DM zu zahlen gemäß den Anweisungen, die wir von dieser Gesellschaft zehn Tage vor Fälligkeit erhalten werden. Gegenwert erhalten.
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Als die versprochene Zahlung ausblieb, trafen die Parteien im Mai 1991 ein in englischer Sprache abgefaßtes "AGREEMENT ON DEBT RECOGNITION", in dem der Beklagte garantierte, der geschuldete Betrag von 569.000 DM werde binnen 30 Tagen gezahlt. In diesem agreement heißt es u.a.:
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"All the conditions of this agreement shall be governed under the Brazilian laws where the debt is constituted and can be executed."
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Mit Rücksicht auf diese Vereinbarung hält der Beklagte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Zahlungsklage und die Anwendbarkeit deutschen Rechts nicht für gegeben. Außerdem beruft er sich auf die Formnichtigkeit der "PROMISSORY NOTE" als Solawechsel.
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Das Landgericht hat der im Wechselprozeß erhobenen Klage auf Zahlung von 569.000 DM zuzüglich Zinsen durch Wechselvorbehaltsurteil stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Formungültigkeit der "PROMISSORY NOTE" als Solawechsel die Abstandnahme vom Wechselprozeß und den Übergang ins Urkundenverfahren, hilfsweise ins ordentliche Verfahren, erklärt. Das Berufungsgericht hat die Klage im Wechselprozeß als unbegründet und im Urkundenprozeß und im ordentlichen Verfahren als unzulässig abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Vorbehaltsurteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hält den von der Klägerin erklärten Übergang vom Wechsel- in den Urkundenprozeß sowie hilfsweise ins ordentliche Verfahren für unzulässig: Ein solcher Übergang sei in der Berufungsinstanz nur unter den Voraussetzungen des § 263 ZPO möglich. Diese lägen nicht vor; der Beklagte habe dem Übergang widersprochen und die Sachdienlichkeit könne nicht bejaht werden, weil der Rechtsstreit im Urkunden- und im ordentlichen Verfahren anders als im Wechselprozeß nicht entscheidungsreif sei. Die danach im Wechselprozeß anhängig gebliebene Klage sei unbegründet, da die "PROMISSORY NOTE" formnichtig sei. Es fehlten die nach Art. 75 Nr. 1 WG erforderliche Bezeichnung als Wechsel im Text der Urkunde sowie die Angabe des Zahlungsortes gemäß Art. 75 Nr. 4 WG.
II.
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Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht hat die vom Beklagten in Abrede gestellte internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (Senatsurteile vom 6. Februar 1990 - XI ZR 184/88, WM 1990, 462 und vom 20. April 1993 - XI ZR 17/90, WM 1993, 1109, 1110), unerörtert gelassen. Dies ist im Ergebnis allerdings unschädlich. Die internationale Zuständigkeit, die in der Zivilprozeßordnung nicht ausdrücklich und unmittelbar, sondern durch stillschweigende Verweisung auf die §§ 12 ff. ZPO nur mittelbar geregelt ist (BGHZ 94, 156, 157; 115, 90, 91 f.; Senatsurteil vom 20. April 1993 - XI ZR 17/90, aaO), ergibt sich hier aus § 13 ZPO. Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland.
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Das von den Parteien getroffene "AGREEMENT ON DEBT RECOGNITION" hat entgegen der Ansicht des Beklagten an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte nichts geändert. Das agreement enthält keine Vereinbarung über die ausschließliche Zuständigkeit brasilianischer Gerichte für Streitigkeiten aus der "PROMISSORY NOTE". Nach dem eindeutigen Wortlaut ("all conditions of this agreement") werden nur die Regelungen des agreements selbst brasilianischem Recht unterstellt. Nichts spricht dafür, daß der Klägerin, deren Rechte das agreement verstärken soll, die Möglichkeit genommen werden sollte, den Beklagten an seinem Wohnsitz zu verklagen.
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2. Der von der Revision angegriffenen Ansicht des Berufungsgerichts, der von der Klägerin in zweiter Instanz erklärte Übergang vom Wechsel- in den Urkundenprozeß sei nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 263 ZPO zulässig, kann nicht beigetreten werden.
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a) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Übergang zulässig ist, ist in der Zivilprozeßordnung nicht geregelt; § 596 ZPO betrifft nur die Abstandnahme vom Urkundenprozeß. In Rechtsprechung und Literatur herrscht Einigkeit, daß der Kläger in erster Instanz ohne weiteres vom Wechsel- in den gewöhnlichen Urkundenprozeß übergehen kann (BGHZ 53, 11, 17; 82, 200, 207; Wieczorek/Rössler, ZPO 2. Aufl. § 596 Anm. B; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 21. Aufl. § 596 Rdn. 12; MünchKomm-ZPO/Braun § 596 Rdn. 4; Zöller/Schneider, ZPO 18. Aufl. § 596 Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 51. Aufl. § 602 Rdn. 3; Steckler/Künzl WM 1984, 861 f.). Die höchstrichterlich bisher nicht entschiedene Frage, ob ein solcher Übergang auch noch in der Berufungsinstanz ohne weiteres zulässig ist, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Steckler/Künzl aaO S. 862 halten in Anlehnung an die herrschende Meinung zum zweitinstanzlichen Übergang vom Urkundenprozeß in das ordentliche Verfahren eine entsprechende Anwendung der Klageänderungsvorschriften für geboten, denn dem Beklagten gehe zumindest für seinen auf urkundlichen Beweismitteln (die nicht Wechsel sind) beruhenden Vortrag eine Instanz verloren. Wieczorek/Rössler (aaO) und wohl auch Rosenberg/Schwab/Gottwald (Zivilprozeßrecht 15. Aufl. S. 991) sowie Schellhammer (Zivilprozeß 5. Aufl. Rdn. 1859) sind demgegenüber der Ansicht, daß der Kläger auch in der Berufungsinstanz ohne weiteres vom Wechsel- in den Urkundenprozeß übergehen kann.
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b) Der Senat teilt diese Ansicht und sieht für eine (analoge) Anwendung des § 263 ZPO keinen überzeugenden Grund.
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aa) Klageänderung bedeutet Änderung des Streitgegenstands. Dieser wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGHZ 115, 286, 292; 117, 1, 5; BGH, Urteil vom 10. März 1993 - VIII ZR 85/92, NJW 1993, 2052 f. m.w.Nachw.). Ein Übergang vom Wechsel- in den Urkundenprozeß ist danach keine Klageänderung, da sich weder der Klageantrag noch der zugrundeliegende Lebenssachverhalt ändern (so auch Steckler/Künzl aaO S. 861). Das gilt, anders als die Revisionserwiderung meint, auch dann, wenn der Kläger, wie hier, nach Übergang in den Urkundenprozeß aus einem formnichtigen Wechsel nicht mehr eine Wechselforderung, sondern einen Anspruch gemäß § 780 BGB herleitet. Der Übergang in den Urkundenprozeß führt insoweit nur dazu, daß die durch den Wechselprozeß bedingte Beschränkung der rechtlichen Prüfung auf wechselrechtliche Ansprüche entfällt.
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bb) Auch eine analoge Anwendung des § 263 ZPO ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht gerechtfertigt. Sie wird im Falle der Abstandnahme vom Urkundenprozeß in zweiter Instanz von der im Berufungsurteil angeführten Meinung nur deshalb befürwortet, weil die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten durch einen Übergang in das ordentliche Verfahren in der Berufungsinstanz nicht unerheblich beeinträchtigt werden können. Mit dem Übergang in das ordentliche Verfahren entfällt das Nachverfahren, in das der in erster Instanz auf Urkundenbeweis und Parteivernehmung beschränkte Beklagte möglicherweise den Schwerpunkt seiner Rechtsverteidigung legen wollte (BGHZ 29, 337, 339; MünchKomm-ZPO/Braun, § 596 Rdn. 3; Zöller/Schneider, ZPO 18. Aufl. § 596 Rdn. 4).
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Eine vergleichbare Situation ist beim Übergang vom Wechsel- in den Urkundenprozeß nicht gegeben. Ein Nachverfahren mit den damit verbundenen Verteidigungsmöglichkeiten steht dem Beklagten weiterhin zur Verfügung. Soweit die §§ 603-605 ZPO keine Abweichungen enthalten, sind die für den Urkundenprozeß geltenden Vorschriften auch im Wechselprozeß anzuwenden. Anwendbar sind insbesondere die §§ 592-595 ZPO über die Beschränkung der Beweismittel auf Urkunden und Parteivernehmung. Das von Steckler/Künzl aaO S. 862 für eine entsprechende Anwendung der Klageänderungsvorschriften angeführte Argument, im Urkundenprozeß könnten über das im Wechselprozeß Zulässige hinaus urkundliche Beweismittel beigebracht werden, trifft nicht zu (§ 595 Abs. 2 ZPO). § 605 ZPO schafft für den Wechselprozeß im Gegenteil gewisse Beweiserleichterungen.
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Die besonderen Vorschriften für den Wechselprozeß (§§ 603-605 ZPO) sind im vorliegenden Fall ohne Relevanz. Der Beklagte ist, wie bereits erwähnt, im allgemeinen Gerichtsstand verklagt. Die Abkürzung der Einlassungsfrist auf drei Tage in erster Instanz beruht nicht auf § 604 Abs. 2 ZPO, sondern auf § 226 Abs. 1 ZPO. Außerdem ist die Abkürzung, die schon einer Abstandnahme vom Wechselprozeß in erster Instanz nicht entgegengestanden hätte, für einen Übergang in den Urkundenprozeß in zweiter Instanz bedeutungslos. Verfahrensmäßig abweichend behandelt worden wäre ein Urkundenprozeß hier in erster Instanz nur insoweit, als der Rechtsstreit von der Kammer für Handelssachen unter Mitwirkung der Handelsrichter und nicht durch den Vorsitzenden allein entschieden worden wäre. Dieser Unterschied vermag eine analoge Anwendung des § 263 ZPO indes nicht zu rechtfertigen.
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3. Hiernach hätte das Berufungsgericht den Übergang in den Urkundenprozeß ohne weiteres als zulässig ansehen und in der Sache selbst unter allen Gesichtspunkten prüfen müssen, ob der Klägerin aus der "PROMISSORY NOTE" ein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zusteht.
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Die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts im Wechselprozeß, über den nach Übergang der Klägerin in das Urkundenverfahren nicht mehr zu entscheiden war, erstreckt sich - von seinem Standpunkt aus konsequent - nur auf Wechselforderungen, nicht aber auf andere Ansprüche. Hier kommt ein solcher aus § 780 BGB in Betracht, da die "PROMISSORY NOTE" als Solawechsel formnichtig ist und sich deshalb die Frage der Umdeutung gemäß § 140 BGB in ein abstraktes Schuldversprechen stellt (vgl. BGHZ 82, 200, 207; BGH, Urteil vom 1. Oktober 1987 - III ZR 134/86, WM 1987, 1416, 1417).
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a) Die Formnichtigkeit der "PROMISSORY NOTE" als Solawechsel folgt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, aus Art. 75 Nr. 1, 76 Abs. 1 WG. Der vom Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland zulässigerweise in englischer Sprache ausgestellte Solawechsel, dessen Form sich gemäß Art. 92 Abs. 1 WG nach deutschem Recht bestimmt, enthält die Bezeichnung als "PROMISSORY NOTE", d.h. als Solawechsel, nur in der Überschrift, nicht aber im Text der Urkunde. Dies genügt der Formvorschrift des Art. 75 Nr. 1 WG nach allgemeiner Meinung nicht (BGHZ 82, 200, 205; Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz 18. Aufl., Art. 1 WG Rdn. 2 und Art. 75 WG Rdn. 2; Bülow, WechselG, ScheckG, AGB Art. 75 WG Rdn. 3).
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b) Die vom Berufungsgericht nicht in Betracht gezogene Umdeutung der als Solawechsel formnichtigen "PROMISSORY NOTE" gemäß § 140 BGB in ein abstraktes Schuldversprechen kann der erkennende Senat nicht selbst vornehmen. Das Berufungsgericht hat zu den subjektiven Voraussetzungen einer Umdeutung keine Feststellungen getroffen und dem Beklagten, der bis zum Übergang der Klägerin in den Urkundenprozeß in der letzten mündlichen Verhandlung insoweit keinen Anlaß zur Stellungnahme hatte, keine Gelegenheit gegeben, dazu schriftsätzlich vorzutragen.
III.
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Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Permalink
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