Ermessenspielraum der Bank bei der Bewertung von Kreditsicherheiten, wenn sie sich für den Fall der Nichtabnahme des Darlehens Schadensersatzansprüche hat einräumen lassen
Leitsatz
1. Läßt sich eine Bank vom Kreditnehmer für den Fall der Nichtabnahme eines Darlehns Schadensersatzansprüche einräumen, dann steht ihr bei einer vertraglich vorbehaltenen Bewertung der angebotenen Sicherheiten kein so weitreichender Spielraum zu wie einer vertraglich nicht gebundenen Bank. Es entspricht vielmehr einer interessengerechten Beurteilung eines solchen Vertrages, daß die Bank die derzeit bankübliche Kreditlinie nicht unterschreitet und nicht ohne besonderen Grund von ihrer bisherigen Beleihungspraxis abweicht.










vorgehend LG München I, 29. Januar 1988, 25 O 1190/84



Tatbestand
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Die klagende Bank schloß mit dem Beklagten im August 1981 einen Vertrag über die Gewährung eines "durch erstrangige Briefgrundschulden" zu sichernden Baudarlehens in Höhe von 5 Mio. DM, das vom Beklagten "innerhalb von 3 Monaten/18 Monaten voll abzunehmen" war. Die Klägerin behielt sich die Prüfung der vom Beklagten als Sicherheit zu benennenden Objekte vor. Bei Ablehnung war der Beklagte verpflichtet, "weitere Objekte" anzubieten. Die Bereitstellungszinsen betrugen 2,5% jährlich ab 1.10.1981, der Zinssatz 7,5% jährlich vom Tage der Auszahlung an, der Auszahlungskurs 87%. Die Konditionen waren bis zum 30.9.1984 festgeschrieben. Es war vereinbart, daß der Darlehensnehmer das Darlehen schriftlich mit einer Frist von 6 Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres, frühestens jedoch zum Ende der jeweiligen Zinsbindung kündigen konnte. Die Klägerin war unter anderem für den Fall, daß der Darlehensnehmer das Darlehen nicht abnahm, berechtigt, vom Darlehensvertrag zurückzutreten und "ihren Schaden ersetzt" zu verlangen, mindestens jedoch eine Entschädigung von 2% des nicht beanspruchten Darlehensbetrages, zuzüglich angefallener Bereitstellungszinsen. Der Beklagte nahm das Darlehen bis auf brutto 1.325.311 DM in Anspruch. Diesen Restbetrag wollte er zunächst zur Renovierung des Wohngebäudes W. Straße 16 in M. in Anspruch nehmen. Nachdem es jedoch wegen der Bewertung und Konzeption dieses Projekts zwischen den Parteien zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war, teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 27.9.1982 mit, er beabsichtige das restliche Darlehenskontingent für den Ankauf der Grundstücksteilflächen S. Straße 5 und 9 einzusetzen. Die Klägerin ermittelte hierfür - ausgehend von den Bodenrichtwerten des Gutachterausschusses der Stadt M. (Stand: 31.12.1980) - eine Beleihungsgrenze von 920.000 DM und erklärte sich bereit, den Ankauf in dieser Höhe zu finanzieren. Der Beklagte war mit dieser Bewertung nicht einverstanden. Er teilte der Klägerin mit Schreiben vom 24.11.1982 mit, ihm sei unverständlich, daß sie "nach Vorliegen einer ausgereiften Verwertungskonzeption" den Wert erheblich schlechter einschätze als vor einem Jahr und daß an einer Verwertung des Restdarlehenskontingents kein Interesse mehr bestehe; die Klägerin möge ihm eine detaillierte Zinsaufstellung übermitteln.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten wegen des nicht beanspruchten Restdarlehens
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a) Bereitstellungszinsen - 2,5% von 1.325.311 DM
für die Zeit vom 1.4.-30.11.1982 22.088,52 DM
b) Wertermittlungskosten 1.000,00 DM
c) Nichtabnahmeentschädigung 102.021,48 DM.
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Der Beklagte hat gegen die Forderung eingewendet, die Klägerin selbst habe die Inanspruchnahme des Darlehensrestkontingents treuwidrig vereitelt, indem sie die angebotenen Beleihungsobjekte zu niedrig bewertet habe.
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Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage bis auf einen geringfügigen Teil der Zinsforderung stattgegeben.
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Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist unbegründet, soweit der Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 22.088,52 DM Bereitstellungszinsen und 1.000 DM Wertermittlungskosten zu zahlen. Hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung einer Nichtabnahmeentschädigung hat die Revision Erfolg. Sie führt in diesem Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei das Zustandekommen eines Darlehensvertrages bejaht, nach welchem der Beklagte verpflichtet war, das von der Klägerin zur Verfügung gestellte Darlehen von 5 Mio. DM voll abzunehmen. Der Beklagte erhebt insoweit gegen das angefochtene Urteil keine Einwendungen. Auch unter Berücksichtigung des AGB-Gesetzes (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1985 - III ZR 184/84, WM 1986, 156, 157) ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht der Klägerin aufgrund des Darlehensvertrages für die Zeit ab 1.4. bis zum 30.11.1982 Bereitstellungszinsen von jährlich 2,5% des Darlehensbetrages zugesprochen hat. Der Beklagte hat die Berechtigung dieses Anspruchs in der Vorkorrespondenz nicht in Abrede gestellt und die Klägerin mit Schreiben vom 24.11.1982 um Übermittlung der Zinsaufstellung gebeten, gegen deren Höhe er keine Einwendungen erhoben hat.
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2. Mit Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin auch einen Anspruch auf Ersatz der Wertermittlungskosten für das Projekt "W. Straße" zuerkannt. Es handelt sich dabei um Aufwendungen, die die Klägerin für erforderlich halten durfte (§ 670 BGB) und die der Beklagte nach Nr. 18 des Kreditantrages zu tragen hat.
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3. Soweit das Berufungsgericht der Klägerin eine Nichtabnahmeentschädigung in Höhe von 102.021,48 DM zuerkannt hat, hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Berufungsgericht hat zum Grund des Anspruchs im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe die Pflicht, das Darlehen von 5 Mio. DM abzunehmen, nicht vollständig erfüllt und sich deshalb schadensersatzpflichtig gemacht. Die Klägerin habe die Abnahme des restlichen Darlehenskontingents auch nicht durch schuldhafte Unterbewertung der als Sicherheit vom Beklagten angebotenen Grundstücke treuwidrig verhindert. Ob sie das vom Beklagten zunächst angebotene Objekt W. Straße 16 unterbewertet habe, könne offen bleiben, da der Beklagte das durch Benennung der Grundstücksteilflächen S. Straße 5 und 9 hingenommen habe. Auch eine schuldhafte Unterbewertung dieses Objekts sei nicht festzustellen; denn grundsätzlich stehe einem Darlehensgeber, auch wenn er durch einen Kreditrahmenvertrag gebunden sei, ein großer Ermessensspielraum zu, wie weit er ein ihm als Sicherheit angebotenes Objekt beleihen wolle. Diesen Ermessensspielraum habe die Klägerin nicht überschritten. Selbst wenn die Klägerin bei der Bewertung die seinerzeit bankübliche Kreditlinie unterschritten haben sollte, so bedeute das nicht, daß sie treuwidrig die Abnahme des restlichen Darlehens durch den Beklagten verhindert habe. Ohne Erfolg berufe sich der Beklagte auch darauf, daß die Klägerin bei früheren Finanzierungen großzügiger verfahren sei und auch den Renovierungsaufwand finanziert habe. Es könne der Klägerin nicht verwehrt sein, ihre ehemals großzügige Kreditpolitik zu ändern und bei der Finanzierung von Bauvorhaben vorsichtiger zu verfahren als bisher.
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b) Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten nicht in allen Punkten der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
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aa) Mit Recht hat das Berufungsgericht in dem Schreiben des Beklagten vom 24.11.1982 eine endgültige Abnahmeverweigerung gesehen, die eine Vertragsverletzung darstellen und eine Nichtabnahmeentschädigung dem Grunde nach rechtfertigen würde, wenn die Klägerin sich bei der Bewertung der vom Beklagten angebotenen Beleihungsobjekte im Rahmen der ihr vertraglich eingeräumten Befugnisse gehalten hätte. Auch die Revision sieht das nicht anders.
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bb) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht, wenn es ausführt, der Klägerin habe bei der Bewertung der Objekte "ein großer Ermessensspielraum" zur Verfügung gestanden, sie habe dabei "die seinerzeit bankübliche Kreditlinie" unterschreiten dürfen, auch sei es unerheblich, daß die Klägerin "bei früheren Finanzierungen großzügiger" verfahren sei.
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Die Auslegung individueller rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen ist allerdings Aufgabe des Tatrichters und in der Revisionsinstanz nur begrenzt nachprüfbar. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Wertung des Darlehensvertrages bindet im vorliegenden Falle das Revisionsgericht jedoch nicht, denn sie beruht auf der Verletzung anerkannter Auslegungsregeln, insbesondere des Grundsatzes einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Beurteilung (§§ 133, 157 BGB).
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Die Ansicht des Berufungsgerichts, einem Darlehensgeber stehe, auch wenn er durch einen Kreditrahmenvertrag gebunden sei, bei der Bewertung der Beleihungsobjekte grundsätzlich ein großer Ermessensspielraum zu, der es ihm u.a. gestatte, die bankübliche Kreditlinie zu unterschreiten, stellt eine allgemeine Erwägung dar, die im Wortlaut des Darlehensvertrages keine Stütze findet. Sie kann insbesondere nicht aus der nicht näher konkretisierten vertraglichen Regelung hergeleitet werden, wonach die Klägerin befugt war, die vom Beklagten angebotenen Beleihungsobjekte nach Prüfung abzulehnen. Die Grenzen dieses Bestimmungsrechts der Klägerin sind im Darlehensvertrag nicht näher festgelegt. Die vertragliche Regelung ist deshalb entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie diesen nicht näher geregelten Punkt bedacht hätten (vgl. BGHZ 9, 273, 278; 16, 71, 76; 84, 1, 7; 90, 69, 77; BGH, Urteil vom 12. Februar 1988 - V ZR 8/87, WM 1988, 767, 769). Diesen Grundsätzen widerspricht die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragswürdigung. Wenn die Klägerin den Beklagten zur Abnahme des gesamten Kredits verpflichtete und sich Schadensersatzansprüche für den Fall der Nichtabnahme einräumen ließ, konnte sie nicht erwarten, daß ihr bei der Bewertung der angebotenen Sicherheiten ein Beurteilungsspielraum verblieb, wie er einer vertraglich nicht gebundenen Bank zusteht. Die vom Berufungsgericht angenommene Freiheit, von ihrer eigenen gegenüber dem Beklagten bisher gezeigten Beleihungspraxis und von der Praxis anderer Kreditinstitute abzuweichen, begrenzt die vertragliche Bindung der Bank auf den Fall des Ermessensmißbrauchs und setzt andererseits den Kreditnehmer Schadensersatzansprüchen aus, die dem Grunde nach aus dieser übermäßig gelockerten Bindung der Bank hergeleitet werden. Eine solche Auslegung stört in schwerwiegender Weise die Ausgewogenheit der beiderseitigen vertraglichen Leistungen zum Nachteil des Beklagten. Einer interessengerechten Beurteilung des Darlehensvertrages entspricht es vielmehr, daß der Beklagte - auf dessen Verständnis es hier maßgeblich ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1969 - VII ZR 83/67, NJW 1970, 321) - darauf vertrauen durfte, die Klägerin werde die seinerzeit bankübliche Kreditlinie nicht unterschreiten und nicht ohne besonderen Grund von ihrer bisherigen Beleihungspraxis abweichen.
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II. Da zugunsten der Revision zu unterstellen ist, daß die Klägerin bei der Bewertung die seinerzeit bankübliche Kreditlinie unterschritten hat und von ihrer früheren großzügigeren Finanzierungspraxis abgewichen ist, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
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Sollte die erneute Berufungsverhandlung ergeben, daß der Anspruch auf Nichtabnahmeentschädigung dem Grunde nach berechtigt ist, so wird das Berufungsgericht weiter die Voraussetzungen zur Höhe des Anspruchs zu prüfen haben. Für die von der Klägerin vorgenommene konkrete Schadensberechnung bietet ihr Vorbringen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand noch keine hinreichend tragfähige Grundlage.
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Die vom Berufungsgericht der Klägerin zuerkannte Nichtabnahmeentschädigung (8,85% aus dem Darlehensrest/Netto) in Höhe von 102.021,48 DM ergibt sich - bezogen auf eine Restlaufzeit bis zum 30. September 1984 - nach der Berechnung der Klägerin daraus, daß die restliche Darlehensvaluta nach dem Scheitern des Kreditgeschäfts mit dem Beklagten anderweitig nur noch mit einem Zinssatz von 7,85% hätte ausgeliehen werden können, während sie bei Durchführung des Vertrages einen Effektivzinssatz von 13,06% erzielt haben würde.
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Nach der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes, der sich der erkennende Senat anschließt, kann als Zeitraum für den Zinsverlust nicht ohne weiteres die planmäßige, nach den vertraglichen Vereinbarungen in Aussicht genommene Laufzeit des Darlehens angesetzt werden. Maßgeblich ist vielmehr die Zeitspanne zwischen dem endgültigen Scheitern des Darlehensgeschäfts, d.h. hier dem Eingang des Schreibens des Beklagten vom 24.11.1982 bei der Klägerin (25.11.1982), und dem Zeitpunkt, zu dem sich der Beklagte durch fristgemäße Kündigung von dem Vertrag hätte lösen können. Denn eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Kündigung hätte die Klägerin hinnehmen müssen, ohne daraus Ansprüche herleiten zu können. Nur bis zum nächstzulässigen Kündigungstermin hatte sie eine rechtlich geschützte Zinserwartung (vgl. BGHZ 104, 337, 343; BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 197/88, WM 1990, 174f.).
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Insoweit ist zu beachten, daß dem Beklagten ein Kündigungsrecht nach § 247 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung, d.h. mit einer Frist von 6 Monaten, zugestanden hat; denn der vereinbarte Zinssatz war höher als 6 vom Hundert für das Jahr. Zwar hat die Klägerin in Nr. 9.2 der Darlehensbedingungen das Kündigungsrecht aus § 247 BGB für die Zeit ausgeschlossen, während der das Darlehen zur Deckungsmasse für von der Landesbank ausgegebene Schuldverschreibungen gehört oder gehören soll (§ 247 Abs. 2 Satz 2 BGB). Indessen ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß die in der Klausel - in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung - vorgesehene Voraussetzung für den Kündigungsausschluß eingetreten ist, nämlich daß das Darlehen zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung tatsächlich zur Deckungsmasse gehört hat. Die für den Ausschluß des Kündigungsrechts notwendigen Tatsachen zu § 247 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. hat das Kreditinstitut substantiiert darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen (BGH, Urteile vom 30. November 1989 aaO und vom 7. Juli 1988 - III ZR 111/87, WM 1988, 1401, 1403). Das Fehlen eines konkreten Sachvortrags bewirkt, daß die Schadensberechnung hinsichtlich des angesetzten Schadenszeitraums unschlüssig ist; dies ist eine Frage der materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Klageforderung und daher vom Senat auch ohne Revisionsrüge zu berücksichtigen.
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Daher kommt als Schadenszeitraum beim derzeitigen Sachstand nur die in § 247 Abs. 1 BGB a.F. festgelegte Kündigungsfrist von 6 Monaten in Betracht.
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