Hinweispflicht des Berufungsgerichts
Orientierungssatz
Hat das erstinstanzliche Gericht das Klagevorbringen als schlüssig angesehen, darf der Kläger darauf vertrauen, daß eine davon abweichende Auffassung des Berufungsgerichts ihm rechtzeitig durch einen Hinweis mitgeteilt wird.

vorgehend LG Trier, 26. September 1990, 5 O 185/89
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht des Zedenten Dr. H. von der beklagten Bank Schadensersatz, da diese eine falsche Auskunft erteilt habe.
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Im Frühjahr 1983 bat der Geschäftsführer Me. den Zedenten um ein kurzfristiges Darlehen von 100.000 DM, da sich seine Firmengruppe - bestehend aus der M. GmbH, der M.. GmbH und der S. GmbH (im folgenden: Me.-Gruppe) - in Liquiditätsschwierigkeiten befand. Der Zedent gewährte das Darlehen. Bereits im September 1983 fiel die Me.-Gruppe in Konkurs.
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Die Klägerin hat behauptet: Bevor der Zedent Dr. H. sich entschlossen habe, das zur Stützung der Me.-Gruppe erbetene Darlehen zu gewähren, habe er bei der Beklagten als deren Hausbank angefragt, wie es um die Firmengruppe stehe und ob für sie eine Landesbürgschaft beantragt worden sei. Das Vorstandsmitglied der Beklagten Ho. habe wider besseres Wissen geantwortet, daß kein Risiko für eine Darlehensgewährung bestehe. Tatsächlich habe sich die Me.-Gruppe in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befunden, so daß selbst die Beklagte nicht bereit gewesen sei, ihr weitere Kredite einzuräumen und einen Antrag auf Gewährung einer Landesbürgschaft zu unterstützen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint. Es hat dahingestellt sein lassen, ob die Abtretung an die Klägerin wirksam ist und ob ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach besteht, denn jedenfalls habe die Klägerin einen Schaden nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Es hat hierzu im wesentlichen ausgeführt: Der Darlehensvertrag sei, wie die Klägerin zugestanden habe, vom Zedenten Dr. H. mit den Eheleuten Me. persönlich und nicht mit der Me.-Gruppe abgeschlossen worden. Deshalb sei die Klägerin verpflichtet gewesen, "dezidiert darzulegen", worin ihr Schaden bestehe und weshalb von den Eheleuten Me. eine Befriedigung der Forderung nicht habe erlangt werden können, insbesondere inwiefern der finanzielle Zusammenbruch der Me.-Gruppe auch Auswirkungen auf das Privatvermögen der Eheleute Me. gehabt habe. Dies habe eingehender Darlegung bedurft, weil die Eheleute Me. zur Absicherung des Darlehens in erheblichem Umfang Privatinventar übereignet hätten, ausweislich eines Schreibens aus dem Jahre 1983 Eigentümer eines Hausgrundstücks seien und der Ehemann Me. zum Verwaltungsrat der Klägerin gehöre, die nach dem Auszug aus dem luxemburgischen Handelsregister über ein Geschäftskapital von 1.900.000 Franken verfüge. Die Klage sei unter diesen Umständen unschlüssig.
II.
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Die Revision rügt mit Recht, daß die Abweisung der Klage als unschlüssig im vorliegenden Fall gegen § 278 Abs. 3 ZPO verstößt.
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1. Das Landgericht hatte die Schlüssigkeit der Klage nicht in Zweifel gezogen, sondern nach Beweisaufnahme einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach verneint, weil nicht nachgewiesen sei, daß Darlehensnehmer die Me.-Gruppe sei und die Beklagte eine falsche Auskunft gegeben habe. Mit ihrer Berufung griff die Klägerin die Würdigung des Landgerichts an. Gegen das Argument, das Darlehen sei möglicherweise den Eheleuten Me. persönlich gewährt worden, wandte sie sich unter Beweisantritt mit der Behauptung, der Beklagten sei bekannt gewesen, daß auch die Eheleute Me. in Vermögensverfall geraten würden, wenn die Me.-Gruppe zusammenbreche. In ihrer Berufungserwiderung hat die Beklagte, die selbst unstreitig zur Erweiterung der Kreditlinie für die Me.-Gruppe nicht bereit gewesen war, u.a. auch die Schadenshöhe bestritten und in diesem Zusammenhang vorgetragen, der Zedent "müßte doch die ihm zur Sicherheit übereigneten Gegenstände verwendet haben", es sei nicht einmal auszuschließen, daß das Darlehen voll zurückgezahlt sei.
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2. Bei dieser Sachlage war es überraschend, wenn das Berufungsgericht in der ersten (und letzten) mündlichen Verhandlung darauf hinwies, "daß nach seiner Auffassung im Hinblick auf den Sachvortrag der Klägerin erster Instanz der geltend gemachte Schaden dezidierter hätte dargelegt werden müssen". Da das Landgericht das erstinstanzliche Klagevorbringen als schlüssig angesehen hatte, durfte die Klägerin darauf vertrauen, daß eine davon abweichende Auffassung des Berufungsgerichts ihr rechtzeitig durch einen Hinweis mitgeteilt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1981 - VII ZR 147/80, NJW 1981, 1378). Der Hinweis in der letzten mündlichen Verhandlung reichte nicht aus, da entgegen § 278 Abs. 3 ZPO keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Der entsprechende Antrag der Klägerin ist vom Berufungsgericht zu Unrecht abgelehnt worden. Die Ablehnung ist in Verkennung der Hinweispflicht nach § 278 Abs. 3 ZPO fehlerhaft auf das Fehlen der Voraussetzungen des § 283 ZPO gestützt worden; denn die Klägerin hatte keine Erklärungsfrist zu verspätetem Vorbringen der Beklagten beantragt, sondern Zeit und Gelegenheit verlangt, sich zu dem überraschenden Hinweis des Gerichts zu äußern. Dem konnte das Berufungsgericht entweder dadurch entsprechen, daß es der Klägerin den erbetenen Schriftsatznachlaß gewährte oder daß es von vornherein neuen Verhandlungstermin anberaumte. Nur auf diese Weise wäre es dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin möglich gewesen, sich bei der Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend und auch nicht geladen war, die für den geforderten substantiierten Vortrag nötige Information zu beschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1981 aaO, 1379).
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3. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, ein Schaden sei nicht schlüssig dargetan, im übrigen auf Argumente gestützt, die keine der Parteien vorgetragen hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Eheleute Me. den zur Behebung des Liquiditätsengpasses der Me.-Gruppe erforderlichen Kredit bei der Beklagten nicht erhielten und der Ehemann sich deshalb an den Zedenten gewandt hatte. Unter diesen Umständen lag die Annahme fern, die Eheleute Me. hätten den ihnen persönlich zur Stützung der Firmengruppe gewährten Kredit aus eigenen Mitteln bedienen können. Daß ihnen dazu - wie das Berufungsgericht für möglich hält - verwertbarer Grundbesitz zur Verfügung gestanden hätte, hat keine der Parteien behauptet. Ebensowenig ist vorgetragen, daß der Ehemann Me. Anteilseigner der Klägerin ist, der Hinweis auf offensichtlich vorhandene Barmittel zur Einzahlung des Geschäftskapitals von 1,9 Millionen Franken ist demgemäß nicht nachvollziehbar.
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4. Die Abweisung der Klage mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung stellt sich damit als unzulässige Überraschungsentscheidung dar (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juni 1989 - VI ZR 216/88, NJW 1989, 2756, 2757, vom 20. Juni 1990 - VIII ZR 158/89, NJW 1991, 637, 638 und vom 2. Februar 1993 - XI ZR 58/92, NJW-RR 1993, 569). Die Verfahrensrüge ist auch ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerin hat im einzelnen dargelegt, was sie zur Ausräumung der Bedenken des Berufungsgerichts vorgetragen hätte, wenn ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre. Diesen Vortrag wird das Berufungsgericht bei der erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben.
III.
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Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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