Wucher, insbesondere Ausbeutung der Zwangslage, beim Gelegenheitsdarlehen
Leitsatz
Zur Frage, wann ein Gelegenheitsdarlehen den Tatbestand des Wuchers, insbesondere das Merkmal "unter Ausbeutung der Zwangslage" des Darlehensnehmers erfüllt.
Orientierungssatz
Hier: Kurzfristiges Privatdarlehen zur Zwischenfinanzierung des Bauvorhabens einer Bauträger-GmbH.











vorgehend LG Düsseldorf, 19. Juni 1991, 16 O 488/90

Grunewald, LM BGB § 138 (Ba) Nr 13 (7/1994) (Anmerkung)
Herbert Sernetz, WiB 1994, 366 (Anmerkung)

Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 138 BGB
● Reischl, 8. Auflage 2017, § 1113 BGB
● Reischl, 8. Auflage 2017, § 1191 BGB
Tatbestand
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Der Beklagte ist Konkursverwalter über das Vermögen einer Bauträger GmbH. Die Gemeinschuldnerin betrieb ab 1987 ein Bauprojekt, das neun Einfamilienhäuser umfaßte. Dafür hatte sie einen Darlehensvertrag mit der F. Hypothekenbank geschlossen; die Zwischenfinanzierung hatte die L. Bank übernommen; beiden Banken waren Grundschulden bestellt worden. Als sich zusätzlicher Finanzierungsbedarf ergab und dessen Deckung von den angesprochenen Banken abgelehnt wurde, schloß die Gemeinschuldnerin am 15. April 1988 eine notariell beglaubigte Vereinbarung mit den Klägern, zwei damals 22 und 18 Jahre alten Brüdern, die durch ihren Vater als Generalbevollmächtigten vertreten wurden; sie sollten der Gemeinschuldnerin ein nach Baufortschritt auszahlbares Darlehen von 1.000.000 DM gewähren. Vorgesehen waren ein Zinssatz von 8% p.a., ein bei der ersten Teilauszahlung fälliges Disagio von 9% und Bereitstellungszinsen von 3% p.a. Das Darlehen sollte "bis spätestens zum 30. September 1988" zurückgezahlt werden. Jedoch war ausdrücklich hinzugefügt: "Dieser Termin kann in beiderseitigem Einvernehmen bis zum 31. Dezember 1988 verlängert werden." Die Rückführung des Darlehens war - nach Ziffer (6) des Vertrags - vorgesehen aus den Verkaufserlösen für die finanzierten Baumaßnahmen und aus der weiteren Valutierung der Darlehen der F. Hypothekenbank. Zur Sicherung aller Forderungen aus der Geschäftsverbindung erhielten die Kläger u.a. die für die L. Bank eingetragenen nachrangigen Grundschulden; außerdem trat die Gemeinschuldnerin ihnen für den Fall der Verwertung vorrangiger oder gleichstehender Grundschulden die gegen deren Gläubiger gerichteten Ansprüche auf Auszahlung des über die gesicherten Forderungen hinausgehenden Mehrerlöses ab.
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In der Folgezeit zahlten die Kläger das vereinbarte Darlehen teilweise, nämlich in Höhe von insgesamt 547.525,05 DM, an die Gemeinschuldnerin aus. Am 29. September 1988 vereinbarten die Kläger mit der Darlehensnehmerin eine Verlängerung der Darlehenslaufzeit bis zum 31. Dezember 1991. Am 19. Mai 1989 wurde der Konkurs über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet. Die F. Hypothekenbank betrieb aus ihrer Grundschuld die Zwangsversteigerung des belasteten Grundstücks; der Vater der Kläger erhielt den Zuschlag, das Meistgebot betrug 240.614,30 DM. Nach dem Teilungsplan wurden dem Beklagten als Konkursverwalter aufgrund der durch die Zahlung erloschenen, infolge Verzichts der Hypothekenbank auf ihn übergegangenen Grundschuld 239.153,06 DM zugeteilt. Dagegen haben die Kläger im Verteilungstermin Widerspruch eingelegt und mit der Klage gemäß §§ 115 Abs. 1 ZVG, 878 BGB eine Abänderung dahin beantragt, daß sie mit einer Forderung von 239.212,70 DM vor dem Beklagten zu befriedigen seien. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, jedoch beschränkt auf einen Forderungsbetrag von 231.106,50 DM.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
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Zur Begründung der Klageabweisung hat das Berufungsgericht ausgeführt: Die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf den Mehrerlös, auf die sich die Klage stütze, sei nichtig, weil der Darlehensvertrag vom 15. April 1988 die Voraussetzungen des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB erfülle. Ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ergebe sich bereits aus der Höhe des Zinssatzes, der wegen des Disagios sogar bei sofortiger Auszahlung des Gesamtdarlehens ca. 28% p.a. betragen habe. Als angemessen seien dagegen allenfalls knapp 10% anzusehen; als Vergleichszins sei nämlich von dem seinerzeit marktüblichen Hypothekenzins von rund 6% auszugehen; er sei, da es sich um ein nicht gewerbsmäßiges Darlehen mit erheblichem Risiko gehandelt habe, allenfalls um 50% zu erhöhen. Hinzu komme, daß die Bereitstellungskosten hätten sehr hoch werden können, da das Disagio in voller Höhe zu zahlen gewesen sei, auch wenn nur ein sehr geringer Darlehensbetrag in Anspruch genommen worden wäre. Dieser Fall sei zwar nicht eingetreten; das von der Gemeinschuldnerin übernommene Risiko sei aber bei der Feststellung des Mißverhältnisses zu berücksichtigen.
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Die Gemeinschuldnerin habe sich zur Zeit der Darlehensaufnahme auch in einer Zwangslage befunden: Sie sei bereits zum Jahresende 1987 wegen Überschuldung konkursreif gewesen; sämtliche Bemühungen um eine bankmäßige Zwischenfinanzierung seien im März 1988 gescheitert. Der Vater der Kläger, dessen Kenntnis ihnen zuzurechnen sei, habe die Zwangslage bewußt ausgebeutet. Dafür spreche wegen des besonders groben Mißverhältnisses eine tatsächliche Vermutung, die durch die Beweisaufnahme bestätigt worden sei. Es sei ausgeschlossen, daß die Gemeinschuldnerin sich - wie der Zeuge W. erklärt habe - aus freien Stücken entschlossen habe, den von den Klägern privat betriebenen Cart-Sport mit 90.000 DM zu fördern, und daß die Bezeichnung als Disagio nur der Steuerhinterziehung gedient habe.
II.
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Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Teilen der Begründung nicht stand.
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1. Nicht zu beanstanden ist der Ausgangspunkt: Anders als bei sittenwidrigen Geschäften gemäß § 138 Abs. 1 BGB erstreckt sich im Falle des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB die Nichtigkeit nicht nur auf das Darlehen als Grundgeschäft, sondern auch auf die abstrakten Erfüllungsleistungen (BGH, Urteil vom 8. Juli 1982 - III ZR 1/81 = ZIP 1982, 1181, 1183 m.w.Nachw.). Deshalb kann der Wucherer nicht einmal seinen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung des Darlehenskapitals aus ihm bestellten Sicherheiten befriedigen. Gerade auch wegen dieser weitgreifenden Folgen sind beim subjektiven Tatbestand des § 138 Abs. 2 BGB strenge Anforderungen an die im Einzelfall zu treffenden Feststellungen gerechtfertigt.
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2. Auch im Rahmen des § 138 Abs. 2 BGB kann allerdings eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale sprechen, wenn objektiv nicht nur ein auffälliges, sondern ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen ist (Senatsurteil vom 19. Juni 1990 - XI ZR 280/89 = WM 1990, 1322, 1323). Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht jedoch zu Unrecht bejaht.
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a) Es kann offenbleiben, ob die Revision sich mit Recht dagegen wendet, daß das Berufungsgericht den Disagiobetrag - trotz der vom Zeugen W. gegebenen Begründung (verdeckte Sportförderung) - als Zinsbestandteil gewertet und im übrigen der Jahreszinsberechnung - trotz der im Vertrag ausdrücklich erwähnten Verlängerungsmöglichkeit - nur eine Darlehenslaufzeit vom 15. April bis 30. September 1988 zugrunde gelegt hat.
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b) Selbst wenn man nämlich von der Berechnungsweise des Berufungsgerichts ausgeht, rechtfertigt der sich ergebende Zinssatz von knapp 28% p.a. - anders als im Fall der BGH-Entscheidung vom 8. Juli 1982 (aaO), wo die Zinsbelastung zwischen 94,7% und 180% lag - nicht bereits wegen der absoluten Zinshöhe die Feststellung eines besonders groben Mißverhältnisses. Daran fehlt es aber auch, wenn man - wie das Berufungsgericht - den vereinbarten Zinssatz mit dem im Zeitpunkt der Darlehensgewährung angemessenen Zins vergleicht und auf die relative Überschreitung abstellt. Für die Bestimmung des hier angemessenen Zinssatzes kann die vom Berufungsgericht herangezogene Zinsstatistik der Bundesbank für Hypothekarkredite allenfalls einen entfernten Anhalt bieten. Sie bezieht sich nämlich auf langfristige Bankkredite, die durch erstrangige Pfandrechte an Wohngrundstücken innerhalb der banküblichen Beleihungsgrenzen abgesichert sind. Hier geht es dagegen um ein kurzfristiges Privatdarlehen an eine GmbH, die nur nachrangige Sicherheiten bieten konnte, die den zunächst angesprochenen Banken nicht mehr ausreichend erschienen. Diesen Besonderheiten (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1990 aaO zu II., 2. b) mißt das Berufungsgericht nicht das ihnen zukommende Gewicht bei, wenn es auch unter Berücksichtigung der von ihm festgestellten Umstände nur "allenfalls knapp 10% Zinsen" als angemessen ansieht und deswegen bei 28% nicht nur ein auffälliges, sondern ein besonders grobes Mißverhältnis bejaht.
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c) Als zusätzliche Begründung für eine solche Bewertung reichen auch die Berechnungen des Berufungsgerichts zur Höhe der Bereitstellungskosten nicht aus, die nach dem Vertrag bei einer verzögerten Darlehensauszahlung hätten entstehen können. Die vereinbarten 3% Bereitstellungszinsen sind auch bei Banken üblich. Das hohe Disagio von 9% sollte zwar bereits bei der ersten Teilauszahlung fällig sein. Wenn dieses Disagio aber - wie das Berufungsgericht annimmt - Zinsbestandteil war, stand es der Klägerin, wenn und soweit es nicht zu einer vollen Inanspruchnahme des Darlehens kam, nicht endgültig zu, sondern war als ungerechtfertigte Bereicherung zurückzuzahlen (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 1993 - XI ZR 11/93 = WM 1993, 2003 und vom 16. November 1993 - XI ZR 70/93 = WM 1994, 13, jeweils m.w.Nachw.).
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3. Geht man, weil eine tatsächliche Vermutung nicht eingreift, allein von den Tatsachen aus, die das Berufungsgericht aufgrund des Parteivorbringens und der Zeugenaussage rechtsfehlerfrei festgestellt hat, so sind die subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt. Die Beklagte hat bisher nicht bewiesen, daß die Kläger sich bei Abschluß des Darlehensvertrags am 15. April 1988 eine Zwangslage der Gemeinschuldnerin bewußt und in verwerflicher Weise zunutze gemacht haben (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1990 aaO).
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a) Dazu reicht die Feststellung, die Gemeinschuldnerin sei bereits zum Jahresende 1987 konkursreif gewesen, weil ihre Bilanz damals eine Überschuldung von rund 67.000 DM aufgewiesen habe, nicht aus. Die Konkursreife der Gemeinschuldnerin ist für die subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nur von Bedeutung, wenn sie den Vertragspartnern am 15. April 1988 bekannt war. Das ist nicht festgestellt. Die Kläger haben vielmehr unwidersprochen behauptet, die Jahresschlußbilanz 1987 sei erst Ende 1988 erstellt worden; die Zeugenvernehmung der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin und des Vaters der Kläger hat nichts dafür ergeben, daß sie im entscheidenden Zeitpunkt bereits Kenntnis von der Überschuldung der GmbH hatten. Im übrigen war eine Kreditaufnahme nicht geeignet, eine Überschuldung zu beseitigen.
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b) Über eine - im April 1988 bereits eingetretene oder unmittelbar drohende - Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Die vernommenen Zeugen haben die darauf zielenden Behauptungen des Beklagten nicht bestätigt, sondern im Gegenteil bekundet, die GmbH habe damals, zumindest mit Hilfe von Finanzierungsmitteln, die ihr der Gesellschafter G. zur Verfügung gestellt habe, ihre fälligen Verpflichtungen noch ohne weiteres erfüllen können.
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c) Das Berufungsgericht hat lediglich festgestellt, die Gemeinschuldnerin habe ihren etwa 1.000.000 DM betragenden Finanzbedarf zur ordnungsgemäßen Fortsetzung des gesamten Bauvorhabens nicht anders als durch das Darlehen der Kläger befriedigen können, verschiedene Banken hätten eine Zwischenfinanzierung in dieser Höhe abgelehnt, das sei dem Vater der Kläger bekannt gewesen. Diese Feststellungen reichen zur Erfüllung der subjektiven Voraussetzungen des Wuchers nicht aus. Ein anderweitig nicht zu befriedigender Kreditbedarf begründet nicht in jedem Fall eine Zwangslage im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. Es kommt vielmehr darauf an, wofür der Kreditbedarf besteht, welche Gefahren drohen, wenn er nicht gedeckt wird. Zwar braucht durch die Geldnot nicht mehr die wirtschaftliche Existenz des Bewucherten bedroht zu sein, wie es als Voraussetzung einer "Notlage" im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB a.F. gefordert wurde (BGH, Urteil vom 8. Juli 1982 aaO zu I. 2. b m.w.Nachw.). Der Begriff der "Zwangslage" im Sinne der Neufassung der Vorschrift reicht weiter (Soergel/Hefermehl 12. Aufl. § 138 BGB Rdn. 78; MünchKomm/Mayer-Maly 3. Aufl. § 138 BGB Rdn. 124; Palandt/Heinrichs 53. Aufl. § 138 BGB Rdn. 70); es genügt, wenn dem Kreditbedürftigen schwere wirtschaftliche Nachteile drohen (Soergel/Hefermehl aaO; Palandt/Heinrichs aaO). Dabei muß es sich aber stets um eine Gefährdung des Bestehenden handeln; es reicht nicht aus, wenn ohne den Kredit bloße Zukunftspläne scheitern würden (vgl. MünchKomm/Mayer-Maly aaO; BGH, Urteil vom 21. Mai 1957 - VIII ZR 226/56 = NJW 1957, 1274); erst recht genügt es nicht, wenn einer Projektplanung nur Einschränkungen oder zeitliche Verschiebungen drohen. Daher durfte sich das Berufungsgericht hier nicht mit der Feststellung begnügen, die Gemeinschuldnerin habe zur ordnungsgemäßen Fortsetzung des gesamten Bauvorhabens Kreditmittel von etwa 1.000.000 DM benötigt und anderweitig nicht erhalten können. Das Berufungsgericht mußte sich mit dem Einwand der Kläger auseinandersetzen, die Gemeinschuldnerin habe durch den Verkauf einzelner Parzellen ihre finanziellen Schwierigkeiten meistern und die Fertigstellung der restlichen Häuser durchführen können. Die Revision rügt mit Recht das Fehlen jeglicher Feststellungen hierzu im Berufungsurteil.
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Wenn es der Gemeinschuldnerin möglich war, ihre Planung ohne schwere wirtschaftliche Nachteile zu ändern, wenn sie aber trotzdem daran - auch um den Preis einer erheblich teureren Zwischenfinanzierung - festhielt, weil sie sich davon einen besonders hohen Gewinn versprach, so lag keine Zwangslage im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB vor. Selbst wenn aber ein Aufgeben der bisherigen Planung der Gemeinschuldnerin nicht nur weniger Gewinn, sondern erhebliche Verluste gebracht hätte, müßte der Beklagte auch noch beweisen, daß der Vater der Kläger diese Zwangslage gekannt und bewußt ausgenutzt hat; sonst würde es auf seiten der Kläger an den subjektiven Voraussetzungen der Ausbeutung fehlen.
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Danach mußte die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Es erhält dadurch Gelegenheit, sich bei der erneuten Prüfung auch mit den Revisionsrügen auseinanderzusetzen, über die der Senat nicht zu entscheiden brauchte.
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