Rechtswegzuständigkeit für die Klage der Justizvollzugsbehörde auf Aufwendungsersatz für die Behandlungskosten eines Untersuchungsgefangenen nach Selbstmordversuch; Begründetheit der Klage
Leitsatz
1. Für die Klage des Trägers einer Justizvollzugsanstalt auf Ersatz seiner Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit eines Untersuchungsgefangenen, der einen Selbstmordversuch begangen hat, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben. Für einen solchen Anspruch besteht jedoch keine zivilrechtliche Grundlage.









vorgehend LG Trier 4. Zivilkammer, 29. Januar 1988, 4 O 128/87

Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Gregor, 8. Auflage 2017, § 677 BGB
● Gregor, 8. Auflage 2017, § 679 BGB
Tatbestand
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Der Beklagte wurde am 6. Dezember 1986 als Untersuchungsgefangener in eine Justizvollzugsanstalt des klagenden Bundeslandes eingeliefert. Am 9. Dezember 1986 wurde er in der Haftzelle bewußtlos mit mehreren Rippenbrüchen sowie Schnittwunden in einer Ellenbeuge, im Bereich der Knie und über den Augenbrauen aufgefunden. Nach der Behauptung des Klägers waren diese Verletzungen Folge eines Selbstmordversuchs. Die Justizvollzugsanstalt veranlaßte, daß der Beklagte durch einen Notarzt sowie im Brüderkrankenhaus T. ambulant behandelt wurde. Anschließend wurde der Beklagte in das Justizvollzugskrankenhaus W. verlegt. Dort verblieb er bis zum 9. Januar 1987.
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Mit seiner Klage verlangt der Kläger den Ersatz der von ihm gezahlten Behandlungskosten von insgesamt 8.435,92 DM (Aufwendungen für den Einsatz des Notarztwagens, die ambulante Behandlung im Brüderkrankenhaus T. und die stationäre Behandlung im Justizvollzugskrankenhaus W.) abzüglich der Verpflegungskosten in Höhe von 162,05 DM, die in der Justizvollzugsanstalt angefallen wären.
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Darüber hinaus verlangt der Kläger Schadensersatz in Gesamthöhe von 45,04 DM für mehrere Gegenstände, die der Beklagte im Zusammenhang mit dem behaupteten Selbstmordversuch beschädigt haben soll.
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Das Landgericht hat die Klage, soweit sie auf Ersatz der Behandlungskosten gerichtet ist, als unzulässig, im übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 29. Januar 1988 - 4 O 128/87, NStZ 1988, 244). Das Berufungsgericht hat der Klage mit einer geringen Abweichung bei der Zinsforderung stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die Sache im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Entscheidungsgründe
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I. Das Rechtsmittel ist nur insoweit zulässig, als es sich gegen die Verurteilung des Beklagten zum Ersatz der Aufwendungen für seine ärztliche Versorgung wendet. Hinsichtlich der Verurteilung zum Ersatz des Wertes beschädigter Gegenstände (Gesamtbetrag 45,04 DM) fehlt es an der mit Rücksicht auf den Wert der Beschwer nach § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendigen Revisionszulassung durch das Berufungsgericht.
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Das Berufungsgericht hat allerdings im Tenor des angefochtenen Urteils die Revision ohne einschränkenden Zusatz zugelassen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich jedoch zweifelsfrei, daß die Zulassung ausschließlich auf der Erwägung beruht, die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs sei von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Frage ist lediglich für die Kosten der ärztlichen Versorgung zweifelhaft. Für die Schadensersatzpflicht des Beklagten wegen Sachbeschädigung stellt sie sich nicht. Da es sich insoweit um einen rechtlich und tatsächlich selbständigen Anspruch handelt, über den durch Teilurteil entschieden werden könnte, war eine Beschränkung der Revisionszulassung durch die Begründung des Berufungsurteils möglich und hier - insbesondere im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Schadensersatzanspruchs - offensichtlich auch gewollt (vgl. dazu BGHZ 101, 276, 278f.; BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87, NJW 1989, 774 und vom 16. März 1988 - VIII ZR 184/87, BGHR ZPO § 546 Abs. 1 Satz 1 Revisionszulassung, beschränkte 4 - insoweit in BGHZ 104, 6 nicht abgedruckt).
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II. 1. Das Berufungsgericht hält hinsichtlich der Klage auf Ersatz der Transport- und Behandlungskosten den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben. Der öffentlichen Hand stehe es frei, sich auch bei der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben privat-rechtlicher Mittel zu bedienen. Geschehe dies, so seien für Rechtsstreitigkeiten, die sich daraus ergäben, die Zivilgerichte zuständig. Da der Kläger hinsichtlich der Behandlung des Beklagten dessen Interessen im Sinne einer privat-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag wahrgenommen habe, sei deshalb der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.
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2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, daß der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben sei, hält im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
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Der Kläger verlangt mit der Klage den Ersatz von Aufwendungen, die ihm als Träger der Justizvollzugsanstalt entstanden sind, um die Gesundheit des Beklagten als eines Untersuchungsgefangenen nach dessen behauptetem Selbstmordversuch wiederherzustellen. Diese Aufwendungen werden nach der ausdrücklichen Erklärung des Klägers nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677ff. BGB, nicht auch als Kosten der Untersuchungshaft geltend gemacht. Unter diesem zweiten rechtlichen Gesichtspunkt könnte der Klageanspruch ohnehin schon deshalb nicht geprüft werden, weil über die strafprozessuale Kostenerstattung nur im Verfahren nach § 464b StPO entschieden werden kann.
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Die Zulässigkeit des Rechtswegs wird grundsätzlich bestimmt durch die - unabhängig von der Bewertung des Klägers zu ermittelnde - Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. dazu BGHZ 66, 229, 232; 106, 134, 135; BAG, Urteil vom 14. Dezember 1988 - 7 AZR 773/87, NJW 1989, 2909; BSG, Urteil vom 20. September 1988 - 6 RKa 3/88, NJW 1989, 2771). Danach wäre hier der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben, weil der behauptete Anspruch als Ausfluß des öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen dem Träger der Justizvollzugsanstalt und dem Untersuchungsgefangenen selbst öffentlich-rechtlicher Art ist (vgl. dazu auch unter 3). Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an, weil sich die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte aus einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ergibt.
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Eine im Wortsinn ausdrückliche Zuweisung von Streitigkeiten der vorliegenden Art an die ordentlichen Gerichte fehlt allerdings. Sie ist aber auch nicht erforderlich. Eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist auch dann gegeben, wenn sich in anderer Weise aus den gesetzlichen Regelungen klar ergibt, daß die Entscheidung über bestimmte Rechtsverhältnisse nach dem Willen des Gesetzgebers einem anderen Gerichtszweig als den Verwaltungsgerichten zugewiesen sein soll (vgl. dazu auch BVerwGE 15, 34, 35f.; BVerwG, Urteil vom 5. Mai 1983 - 5 C 52/81, NJW 1984, 191). Dies ist hier der Fall. Die Entscheidungen über die Rechtsverhältnisse, die aufgrund von Maßnahmen einer Justizvollzugsanstalt zur Versorgung eines Untersuchungsgefangenen zwischen dem Träger der Anstalt und dem Untersuchungsgefangenen entstehen, sind durchweg den ordentlichen Gerichten zugewiesen. So entscheiden die ordentlichen Gerichte über Maßnahmen, die der Leiter einer Justizvollzugsanstalt zum Vollzug der Untersuchungshaft nach § 119 Abs. 6 StPO trifft (§ 119 Abs. 6 Satz 3, § 304 Abs. 1 StPO). Auch dann, wenn ein Untersuchungsgefangener beanstandet, daß er keine oder keine ausreichende ärztliche Versorgung erhalte, entscheiden nach § 119 Abs. 6 StPO oder §§ 23, 27 EGGVG die ordentlichen Gerichte (KK/Boujong, Strafprozeßordnung 2. Aufl. § 119 Rdn. 103; KK/Kissel aaO § 23 EGGVG Rdn. 97; Kleinknecht/Meyer, Strafprozeßordnung 39. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 18; Wendisch in Löwe/Rosenberg, Strafprozeßordnung 24. Aufl. § 119 Rdn. 161, jeweils m.w.Nachw.). Kosten der Untersuchungshaft werden nach den §§ 464a ff. StPO als Verfahrenskosten erhoben. Im Streitfall entscheiden auch hier die ordentlichen Gerichte. Schon dieser umfassenden Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten im Verhältnis zwischen einer Justizvollzugsanstalt und einem Untersuchungsgefangenen läßt sich entnehmen, daß es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, daß auch über eine Klage auf Ersatz der Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit eines Untersuchungsgefangenen von den ordentlichen Gerichten entschieden werden soll. Dazu kommt, daß über die Klage einer Vollzugsbehörde gegen einen Strafgefangenen auf Ersatz von Aufwendungen, die dieser durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung verursacht hat, nach der ausdrücklichen Regelung des § 93 Abs. 3 StVollzG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist (vgl. dazu Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - Strafvollzugsgesetz (StVollzG) - BT-Drucks. 7/3998 S. 35 zu § 81 des Entwurfs). Ein unterschiedlicher Rechtsweg für Aufwendungsersatzansprüche gegen Untersuchungsgefangene und gegen Strafgefangene wäre sachwidrig. Dem entspricht Art. 1 Nr. 30 des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (BT- Drucks. 11/3694). Dieser sieht über eine Neufassung des § 177 StVollzG die entsprechende Anwendung des § 93 StVollzG auf Untersuchungsgefangene vor, durch die nicht nur - wie es in der Entwurfsbegründung heißt - "die notwendige gesetzliche Grundlage für die Geltendmachung von Aufwendungen gegenüber einem Untersuchungsgefangenen" geschaffen werden soll, sondern auch die Rechtswegzuweisung des § 93 Abs. 3 StVollzG übernommen wird. Das Berufungsgericht hat danach im Ergebnis zutreffend den ordentlichen Rechtsweg als gegeben angesehen.
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3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Kläger vom Beklagten Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB) verlangen könne, hält der revisionsrechtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Dem Staat obliegt eine öffentlich-rechtliche Fürsorgepflicht für die Gesundheit des Untersuchungsgefangenen, als deren Ausfluß ein Recht des Gefangenen auf ärztliche Betreuung anerkannt ist (BGH, Urteil vom 26. November 1981 - III ZR 59/80, NJW 1982, 1328, 1329 m.w.Nachw.). Der Gefangene, der durch die Untersuchungshaft in seinen eigenen Bemühungen um seine Gesundheit sehr eingeschränkt ist, hat dieses Recht auch dann, wenn die Heilbehandlung deshalb notwendig geworden ist, weil er sich selbst vorsätzlich bei einem Selbstmordversuch verletzt hat. Das Bestehen dieses Rechts bedeutet allerdings noch nicht, daß ein Anspruch des Staates auf Ersatz von Behandlungskosten von vornherein ausgeschlossen ist. Es fehlt hier jedoch an einer Anspruchsgrundlage für die Forderung von Aufwendungsersatz. Ein - hier allein in Betracht kommender - Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag ist schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger durch seine Maßnahmen lediglich den gegen ihn bestehenden öffentlich-rechtlichen Anspruch des Beklagten auf Fürsorge erfüllt hat. In einem solchen Fall ist bereits der Tatbestand der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgeschlossen. Es kommt daher nicht mehr auf die Frage an, ob die Vorschriften der §§ 464a ff. StPO in Verbindung mit den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes für Fälle der vorliegenden Art eine Sonderregelung darstellen, die einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließt (vgl. Schubert NJW 1978, 687, 688). Eine entsprechende Anwendung der für Strafgefangene geltenden Sonderregelung des § 93 Abs. 1 StVollzG auf Untersuchungsgefangene ist nicht möglich und wird auch von der Revision nicht gefordert (vgl. dazu auch Schwind/Böhm, StVollzG § 93 Rdn. 4). Art. 1 Nr. 30 des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes will nach seiner bereits angeführten Begründung dafür erst die "notwendige gesetzliche Grundlage" schaffen, sieht dabei jedoch eine unterschiedliche Gestaltung der Rechtsstellung von Untersuchungs- und Strafgefangenen vor.
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Soweit der Beklagte zum Aufwendungsersatz verurteilt wurde, ist daher das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Permalink
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