Unwirksamkeit der Entgeltklausel für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen in Bank-AGB
Leitsatz
Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klausel einer Bank, daß für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen ein Entgelt zu entrichten ist, benachteiligt die Kunden unangemessen und ist deshalb unwirksam.












vorgehend LG Mannheim 5. Zivilkammer, 25. August 1995, 5 O 174/95
nachgehend BVerfG 1. Senat 2. Kammer, 28. August 2000, 1 BvR 1821/97, Nichtannahmebeschluss





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Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. November 1996 aufgehoben und das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 25. August 1995 abgeändert.
Der Beklagten wird bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 500.000 DM ersatzweise von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere zu vollstrecken an ihren Vorstandsmitgliedern, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, künftig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ausgenommen gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes, folgende oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden:
"Verwaltung Freistellungsauftrag 12,-- DM pro Jahr".
Im übrigen werden die Klage abgewiesen und die Rechtsmittel des Klägers zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der klagende Verbraucherschutzverein hat nach seiner Satzung die Aufgabe, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die beklagte Bank verwendet gegenüber ihren Kunden Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die durch einen sogenannten "Preisaushang" ergänzt werden. Nr. 12 Abs. 1 der AGB (wortgleich mit Nr. 12 Abs. 1 AGB-Banken i.d.F. vom Januar 1993 - abgedruckt in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch Anhang 1 zu §§ 4-25) lautet:
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"Zinsen und Entgelte im Privatkundengeschäft
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Die Höhe der Zinsen und Entgelte für die im Privatkundengeschäft üblichen Kredite und Leistungen ergibt sich aus dem "Preisaushang - Regelsätze im standardisierten Privatkundengeschäft" und ergänzend aus dem "Preisverzeichnis". Wenn ein Kunde einen dort aufgeführten Kredit oder eine dort aufgeführte Leistung in Anspruch nimmt und dabei keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde, gelten die zu diesem Zeitpunkt im Preisaushang oder Preisverzeichnis angegebenen Zinsen oder Entgelte. ..."
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In dem Preisaushang heißt es unter "Sonstiges":
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"Verwaltung Freistellungsauftrag 12,00 DM pro Jahr."
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Im Verfahren nach § 13 AGBG verlangt der Kläger von der Beklagten, die Verwendung dieser oder inhaltsgleicher Entgeltklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unterlassen, sowie ihm die Befugnis zuzusprechen, die Urteilsformel mit der Bezeichnung der Beklagten im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Das Landgericht (Urteilsabdruck in WM 1995, 1805 f.) hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht, dessen Urteil in WM 1996, 2331 veröffentlicht ist, hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine ursprünglichen Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist mit Ausnahme des Antrags, dem Kläger die Veröffentlichungsbefugnis nach § 18 AGBG einzuräumen, begründet.
I.
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Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch des Klägers verneint. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:
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Es handele sich bei der angegriffenen Regelung um eine preisregelnde Vertragsklausel, die gemäß § 8 AGBG nicht der Inhaltskontrolle nach dem AGBG unterliege. Hinsichtlich der Verwaltung des Freistellungsauftrages fehle es an einer gesetzlichen Regelung zur Bestimmung von Preis und Leistung. Die Erteilung des Freistellungsauftrages sei ein entgeltpflichtiger Vorgang, die Beklagte erfülle insoweit nicht eine eigene gesetzliche Verpflichtung gegenüber den Kunden, insbesondere ergebe sich eine solche nicht aus dem Zinsabschlaggesetz. Die Beklagte könne im Privatrechtswege die Kosten der Steuerverwaltung, deren Ersatz ihr der Staat ohne Verletzung des Art. 12 GG vorenthalte, auf ihre Kunden abwälzen. Wenn dies im vergleichbaren Lohnsteuerabzugsverfahren dem Arbeitgeber gegenüber seinem Arbeitnehmer möglicherweise verwehrt sei, so treffe das auf das Verhältnis der Bank zu ihrem Kunden nicht zu.
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Selbst wenn von der Kontrollfähigkeit der angegriffenen Klausel auszugehen sei, halte diese einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand. Sie weiche nicht von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung ab, da es an einem gesetzlichen Leitbild fehle, das der Beklagten die Unentgeltlichkeit der Bearbeitung des Freistellungsauftrages vorschreibe. Die Klausel benachteilige die Kunden der Beklagten auch nicht unangemessen. Die Besorgung der steuerlichen Angelegenheit diene in erster Linie den finanziellen Eigeninteressen der Kunden, die hierdurch einen Zinsvorteil erlangten. Dagegen spreche auch nicht das wirtschaftliche Interesse der Beklagten am Verbleib der freigestellten Zinsbeträge auf den Kundenkonten, zumal der Kunde diese Beträge auch ohne Einflußmöglichkeit der Beklagten vom Konto nehmen könne.
II.
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Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
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1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. § 8 AGBG beschränkt die Inhaltskontrolle nach §§ 9-11 AGBG auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Da die Vertragsparteien nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen können, unterliegen AGB-Klauseln, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflicht und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln, nicht der Inhaltskontrolle. Kontrollfähig sind dagegen (Preis-) Nebenabreden, das heißt Abreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann (BGHZ 124, 254, 256 ; Senatsurteil vom 7. Mai 1996 XI ZR 217/95, WM 1996, 1080, 1082). Dabei sind unter Rechtsvorschriften im Sinne von § 8 AGBG nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn zu verstehen, sondern auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze und das Abweichen von wesentlichen Rechten und Pflichten, die sich aus der Natur des jeweiligen Vertragsverhältnisses ergeben (BGHZ 93, 358, 363).
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2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht einer Inhaltskontrolle der beanstandeten Entgeltklausel § 8 AGBG nicht entgegen.
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Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann nach allgemeinen Grundsätzen Entgelte nur für Leistungen verlangen, die er auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für den einzelnen Kunden erbringt. Jede Entgeltregelung, die sich nicht auf eine solche Leistung stützt, sondern die Aufwendung für die Erfüllung gesetzlich begründeter eigener Pflichten des Verwenders abzuwälzen versucht, stellt deshalb eine Abweichung von Rechtsvorschriften dar. Der Bundesgerichtshof hat sich demgemäß bisher in ständiger Rechtsprechung (BGHZ 114, 330, 333 ; 124, 254, 256 ff.; Senatsurteil vom 7. Mai 1996 XI ZR 217/95, WM 1996, 1080, 1082) durch § 8 AGBG nicht gehindert gesehen, Preisklauseln daraufhin zu überprüfen, ob ihnen eine echte (Gegen-)Leistung zugrunde liegt. Die Einstellung von Entgeltklauseln in ein Regelwerk, das Preise für Einzelleistungen bei der Abwicklung eines Vertrages festlegt, macht die einzelne Klausel nicht zum jeder Kontrolle entzogenen unselbständigen Bestandteil einer Preisabsprache.
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3. Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des Berufungsgerichts, die hier streitige Klausel halte der danach eröffneten Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand. Die Berechnung eines Entgelts für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen ist vielmehr mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung nicht vereinbar (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) und benachteiligt die betroffenen Kapitalanleger in unangemessener Weise (§ 9 Abs. 1 AGBG).
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a) Mit der den Gegenstand der Vergütungsregelung bildenden Verwaltung von Freistellungsaufträgen erfüllt die beklagte Bank eine ihr vom Staat im öffentlichen Interesse auferlegte Pflicht.
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aa) Das Zinsabschlaggesetz (Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung vom 9. November 1992, BGBl. I S. 1853) modifiziert die vertragliche Pflicht des Kreditinstituts zur Auszahlung der Kapitalerträge an den Kunden insoweit, als es den Steuerabzug einzubehalten und an den Staat abzuführen hat. Die Kreditinstitute werden dadurch ähnlich wie die Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug oder bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und wie Versicherungsunternehmen bei der Einbehaltung der Versicherungssteuer zur unentgeltlichen Einziehung von Steuern und damit zur Erfüllung staatlicher Aufgaben herangezogen (vgl. BVerfGE 22, 380, 383 ff.). Ob die damit für sie verbundene zusätzliche finanzielle Belastung noch angemessen und zumutbar ist, ist eine verfassungsrechtliche Frage, die die Wirksamkeit der diese Pflichten begründenden Steuernormen betrifft (BVerfGE aaO). Das Verhältnis der Kreditinstitute zu ihren Kunden wird dadurch nicht tangiert.
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bb) Die Verpflichtung zum Einzug der Kapitalertragssteuer umfaßt die Prüfung der Voraussetzungen für die Einbehaltung und Abführung. Sie schließt deshalb die Entgegennahme und Beachtung von Freistellungsaufträgen ein.
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Freistellungsaufträge dienen der Verwaltungsvereinfachung. Durch sie soll verhindert werden, daß Steuern abgeführt werden, die später zu erstatten sind. Eine Einschränkung des Steuerabzugs war schon deshalb erforderlich, weil die zunächst festgelegten hohen Sparerfreibeträge von 6.100/12.200 DM über 80% der bis dahin steuerpflichtigen Kapitalanleger von der Besteuerung ihrer Kapitalerträge freistellen (vgl. Giloy FR 1992, 605). Der zu diesem Zweck geschaffene Freistellungsauftrag wird im Gesetz ebenso behandelt wie die bereits vor Inkrafttreten des Zinsabschlaggesetzes zulässige Nichtveranlagungsbescheinigung (§ 44 a Abs. 2 Satz 1 EStG) ; das Kreditinstitut hat bei Vorlage von einem Steuerabzug abzusehen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist die Vorlage dieser Vordrucke tatbestandliche Voraussetzung für "die Abstandnahme vom Steuerabzug", nicht etwa wie die mißverständliche Bezeichnung "Freistellungsauftrag" nahelegen könnte die Inanspruchnahme einer Dienstleistung des Kreditinstituts durch den Kapitalanleger. Dem Kreditinstitut steht es nicht frei, den "Auftrag" abzulehnen; eine rechtsgeschäftliche Annahme scheidet deshalb aus. Das dem Anleger durch die Möglichkeit der Stellung eines Freistellungsauftrages eingeräumte Wahlrecht ist rein steuerrechtlicher Natur.
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b) Nach dispositivem Gesetzesrecht hat jeder Rechtsunterworfene die Aufwendungen, die ihm durch die Erfüllung seiner dem Staat gegenüber bestehenden Pflichten erwachsen, als Teil seiner Gemeinkosten selbst zu tragen. Er kann sie nicht unter Berufung auf das Verursacherprinzip offen auf Dritte abwälzen, indem er die ihm durch staatliche Organe aufgebürdeten Verwaltungsaufgaben in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu individuellen Dienstleistungen gegenüber denjenigen erklärt, die unmittelbar oder mittelbar daraus Nutzen ziehen. Vielmehr muß er wie jeder andere diese Gemeinkosten durch die im freien Wettbewerb erzielbaren Leistungspreise erwirtschaften. § 354 Abs. 1 HGB ändert daran nichts ; er setzt voraus, daß einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste geleistet werden.
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Diese Grundsätze gehören zu den wesentlichen Grundgedanken unserer Rechtsordnung. Ihre Nichtbeachtung stellt einen Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG dar.
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c) Die Entgeltklausel benachteiligt die betroffenen Kapitalanleger auch unangemessen. Sie bürdet dem einzelnen Kunden Kosten auf, die der Beklagten als staatlicher Zahlstelle (Giloy aaO) entstehen. Ihm wird abverlangt, das im Auftrag des Staates handelnde Kreditinstitut dafür zu entlohnen, daß es von der Einbehaltung und Abführung einer nicht geschuldeten Steuer absieht und dem Staat die erheblichen Kosten für die Erstattung erspart. Das steht im übrigen in deutlichem Gegensatz zu dem Grundsatz, daß der Staat für die Berechnung der Steuern und für die Prüfung von Steuerbefreiungstatbeständen kein Entgelt verlangt. Daran ist auch für die Bereiche festzuhalten, in denen sich der Fiskus bei der Steuereinziehung im Interesse der Allgemeinheit privater Unternehmer bedient. Ob das von der beklagten Bank berechnete Entgelt den einzelnen Kunden mehr oder weniger stark belastet, ist im Rahmen der Verbandsklage nach §§ 13 ff. AGBG, die dem Rechtsverkehr im ganzen dient, belanglos (BGHZ 124, 254, 260). Es darf auch nicht außer Betracht gelassen werden, daß das Freistellungsentgelt die Kapitalanleger mit geringeren Zinserträgen besonders empfindlich trifft und eine große Zahl von Bürgern, die Zinserträge bei mehreren Kreditinstituten etwa bei ihrer Hausbank und ihrer Bausparkasse erzielen, die Gebühren mehrfach entrichten müßten, während ein nicht unerheblicher Teil der so ersparten Steuerabzüge auf den Konten der Kreditinstitute verbleibt und deren Erträge erhöht.
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4. Der Antrag des Klägers, ihm gemäß § 18 AGBG die Befugnis zur Veröffentlichung der Urteilsformel zuzusprechen, ist unbegründet. Eine Bekanntmachung ist unter Berücksichtigung des für sich gesehen wenig aussagekräftigen Urteilstenors zur Beseitigung der Störung, die durch die streitige Gebührenklausel eingetreten ist, wenig geeignet und nicht erforderlich. Eine ausreichende Publizität der Entscheidung ist ohnehin gewährleistet (vgl. BGHZ 124, 254, 262).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Der Antrag auf Bewilligung einer Veröffentlichungsbefugnis, mit dem der Kläger unterlegen ist, ist im Verhältnis zur Unterlassungsklage geringfügig und hat keine zusätzlichen Kosten verursacht.
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