Klageabweisung im Gerichtsstand des Vermögens wegen ungeklärter völkerrechtlicher Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der ehemaligen jugoslawischen Föderation
Leitsatz
Eine Klage darf nicht - wenn der Gerichtsstand des Vermögens gegeben ist - deshalb als unzulässig abgewiesen werden, weil die Entscheidung möglicherweise von der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation abhängt.
Orientierungssatz
Hier: Klage auf Auszahlung eines auf einem Konto einer ehemaligen Filiale im heutigen Kroatien einer Bank mit Sitz im heutigen Slowenien und Inlandskonto aufgelaufenen Devisensparguthabens.









vorgehend LG Frankfurt, 10. Mai 1994, 2/26 O 370/92

Wulf Goette, IStR 1997, 128 (Anmerkung)
Reinhold Geimer, LM ZPO § 23 Nr 10 (3/1997) (Anmerkung)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. September 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Rückzahlung eines Devisensparguthabens. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Der Kläger, ein aus Kroatien stammender Staatsangehöriger der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, lebt seit langem in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte, eine Bank mit Sitz in Ljubljana (Slowenien), unterhielt auch in anderen Teilrepubliken der Jugoslawischen Föderation sogenannte Hauptfilialen, u.a. in Zagreb (Kroatien). In Frankfurt am Main bestand vom 1. Oktober 1970 bis zum 28. Juli 1994 eine Repräsentanz der Beklagten im Sinne von § 53 a Kreditwesengesetz. Dort unterzeichnete der Beklagte am 4. April 1978 einen Devisensparvertrag, nach dem die von ihm einzuzahlenden ausländischen Währungen auf einem Konto bei der Hauptfiliale der Beklagten in Zagreb geführt werden sollten. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1990 kündigte der Kläger das gesamte Guthaben seines Devisensparkontos zum Jahresende und bat um Überweisung der unstreitigen Beträge in Höhe von 388.019,79 DM, 780,81 Schweizer Franken und 139,42 US-Dollar auf sein Konto bei der B. in Frankfurt am Main. Ihm wurde jedoch lediglich am 17. Juni 1991 ein Teilbetrag in Höhe von 249.687,50 DM überwiesen.
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Die Beklagte hat die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht - dessen Urteil in NJW-RR 1996, 186 ff. abgedruckt ist - hat die Klage wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
I.
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Das Berufungsgericht hält die Klage für unzulässig, da im gegenwärtigen Zeitpunkt die internationale Zuständigkeit des angerufenen deutschen Gerichts für den vom Kläger geltend gemachten Rückzahlungsanspruch nicht gegeben sei. Es hat offengelassen, ob über die für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO nötige und hier gegebene Vermögensbelegenheit hinaus auch der weiter erforderliche hinreichende Inlandsbezug des Rechtsstreits vorliege; denn die internationale Zuständigkeit gemäß § 23 ZPO für die vorliegende Klage werde von der völkerrechtlichen Regelungskompetenz der beteiligten Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation verdrängt. Die Entscheidung der Frage, ob und gegen wen der Kläger aus dem Devisensparvertrag einen Zahlungsanspruch habe, hängt nach Ansicht des Berufungsgerichts davon ab, inwieweit die Beklagte, deren Geschäftsbetrieb nunmehr auf das Gebiet des Staates Slowenien beschränkt ist, dem Kläger als jetzt kroatischen Staatsangehörigen und damit Ausländer gegenüber für Deviseneinlagen haftet, welche dieser bei ihrer früheren, jetzt im Ausland, nämlich in Kroatien gelegenen Niederlassung in Zagreb geleistet hatte. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten als slowenischer Bank und ihrer früheren Niederlassung Zagreb als kroatischer Bank hänge schließlich davon ab, ob und inwieweit beide Banken über ihre an die frühere Nationalbank der Jugoslawischen Föderation in Belgrad abgelieferten und dort blockierten Deviseneinlagen verfügen könnten. Alle diese zur Zeit noch völlig ungeklärten, von der völkerrechtlichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation abhängigen Fragen müßten gegenüber der aus § 23 ZPO hergeleiteten internationalen Zuständigkeit den Vorrang haben. Sie könnte nur von den beteiligten Staaten geregelt werden, für eine internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts sei insoweit kein Raum.
II.
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Diese Begründung des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
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Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte rechtsfehlerhaft verneint. Die Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts Frankfurt am Main ist nach § 23 ZPO gegeben.
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1. a) § 23 Satz 1 Alt. 1 ZPO bestimmt, daß für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht örtlich und damit international zuständig ist, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben befindet. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte unterhält unstreitig bei der Postbank F. ein DM-Konto, dessen Guthaben der Kläger aufgrund des für vorläufig vollstreckbar erklärten erstinstanzlichen Urteils im Umfang der gesamten Klageforderung erfolgreich gepfändet hat.
- 10
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Vermögensgerichtsstand allerdings nur gegeben, wenn der Rechtsstreit auch einen hinreichenden Bezug zum Inland hat (Senatsurteil vom 2. Juli 1991 - XI ZR 206/90 = NJW 1991, 3092, 3093 f. m.w.Nachw.). Diese Auffassung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl. z.B. Fischer, RIW 1992, 97 ff.; Geimer, NJW 1991, 3072 ff.; Schack, JZ 1992, 54 ff.; Thode, WuB VII A. § 23 ZPO 2.91; Schütze, DWiR 1991, 239 ff.; Lüke, ZZP 105, 321 ff.). Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zu einer Auseinandersetzung mit dieser Kritik; denn der nach der Rechtsprechung des Senats zu fordernde hinreichende Inlandsbezug und damit die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sind hier jedenfalls zu bejahen.
- 11
Der Kläger hat seinen Wohnsitz seit 1978 in der Bundesrepublik. Er hat den in Rede stehenden Devisensparvertrag über die Repräsentanz der Beklagten in Frankfurt am Main geschlossen und alle Einzahlungen auf das Devisensparkonto über das Konto der Beklagten bei der Postbank F. vorgenommen.
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2. Die vom Berufungsgericht in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellte Auffassung, die internationale Zuständigkeit werde vorliegend von der völkerrechtlichen Regelungskompetenz der beteiligten Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation verdrängt, ist rechtlich verfehlt.
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Ist die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 23 ZPO gegeben, so ist es Aufgabe des Tatrichters, über den Klageanspruch nach geltendem Recht zu entscheiden und dann, wenn ausländisches Recht maßgeblich ist, dieses Recht gemäß § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30. April 1992 - IX ZR 233/90 = NJW 1992, 2026, 2029 m.w.Nachw.; Palandt/Heldrich, BGB 55. Aufl. Einleitung vor EGBGB Art. 3 (IPR), Rdn. 34 ff.). Hierzu ist das Gericht auch dann verpflichtet, wenn hinsichtlich der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche noch keine klaren völkerrechtlichen oder innerstaatlichen Regelungen getroffen worden sind und die Ermittlung und Anwendung des geltenden ausländischen Rechts deshalb Schwierigkeiten bereitet (vgl. Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. Rdn. 1064, 1075 ff.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht Rdn. 489 ff., 506).
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Das Berufungsgericht durfte deshalb nicht die Klage im Hinblick auf ungeklärte von der völkerrechtlichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der früheren Jugoslawischen Föderation und der Ausgestaltung ihres innerstaatlichen Rechts gegenüber ihren Staatsangehörigen abhängige Fragen als unzulässig abweisen, ohne zuvor gemäß § 293 ZPO das für die Entscheidung maßgebende ausländische materielle Recht zu ermitteln. Da das Berufungsurteil keinen Aufschluß darüber gibt, daß der Tatrichter seiner dahingehenden Ermittlungspflicht nachgekommen ist, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, daß die Erforschung des ausländischen Rechts unterblieben ist. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar, den die Revision zu Recht rügt (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1992 - V ZR 95/91 = NJW 1992, 3106 f. und Urteil vom 30. April 1992 - IX ZR 233/90 = NJW 1992, 2026, 2029).
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Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, sich für seine Auffassung auf Zöller/Geimer ZPO 19. Aufl. IZPR Rdn. 103 berufen zu können. Dort kommt nur zum Ausdruck, daß "jeder Staat - auf völkerrechtlicher Ebene - das Recht hat, über die privaten und prozessualen Klagerechte seiner Staatsangehörigen zu verfügen", daß mithin eine tatsächlich getroffene völkerrechtliche Regelung - und nicht etwa schon das Recht der beteiligten Staaten zu einer solchen Regelung - die zivilrechtliche Klagemöglichkeit ausschließen kann.
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