Ausschluß der Rechtsscheinhaftung bei grobfahrlässiger Unkenntnis der Täuschungshandlung durch die hereinnehmende Bank
Leitsatz
1. Wer einen Scheck mißbräuchlich zum Zwecke der ungenehmigten Kreditschöpfung (Scheckreiterei) in den Verkehr gibt, kann die scheckrechtliche Haftung aus dem von ihm gesetzten Rechtsschein nicht mit dem Einwand ausräumen, das Kreditinstitut habe die von ihm beabsichtigte Täuschung infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt.














vorgehend LG Köln, 4. Februar 1991, 85 O 190/89



Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 138 BGB
Tatbestand
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Die Klägerin ist Inhaberin von sieben Schecks über insgesamt 171.400 DM, die der Beklagte in der Zeit vom 20. bis 25. Oktober 1989 auf die Firma Autohaus S. (im folgenden: Firma S.) als Zahlungsempfängerin ausgestellt und auf sein Konto bei der Stadtsparkasse K. gezogen hat. Diese hat die Schecks bei Vorlage nicht bezahlt.
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Der Beklagte hatte die Schecks der Firma S. zur Verfügung gestellt, um ihr kurzfristig zu Liquidität zu verhelfen. Den Scheckhingaben lagen keine Warenumsätze oder Zahlungsverpflichtungen zugrunde; die Firma S. sollte die Schecksummen kurz nach erfolgter Gutschrift per Scheck an den Beklagten zurückzahlen. In dieser Weise hatten der Beklagte und die Firma S. schon seit Dezember 1988 in großem Umfang Schecks ausgetauscht.
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Die Klägerin nimmt den Beklagten als Scheckaussteller und aus unerlaubter Handlung in Anspruch und hat gegen ihn im Scheckprozeß ein Vorbehaltsurteil über 171.400 DM nebst Zinsen und weitere 571,32 DM, Zug um Zug gegen Herausgabe der Klageschecks, erwirkt. Im Nachverfahren hat der Beklagte beantragt, das Vorbehaltsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Er behauptet, die Klägerin habe die Schecks in Kenntnis der von ihm mit der Firma S. betriebenen Scheckreiterei gutgeschrieben, um deren Kreditrahmen nicht erhöhen zu müssen. Hilfsweise hat er die Aufrechnung mit einer Gegenforderung in Höhe von 161.000 DM erklärt. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Aufrechterhaltung des Vorbehaltsurteils weiter. Der Beklagte hat erklärt, daß er die bisher geltend gemachte Hilfsaufrechnung in der Revisionsinstanz fallen läßt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des Vorbehaltsurteils.
I.
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1. Das Berufungsgericht hat u.a. ausgeführt:
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Die Klägerin habe keine scheckrechtlichen Ansprüche gegen den Beklagten als Aussteller der Schecks. Da dieser die Schecks der Firma S. im Rahmen eines planmäßigen, wechselseitigen Austauschs ohne zugrundeliegende Warengeschäfte überlassen habe, seien die Begebungsverträge wegen Verstoßes gegen § 138 BGB nichtig.
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Die Klägerin könne sich auch nicht auf einen vom Beklagten als Aussteller veranlaßten Rechtsschein berufen, weil sie beim Erwerb der Schecks nicht gutgläubig gewesen sei; ihr falle zumindest grobe Fahrlässigkeit zur Last. Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung bestünden schon deshalb nicht, weil die Klägerin einen Schaden nicht nachvollziehbar dargetan habe.
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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht stand.
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Ob der Klageanspruch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung begründet ist, kann dahingestellt bleiben. Die Klägerin kann jedenfalls als Scheckinhaberin gegen den Beklagten als Aussteller Rückgriff nehmen (Art. 12, 40, 45 ScheckG).
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a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß zwischen dem Beklagten und der Firma S. als erster Schecknehmerin keine gültigen Begebungsverträge zustandegekommen sind. Der unstreitig von beiden betriebene planmäßige Austausch von Schecks, denen keine Warenumsätze zugrundelagen, zum Zwecke einer ungenehmigten Kreditbeschaffung stellt sich als Mißbrauch der für Zahlungsvorgänge bestimmten Schecks dar. Der mit ihnen verfolgte Zweck der verdeckten Kreditbeschaffung ist sittenwidrig, die Scheckbegebungsverträge sind deshalb nichtig (vgl. Bundesgerichtshof, Urteile vom 3. November 1960 - II ZR 78/60, WM 1960, 1381, vom 27. Januar 1969 - II ZR 222/66, WM 1969, 334, 335, und vom 3. Februar 1970 - VI ZR 245/67, WM 1970, 633, 635; BGHZ 27, 172, 176 ff.).
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b) Das Berufungsgericht hat auch erkannt, daß gleichwohl, trotz Nichtigkeit der Begebungsverträge, eine scheckrechtliche Haftung unter dem Gesichtspunkt zurechenbar veranlaßten Rechtsscheins in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteil vom 23. Mai 1989 - XI ZR 82/88, WM 1989, 1009, 1010 f.; Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 17. Aufl., Art. 22 ScheckG Rdn. 1, Art. 17 WechselG Rdn. 30 ff.). Es ist jedoch zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin müsse sich trotz des vom Beklagten als Scheckaussteller gesetzten Rechtsscheins den Einwand des nichtigen Begebungsvertrages entgegenhalten lassen, weil sie beim Erwerb der Schecks infolge grober Fahrlässigkeit die Scheckreiterei und damit die Unwirksamkeit der Begebungsverträge nicht erkannt habe.
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aa) Die Frage, ob der Erwerber eines Schecks seine Sorgfaltspflichten in schlechthin unentschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 238/90, WM 1991, 1946, 1948), kann als tatrichterliche Würdigung im Revisionsrechtszug nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden (Senatsurteil vom 9. Mai 1989 - XI ZR 115/88, WM 1989, 944, 945 m.w.Nachw.). Ob das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten einer Bank im vorliegenden Fall verkannt und damit den revisionsgerichtlich zu respektierenden Bereich verlassen hat, kann letztlich unentschieden bleiben. Auch wenn man wegen der Vielzahl und der betragsmäßigen Übereinstimmung der ausgetauschten Schecks die Annahme grober Fahrlässigkeit trotz persönlicher Befragung des Scheckausstellers und des ersten Schecknehmers entgegen der Ansicht der Revision noch als rechtsfehlerfrei ansehen müßte, könnte der Beklagte daraus für seine scheckrechtliche Haftung nichts herleiten.
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bb) Die Klägerin kann als Inhaberin der Schecks gegen den Beklagten als Aussteller auch dann Rückgriff nehmen, wenn sie infolge grober Fahrlässigkeit keine Kenntnis von der Scheckreiterei des Beklagten und der Firma S. hatte. Sie braucht sich den Einwand, die Begebungsverträge seien wegen Scheckreiterei nichtig, vom Beklagten nicht entgegenhalten lassen. Das ergibt sich aus folgendem:
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Die Rechtsprechung und h.M. in der Literatur gehen davon aus, daß im Regelfall der Erwerber eines Schecks, dessen Unkenntnis vom Nichtentstehen der Scheckforderung auf grober Fahrlässigkeit beruht, als nicht schutzwürdig anzusehen ist und sich deshalb nicht auf einen vom Zeichner des Schecks gesetzten Rechtsschein berufen kann; unter Abwägung der Interessen des Scheckverkehrs und des bis dahin nicht wirksam aus dem Scheck verpflichteten Zeichners wird es für sachgerecht gehalten, nur den gutgläubigen, d.h. den unwissenden und den nicht grob fahrlässigen Erwerber zu schützen, der auf den Bestand der Scheckverpflichtung vertraut hat (vgl. zu der insoweit gleichen Rechtslage im Wechselrecht Bundesgerichtshof, Urteile vom 30. November 1972 - II ZR 70/71, WM 1973, 66 und vom 7. November 1977 - II ZR 67/76, WM 1978, 83, 84; Baumbach/Hefermehl aaO Art. 17 WechselG Rdn. 52; für einen weitergehenden Schutz des Erwerbers vgl. z.B. Ostheim in "Wirtschaftspraxis und Rechtswissenschaft" Festschrift für Walther Kastner, 1972, S. 349 ff., 366). Der Gedanke, daß die Wirkung des Rechtsscheins nicht erst dann endet, wenn der Scheckempfänger von den Tatsachen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Scheckbegebung ergibt, positiv Kenntnis erhält, sondern bereits dann, wenn ihm diese Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit verschlossen bleibt, trägt dem Umstand Rechnung, daß nicht ausschließlich die Interessen des Wertpapierverkehrs Schutz verdienen, sondern in der Regel auch derjenige, der diesen Rechtsschein gesetzt hat und der sich deshalb auf grobe Fahrlässigkeit des Erwerbers berufen darf. Dies findet auch seinen Ausdruck in den vom Berufungsgericht herangezogenen Vorschriften der Art. 13, 21 ScheckG, die den gutgläubigen Erwerb abhandengekommener Schecks oder vereinbarungswidrig ausgefüllter Blankoschecks regeln. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß es unbillig wäre, die Zeichner dieser Schecks allein wegen des von ihnen gesetzten Rechtsscheins auch dann haften zu lassen, wenn dem Erwerber die genannten Umstände infolge grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben sind.
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Die Schutzwürdigkeit ist jedoch anders zu beurteilen, wenn - wie hier - der Aussteller einen von ihm vollständig und ordnungsgemäß ausgestellten Scheck selbst mißbräuchlich in sittenwidriger Weise zum Zwecke der ungenehmigten Kreditschöpfung in den Verkehr gibt. Wer in dieser Weise vorsätzlich dabei mitwirkt, eine Kontoüberziehung zu verdecken, die das betroffene Kreditinstitut nicht hingenommen hätte, kann seine scheckrechtliche Haftung aus dem von ihm gesetzten Rechtsschein nicht mit dem Einwand ausräumen, das Kreditinstitut habe die von ihm beabsichtigte Täuschung infolge schlechthin unentschuldbarer Sorglosigkeit nicht erkannt. Er muß sich vielmehr an dem von ihm absichtlich gesetzten Rechtsschein eines wirksamen Begebungsvertrages festhalten lassen, solange der Dritterwerber nicht positive Kenntnis von der Scheckreiterei hat oder bewußt die Augen davor verschließt.
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Im vorliegenden Fall hat der Beklagte im übrigen auf ausdrückliches Befragen durch die Bediensteten der Klägerin den planmäßigen Austausch von Schecks zum Zwecke der Liquiditätsverschaffung bestritten und konkrete Umsatzgrundgeschäfte behauptet. Wenn die Klägerin sich mit seiner Darstellung begnügte, so ist der Beklagte nicht allein deshalb schutzwürdig, weil sie pflichtwidrig auf eine Überprüfung unter Benutzung sich aufdrängender anderer Erkenntnisquellen verzichtet hat.
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Daß die Klägerin den wahren Sachverhalt kannte, hat der Beklagte zwar behauptet, aber nicht zu beweisen vermocht.
II.
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Da der Beklagte die bisher geltend gemachte Hilfsaufrechnung fallen gelassen hat, war die Sache zur Endentscheidung reif. Die angefochtenen Urteile waren aufzuheben und das landgerichtliche Vorbehaltsurteil mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, daß der Vorbehalt entfällt (§§ 565 Abs. 3 Nr. 1, 600 ZPO).
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