Klagerücknahme und Prozeßkostenerstattungspflicht: Prozeßhindernis für Vollstreckungsabwehrklage gegen Kosteneintreibung auch ohne Belästigungsabsicht
Leitsatz
1. Die Einrede mangelnder Kostenerstattung steht dem Beklagten auch dann zu, wenn der Kläger gegen den nach Klagerücknahme im Vorprozeß ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluß Vollstreckungsabwehrklage erhebt und sie auf die Aufrechnung mit der im Vorprozeß eingeklagten Forderung stützt. Auf eine Belästigungsabsicht des Klägers kommt es nicht an.
Orientierungssatz
1. Zitierung: Ergänzung BGH, 1986-07-09, VIII ZR 283/85, WM IV 1986, 1425.







vorgehend LG Bremen, 13. Juni 1991, 2 O 112/91
Vergleiche OLG Düsseldorf 10. Zivilsenat, 8. Oktober 1992, 10 W 118/92

Tatbestand
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Die Klägerin hatte in einem Vorprozeß (...) von der Beklagten Rückzahlung eines Ratenkredits verlangt, die Klage dann aber zurückgenommen, um einer Klageabweisung wegen verspäteter Anspruchsbegründung zu entgehen. Die ihr gemäß § 269 Abs. 3 ZPO auferlegten Kosten sind vom Landgericht auf 2.722,32 DM festgesetzt worden. Die Beklagte betreibt die Zwangsvollstreckung aus diesem Kostenfestsetzungsbeschluß. Die Klägerin hat gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch der Beklagten die Aufrechnung mit der im Vorprozeß eingeklagten Kreditforderung erklärt und sich mit der Klage aus § 767 ZPO gegen die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß gewandt. Die Beklagte hat die Rüge der fehlenden Kostenerstattung nach § 269 Abs. 4 ZPO erhoben. Das Landgericht hat die Vollstreckungsabwehrklage durch Zwischenurteil für zulässig erklärt; das Oberlandesgericht (ZIP 1991, 1307 mit Anm. Oellers EWiR § 269 ZPO 1/91, 1031) hat sie - auf die Berufung der Beklagten - als unzulässig abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht die prozeßhindernde Einrede der Beklagten nach § 269 Abs. 4 ZPO durchgreifen lassen und die Klage als unzulässig abgewiesen.
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1. Das Berufungsurteil kann sich in wesentlichen Fragen der Auslegung des § 269 Abs. 4 ZPO auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen; das verkennt auch die Revision nicht.
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a) Der VIII. Zivilsenat hat in seinem Urteil vom 9. Juli 1986 (VIII ZR 283/85 = WM 1986, 1425) bereits entschieden, daß der Anwendungsbereich des § 269 Abs. 4 ZPO sich nicht auf Prozeßverfahren beschränkt, in denen der Kläger den mit der zurückgenommenen Klage verfolgten Anspruch erneut zum Gegenstand einer Leistungsklage macht. § 269 Abs. 4 ZPO will den Beklagten auch davor schützen, daß ihm, bevor er die Kosten des Vorprozesses erstattet erhalten hat, vom Kläger im prozessualen Gewande einer Vollstreckungsgegenklage eine neue gerichtliche Auseinandersetzung über die Begründetheit des Anspruchs aufgezwungen wird. Ob man in solchen Fällen eine unmittelbare oder eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO für gegeben erachtet, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung.
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Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum - zumindest im Ergebnis - einhellige Zustimmung gefunden (Schubert JR 1987, 333; Zöller/Stephan ZPO 17. Aufl. § 269 Rdn. 22; Thomas/Putzo ZPO 17. Aufl. § 269 Anm. 6; Baumbach/Lauterbach/Hartmann 48. Aufl. § 269 ZPO Anm. 5 B; Oellers EWiR § 269 ZPO 1/86, 1037; vgl. auch Deuchler WuB VII A. § 269 ZPO 1.87).
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b) Die von der Klägerin gegen diese Rechtsprechung geäußerten Bedenken geben keinen Anlaß zu einer Änderung.
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aa) Vergeblich versucht die Revision, Unterschiede zwischen einer neuen Leistungsklage und der Vollstreckungsgegenklage aufzuzeigen, die eine Beschränkung des § 269 Abs. 4 ZPO auf die Leistungsklage rechtfertigen könnten: Im Verfahren nach § 767 ZPO werde der Kläger nicht selbst aktiv, sondern verteidige sich nur gegen den Vollstreckungsangriff des Beklagten. Dessen Risiko beschränke sich dabei auf den Kostenerstattungsbetrag und sei daher erheblich geringer als bei einer neuen Geltendmachung des Klageanspruchs; in diesem begrenzten Rahmen sei dem Beklagten eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Aufrechnungseinwand durchaus zuzumuten.
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Mit dieser Argumentation kann die Revision nicht durchdringen: Der Beklagte geht aus einem Anspruch vor, dessen Entstehung außer Streit steht, und verfolgt nur Rechte, über die er bereits einen Vollstreckungstitel erwirkt hat. Der Kläger macht dagegen einen Anspruch geltend, der noch der gerichtlichen Klärung bedarf. Da der Kläger selbst diese Klärung im Vorprozeß durch Klagerücknahme verhindert hat, kann er sie mit einer neuen Klage nur erreichen, wenn er zuvor dem Beklagten die Kosten des Vorprozesses erstattet hat. Diese Regelung trifft § 269 Abs. 4 ZPO ohne Rücksicht darauf, um welchen Betrag die Parteien im neuen Prozeß streiten; auch wenn der Kläger im Wege einer neuen Leistungsklage nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde, hätte der Beklagte die Einrede mangelnder Kostenerstattung.
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bb) Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Revision, die Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO lasse sich mit der materiellen Wirkung der Aufrechnung nicht vereinbaren: Sie führe zum Erlöschen des Kostenerstattungsanspruchs schon vor Erhebung der neuen Klage; damit fehle der Einrede die entscheidende Voraussetzung.
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Zwar enthält § 269 Abs. 4 ZPO kein materielles Aufrechnungsverbot gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Klägerin ist grundsätzlich nicht gehindert, gegen ihn mit einer streitigen Gegenforderung aufzurechnen und deren Bestehen in einem neuen Prozeß zu beweisen (BGH, Urteil vom 9. Juli 1986 aaO S. 1426 zu II. 2. b). Nur für die Aufrechnung mit dem im Vorprozeß verfolgten Anspruch bewirkt § 269 Abs. 4 ZPO eine Ausnahme: Nach dem Schutzzweck der Vorschrift darf die sachliche Berechtigung dieses Anspruchs vor Erstattung der Vorprozeßkosten nicht gegen den Willen der Beklagten in einem neuen Prozeß geprüft werden. Daher kann die Klägerin die Aufrechnung mit diesem Anspruch auch nicht zur Begründung einer Klage aus § 767 ZPO gegen eine titulierte Forderung der Beklagten einsetzen; das gilt auch dann, wenn sich die Klage gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß aus dem Vorprozeß richtet.
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2. Vom Bundesgerichtshof bisher noch nicht entschieden ist die Frage, ob die Einrede mangelnder Prozeßkostenerstattung nicht durchgreift, wenn die Klägerin beweist, daß sie den Rechtsstreit ohne eine den Gegner belästigende Absicht erneuert habe (BGH, Urteil vom 9. Juli 1986 aaO zu II. 2. a) bb). Diese Auffassung hatte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten und sich darauf berufen, aus der Begründung zu dem Entwurf einer CPO gehe hervor, daß das Gesetz mit der Einrede fehlender Kostenerstattung dem Beklagten nicht Befriedigung für die Kosten des früheren Verfahrens verschaffen, sondern ihn gegen Vexationen (Belästigungen) schützen wolle, die sich aus einer Wiederholung derselben Klage ergäben (JW 1915, 249 m.w.Nachw.).
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Diese Auffassung des Reichsgerichts ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (OLG Dresden JW 1928, 2157 Nr. 11; OLG München MDR 1984, 501; Wieczorek ZPO 2. Aufl. § 271 Anm. D I a; Oellers aaO S. 1038; Schubert JR 1987, 333, 334). Im Anschluß an Schubert aaO hat das Berufungsgericht es mit überzeugender Begründung abgelehnt, die Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO von einer belästigenden Absicht als zusätzlichem subjektivem Element abhängig zu machen. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats bietet der vom Reichsgericht herangezogene - bei Schubert aaO wörtlich zitierte - vage Halbsatz aus den Motiven, der im Gesetzeswortlaut keinerlei Niederschlag gefunden hat, keine Grundlage mehr für eine einschränkende Auslegung, die aus der Sicht des heutigen Verständnisses dem Sinn und Zweck des Gesetzes widerspricht (vgl. Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 259/90 = WM 1991, 1983, zum Abdruck in BGHZ 115, 268 bestimmt, zu II. 1.). Nach der eindeutigen Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO hat die Klägerin die Kosten des Vorprozesses zu tragen; auf die Gründe, aus denen sie die Klage zurückgenommen hat, kommt es nicht an. § 269 Abs. 4 ZPO will die Beklagte vor einer erneuten Klage vor Erstattung ihrer Kosten des Vorprozesses schützen. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen es nicht zu, bei der Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO auf die subjektiven Motive der Klägerin abzustellen und - im vorliegenden Fall - der Beklagten den Schutz des § 269 Abs. 4 ZPO zu verweigern, weil die Klägerin im Vorprozeß eine rechtzeitige Klagebegründung versäumt hatte und ihr deshalb eine Klagerücknahme mit anschließender Erhebung einer neuen Klage zweckmäßig erschien.
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