Nichtigkeit eines Gewinnspiels nach dem Schneeballprinzip
Leitsatz
Gewinnspiele, die nach dem "Schneeballprinzip" darauf angelegt sind, daß die große Masse der Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muß, sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig.
Orientierungssatz
Zitierungen: Bestätigung OLG Celle, 1996-03-20, 13 U 146/95, NJW 1996, 2660; OLG Karlsruhe, 1989-05-10, 6 U 282/88, GRUR 1989, 615; OLG München, 1985-09-12, 5 U 4430/85, NJW 1986, 1880 und LG Gießen, 1995-12-13, 1 S 390/95, NJW-RR 1996, 796; Abgrenzung BGH, 1986-09-29, 4 StR 148/86, BGHSt 34, 171 und BayObLG München, 1990-03-21, RReg 4 St 226, 89, NJW 1990, 1862.











vorgehend LG Schweinfurt, 19. September 1996, 1 O 455/94
Anschluß OLG Bamberg 3. Zivilsenat, 7. März 2001, 3 U 105/00
Anschluß OLG Frankfurt 3. Zivilsenat, 2. März 2000, 3 U 40/99




Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Laukemann, 8. Auflage 2017, § 762 BGB
● Nassall, 8. Auflage 2017, § 138 BGB
● Reichold, 8. Auflage 2017, § 826 BGB
Abgrenzung Bayerisches Oberstes Landesgericht 4. Strafsenat, 21. März 1990, RReg 4 St 226/89
Bestätigung OLG Karlsruhe 6. Zivilsenat, 10. Mai 1989, 6 U 282/88
Abgrenzung BGH 4. Strafsenat, 29. September 1986, 4 StR 148/86
Bestätigung OLG München 5. Zivilsenat, 12. September 1985, 5 U 4430/85
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. Juni 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung der Geldbeträge, mit denen er sich an dem Computerspiel "World Trading System" (WTS) beteiligt hat.
- 2
Die Beklagte ist "Betreuerin und Verwalterin" dieses Spielsystems.
- 3
Dem Spiel liegt folgendes Schema zugrunde:
- 4
Es folgt eine Abbildung, die in vier Hierarchieebenen (Positionen) das Schneeballprinzip verdeutlicht, in dem jede höhere Position durch zwei untere Positionen getragen wird:
- 5
A B B C C C C 1
2
3
4
1
2
3
4
- 6
In dem Allgemeinen Teilnahmeregeln für das WTS heißt es u.a.:
- 7
§ 2 Voraussetzung zum Einstieg/Eintritt
- 8
Der Einstieg in das oben genannte Computersystemspiel ist nur für voll geschäftsfähige Personen, mit einem Gesamteinstiegsbetrag von DM 950,- (DM 700,- Einsatz, DM 100,- Sicherheitsfond, DM 150,- Aufnahmegebühr = DM 950,- Einstiegsbetrag) pro Einstieg möglich. ...
- 9
§ 3 Computersystemspiel-Anleitung
- 10
WTS ist ein Computersystemspiel mit einer Einstiegsmöglichkeit. Ein Computersystemspiel, das sich durch neue Teilnehmer, Dynamik-Einstiege und die Teilungsautomatik hierarchisch aufbaut. Schließt sich im Direkteinstiegssystem die Felderreihe 1 bis 4 eines Teams, erhalten die beiden C Positionen jeweils DM 100,-, die B Position DM 500,- und die A Position DM 1.000,-. Gleichzeitig steigen alle Spielpositionen in die nächst höhere Spielposition auf. Der/die Teilnehmer(in) auf der Position B wird nach Schließung der Felderreihe 1 bis 4 gleichzeitig mit einem automatischen Einstieg in das europaweite Folgesystem aufgenommen.
- 11
Schließt sich im Folgesystem die Felderreihe 1 bis 4 eines Teams, erhalten die beiden C Positionen jeweils DM 100,-, die B Position DM 300,- und die A Position DM 600,-. Gleichzeitig steigen alle Spielpositionen in die nächst höhere Spielposition auf.
- 12
Für die Dynamikeinstiege werden im Direkteinstiegssystem DM 350,- und im Folgesystem DM 450,- verwendet. Sobald sich im Direkteinstiegssystem DM 700,- (ein Systemeinsatz) und im Folgesystem DM 450,- (ein Systemeinsatz) angesammelt haben, wird unabhängig voneinander ein Dynamikeinstieg im Direkteinstiegssystem/Folgesystem in eine der vier Einstiegspositionen der unteren Einstiegsebene unter der ältesten B Position des Direkteinstiegssystems bzw. Folgesystems gesetzt. Auf diese Weise reproduziert sich dieses System WTS immer wieder von selbst. Die Dynamikeinstiege gehören nicht zum Gewinn, sondern sind ein Solidarbeitrag der Gewinner zur Weiterentwicklung des Systems. Der einzelne Gewinner erlangt aus diesen Dynamikeinstiegen keinen Gewinnanspruch. Vielmehr wird der Gewinn der Dynamikeinstiege zu sofortigen neuen Dynamik-Neueinstiegen verwendet. Die Dynamikeinstiege dienen damit allen Teilnehmern der Interessengemeinschaft WTS. Zeitaussagen über das Eingreifen und Einsetzen der Dynamik können nicht gemacht werden.
- 13
Der Kläger wurde von der "Betreuerin" K. für die Teilnahme an dem System gewonnen. Er unterschrieb am 17. Mai 1993 eine an die Beklagte gerichtete Beitrittserklärung, in der er insgesamt 11 Einstiegspositionen zu je 950 DM zeichnete. Gleichzeitig zahlte er den Gesamtbetrag von 10.450 DM ein. Kurz danach erhielt er eine "Einstiegsbestätigung" und eine Gewinnauszahlung von 200 DM, weil er zweimal die Position C erreicht habe und nachfolgend zweimal je vier Einstiegspositionen belegt worden seien. Weitere Auszahlungen an ihn erfolgten nicht. Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 14. und 23. Dezember 1993 seine Teilnahme. Er verlangt mit der Klage seinen Einsatz in Höhe von 10.450 DM, abzüglich der gewonnen 200 DM, insgesamt also 10.250 DM, zurück. Er hält u.a. seinen Beitritt zum Spielsystem wegen Sittenwidrigkeit für nichtig.
- 14
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage bis auf einen geringen Teil der geltend gemachten Zinsen stattgegeben. Die Beklagte verfolgt mit der zugelassenen Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
- 15
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
I.
- 16
Das Berufungsgericht hat wegen Sittenwidrigkeit des Spielvertrages einen Bereicherungsanspruch des Klägers bejaht (§§ 138, 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt:
- 17
Die Sittenwidrigkeit folge daraus, daß das Spielsystem auf dem sogenannten Schneeballprinzip beruhe, das schon von seiner Anlage her mehrere zur Sittenwidrigkeit führende Elemente enthalte. Diese von Grund auf angelegten Merkmale der Sittenwidrigkeit hätten sich speziell auch im Vertragsverhältnis zum Kläger ausgewirkt. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers scheitere nicht an § 762 BGB, auch sei der Kläger nicht durch § 817 Satz 2 BGB an der Rückforderung gehindert.
II.
- 18
Diese Würdigung hält rechtlicher Prüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) bejaht.
- 19
1. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung über die Teilnahme am WTS-Spiel wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) nichtig ist.
- 20
Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht vereinbar ist (vgl. BGHZ 106, 269, 272; BGH, Urteil vom 23. Februar 1995 - IX ZR 29/94, WM 1994, 1064, 1070). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
- 21
a) Durch die Spielvereinbarung soll der Mitspieler verpflichtet werden, einen Einstiegspreis von mindestens 950 DM zu zahlen; dafür erhält er die Mitspielberechtigung. Der Teilnehmer ist jedoch darüber hinaus angehalten, weitere Mitspieler für das Spiel zu werben, um so eine der Gewinnpositionen zu erreichen (§ 1 der Teilnahmeregeln). Der Spieler, der dem System keine neuen Spieler zuführt, muß auf sogenannte "Dynamik-Einstiege" warten (§ 3 der Teilnahmeregeln). Die Gewinnerwartung der Teilnehmer beruht allein darauf, daß nach Art des sogenannten "Schneeballsystems" eine immer stärker ansteigende Zahl von Mitspielern einen hohen Einsatz einzahlt. Ein solches Spielsystem, das darauf anlegt, daß die ersten Mitspieler einen (meist) sicheren Gewinn erzielen, während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muß, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine neuen Mitspieler mehr geworben werden können, verstößt gegen die guten Sitten (vgl. z.B. OLG Celle, NJW 1996, 2660; OLG München, NJW 1986, 1880; OLG Karlsruhe GRUR 1989, 615, 616; LG Gießen, NJW-RR 1996, 796, 797; vgl. auch die Rechtsprechung zum "Schneeballsystem" als System der progressiven Kundenwerbung BGHZ 15, 356 ff.; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht 19. Aufl. § 1 UWG Rdn. 172). Statt dieses hohe Risiko zu verdeutlichen, wird in der Kurzbeschreibung des Spielsystems groß herausgestellt, daß "Mehrfacheinstiege" die "Gewinnauszahlungssumme" erhöhen und daß "aus jedem Einstieg" im WTS "4.200 DM werden können". Der u.a. hervorgehobene "Sicherheitsfond" vermittelt den Eindruck, es werde sogar noch für diejenigen Spieler Sicherheit geschaffen, die "bis zu einem eventuellen Systemende noch keinen Gewinn erzielt haben". Dieses System ist irreführend. Es zielt darauf ab, die Leichtgläubigkeit, Spielleidenschaft und Unerfahrenheit der Teilnehmer auszunutzen und sie deswegen zur Zahlung des Spieleinsatzes zu bewegen.
- 22
b) Die von der Revision angeführte Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts NJW 1990, 1862, 1863 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dieses Gericht hat - ebensowenig wie der Bundesgerichtshof BGHSt 34, 171 - die Sittenwidrigkeit derartiger Schneeballsysteme, sondern lediglich die Strafbarkeit einer bestimmten Kettenbriefaktion verneint.
- 23
c) Wenn die Revision darauf verweist, daß das hier zu beurteilende Gewinnspiel durch verschiedene auf die Vermeidung von Verlusten gerichtete Ausgleichsmöglichkeiten gekennzeichnet sei, so ist auch dieser Gesichtspunkt vom Berufungsgericht umfassend und zutreffend gewürdigt worden.
- 24
Die Möglichkeit "mehrerer Einstiege" eines Teilnehmers ist nicht dazu geeignet, Verluste zu vermeiden, es steigert vielmehr das Verlustrisiko entsprechend. Die Abzweigung bestimmter Teile der Einsätze für sogenannte "Dynamikeinstiege" mindert das Risiko ebenfalls nicht in relevanter Weise; denn das System kommt in jedem Fall zu Erliegen, wenn nicht - was ausgeschlossen ist - stets neue Teilnehmer eintreten.
- 25
Entgegen der Ansicht der Revision ist es zur Annahme der Sittenwidrigkeit solcher Spielvereinbarungen nicht Voraussetzung, daß der Mitspieler darüber hinaus in besonderer Weise getäuscht oder irregeführt wird.
- 26
3. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß der Rückforderungsanspruch des Klägers wegen Sittenwidrigkeit der Spielervereinbarung nicht an § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB scheitert. Dagegen bringt die Revision nichts vor.
- 27
4. Die Revision bleibt auch ohne Erfolg, soweit sie geltend macht, der vom Berufungsgericht bejahte Bereicherungsanspruch müsse an § 817 Satz 2 BGB scheitern.
- 28
Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift schon deshalb nicht erfüllt sind, weil der Kläger durch die bloße Zahlung der "Einstiegsbeträge" nicht gegen die guten Sitten verstoßen hat. Selbst wenn man das deshalb bejahen wollte, weil er nur durch diese Zahlungen den Zugang zu dem anstößigen Spielsystem erhielt, so kann jedenfalls auch nach Auffassung des Senats nicht festgestellt werden, daß der Kläger sich einer solchen möglichen Sittenwidrigkeit auch bewußt gewesen ist, auch nicht, daß er sich dieser Einsicht leichtfertig verschlossen hat (vgl. hierzu BGHZ 50, 90, 92; 75, 299, 305; BGB-RGRK/Heymann-Trosien § 817 Rdn. 20 m.w.Nachw.). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob die Hilfserwägung des Berufungsgerichts zutrifft, auch für den Fall, daß man die Unkenntnis eines Teilnehmers als besondere Leichtfertigkeit ansehen müßte, sei ein Rückzahlungsanspruch nach Treu und Glauben nicht ausgeschlossen. Nach den zutreffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger über die Risiken und Verlustgefahren weitgehend im Unklaren gelassen worden, so daß er die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit nicht voll erkennen konnte. Durch eine Reihe von verschleiernden Regeln - wie z.B. "Dynamikeinstiege" und "Sicherheitsfond" - wurde das Spielsystem bewußt undurchsichtig gestaltet und die Kenntnis der Teilnehmer von den Zusammenhängen erschwert.
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