Bankhaftung: Folgen grober Fahrlässigkeit der Bank bei Scheckinkasso für weitere Scheckhereinnahmen; Ablehnung der Annahme der unselbständigen Anschlußrevision in der mündlichen Verhandlung
Leitsatz
1. Grobe Fahrlässigkeit der Bank beim Inkasso einzelner Schecks begründet nicht ohne weiteres grobe Fahrlässigkeit bei späterer Hereinnahme unverdächtiger Schecks.
2. Die Annahme einer unselbständigen Anschlußrevision, die weder Grundsatzbedeutung noch Erfolgsaussicht hat, kann nach mündlicher Verhandlung durch Urteil abgelehnt werden.













vorgehend LG Hamburg, 28. August 1990, 330 O 9/90

Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Pammler, 8. Auflage 2017, § 442 BGB
● Schwintowski, 8. Auflage 2017, § 675v 1. Überarbeitung
● Schwintowski, 8. Auflage 2017, § 675v BGB
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von der beklagten Bank Schadensersatz wegen grob fahrlässiger Hereinnahme und Einziehung von 17 ihr abhanden gekommenen Schecks. Dem liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Klägerin betreibt eine Luftfrachtspedition. Der bei ihr als Leiter der Luftfrachtstation am H. Flughafen tätig gewesene S. und dessen Ehefrau unterhielten bei der Filiale W. der Beklagten Girokonten. Zur Einziehung und Gutschrift auf diese Konten reichte S. von September 1984 bis November 1987 17 Schecks über Gesamtbeträge von 132.274 DM und 107.855,19 US-Dollar ein. Dabei handelte es sich um vier Fallgruppen: Sieben Orderschecks der B.bank Kreditanstalt O. (im folgenden: B.bank), ausgestellt auf den Zahlungsempfänger "M.-Agencies, Ma."; einen von der Klägerin auf die B.bank gezogenen Orderscheck zugunsten desselben Zahlungsempfängers; vier von einem Geschäftsführer der Klägerin unterschriebene auf ihre Hausbank gezogene Inhaberverrechnungsschecks, die als Zahlungsempfänger die "C. Service D." auswiesen; fünf Orderverrechnungsschecks (Bankschecks), ausgestellt vom Sch. Bankverein auf die Klägerin als Zahlungsempfängerin.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei Eigentümerin und Besitzerin der Schecks gewesen, die S. veruntreut, teilweise eigenmächtig ausgefüllt und mit gefälschten Indossamenten versehen habe. Sie hat im Berufungsrechtszug beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 132.274 DM und 107.855,19 US-Dollar nebst Zinsen zu verurteilen. Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, daß sie sich bei dem Inkasso der Schecks nicht grob fahrlässig verhalten habe, und sich im übrigen auf ein überwiegendes Organisationsverschulden der Klägerin berufen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr in Höhe von 32.178,83 DM und 4.711,05 US-Dollar nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Der Senat hat die Revision der Klägerin nicht angenommen, soweit die Klage in Höhe von 9.957,98 US-Dollar und 19.980 DM nebst Zinsen abgewiesen wurde (Schecks vom 4. September 1984, 7. Februar 1985 und 17. September 1985). Im übrigen hat er die Revision angenommen; in diesem Umfang verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Mit ihrer Anschlußrevision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage in vollem Umfang.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
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1. Nach Teilannahme der Revision sind nur noch die fünf Orderschecks der B.bank vom 11. Februar 1986 über 9.834,48 US-Dollar, vom 23. Juli 1986 über 16.667,14 US-Dollar, vom 14. Oktober 1986 über 18.374,65 US-Dollar, vom 20. März 1987 über 19.443,90 US-Dollar und vom 29. Juli 1987 über 19.443,90 US-Dollar im Streit. Als Zahlungsempfänger war die "M.-Agencies Ma." angegeben. Die Schecks trugen auf der Rückseite Indossamente dieser Gesellschaft und des S.
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Das Berufungsgericht hat insoweit eine Schadensersatzpflicht der Beklagten verneint. Es hat unterstellt, daß auch diese Schecks der Klägerin abhanden gekommen sind, hat jedoch grobe Fahrlässigkeit der Beklagten beim Scheckinkasso verneint und dazu u.a. ausgeführt:
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Besondere Verdachtsmomente für ein Abhandenkommen dieser Schecks seien für die Beklagte nicht erkennbar gewesen. Die Schecks seien mit formal ordnungsgemäßen Indossamenten versehen gewesen, für eine Fälschung des Namenszuges im Firmenstempel hätten keine Anhaltspunkte vorgelegen. Ein Bezug speziell zur Klägerin sei nicht ersichtlich gewesen. Zwar hätte die Beklagte, wenn sich ihre für die Hereinnahme von Schecks zuständigen Angestellten nicht bei anderen zwischenzeitlich eingelösten Schecks grob fahrlässig verhalten hätten, Kenntnis von den Scheckunterschlagungen des S. erlangt und für künftiges Scheckinkasso besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen können. Da sie diese Kenntnis aber nicht erlangt habe, müsse die Frage der groben Fahrlässigkeit bezüglich jedes einzelnen Schecks auf der Grundlage der der Beklagten insoweit bekannten Verdachtsmomente beantwortet werden.
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2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Beklagte beim Erwerb der Schecks nicht grob fahrlässig gehandelt habe, ist nicht zu beanstanden.
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a) Der Begriff der groben Fahrlässigkeit ist ein Rechtsbegriff. Die Feststellung der Voraussetzungen ist tatrichterliche Würdigung und mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt allerdings, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (st.Rspr., vgl. Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 238/90, WM 1991, 1946, 1948 m.w.Nachw.). Das ist hier jedoch nicht der Fall.
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b) Das Berufungsgericht hat seinem Urteil die vom Bundesgerichtshof zum Begriff der groben Fahrlässigkeit aufgestellten Grundsätze zugrunde gelegt. Danach liegt eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte. Bei der groben Fahrlässigkeit handelt es sich um eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit des § 276 Abs. 1 BGB erheblich übersteigt (Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 aaO m.w.Nachw.).
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c) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei grobe Fahrlässigkeit der Beklagten bei dem Inkasso der hier in Rede stehenden fünf Schecks verneint.
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aa) Da sich besondere Verdachtsgründe aus der Person des Scheckeinreichers S. nicht ergaben, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgestellt, ob die zu beurteilenden Geschäfte einschließlich ihrer Begleitumstände ungewöhnlich waren. Es hat dabei zu Recht als wesentlichen Umstand herausgestellt, daß die zu beurteilenden Bankorderschecks keinen Bezug zur Klägerin aufwiesen und Anhaltspunkte für eine Fälschung der Indossamente nicht ersichtlich waren. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht es als unverdächtig angesehen hat, daß die Orderschecks, wenn sie auch auf eine kaufmännische Zweckbestimmung hindeuteten, über ein Privatgirokonto eingezogen wurden (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 1989 - XI ZR 115/88, WM 1989, 944 ff. zum Inhaberscheck). Allein die - im Verhältnis zu den laufenden Bezügen S. - hohen Scheckbeträge waren für die Beklagte kein so starkes Verdachtsmoment, daß sich allein daraus ein grob fahrlässiges Verhalten wegen unterlassener Nachforschungen herleiten ließe. Wenn Bankkunden, die ersichtlich laufende Einkünfte erzielen, in unregelmäßig wiederkehrenden Abständen Schecks zum Inkasso vorlegen, so ist dies - auch wenn es sich dabei um höhere Beträge handelt - nicht so ungewöhnlich, daß dies die Bank ohne weiteres mißtrauisch machen müßte und zu Nachforschungen verpflichtete. Jedenfalls ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im Rahmen des ihm obliegenden Ermessens insoweit grobe Fahrlässigkeit der Beklagten verneint.
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bb) Auch der Umstand, daß - wie das Berufungsgericht festgestellt hat - die Beklagte bei vorangegangenem Inkasso anderer Schecks grob fahrlässig gehandelt hat, indem sie trotz erheblicher Verdachtsmomente Schecks, die die Klägerin als Aussteller oder Zahlungsempfänger auswiesen, dem Konto S. oder seiner Ehefrau gutschrieb, vermag die grobe Fahrlässigkeit bei der Hereinnahme der hier zu beurteilenden fünf Bankorderschecks nicht zu begründen.
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Nach Art. 21 ScheckG kommt es für die Frage, ob eine Pflicht zur Herausgabe des Schecks - und eine daraus nach §§ 990, 989 BGB folgende Schadensersatzpflicht - besteht, entscheidend darauf an, ob dem Erwerber grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Es ist dabei anerkannt, daß auch frühere Umstände - etwa schwere Sorgfaltspflichtverletzungen der Bank bei der Kontoeröffnung oder Organisationsmängel - die noch bei der Hereinnahme des Schecks fortwirken und zum späteren schädigenden Ereignis führen, den Vorwurf grober Fahrlässigkeit stützen können (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. April 1962 - II ZR 42/61, WM 1962, 524; Urteil vom 12. Juli 1965 - II ZR 191/63, WM 1965, 972; Urteil vom 10. Dezember 1973 - II ZR 138/72, WM 1974, 154, 155; Urteil vom 11. Juli 1974 - II ZR 98/73, WM 1974, 1000, 1001; Urteil vom 27. Januar 1977 - II ZR 5/75, WM 1977, 1019, 1021; Canaris, Bankvertragsrecht 3. Aufl. 1988 Rdn. 800; Liesecke, WM 1973, 1154, 1168).
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Derartige Pflichtverletzungen der Beklagten sind im vorliegenden Fall weder bei der Kontoeröffnung durch S. noch in ihrer Organisation festzustellen. Es kann auch offen bleiben, ob grobe Fahrlässigkeit bei einem für sich gesehen unverdächtigen Scheckinkasso aus der Tatsache herzuleiten wäre, daß die Bank bei früheren Vorgängen Verdachtsmomente bewußt unterdrückt und damit zugleich die Augen vor naheliegenden weiteren Mißbräuchen durch den Scheckeinreicher verschlossen hätte. So liegt es hier nicht. Der bloße Umstand, daß der Beklagten grob fahrlässig bei früherem Scheckinkasso die mangelnde Berechtigung des Einreichers S. unentdeckt geblieben ist, wirkt nicht in der Weise fort, daß es gerechtfertigt wäre, bei späterer Hereinnahme von Schecks, die für sich genommen noch keinen Anlaß zu Mißtrauen und Nachforschungen gaben, grobe Fahrlässigkeit zu begründen. Das mag im Einzelfall anders zu beurteilen sein, wenn zwischen den Scheckeinreichungen ein unmittelbarer enger zeitlicher Zusammenhang besteht, etwa wenn die Schecks gleichzeitig eingereicht werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1987 - II ZR 187/86, WM 1987, 337, 339). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten bei einem derartigen Massengeschäft würden überspannt, wollte man verlangen, daß die mit der Scheckprüfung befaßten Bankangestellten die näheren Umstände früherer Scheckeinreichungen des jeweiligen Bankkunden auch dann im Gedächtnis behalten, wenn sie ihnen nicht ungewöhnlich erschienen sind (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 1987 aaO; Urteil vom 11. Juli 1963 - II ZR 45/62, WM 1963, 891, 892).
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3. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich neun Schecks eine Schadensersatzpflicht bejaht und bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Schadensverursachungsbeiträge nach § 254 Abs. 1 BGB einen ganz überwiegenden Verursachungsbeitrag der Klägerin angenommen. Diesen hat es hinsichtlich dreier vom Geschäftsführer der Klägerin blanko unterschriebener und von S. treuwidrig ausgefüllter und verwendeter Inhaberverrechnungsschecks mit 3/4 bemessen. Hinsichtlich fünf vom Sch. Bankverein für Rechnung der S. Air ausgestellter Orderverrechnungsschecks, die die Klägerin als Zahlungsempfänger auswiesen, sowie hinsichtlich des von der Klägerin auf die B.bank gezogenen Orderschecks, die sämtlich von S. mit gefälschten Indossamenten versehen worden waren, hat es ein Mitverschulden der Klägerin von 2/3 angenommen. Das ist nicht zu beanstanden.
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Die Verteilung und das Maß der Verantwortlichkeit für den Schaden im Rahmen des § 254 BGB gehört dem Gebiet der tatrichterlichen Würdigung an (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 1991 - X ZR 103/89, WM 1991, 1774, 1776; Senatsurteil BGHZ 108, 386, 392). Die Klägerin trifft - worauf das Berufungsgericht zu Recht abgestellt hat - der schwerwiegende Vorwurf, daß sie keine organisatorischen Maßnahmen gegen Veruntreuungen getroffen hat. Sie hat weder Regelungen über die Behandlung und Registrierung bei ihr eingehender Schecks aufgestellt, noch hat sie Überprüfungen durchgeführt. Diese schwerwiegenden Nachlässigkeiten rechtfertigen die vom Berufungsgericht angenommenen Schadensverursachungsbeiträge. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang Verfahrensrügen erhoben hat, sind diese unbegründet (§ 565 a ZPO).
II.
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Die Annahme der unselbständigen Anschlußrevision der Beklagten war abzulehnen. Sie hat weder Aussicht auf Erfolg noch grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Prozeßrechtliche Bedenken gegen die Ablehnung der Annahme der Anschlußrevision bestehen nicht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. November 1990 - I ZR 293/89 = BGHR ZPO § 556 Abs. 2, Nichtannahme 2). Diese Entscheidung muß nicht in einem vorgeschalteten Beschlußverfahren getroffen werden. Sie kann auch nach mündlicher Verhandlung durch Urteil ausgesprochen werden (vgl, MünchKomm ZPO-Walchshöfer § 554 b Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers ZPO 50. Aufl. § 554 b Anm. 2).
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