Prozeßkostenhilfe: Rückwirkung bis zum Zeitpunkt des formgerechten Prozeßkostenhilfeantrags
Orientierungssatz
1. Eine Rückwirkung der Prozeßkostenhilfebewilligung auf einen Zeitpunkt vor deren Zugang ist anzunehmen, wenn der Bewilligungsantrag während des Verfahrens gestellt, über ihn aber der Einfachheit halber erst mit der Entscheidung über die Revision entschieden wurde (so auch BGH, 1984-12-06, VII ZR 223/83, NJW 1985, 921).
2. Die Rückwirkung kann bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche getan hat (so auch BGH, 1987-04-27, III ZR 107/86).
3. Die spätere Bezugnahme auf den vor der Beiordnung gestellten Sachantrag ist für die rückwirkende Einbeziehung in die Prozeßkostenhilfe ausreichend.


vorgehend LG Essen, 6. Oktober 1988, 18 O 101/88
Vergleiche BFH 2. Senat, 26. November 2008, II E 5/08
Abgrenzung BGH 8. Zivilsenat, 13. November 1991, VIII ZR 187/90
So auch BGH 7. Zivilsenat, 6. Dezember 1984, VII ZR 223/83
Gründe
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1. Der Kläger hat gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Revision eingelegt und diese am 5. März 1991 begründet. Am 18. April 1991 bestellte sich der beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt Dr. Krämer zum Prozeßbevollmächtigten des Beklagten und beantragte, dem Beklagten unter seiner Beiordnung Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Außerdem stellte er den Antrag, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Mit Schreiben vom 26. April 1991 legte Rechtsanwalt Dr. Krämer die Erklärung des Beklagten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die erforderlichen Unterlagen vor. Durch Beschluß vom 4. Juni 1991 wurde die Revision des Klägers gemäß § 554 b Abs. 1 ZPO nicht angenommen. Gleichzeitig wurde dem Beklagten für die Revisionsinstanz Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Krämer beigeordnet.
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Mit seiner Kostenrechnung beantragte Rechtsanwalt Dr. Krämer, die volle Prozeßgebühr nebst Auslagen festzusetzen. In dem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 26. Juni 1991 entsprach der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dem Antrag gemäß §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO. Dagegen richtet sich die Erinnerung des Vertreters der Bundeskasse. Er ist der Ansicht, daß lediglich die um die Hälfte niedrigere Gebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO gerechtfertigt sei, da der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten nach seiner Beiordnung keinen Sachantrag mehr gestellt habe.
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2. Die nicht an eine Frist gebundene Erinnerung des Vertreters der Bundeskasse ist zulässig (§ 128 Abs. 3 BRAGO). Sie ist jedoch nicht begründet.
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Der Beschluß, mit dem einer Partei Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, wird regelmäßig mit dem Zugang wirksam (BGH, Beschluß vom 16. Februar 1970 - III ZR 207/68, NJW 1970, 757). Eine Rückwirkung wird jedoch dann angenommen, wenn der Bewilligungsantrag während des Verfahrens gestellt, über ihn aber der Einfachheit halber erst mit der Entscheidung über die Nichtannahme der Revision entschieden wurde. Da in diesem Fall die Bewilligung mit der Beendigung des Verfahrens zusammenfällt, ist die Rückwirkung sachgerecht (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Dezember 1984 - VII ZR 223/83, NJW 1985, 921, 922). Die Rückwirkung kann bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche getan hat (BGH, Beschluß vom 30. September 1981 - IVb ZR 694/80, NJW 1982, 446; Beschluß vom 6. Dezember 1984 - VII ZR 223/83, NJW 1985, 921; Beschluß vom 27. April 1987 - III ZR 107/86, BGHR § 119 Satz 2 ZPO - Rechtsverteidigung 1). Das war erst mit dem Eingang des Schreibens vom 26. April 1991 der Fall, da erst zu diesem Zeitpunkt die für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen eingereicht wurden. In diesem Schreiben ist jedoch eine stillschweigende Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 18. April 1991 und den darin gestellten Zurückweisungsantrag zu sehen. Die spätere Bezugnahme auf den vor der Beiordnung gestellten Sachantrag ist für die rückwirkende Einbeziehung in die Prozeßkostenhilfe ausreichend (vgl. BGH NJW 1970, 757). Zwischen den beiden Schriftsätzen bestand ein enger zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang. Sie sollten eine Einheit bilden, zumal in dem Schreiben vom 18. April 1991 darauf hingewiesen wurde, daß die erforderlichen Erklärungen und Unterlagen noch nachgereicht werden. Die Vorschrift des § 32 BRAGO ist somit nicht anzuwenden. Vielmehr ist zu Recht eine volle Prozeßgebühr angesetzt worden.
Permalink
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