Stillschweigende Kontokorrentabrede
Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen einer stillschweigenden Kontokorrentabrede.
Orientierungssatz
1. Wesentliche Merkmale für den Willen der Beteiligten, eine Geschäftsverbindung kontokorrentmäßig abzuwickeln, liegen in der Behandlung der einzelnen Leistungen als verzinsliche Kreditgewährung, in der Verzinsung des Saldos, obwohl Zinsen darin enthalten sind, in der Übersendung der regelmäßigen Abschlüsse zur Anerkennung und in der Anerkennung selbst (vergleiche BGH, 1986-07-10, III ZR 77/85, WM IV 1986, 1355). In dem Schweigen auf die während eines längeren Zeitraums übersandten periodischen Rechnungsabschlüsse und in der Fortsetzung der Geschäftsverbindung auf der Basis dieser Abrechnungen kann eine stillschweigende Anerkennung der Salden liegen (vergleiche BGH aaO und BGH, 1958-01-27, II ZR 295/56, WM IV 1958, 620).













vorgehend LG Verden, 30. August 1989, 8 O 231/88


Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB
● Bork, 8. Auflage 2017, § 782 BGB
Vergleiche BGH 2. Zivilsenat, 27. Januar 1958, II ZR 295/56
Tatbestand
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Der Kläger betreibt einen Landhandel. Er belieferte seit 1965 die Beklagten, die aufgrund Ehevertrags in Gütergemeinschaft mit gemeinschaftlicher Verwaltung leben, mit Waren für ihren landwirtschaftlichen Betrieb und erhielt seinerseits von ihnen landwirtschaftliche Produkte; mit Billigung der Beklagten zu 2) führte der Beklagte zu 1) die Geschäfte mit dem Kläger im wesentlichen allein. Der Kläger erteilte den Beklagten über die gegenseitigen Leistungen fortlaufend vierteljährliche Abrechnungen, nach seiner Darstellung seit Beginn der Geschäftsbeziehung, unstreitig jedenfalls seit Ende 1975. Diese Abrechnungen wiesen jeweils Zinsen für die Forderungen des Klägers aus. Anfang 1985 akzeptierte der Beklagte zu 1) für den Saldo der Abrechnung zum 31. Dezember 1984 in Höhe von 37.546 DM einen Wechsel und in der Folgezeit, jeweils bei Fälligkeit, weitere Wechsel in ähnlicher Höhe. Der letzte dieser Wechsel - über 38.000 DM, ausgestellt am 27. November 1987, fällig am 27. Februar 1988 - wurde mangels Zahlung protestiert. Danach hat der Kläger aufgrund einer Abrechnung zum 15. März 1988 Zahlung von 57.666,24 DM verlangt, die Klageforderung später aber auf 50.453,70 DM ermäßigt. Er hat behauptet, zwischen den Parteien sei eine Kontokorrentabrede getroffen worden; die Beklagten hätten die Abrechnungssalden und damit auch die geltend gemachten Zinsforderungen zumindest konkludent anerkannt. In Höhe von 38.000 DM hat der Kläger seinen Anspruch auch auf den am 27. November 1987 akzeptierten Wechsel gestützt.
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Der Beklagte zu 1) hat die Klageforderung in Höhe von 4.637,70 DM anerkannt. Das Landgericht hat beide Beklagten zur Zahlung von 50.453,70 DM nebst 8,75% Zinsen verurteilt. Der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht im wesentlichen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des klageabweisenden Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Der Kläger könne Ansprüche, die über die Forderungen aus den Einzellieferungen hinausgehen, nicht auf ein Saldoanerkenntnis der Beklagten im Rahmen einer Kontokorrentabrede stützen. Eine solche Abrede lasse sich nicht feststellen; die Parteien hätten ihre Geschäftsbeziehung vielmehr in sogenannter "offener Rechnung" geführt. Eine Kontokorrentabrede hätte eine Einigung der Parteien vorausgesetzt, ihre gegenseitigen Ansprüche nicht mehr selbständig geltend zu machen, sondern zu verrechnen, den sich zugunsten einer Partei ergebenden Saldo festzustellen und anzuerkennen. Eine derartige Vereinbarung sei weder ausdrücklich getroffen worden noch stillschweigend zustande gekommen. Nach den vorgelegten Abrechnungen hätten die Beklagten von Anfang an im wesentlichen auf die sich aus den jeweiligen Einzelrechnungen des Klägers ergebenden Ansprüche Zahlungen geleistet, ihre Leistungen also nicht in einen Verrechnungszusammenhang einbeziehen wollen. Sie hätten die Ansprüche auch nicht dadurch - teilweise - anerkannt, daß der Beklagte zu 1) über Teilbeträge der Forderungen Wechsel ausgestellt habe. Der Kläger habe ebenfalls nicht substantiiert vorgetragen, wann und bei welcher Gelegenheit eine Zinsvereinbarung getroffen worden sei. Ein Anspruch des Klägers aus dem letzten Wechsel über 38.000 DM bestehe nur in Höhe des anerkannten Teilbetrags. Im übrigen habe der Kläger die in der Wechselbegebung liegende Leistung ohne Rechtsgrund erlangt, da der Beklagte zu 1) über den anerkannten Betrag hinaus nichts geschuldet habe. Auch Diskontspesen ständen dem Kläger mangels Vereinbarung nicht zu.
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II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Der Kläger beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht sein Vorbringen zu dem behaupteten Kontokorrentverhältnis und zur Zinsvereinbarung nicht ausgeschöpft habe. Soweit sich der Kläger auch auf den Wechselanspruch stützt, hat das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast verkannt.
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1. Auch wenn ein Kontokorrentverhältnis nicht ausdrücklich vereinbart worden ist, kann der Wille der Beteiligten, eine Geschäftsverbindung kontokorrentmäßig abzuwickeln, in einem entsprechenden Verhalten seinen schlüssigen Ausdruck finden. Wesentliche Merkmale für einen solchen Willen liegen in der Behandlung der einzelnen Leistungen als verzinsliche Kreditgewährung, in der Verzinsung des Saldos, obwohl Zinsen darin enthalten sind, in der Übersendung der regelmäßigen Abschlüsse zur Anerkennung und in der Anerkennung selbst (BGH, Urteil vom 10. Juli 1986 - III ZR 77/85 = WM 1986, 1355, 1357). In dem Schweigen auf die während eines längeren Zeitraums übersandten periodischen Rechnungsabschlüsse und in der Fortsetzung der Geschäftsverbindung auf der Basis dieser Abrechnungen kann eine stillschweigende Anerkennung der Salden liegen (BGH aaO und Urteil vom 27. Januar 1958 - II ZR 295/56 = WM 1958, 620, 621).
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Diese Auslegungsregeln hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Nach seiner Auffassung spricht entscheidend gegen eine Kontokorrentabrede, daß die Beklagten nicht auf die Rechnungsabschlüsse, sondern im wesentlichen nur auf einzelne Abrechnungen Zahlungen geleistet haben. Das Zahlungsverhalten der Beklagten ist jedoch nur ein Indiz, das gegen die Umstände abzuwägen ist, die für eine Kontokorrentvereinbarung sprechen. Diesen Umständen kommt hier ein solches Gewicht zu, daß eine konkludente Kontokorrentabrede zu bejahen ist. Der Senat kann diese Würdigung aufgrund des unstreitigen Sachverhalts selbst vornehmen; einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht bedurfte es insoweit nicht, da entgegenstehende Feststellungen nach dem Parteivortrag nicht in Betracht kommen. Unstreitig hat der Kläger viele Jahre hindurch kontokorrentmäßige Abrechnungen über die beiderseitigen Leistungen und die Verzinsung erteilt; die Beklagten haben diese Abrechnungen widerspruchslos unter Fortführung der Geschäftsverbindung entgegengenommen. Schließlich hat der Beklagte, nachdem ihm der Kläger den Rechnungsabschluß zum 31. Dezember 1984 mit einem Saldo von 37.546 DM übermittelt hatte, am 11. Februar 1985 einen Wechsel über eben diesen Betrag akzeptiert. Angesichts der völligen Übereinstimmung von Rechnungsabschlußsaldo und Wechselsumme hat bereits das Landgericht mit Recht in der Eingehung der Wechselverbindlichkeit eine grundsätzliche Billigung der kontokorrentmäßigen Saldierung und insbesondere auch der Inrechnungstellung von Zinsen gesehen.
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2. Saldoanerkenntnis und Wechselbegebung schließen eine Überprüfung der zugrundeliegenden Forderungen nicht aus, sondern führen insoweit nur zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Der Schuldner kann das Anerkenntnis nach § 812 Abs. 2 BGB kondizieren, soweit er darlegt und beweist, daß der Saldo falsch berechnet wurde oder Einzelforderungen nicht bestanden (Heymann/Horn HGB § 355 Rdn. 28 m.w.Nachw.). Ebenso kann der Wechselakzeptant gegenüber dem abstrakten Anspruch des Wechselnehmers die Bereicherungseinrede erheben, wenn der Wechselhingabe keine Verpflichtung zur Zahlung der Wechselsumme zugrunde liegt; den Wechselschuldner trifft hierfür aber die volle Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 30. Mai 1988 - II ZR 307/87 = WM 1988, 1435, 1436 m.w.Nachw.).
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Die Beklagten sind danach nicht gehindert, auch für die Zeit bis zum 31. Dezember 1984 geltend zu machen, einzelne Buchungen des Klägers zu ihren Lasten seien materiell nicht gerechtfertigt gewesen. Insbesondere bei den Zinsbelastungen können sie sich darauf berufen, daß der Kläger ihnen nach seinem eigenen Vortrag nur die ihm selbst durch die Inanspruchnahme von Bankkredit entstehenden Zinsen in Rechnung stellen wollte, daß die von ihm tatsächlich berechneten Zinsbeträge aber die banküblichen Zinsen überstiegen. Insoweit fehlt es bisher jedoch an einer hinreichend substantiierten Darlegung und Berechnung. Die Zurückverweisung gibt den Beklagten Gelegenheit, ihren Vortrag zu ergänzen und gegebenenfalls Beweis dafür anzutreten, damit das Berufungsgericht die Berechtigung ihrer Einwendungen überprüfen kann.
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3. Für die Zeit ab 1. Januar 1985 hat der Kläger selbst - einer Anregung des Landgerichts folgend (vgl. GA 209, 212, 227) - keine Zinsforderungen mehr geltend gemacht. Im Streit sind dagegen die in diesem Zeitraum angefallenen Diskontspesen. Auch insoweit wird das Berufungsgericht seine bisherige Entscheidung überprüfen müssen. Zwar folgt eine Verpflichtung des Akzeptanten, die Diskontspesen zu tragen, nicht bereits aus der Annahme des Wechsels. Doch ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu ermitteln, für wen die Wechselhingabe vorteilhaft ist. Nimmt der Gläubiger einer fälligen Forderung einen Wechsel in Zahlung, so werden die Diskontspesen nach dem Zweck der Wechselhingabe und der Interessenlage grundsätzlich dem Schuldner zur Last fallen, da der Gläubiger nicht verpflichtet ist, dem Schuldner für die Laufzeit des Wechsels Kredit zu gewähren (BGH, Urteil vom 24. Juni 1970 - VIII ZR 258/68 = WM 1970, 960; Baumbach/Hefermehl WG 17. Aufl. Einleitung Rdn. 50).
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