Zur Berücksichtigung eines Strafurteils bei der Beweiswürdigung
Orientierungssatz
1. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist daher regelmäßig nicht an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich mit solchen Feststellungen auseinanderzusetzen, wenn sie für die eigene Beweiswürdigung relevant sind.



vorgehend LG Stuttgart, 10. Februar 1987, 26 O 342/86
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. September 1987 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Beklagte, der damals mit seiner Lebensgefährtin bei der Klägerin zur Miete wohnte, kaufte am 13. März 1986 einen gebrauchten Personenkraftwagen der Marke Mercedes 300 SEL zum Preis von 71.000 DM. Danach nahm er das Fahrzeug gegen Barzahlung des Kaufpreises in Besitz.
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Die Klägerin verlangt vom Beklagten Herausgabe des Fahrzeugs und des zugehörigen Kraftfahrzeugbriefs, weil der Beklagte das Fahrzeug in ihrem Auftrag gekauft und mit von ihr zu diesem Zweck erhaltenen Barmitteln bezahlt habe.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 331, 557 ZPO; vgl. BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (BGH aaO S. 82).
II.
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Das Berufungsgericht hält die Darstellung der Klägerin, daß sie dem Beklagten den Auftrag erteilt habe, für sie einen Personenkraftwagen zu erwerben, und daß sie ihm zu diesem Zweck 79.000 DM übergeben habe, nach den Gesamtumständen für sehr wahrscheinlich, hat aber "eine für eine Verurteilung des Beklagten erforderliche Überzeugung im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" nicht gewinnen können.
III.
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1. Keinen Erfolg hat allerdings die Rüge, das Berufungsgericht habe übertriebene Anforderungen an die "Sicherheit" gestellt, die dem Tatrichter zur erforderlichen Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit tatsächlicher Behauptungen genügen muß.
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Soweit das Berufungsgericht von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gesprochen hat, ist dies zwar mißverständlich, weil es nach § 286 ZPO auf die persönliche Gewißheit des Richters und nicht auf einen wie auch immer einzustufenden Grad objektiv zu bestimmender Wahrscheinlichkeit ankommt (BGHZ 53, 245, 256 - "Anastasia"). Das Berufungsgericht hat jedoch insgesamt hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es letztlich eine eigene persönliche Überzeugung von der Wahrheit des Vorbringens der Klägerin nicht hat gewinnen können.
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2. Dagegen rügt die Revision zutreffend, daß die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts lückenhaft ist.
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a) Das angefochtene Urteil stützt die verbleibenden Zweifel an der Richtigkeit des Klagevorbringens auf die "widersprüchlichen Darstellungen der Klägerin gegenüber Dritten über den angeblich erteilten Auftrag und die Hingabe des Geldbetrages". Es erwähnt in diesem Zusammenhang nur einen Vorfall, bei dem die Klägerin in Gegenwart zweier Zeugen und des Beklagten bestätigt hat, daß der den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Pkw nicht mit ihrem Geld bezahlt worden sei. Dieser Vorfall wird ebensowenig aus dem konkreten Zusammenhang heraus gewürdigt wie die gegenteiligen Äußerungen gegenüber anderen Zeugen.
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So bleibt unerwähnt, daß die genannte Bestätigung abgegeben worden ist, nachdem der Steuerberater der Klägerin von dieser wegen der Rechnung für den Wagen an den Beklagten verwiesen worden war, dieser die Herausgabe verweigert und die Klägerin insistierend zweimal gefragt hatte, ob sie denn das Auto bezahlt habe. Den Urteilsgründen läßt sich nicht entnehmen, wie das Berufungsgericht die Tatsache gewertet hat, daß die nach dem nervenfachärztlichen Gutachten vom 8. Juli 1986 "bis hin zur völligen Willenlosigkeit" von dem Beklagten abhängige Klägerin auf dessen Frage zunächst geschwiegen, erst auf erneutes Nachfragen mit "nein" geantwortet und wenige Tage später ihrer bei diesem Gespräch zugegen gewesenen Haushaltshilfe erklärt hat, sie habe das Auto "eben doch bezahlt".
- 12
Aus der Darstellung der Beweiswürdigung geht auch nicht hervor, in welchem Zusammenhang sich die Klägerin den anderen Zeugen gegenüber in Übereinstimmung mit dem Klagevorbringen geäußert hat. So unterläßt es das Berufungsgericht, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß die Klägerin die entsprechende Darstellung gegenüber dem Zeugen R. nicht bei irgendeiner Gelegenheit, sondern anläßlich der Abhebung von 75.000 DM wenige Tage vor dem Abschluß des Kaufvertrages über den Wagen gemacht hat, daß sie ihn in den Räumen der Bank "freudestrahlend" begrüßte und mitteilte, "wir haben jetzt Geld abgehoben für das Auto". Das Berufungsgericht begnügt sich in diesem Zusammenhang damit, ohne eine Schilderung des Geschehens das Schweigen des Beklagten anläßlich dieser Äußerung zu relativieren, und greift dabei auf mögliche Deutungen zurück, auf die sich der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nicht berufen hat.
- 13
Es liegt auf der Hand, daß die unterschiedlichen Darstellungen der Klägerin in ihrer Bedeutung für das Beweisergebnis nur unzureichend gewürdigt werden können, wenn man lediglich auf ihren Inhalt abstellt, die ihnen Gewicht verleihenden Begleitumstände jedoch außer Betracht läßt. Die vom Beklagten nicht in Abrede gestellte, im übrigen durch die Aussage des Zeugen R. und Vorlage einer Kopie der Bankquittung nachgewiesene Abhebung eines dem Kaufpreis des Fahrzeugs ziemlich genau entsprechenden Betrages durch die Klägerin wenige Tage vor dem Abschluß des Kaufvertrages wird in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht mitgeteilt und folglich bei der Beweiswürdigung auch nicht berücksichtigt, obwohl sich eine Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Indiz aufdrängte.
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b) Mit Recht beanstandet die Revision ferner, daß sich das Berufungsgericht nicht mit dem zu den Akten gereichten - unstreitig seit dem 17. August 1987 rechtskräftigen - Urteil der 15. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart auseinandergesetzt hat.
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Die Klägerin hat sich bei dem Besuch in der Bank am 6. März 1986 nicht nur den bereits erwähnten Betrag von 75.000 DM auszahlen lassen, sondern unstreitig gemeinsam mit dem Beklagten weitere 300.000 DM von ihrem Konto abgehoben, die dem Beklagten ausgehändigt und von ihm zunächst in einem zu diesem Zweck von ihm angemieteten Bankschließfach verwahrt wurden. Nach den Feststellungen des Strafurteils hat der Beklagte in der Folgezeit diesen Betrag und weitere der Klägerin gehörende 790.000 DM für eigene Zwecke verbraucht. Er ist deswegen zweier Vergehen des Betruges für schuldig befunden und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, die er zur Zeit verbüßt.
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Angesichts des engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs der den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und des Strafverfahrens bildenden Sachverhalte durfte das rechtskräftige Strafurteil nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hat sich der Zivilrichter seine Überzeugung grundsätzlich selbst zu bilden und ist daher regelmäßig nicht an die Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden. Das enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht, sich mit solchen Feststellungen auseinanderzusetzen, wenn sie für die eigene Beweiswürdigung relevant sind (Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 20. Aufl. § 14 EGZPO Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO 46. Aufl. § 14 EGZPO).
IV.
- 17
Auf diesen Verfahrensfehlern beruht das angefochtene Urteil. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Berufungsgericht zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre, wenn es bei der Beweiswürdigung alle Umstände berücksichtigt hätte. Das Urteil mußte deshalb aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
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